Malalas 18.31 1–4 = 25–28 (Thurn)

Inhalt

In XVIII 31 wird von der rechtlichen Aufwertung und Umbenennung zweier Orte berichtet, vgl. dazu den Kommentar ad Malal. XVIII 5,2 und XVIII 8,5 mit Ausführungen zur Praxis der Umbenennungen.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (25)
Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ ὁ Ῥωμαίων βασιλεὺς τὸ κάστρον τὸ λεγό-
 
μενον Ἀνάσαρθον μετεκάλεσεν Θεοδωριάδα εἰς τὸ ὄνομα τῆς Αὐγούστας,
 
παρεσχηκὼς καὶ δίκαια πόλεως. ὁμοίως δὲ καὶ τὸ ἐν Σούσοις κάστρον
 
μετωνόμασεν Ἰουστινιανούπολιν.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ: Diese Zeitangabe legt nahe, dass wir uns, sofern es vorher keine Kürzung gab, noch im Jahr 528/529 befinden.
1/9 τὸ κάστρον: Das Substantiv κάστρον, das sich von lateinisch castrum ableitet, ist bei Malalas neunzehnmal belegt: XII 34,7; XII 40,3; XIII 21,8; XIII 21,12; XIII 21,28; XV 5,35; XV 5,36; XV 5,37; XVIII 16,18; XVIII 31,1; XVIII 31,3; XVIII 61,4; XVIII 61,15; XVIII 60,4 XVIII 76,5. Es zählt zum militärischen Jargon, der wie die Verwaltungssprache von Latinismen geprägt war (vgl. Kommentar ad XVIII 22,3). Wie πραιδεύω (s.u. ad XVIII 32,2) geht κάστρον in den byzantinischen Wortschatz über (LBG verzeichnet zahlreiche Komposita). Erste Belege finden sich auf kaiserzeitlichen Inschriften und in Papyri (vgl. LSJ Supp). Im Lateinischen ist der Plural castra häufiger als der Singular, im Griechischen ist der Plural κάστρα hingegen seltener. (Fabian Schulz)
1/9 τὸ κάστρον: Die Bedrohung des Reiches, die im Laufe der Spätantike stieg, brachte es mit sich, dass sich nicht nur Grenzbefestigungen zu Siedlungszentren, sondern auch Städte im Hinterland zu Festungen entwickelten, vgl. Müller-Wiener 1986 und Dunn 1994.
2/2 Ἀνάσαρθον: Dieser Ortsname auf -ος oder -ον ist nur bei Malalas bezeugt. Wahrscheinlich ist er mit Ἀνασάρθα bzw. Ὀνοσάρθα zu identifizieren, der in den Konzilsakten von Chalkedon bezeugt ist, vgl. Schieffer/Schwartz/Straub 1984, 9. Anasartha bzw. Onosartha, heute Hanaser, lag in Syria prima (vgl. zu Syria prima auch den Kommentar ad Malal. XVIII 32). Dort haben sich ein paar spätantike Inschriften erhalten (vgl. Bowersock 2002).
2/3 μετεκάλεσεν Θεοδωριάδα: Die einendigen Adjektive auf –άς, -άδος begleiten zumeist weibliche Substantive und werden selbst zu einem Substantiv, wenn das Bezugswort ausfällt (vgl. Kühner/ Blass §150 III). Das Wort Θεοδωριάς könnte demnach als ein Adjektiv interpretiert werden, das sich vom Substantiv Θεοδώρα ableitet und hier durch Wegfall des Wortes πόλις zu einem Substantiv wurde. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass es sich bei Theodorias von Anfang an um ein Substantiv handelte, das in Analogie zu Worten wie Honorias gebildet wurde. Vgl. bspw. Proc. Aed. VI 5,15: Θεοδωριάδα καλοῦσι τὴν πόλιν: Man nennt die Stadt Theodorias (und nicht: man nennt die Stadt eine Theodora'sche). (Fabian Schulz)
2/3 μετεκάλεσεν Θεοδωριάδα: Die Namensänderung von Anasartha in Theodorias hat sich nicht durchgesetzt. Heute heißt die syrische Stadt Hanaser. Anasartha war nicht die einzige Stadt, die vorübergehend den Namen Theodorias trug. Laut Prokop nannten die Einwohner Bagas (heute Beja in Tunesien) ihre Stadt aus Dankbarkeit für die Befestigung durch Justinian in Theodorias um (Procop. Aed. VI 5,15). Hier geht die Initiative zur Umbenennung also nicht von oben, sondern von unten aus, was aber dem panegyrischen Tenor der Bauten geschuldet zu sein scheint (vgl. deutlicher Procop. Aed. VI 6,7).
Prokop erwähnt in dieser Schrift ferner eine Festung an der Donau, die bereits seit Trajan Theodora heiße (Procop. Aed. IV 6,15), was eine Rückprojektion sein könnte; vgl. Nagl 1934, 1773.
