Malalas 18.14 1–27 = 51–77 (Thurn)
Dieses Kapitel behandelt die sonst nur in auf Malalas‘ Chronik aufbauenden Quellen belegte Herrschaft des Hunnenkönigs Grod, der sich in den zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen barbarischen Verbänden und Ostrom auf die Seite Justinians schlägt und sich christlich taufen lässt. Bei seiner Rückkehr nach Bosporus wird ihm diese Konvertierung und die aus ihr resultierenden Handlungen jedoch zum Verhängnis: Als neugetaufter Christ lässt er die alten Götzenbilder, die von Teilen seines Verbandes verehrt wurden, einschmelzen und zieht damit den Zorn hunnischer Priester auf sich, die ihn ermorden lassen. Die Herrschaft geht in der Folge auf Grods Bruder Mougel über, was Justinian wiederum zum Anlass nimmt, diese Rechtsübertretung mit einem Gegenschlag zu kontern: Er entsendet Truppen unter der Führung des Honorarkonsul Johannes und des magister militum Baduarius nach Bosporus, die die Hunnen in die Flucht schlagen und die Ruhe in der Region wiederherstellen.
Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur
1. Die Rinder des Geryon: Ein möglicher Hinweis auf die Bezeichnung des Herakles als hispanisch könnte der Raub der Rinder des Geryon sein, der im Rahmen der 12 von Herakles zu bewältigenden Taten genannt wird. In dieser Aufgabe verlangte König Eurystheus von Argos, dass Herakles ihm die Herde Geryons, eines Ungetüms mit drei Oberkörpern, bringen sollte. Herakles erfüllte diese Aufgabe, indem er Geryon und neben ihm auch noch den Hirten Eurytion und den Wachhund Orthos tötete. Nach Hes. Th. 287–294 wohnte Geryon jenseits des Okeanos, und um dorthin zu gelangen, musste der Halbgott den Ringstrom Okeanos, der die Erde umfloss überqueren, was ihm mithilfe des Sonnenkelches des Helios gelang. Die genaue Lokalisierung der Heimat des Geryon erfolgt in verschiedenen Werken unterschiedlich, am häufigsten jedoch auf der Iberischen Halbinsel bzw. in der Umgebung des Flusses Tartessos (Guadalquivir in Spanien), vgl. dazu Hekataios, Fr. 26 bzw. Stesichoros, Fr. 7. An die Tat des Rinderraubes, die Herakles also in hispanischem Umfeld vollführte, schließen sich in der antiken Mythenausgestaltung noch zahlreiche andere Taten an, bevor er mit der Vollendung der 12 Aufgaben nach Griechenland zurückkehrt, weshalb Herakles das Attribut „hispanisch“ sowohl aus der einen Aufgabe des Rinderraubes allein oder auch durch einen längeren Aufenthalt im Westen erhalten haben könnte. (Zur Mythenbildung um Herakles im Westen vgl. Prinz 1979, 149ff.)
2. Die Säulen des Herakles: Das Epitheton „hispanisch“ könnte auch aus dem Kontext der sogenannten Säulen des Herakles herrühren. Diese Bezeichnung wurde zum einen für zwei Säulen vor einem zunächst dem Melqart und später dem Herakles gewidmeten Tempel auf der Insel Santi Petri, die mit zwei weiteren Inseln die phönikische Siedlung Gades bildete, verwendet (vgl. Hdt. II 44; Strab. III 5,5ff., Plin. Nat. 2,242). Zum anderen werden fälschlicherweise auch die die Meerenge zwischen Spanien und Marokko begrenzenden Felskaps Gabal Musa und Gibraltar (Gabal at – Tariq) als eben jene Säulen angesehen. Diese irrtümliche Zuweisung rührt wohl von der häufig nur vagen Vorstellung dieser Gegend her, wie dies z.B. bei Tacitus zu erkennen ist, der die Säulen weiter nördlich bei den Germanen vermutet: Tac. Germ. 34: Ipsum quin etiam Oceanum illa temptavimus: et superesse adhuc Herculis columnas fama vulgavit, sive adiit Hercules, seu quidquid ubique magnificum est, in claritatem eius referre consensimus. Es entstand die Vorstellung, diese Meerenge bzw. jener von Herakles aufgesuchte Ort würde das Ende der Welt bilden bzw. jene Säulen würden das Himmelsgewölbe tragen – eine Verbindung zur Annahme, dass Atlas dort zu finden sei, den Herakles für kurze Zeit beim Tragen abgelöst hatte, um die Äpfel der Hesperiden zu erhalten. Darüber hinaus ist die Annahme des legendären versunkenen Atlantis untrennbar mit der Vorstellung vom Ende der Welt verbunden, da eben jenes Atlantis jenseits der Grenzen der heutigen Welt zu suchen war, die Lokalisierung der Säulen der Erde in ihrer Funktion als Grenzmarke also eine entscheidende Rolle bei der Suche nach diesem verschollenen, sagenhaften Land spielte (vgl. z.B. Pl., Criti. 108e).
