Historisch-philologischer Kommentar zur Chronik des Johannes MalalasBuch 16, Kapitel 1die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der HAdW-Forschungsstelle MalalasExport vom 20240329-000002daffi/HAdW20240329Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Forschungsstelle Malalas-KommentarCC BY-NC-SA 4.0
Export aus Malalas-Datenbank
20240329-000002die Mitarbeiter der HAdW-Forschungsstelle
Typischer Beginn der Darstellung der Regierungszeit eines Herrschers in
der Chronographia. Zu den inhaltlichen
Elementen: 17, 1, zu den Verben: 18, 1.
(Florian Battistella)
1|5
Zenon, oströmischer Kaiser 474--491 n.Chr.; zu ihm ausführlicher: 14, 46.
(Kamil Choda)
2|2
"Mit unterschiedlicher Pupillenfarbe"; s. 16, 1.
Schwartz
(1934), 216 Anm. 1 vermutet, "daß der Beiname des
Kaisers δίκορος, aus dem das Histörchen eine aramäische, in Antiochia
aufgekommene Verstümmelung von δεκουρίων ist"; s. 16, 1.
(Brendan Osswald)
2|4
„aus Dyrrachium stammend“. Dyrrachium, heute Durrës in Albanien, klass.
Epidamnos, Hauptstadt der Provinz Nova
Epirus. Der Verfasser kannte auch den klass. Namen Ἐπίδαμνος
(XVII 15,5). Zur Stadt ausführlich: 17,
15. Auf Dyrrachium als Herkunftsort des Anastasios wird auch im
Buch XVII hingewiesen (17, 15). Zu den
Bauten des Anastasios in der Stadt: 17,
15; 17, 15; zu deren
Wiederherstellung nach einem Erdbeben unter Justin I.: 17, 15.
(Kamil Choda)
2|6
Zur Darstellung der Teilung der alten Provinz Epirus und Erstehung der Epirus Nova, s. XIII 41.
Der Zusatz ἐπαρχίας ist nicht notwendig, wurde aber offensichtlich von
Thurn als Teil des hypothetischen Ur-Malalas angesehen, da er im CP und in der slawischen Überlieferung (vgl.
Istrin
(1994), 344; Tvorogov (1999),
354) vorkommt.
Die Provinz Epirus Nova befand sich auf
vorwiegend chalkedonischem Gebiet. Trotzdem heißt es, dass die
Mutter und der Onkel mütterlicherseits von Anastasios eine
Manichäerin beziehungsweise ein Arianer waren. Wie dem auch sei,
Anastasius zeigte Sympathie für Monophysitismus. S. PLRE II
(Anastasius 4), 78; Lee
(2001), 55.
(Kamil Choda)
3|2
Olybrios war alleiniger östlicher Konsul des Jahres 491 (vgl.
Bagnall,
Cameron, Schwartz, Worp (1987), 517). Zu seiner
Person s.u.
(Olivier Gengler)
3|5
PLRE II (Olybrius 3), 795 = Begass (2018) Nr.
156, 194f.
Anicius Olybrius, geboren bald nach 478, Sohn von Anicia Iuliana (14, 31) und Areobindus (16, 1), somit Enkel des weströmischen Kaisers
Olybrius (14, 26); als Kind alleiniger
Konsul des Jahres 491 n. Chr. Letztere Tatsache könnte nach Bagnall, Cameron,
Schwartz, Worp (1987), 42 erklären, weshalb er
auch als Olybrius ὁ μικρός (Sohn des Areobindus τοῦ μεγάλου in CP 594,10) bzw. iunior bezeichnet wurde. Im Falle der Stelle des
Chronicon paschale glaubt Begass (2018), 363
jedoch an eine Unterscheidung vom Großvater als Ziel der Verwendung des
Attributs.
Wahrscheinlich ist Anicius Olybrius identisch mit einem patricius Olybrius, den Justinian 533 aus dem
Exil zurückrief (PLRE II (Olybrius 3), 795; 18,
80). Für Thurn
(2000), 468 trifft dies jedoch nicht zu, weil er
den aus dem Exil zurückgerufenen Olybrius mit dem bei Mal. XVII,16
erwähnten Konsul von 526 (=PLRE II (Fl. Anicius Olybrius 7), 798)
identifiziert. Folglich ist für Thurn der Sohn des Areobindus in der
Chronographia nur durch die hiesige Stelle
belegt. Dass bei den drei Erwähnungen des Namens Olybrius in allen
Fällen dieselbe Person gemeint sein kann, scheint entgegen Thurn, Meier
(2009), 406, Anm. 6; 432, Anm. 80 und 500, Anm.