Olbia in der Kyrenaika (heute Qasr-el-Lebia) wurde zu Zeiten Justinians unter dem Namen Theodorias neu gegründet, wie eine Inschrift in der östlichen Kirche bezeugt; vgl. Maguire 1987, 44–55 mit Abbildung 53. Das Bodenmosaik im Kirchenschiff spricht von der „neuen Stadt Theodorias". Das Bildprogramm parallelisiert die Gründung der Stadt mit der biblischen Schöpfung. Dieses Kirchenmosaik kann einen Eindruck davon geben, wie die kaiserliche Umbenennung einer Stadt inszeniert und symbolisch instrumentalisiert werden konnte.
Agathias bezeugt, dass die Stadt Rhizaion, heute Rize, am Schwarzen Meer in dieser Zeit ebenfalls den Namen Theodorias trug (Agath. V 1,2). Dieser scheint aber nicht auf die Kaiserin, sondern auf den im selben Kontext erwähnten römischen Taxiarchen Theodor zurückzugehen. Später berichtet Malalas von der Einrichtung einer Provinz namens Theodorias (XVIII 39,4).
2/5 εἰς τὸ ὄνομα τῆς Αὐγούστας: Für εἰς (τὸ) ὄνομα nach καλέω bzw. καλέομαι und ihren Komposita in der Bedeutung ‚benennen nach‘ bzw. ‚nach jemandem benannt sein‘ gibt es bei Malalas mehrere Dutzend Belege, z.B. I 8,13; II 6,22; III 2,6; IV 12,9; V 35,13; VII 4,38; VIII 1,5; IX 13,7; X 22,5; XII 21,23; XIII 12,7; XIV 24,9. Diese Junktur gehört also zum phraseologischen Wortbestand der Chronik, vgl. Jeffreys 1990e, 229. (Fabian Schulz)
3/3 δίκαια πόλεως: Bei Malalas bezeichnet δίκαιον häufig das ‚Recht‘, das einem Ort verliehen wird und entweder durch „Stadt“ (πόλεως) oder „Mutterstadt“ (μητροπόλεως) qualifiziert wird. Nur hier und in XIII 37,18 im Plural. δίκαιον πόλεως entspricht lateinisch ius civitatis. (Fabian Schulz)
3/3 δίκαια πόλεως: Anasartha gehört in eine Reihe von Gemeinden, von deren Erhebung zu Städten die Chronik berichtet: Carrhae (XII 34,7), Suga/ Helenoupolis (XIII 12,7), Rophaeinas/ Theodosioupolis (XIII 38,14f.), Dyrrachium (XIII 41,2), Pessinus (XIII 43,2) und Doras/ Anastasioupolis (XVI 10,7) sowie in der slawischen Malalas-Überlieferung Sykai (XVIII 12,3). Jeffreys/Croke/Scott 1990, 205–206 mit Anm. 22 vermuten, dass die Informationen über die Erhebung einer Gemeinde zur Stadt sowie über die Erhebung einer Stadt zur Metropolis aus offiziellen Verzeichnissen stammen, die Malalas eingesehen hat.
Über die Voraussetzungen und Modalitäten der spätantiken Stadtrechtverleihung sind wir einigermaßen informiert; erforderlich war ein gewisser Wohlstand sowie die Einrichtung von Ämtern, vgl. Demandt 2007, 452, der eine kleinasiatische Inschrift anführt. Spätere Verhältnisse bieten eventuell Vergleichspunkte, vgl. Brătianu 1936. Besser wissen wir über die Munizipalgesetzgebung des Prinzipats Bescheid. Die flavische lex Irnitana, die als exemplarisch gelten kann, zeigt, dass in den neuen Städten die drei typischen Institutionen der alten stadtrömischen Verfassung nachgebildet wurden: die Bürgerversammlung, der Stadtrat und die Jahresbeamten; vgl. Wolf 2011, 23ff. Zur spätantiken Stadt vgl. Rich 1992, Brands 2003, Krause 2006 und Rapp/Drake 2014.
3/8 τὸ ἐν Σούσοις κάστρον: Bei dieser Angabe stellt sich die Frage, um welchen Ort es sich handelt. Zuerst denkt man bei diesem Namen an die persische Stadt Susa und ihr Umland, Susiana, deren Geschichte wechselvoll war. Susa, einst Königsresidenz der Achaimeniden, war unter den Sassaniden nicht mehr als eine Provinzstadt, vgl. Boucharlat 1987. Dort kann es im 6. Jh. aber kein römisches Kastell gegeben haben, da sich Susa nur unter Trajan in römischer Hand befand. Die Feldzüge unter Justinian drangen hingegen nie weiter als ins untere Mesopotamien vor, vgl. Greatrex 1998, 225. Malalas’ Zeitgenossen werden vielleicht weniger an die Provinzstadt im Nachbarland als ans biblische Susa gedacht haben. Im Buch Daniel wird Susa nämlich an einer Stelle erwähnt, und zwar als Ort, an dem Daniel Traumbilder erscheinen (Dan. 8). Die Septuaginta gibt folgende Ortsangabe: ἐν Σούσοις τῇ βάρει ‚in der Burg Susa‘. Dieser Passus wird in der spätantiken Literatur oft aufgegriffen (Chrys., Interpretatio in Danielem prophetam 56, 234, 26; Thdt., Interpretatio in Danielem 81,1437,36; Chron. Pasch. 