Malalas 18.122 1–2 = 51–52 (Thurn)

Inhalt

Kapitel XVIII 122 thematisiert das Erscheinen eines Himmelskörpers in Form einer Feuerlanze.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

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Μηνὶ νοεμβρίῳ ἰνδικτιῶνος εʹ ἐφάνη πῦρ ἐν τῷ οὐρανῷ ὡς εἶδος
 
λόγχης ἀπὸ τῶν ἀνατολικῶν μερῶν ἐκτεταμένον ἕως δυσμῶν.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ νοεμβρίῳ ἰνδικτιῶνος εʹ: Die Datierung mit Indiktions- und Monatsangabe auf November 556 n. Chr. ist präzise; sie korrespondiert mit Theoph. 231,30–231,1 (zwischen dem 6. November 556 und dem 16. April 557) und Cedr. 415,19 Tartaglia (30. Regierungsjahr des Justinian = 556/57). In Ps. Dion. 128 Witakowski wird die Feuerlanze als erstes Ereignis nach dem Tod Justinians aufgeführt, verbunden mit einer falschen Datierung auf 573/74 n. Chr. Vgl. mit Einordnung in das Jahr 556 n. Chr. Gundel 1921, 1192f., 556 oder 557 n. Chr. Meier 2004a, 668 Anm. 109.