506 jedoch unwahrscheinlich (vgl. PLRE II (Fl. Anicius Olybrius 7),
798; 18, 80).
(Florian Battistella)
3|8
PLRE II (Ariobindus I), 143f. = Begass (2018) Nr. 33,
86. S. auch Meier
(2007c), 196-200.
Flavius Areobindus Dagalaiphus Areobindus, Sohn des Fl. Dagalaiphus
(PLRE II (Fl. Dagalaiphus 2), 340f. = Begass (2018) Nr. 68,
115), Enkel von Areobindus (PLRE II (Fl. Ariobindus 2), 145f.) und
Ardabur (14, 37), Urenkel des Fl. Ardabur
Aspar (14, 7), entspringt somit elitären
Kreisen. Anicia Iuliana (14, 31), die
Tochter des Kaisers Olybrius (14, 26), die
Areobindus frühestens 478 heiratete, überragte ihn jedoch hinsichtlich
des Prestiges bei Weitem (vgl. Begass (2018), 362f.).
Unter Anastasius war Areobindus Magister militum
per Orientem (503 bis ca. 505 16,
9) und bekleidete 506 den Konsulat. Der Ausrufung zum Kaiser
durch die Bevölkerung Konstantinopels im Rahmen des
Staurotheis-Aufstandes 512 entzog sich Areobindus durch Flucht (dazu:
16, 19).
(Florian Battistella)
4|2
Mit der Form μῆνας θ’ καὶ ἡμέρας θ’ folgt Thurn (2000), 319 dem
Laterculus Malalianus (Lat) und der
slawischen Fassung (Istrin
(1994), 344; Tvorogov (1999),
354), wie sie stark gekürzt auch in der Sophia-Chronik (Tvorogov (1983),
215) vorliegt. Theod. Lect. fr. 524, 151,24
und der Baroccianus bieten 27 Jahre und 3
Monate (ἔτη κζ’ καὶ μῆνας γ') und präsentieren keine Tagesangabe. Das
Chronicon Paschale verzichtet auf eine
entsprechende Angabe völlig.
(Kamil Choda)
4|11
ξανθικῷ τῷ καὶ hat Thurn
(2000), 319 aufgrund des Textbestands der
slawischen Fassung (vgl. Istrin
(1994), 344; Tvorogov (1999),
354) und des Chronicon paschale
rekonstruiert. Zu diesem Monat: 5, 2.
(Kamil Choda)
7|2
Über das Aussehen des Anastasius ist wenig bekannt (Meier (2009), 56f.).
Nach Jeffreys,
Jeffreys (1990), 243 könnte Malalas aber für das
Porträt dieses Kaisers auf zeitgenössische Darstellungen zugegriffen
haben. Allerdings weist sein Porträt des Kaisers keine direkten
Parallelen mit dem des Orakels von Baalbek
auf, der einzigen Quelle, die mit Sicherheit die Beschreibung des
Kaisers nicht aus der Chronographia
übernommen hat. Die Beschreibung der Haare zum Beispiel weist einen
deutlichen Unterschied auf. Sie sind bei Malalas kurz, während das
Orakel den Kaiser als einen kahlen Mann darstellt (Borsch (2018),
72--74). Die Beschreibungen des Aussehens der Kaiser gehören zum
Standard-Repertoire von Malalas, gerade auch im Kontext eines
Herrschaftswechsels (Jeffreys, Jeffreys
(1990), 243; 17, 1);
von besonderem Interesse sind ihm als ungewöhnlich wahrgenommene
Charakteristika (vgl. etwa X 48 Domitian „ging leicht gebückt“
(Thurn, Meier
(2009), 271), XII, 18 Septimus Severus „war
gehbehindert“ (Thurn, Meier
(2009), 297)).