3. Herakles am Bosporus: Die Erwähnung des hispanischen Herakles am Bosporus an dieser Textstelle könnte der Tatsache geschuldet sein, dass eine Lokalisierung der Säulen des Herakles u.a. aufgrund seiner vielen Reisen, die er zur Erfüllung seiner zahlreichen Aufgaben unternahm, nicht eindeutig nur für die Iberische Halbinsel, sondern z.B. auch für den Bosporus als Region vorgenommen wird. So findet sich bei Servius Grammaticus in seinem Vergilkommentar folgende Beschreibung in II 11,262: quod autem ait 'Protei columnas' ratione non vacat: nam columnas Herculis legimus et in Ponto et in Hispania.
Offensichtlich ist der Mythos von den das Ende der Welt begrenzenden Säulen des Herakles auch für die Meerenge am Bosporus, das gewissermaßen auch eine Grenze der „zivilisierten“ Welt darstellte, in der spätantiken Chronistik präsent.
Pantikapaion war eine antike Stadt auf der Halbinsel Krim, wobei der Name 'pantikap' vermutlichen skythischen bzw. iranischen Ursprung hat und wörtlich „Fischweg“ bedeutet, was auf den Fischreichtum der Region um den Kimmerischen Bosporus hindeuten könnte, vgl. Abaev 1949, 170). Patikapaion befand sich an der Stelle der heutigen Stadt Kertsch und wurde Hauptstadt des Bosporanischen Reiches, dessen Geschichte beinahe ein Jahrtausend lang währte – von der Gründung der ersten griechischen Kolonien an den Ufern der Kertscher Meerenge im 6. Jh. v. Chr. bis zur Hunneninvasion im 4. Jh. n. Chr. (Podossinov 2002, 21)). Die Stadt wurde jedoch aufgrund ihrer Lage am Kimmerischen Bosporus auch Bosporus (griechisch Bosporos) genannt.
Gegründet als Kolonie vermutlich im 6. Jh v. Chr. von Griechen aus Milet (vgl. Str. VII 4,4: κτίσμα δ’ ἐστὶ Μιλησίων und Plin. nat. IV 26: Panticapaeum Milesiorum) war die Stadt später Sitz der Könige des Bosporanischen Reiches und daher eng mit der Geschichte dieses Reiches verbunden. Die Stadt lag am Westufer des Kimmerischen Bosporus (zu den Ausmaßen dieser Meeresstraße am östlichen Rand der Krimhalbinsel vgl. Hdt. IV 12,28 und Str. XI 2,1–16) und zog sich von der unteren Meeresterrasse bis auf die Hänge des Mithridates-Berges hinauf. Auf diesem Berg entstand die Akropolis, in der später der Palast der bosporanischen Königsdynastie errichtet wurde. Neben anderen griechischen Gründungen in dieser Region (wie z.B. Phanagoria, Porthmion, Myrmekion, Tyritake und Kyteion) entwickelte sich Pantikapaion zur wichtigsten Stadt des Reiches. Unter der ersten Herrscherdynastie, den Archaianaktiden im 5. Jh v. Chr., erfolgte ein Zusammenschluss der bis dato unabhängigen Städte zu einer staatlichen Gemeinschaft (D.S. XII 31,1). Ihnen folgten nach Diodor ab 438 v. Chr. die Spartokiden, die das Reich mehr als 300 Jahre lang bis zum Ende des 2. Jhs v. Chr. regierten. Seit dem späten 5. Jh. v. Chr. wurden nach und nach auch die umliegenden Bevölkerungsverbände dem Bosporanischen Reich einverleibt, so dass eines der ersten bekannten multiethnischen Herrschaftsgebilde entstand, dessen Manifestation sich in der Herrschaftsbezeichnung der Bosporanischen Könige (ersichtlich in zahlreichen Inschriften) findet: Die Herrscher nannten sich „archon von Bosphorus und Theodosia“ und „basileus der Sindoi, Toretoi, Dandaroi und Psessoi“ (Muratov 2013, 1).