Das Ereignis ist Teil einer dichten Reihe von Katastrophen und Unglücksfällen, die in XVIII 120 mit einem "Massensterben" (θνῆσις ἀνθρώπων) einsetzt und in dem XVIII 124 geschilderten Beben ihren Höhe- und (vorläufigen) Endpunkt erreicht.
1/1 Μηνὶ νοεμβρίῳ ἰνδικτιῶνος εʹ: Beginnend mit der Datierung, weist dieses Kapitel dieselbe Struktur auf wie das einzige andere thematisch verwandte Kapitel in diesem Buch der Chronik, Malal. XVIII 52 (über einen Kometen im Jahr 530). Auf die Datierung folgt in beiden Berichten das Verb ἐφάνη, dann kommen die Benennung der Himmelerscheinung (ἀστὴρ μέγας bzw. πῦρ) und die astronomische Lokalisierung. Allein der (sonst in ähnlichen Zusammenhängen in der Chronik übliche) Hinweis, dass das Phänomen φοβερός war, fehlt hier: XVIII 122, 1. Diese Kontinuität spricht eher gegen als für die These eines Wechsels der Autorschaft zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des letzten Buches der Chronik.
1/5 ἐφάνη: Vgl. zur Verwendung von ἐφάνη und ἀνεφάνη zur Einführung von zeichenhaften Ereignissen XVIII 51, 1f..
1/6 πῦρ ἐν τῷ οὐρανῷ: Zum Auftreten von Kometen und anderen Himmelserscheinungen in der Chronographie sowie zur Kontextualisierung der Berichte innerhalb der traditionellen zeichenhaften Interpretationen von Himmelserscheinungen XVIII 52, 1. Im vorliegenden Fall ist auffällig, dass ein Hinweis auf die erschrockenen Reaktionen der Zeitgenossen – sonst Teil aller Darstellungen zeitgenössischer Himmelskörper bei Malalas (vgl. XVII 4; XVIII 52; XVIII 75) – fehlt. Theoph. I 230,30–231,1 de Boor bietet ebenfalls nichts Derartiges. Auch eine Charakterisierung des Himmelskörpers mit dem im Zusammenhang mit ungewöhnlichen Naturereignissen häufig verwendeten Begriff φοβερός bleibt hier aus. Vgl. dazu XVIII 52, 1; siehe auch zur Verwendung eines nicht dezidiert negativ besetzten Alternativbegriffes im Falle einer früheren Himmelserscheinung XVIII 75, 2. Der Himmelskörper selbst ist wohl eher als Meteor denn als Komet zu identifizieren: Vgl. Gundel 1921, 1192f.; Schove 1984, 322; Meier 2004a, 668 mit Anm. 109.
1/6 πῦρ ἐν τῷ οὐρανῷ: Das Substantiv πῦρ kommt einige Male in der Malalas-Chronik als Definition für einen "feurigen" Gegenstand himmlischen Ursprungs vor; dabei handelt es sich um unterschiedliche Phänomene, z.T. auch um Phantasieprodukte, vgl. Malal. I 3: In Z. 42 πῦρ ist Kurzform für die kurz davor erwähnte (Z. 39) σφαῖρα πυρός, einen 'Feuerball', den Gott gegen die Giganten im Kelterland aus dem Himmel herausschleuderte (und den einige sogar mit dem aus seinem Wagen herabfallendenen Phaeton identifizierten); Malal. I 11: Zoroaster betet darum, durch die Kraft eines πυρὸς οὐρανίου vernichtet zu werden; sein Gebet wird durch die Intervention eines πυρὸς ἀερίου erfüllt (ist die ganze Anekdote vielleicht als aitiologische Begründung der Leichenverbrennung als Bestattungsmöglichkeit anzusehen?); Malal. II 12: πῦρ ist zusammenfassend gesagt für die kurz davor erwähnte σφαῖρα πυρὸς κεραυνοῦ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ, welche einer schweren Überschwemmung in Syrien ein Ende setzte; Malal. XIV 42: πῦρ bezeichnet das Feuer, das über Konstantinopel hereingebrochen wäre (selbstverständlich mit verheerenden Folgen), wenn der gütige Gott es nicht in bereits erloschene Asche verwandelt hätte (die Bevölkerung sagt in der Prozession: πῦρ ἦν καὶ ἐσβέσθη καὶ εὑρέθη κονία τοῦ θεοῦ φιλανθρωπευσαμένου). Im klassischen Griechisch bedeutet πῦρ qua Himmelerscheinung gewöhnlich 'Blitz', siehe LSJ s.v. πῦρ 5 a und die dort zitierten Dichterbelege.
Es wäre nicht leicht, nur anhand der knappen Formulierung "ein Feuer im Himmel" auf die genaue astronomische Natur des in diesem Kapitel erwähnten Phänomens Rückschlüsse zu ziehen. Die historische Forschung geht – aufgrund der folgenden Präzisierung über die von diesem πῦρ zurückgelegte Bahn auf dem Himmelsgewölbe: XVIII 122, 2 – von einem anhaltendem, (wissenschaftlich) beobachtbaren Phänomen aus, einem Meteor eher als einem Kometen: XVIII 122, 1.
1f./10 ὡς εἶδος λόγχης: Der Gestalt solcher ungewöhnlicher Himmelskörper wird schon seit Aristoteles interpretatorische Bedeutung zugeschrieben; die verschiedenen Formen werden auch bei Malalas grundsätzlich aufmerksam beschrieben. Dazu XVIII 52, 2f..
2/2 ἀπὸ τῶν ἀνατολικῶν μερῶν ἐκτεταμένον ἕως δυσμῶν: "Erstreckte sich vom Osten bis zum Westen" (Übs. Thurn/Meier 2009, 518): Diese Beschreibung hält Gundel 1921, 1192 für fehlerhaft. Die Lokalisierung der Erscheinung bei Theophanes ἀπὸ ἄρκτου ἕως δυσμῶν (I 230,30–231,1 de Boor; identisch Cedr. 415.4, 20 Tartaglia; vgl. auch Georg. Mon. II 642, 11–12 de Boor: ἀπὸ ἄρκτου ἐπὶ δυσμάς), nach der das Himmelsfeuer von Norden nach Westen zog (d.h. vermutlich: im Nordwesten sichtbar war), erscheint in der Tat plausibler. Auf "eine falsche Angabe der Wiedergabe des Theophanes" durch Malalas (Gundel 1921, 1192) kann ein solcher Fehler – falls es sich denn um einen handelt – aber aufgrund des zwischen diesen beiden Autoren bestehenden chronologischen Verhältnisses nicht zurückgehen. Denkbar wäre hingegen ein Fehler eines späteren Kopisten/Epitomators (d.h. des Verfassers des Codex Baroccianus?), der den ursprünglichen Text (überliefert bei Theophanes) entstellte.
2/7 ἕως: Absolut regelkonform benutzt mit Genitiv und in lokaler Bedeutung; für einen Überblick über die möglichen Verwendungen (lokal, temporal, methaphorisch) der bei Malalas beliebten Präposition ἕως siehe Rüger 1895, 18–19.
2/8 δυσμῶν: Das griechische Normalwort für den Untergang von Sonne und anderen Sternen sowie – in übertragener Bedeutung – auch für die Himmelsregion (den westlichen Teil des Himmelsgewölbes), wo dies aus der Perspektive der beobachtenden Menschen geschieht, ist δύσις, ein transparentes Nomen actionis aus δύω ‚untergehen‘ und dem sehr produktiven Suffix -σις. Neben δύσις existiert auch das Substantiv δυσμή, ein weniger verbreitetes aber bereits altes Synonym (vgl. Hdt. 3,104; Soph. O.C. 1245 ἀελίου δυσμᾶν), welches v.a. als Plural vorkommt und sowohl den Sonnenuntergang als auch den Westen (wie an der hiesigen Stelle – das ist der einzige Malalas-Beleg für δυσμή) bezeichnen kann.
Parallelüberlieferung
Griechisch: Theoph. a.m. 6049 = I 230,33–231,1 de Boor; Georg. Mon. II 642,11–12 de Boor; Cedren. 415.4,19–20 Tartaglia. Syrisch: Ps. Dion. 128 Witakowski; (Jak. Edess. = Chron. min. (Syr.) III 244 Brooks) (?).
Literatur
Gundel (1921): Gundel, Wilhelm: s.v. Kometen, RE XI 1, 1921, 1143–1193.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Rüger (1895): Rüger, Anton: Studien zu Malalas. Präpositionen und Adverbien. Das 18. Buch. Die konstantinischen Excerpte. Die tuskulanischen Fragmente, Bad Kissingen, 1895.
Schove (1984): Schove, D. Justin: Chronology of Eclipses and Comets. AD 1 – 1000, Dover, New Hampshire, 1984.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.