Die unterschiedliche Pupillenfarbe des Anastasius gehörte zu solchen
ungewöhnlichen Merkmalen. Diese und ähnliche Unregelmäßigkeiten konnten
von Zeitgenossen als Hinweise ausgelegt werden, dass es sich bei
Anastasius um einen Endzeitkaiser handele, weil der Befund im Kontext
der Endzeiterwartungen um das Jahr 500 als apokalyptisch konnotiert
verstanden werden konnte, u.a. da man beim Antichrist einen
asymmetrisch gestalteten Körper voraussetze. Der Vergleich mit der
Beschreibung von Anastasius' Aussehen im Orakel
von Baalbek verdeutlicht dies, da dort die unterschiedliche
Länge der Arme (nicht die unterschiedliche Pupillenfarbe) in einem
Endzeitkontext erwähnt wird. S. Brandes (1997),
53--63, Meier
(2007c), 230f.; Chatziantoniou
(2009), 1f. Anm. 2; Borsch (2018), 74.
Da sich aber Malalas bewusst von den Endzeiterwartungen distanziert,
dient bei ihm die Erwähnung der Pupillenfarbe einem entgegengesetzten
Ziel – nämlich jenem, die Endzeitgedanken abzubauen. Dies erreicht er,
indem er ein endzeitliches Merkmal einem Kaiser zuschreibt, von dem man
bereits wusste, dass seine Regierung das Ende nicht eingeleitet hatte.
Womöglich zielt die Erwähnung des guten Sehvermögens des Kaisers auf
das Gleiche ab.
(Kamil Choda)
Alexander (1967): Alexander, Paul J.:
The Oracle of Baalbek.
Washington 1967
Allen (2017): Allen, Pauline:
Malalas and the Debate over Chalcedon: Tendencies, Influences, Sources. 2017, 185-199
Bagnall, Cameron, Schwartz, Worp (1987): Bagnall, Roger S./Cameron, Alan/Schwartz, Seth R./Worp, Klaas A.:
Consuls of the Later Roman Empire.
Atlanta 1987
Begass (2018): Begass, Christoph:
Die Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, ca. 457-518. Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen.
München 2018
Borsch (2018): Borsch, Jonas:
Schriftliche Bildnisse. Personalisierte Erinnerung in Malalas’ Porträts. 2018, 49–81
Brandes (1997): Brandes, Wolfram:
Anastasios ὁ δίκoρoς. Endzeiterwartung und Kaiserkritik in Byzanz um 500 n. Chr..
Byzantinische Zeitschrift 1997, 24-63
Delmaire (1995): Delmaire, Roland:
Les Institutions du Bas-Empire Romain de Constantin à Justinien. I: Les Institutions Civiles Palatines.
Paris 1995
Greatrex (2016): Greatrex, Geoffrey:
Malalas and Procopius. 2016, 169–185
Istrin (1994): Istrin, V. M.:
Истрин В. М. Хроника Иоанна Малалы в славянском переводе/Chronika Ioanna Malaly w slawjanskom perewode. 1994
Jeffreys, Jeffreys (1990): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael:
The language of Malalas, 3: Portraits. 1990, 231–244
Jeffreys (1990b): Jeffreys, Elizabeth:
Chronological structures in Malalas’ chronicle. 1990, 111–166
Meier (2007c): Meier, Mischa:
Σταυρωθεὶς δι' ἡμᾶς – Der Aufstand gegen Anastasios im Jahr 512.
Millennium 2007, 4, 157–237
Meier (2009): Meier, Mischa:
Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches.
Stuttgart 2009
Siebigs (2010): Siebigs, Gereon:
Kaiser Leo I. Das oströmische Reich in den ersten drei Jahren seiner Regierung (457–460 n. Chr.).
Berlin 2010
Thurn, Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa:
Johannes Malalas Weltchronik..
Stuttgart 2009
Thurn (2000): Thurn, Johannes:
Ioannis Malalae Chronographia.
Berolini et Novi Eboraci 2000
Tvorogov (1983): Tvorogov, O. V.:
Материалы к истории русских хронографов: 2. Софийский хронограф и Хроника Иоанна Малалы/Materialy k istorii russkih hronografov: 2. Sofijskij hronograf i Hronika Ioanna Malaly.
Труды Отдела древнерусской литературы/Trudy Otdela drevnerusskoj literatury 1983, 188-221
Tvorogov (1999): Tvorogov, O. V. et alii:
Letopisec Ellinskij i Rimskij/Летописец Еллинский и Римский. 1999