Eine wirtschaftliche und politische Krise während des 2. Jh. v. Chr. erwirkte den Verlust der Souveränität des Reiches und dessen schlussendliche Einverleibung durch Mithridates VI. Eupator (121/0–63 v. Chr.), den König von Pontos (CIRB 666, 691, 726; Str. VII 4,4–6). Mithridates sah diese Region vor allem als Möglichkeit der Rekrutierung von Soldaten und Gewinnung von Rohstoffen, die er in seinen andauernden Kämpfen mit Rom benötigte. Nach der Niederlage des Mithridates gegen Rom und seinem Tod im Jahr 63 v. Chr. (die Quellen berichten, dass Mithridates in der Akropolis Pantikapaions starb, vgl. App., Mith. 3; D.C. 37,12) geriet das Bosporanische Reich in den Wirkungskreis der römischen Politik, indem es sich fortan bewegen sollte. Das Reich wurde zwar nicht in eine römische Provinz umgewandelt, die Bosporanischen Könige, die weiterhin in Pantikapaion residierten, bezeichneten sich selbst jedoch als „Freunde Caesars und der Römer“ (Muratov 2013, 2).
Im Verlauf der Spätantike verlor Pantikapaion wahrscheinlich durch zahlreiche Angriffe durch barbarische Stämme seine Bedeutung. Bereits seit dem 3. Jh. n. Chr. unternahmen barbarische Stammesverbände Raubzüge im Schwarzmeergebiet und das gesamte Bosporanische Reich trat in eine militärpolitisch und sozioökonomische Krise ein. In den 50er–70er Jahren des 4. Jhs zogen Goten, Heruler, Boraner und Greutungen raubend und brandschatzend durch Bosporanisches Gebiet und verwüsteten die Städte. Gegen Ende der 70er Jahre folgten ihnen die Hunnen, deren Verwüstungen und Raubzüge auf der Taman-Halbinsel und am Kimmerischen Bosporus archäologisch nachweisbar sind (Muratov 2013, 2; Gaidukevich 1971, 459ff.). Seit dem Ende des 5. Jh. n. Chr. gehörte Pantikapaion, das nun als Bosporus in den Quellen erscheint, zum Oströmischen Reich und wurde archäologischen Funden zufolge vom 5. bis zum 7. Jh. von Krimgoten besiedelt (vgl. Tolstikov 2002; Tolstikov 2003). Im Zeitraum von 528 bis 534 beauftragte Justinian gotische Hilfstruppen mit der Rückeroberung der Stadt, die von Hunnen eingenommen worden war. Zur sich an diese Zeit anschließenden Phase der wechselnden Herrscher in Bosporus vgl. Pohl 1988, 40, 67 und 237. Für ausführliche Information zum Bosporanischen Reich vgl. Hind 1994, zur Region des Schwarzen Meeres in römischer Zeit Kazanski 2004, zur Stadt Pantikapaion und ihrer archäologischen Erschließung vgl. Podossinov 2002, S. 21ff., Tolstikov 2002, S. 39ff. und Tolstikov 2003.
Dass Justinian, wie bei Malalas, Prokop und Theophanes berichtet, Beziehungen zum Gebiet des ehemaligen Bosporanischen Reiches unterhielt, wird auch durch eine Inschrift bestätigt, die auf der Halbinsel Taman gefunden wurde. Diese ist zwar stark beschädigt, doch lässt sie sich soweit rekonstruieren, dass man sagen kann, dass sie wahrscheinlich zu einer Kirche gehörte, deren Restauration der Kaiser veranlasst hatte. Die Inschrift ist auf die 11. Indiktion datiert, d.h. auf die Jahre 532/33, 547/48 oder 562/63. Es ist vorgeschlagen worden, auf Grundlage der bei Malalas und Theophanes überlieferten Taufe Grods im ersten Regierungsjahr Justinians die Inschrift auf 532/33 zu datieren und sie als Beleg für die erfolgreiche Christianisierung der Region zu deuten. Allerdings ist der Bezug auf konkrete historische Ereignisse sehr schwierig und eine exakte Datierung der Inschrift nicht möglich (vgl. Semenov 1897, 387–391; PLRE IIIA (Angoulas), 82).
Die antike Stadt Hieron ist ursächlich bekannt durch ihr Heiligtum des Zeus Ourios und der 12 Götter (Plb. IV 39,6 und 50,2), gewann ab dem 4. Jh v.Chr. aber vor allem durch seine strategische Lage und seine Bedeutung für den Handelsverkehr zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis an Bekanntheit. Auch wenn Hieron als Stadt ursprünglich zu Kalchedon gehörte, geriet es zunehmend unter Athenische Kontrolle und fungierte bereits im 4. Jh. als Knotenpunkt verschiedener Handelsrouten, als Anlaufstelle für Informationen über bestehende Handelsabkommen zwischen dem Bosporanischen Reich und Athen, über geschützte Häfen und Währungsfragen sowie als Verladestelle (Gabrielsen 2007,303ff.). Auch in der Spätantike behielt Hieron seine strategische Bedeutung: gemeinsam mit dem gegenüberliegenden Abydos fungierte es als Standort des oben beschriebenen neu eingerichteten Amtes eines Zollbeamten zum Schutz der Meerenge, also als eine Zollstation (Oikonomides 1997, 222f.). Procop. Arc. 25,5 beschreibt diese Einrichtung der Zollstationen auf den Dardanellen und dem Bosporus als eine „gierige“ Tat Justinians, dem es dabei darauf angekommen sei, über die neu installierten Zollbeamten an möglichst viele Zolleinnahmen zu kommen. Neben einer Person, die ankommende Schiffe nach illegal importierter Ware durchsuchte und aus dieser Tätigkeit ein direktes Einkommen einbehalten durfte, soll Justinian der Quelle zufolge zusätzlich einen aus der Staatskasse bezahlten Beamten abgestellt haben, der Steuern auf die eingeführte Ware erhob. Unklar ist dabei, welchen genauen Titel diese Kontrollbeamten trugen, möglicherweise handelte es sich um comites (Oikonomides 1991, 242). Tatsächlich strebte Justinian eine Kontrollfunktion über die in den Wirtschaftsraum Konstantinopel importierten Güter an, die, wie die weitere Entwicklung zeigt, Erfolg hatte. Die positive Wirkung der Zolleinrichtung war offensichtlich so groß, dass der Name der Stadt Abydos in der Folgezeit benutzt wurde um eine separate Einrichtung für Seehandelskontrollen zu bezeichnen (Oikonomides 1991, 244ff.). Für das 8. Jh. wird dann eine eigene steuerliche Bezeichnung für den hier abgewickelten Handel in den Quellen greifbar: Schiffe und Händler, die die Meerenge zwischen Hieron und Abydos durchfuhren, mussten eine steuerliche Abgabe auf die Zirkulation von Handelsware, das sogenannte kommerkion leisten, das als Fortsetzung der von Justinian gestarteten Zollabgabe angesehen wird (Oikonomides 2002, 986f.).