264). Interessanterweise wird hier wie bei Malalas Susa Σοῦσοι genannt und im selben Zusammenhang ein Wehrgebäude erwähnt (DGE βᾶρις, εως).
Der einzige Autor des 6. Jh. der neben Malalas eine zeitgenössische Stadt Σοῦσοι nennt, ist der Arzt Aetius von Amida. Für ein Rezept beruft er sich auf das Zeugnis „derer in Susoi“ – οἱ δὲ ἐν Σούσοις μαρτυροῦσι (Aët., iatricorum liberi I 116,15). Dieses Susoi lässt sich aber ebenfalls nicht lokalisieren.
Alternativ könnte sich die Angabe der Chronik auf die Stadt Hadrume(n)tum in der nordafrikanischen Provinz Byzacena beziehen. Denn Hadrumetum wird zumeist mit der Stadt identifiziert, die spätestens seit den Arabern Sūsa hieß (heute Sousse in Tunesien), vgl. Trousset 2000. Der arabische Name könnte sich von griechisch Σῴζουσα ableiten, der als Stadtname in der Kyrenaika sicher bezeugt – nämlich für Apollonia – und auch für Hadrumetum postuliert worden ist, vgl. Honigmann 1927. Malalas’ Angabe würde zum Zeugnis Prokops passen, der berichtet, dass Hadrumentum in der Provinz Byzacena von Justinian befestigt und deshalb in Justiniane umbenannt wurde (Procop. Aed. VI 6,1–7). Gegen diese Identifikation spricht aber die abweichende Schreibweise. Außerdem wurde Hadrumentum erst im Vandalenkrieg eingenommen (Procop. Vand. I 17 und II 23), der in die Jahre 533–534 fällt und in Kapitel 57 der Chronik beschrieben wird. Malalas würde die Angabe also zu früh angesetzt haben. Welches Σοῦσοι Malalas meint, muss daher offenbleiben.
4/1 μετωνόμασεν Ἰουστινιανούπολιν: Malalas berichtete bereits von zwei weiteren Umbenennungen von Orten in Justiniano(u)polis (XVIII 5,2 vorher wahrscheinlich Martyropolis; XVIII 12,3 ehemals Sykai). Die Reihe der Justinianopoleis war wesentlich länger: Stein zählt mindestens 27 Orte, die Justinian nach sich umbenennen ließ, vgl. Stein 1949, Bd.2, 277 sowie ausführlich Meier 2004a, 181 Anm. 380.
Parallelüberlieferung
Procop., Aed. VI 6,1–7
Literatur
Boucharlat (1987): Boucharlat, Rémy: Suse à l'époque sassanide, Mesopotamia, 1987, 357–366.
Bowersock (2002): Bowersock, G.-W.: Chalcis ad Belum and Anasartha in Byzantine Syria, 2002, 47–55.
Brands (2003): Brands, Gunnar: Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle, Saale, Wiesbaden, 2003.
Brătianu (1936): Brătianu, George Ioan: Privilèges et franchises municipales dans l'Empire byzantin, Paris, 1936.
Demandt (2007): Demandt, Alexander: Die Geschichte der Spätantike. Das Römische Reich von Diocletian bis Justinian 284–565 n. Chr, München, 2007.
Dunn (1994): Dunn, Archibald: The Transition from Polis to Kastron in the Balkans (III–VII cc.). General and regional perspectives, Byzantine and Modern Greek Studies, 1994, 60–80.
Greatrex (1998): Greatrex, Geoffrey: Rome and Persia at war, 502–532, Leeds, 1998.
Honigmann (1927): Honigmann, Ernst: s.v. Σῴζουσα, RE, 1927, 1257.
Jeffreys (1990e): Jeffreys, Michael: The language of Malalas, 2: Formulaic phraseology, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 225–231.
Krause (2006): Krause, Jens-Uwe: Die Stadt in der Spätantike, Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003, Stuttgart, 2006.
Maguire (1987): Maguire, Henry: Earth and ocean. The terrestrial world in early Byzantine art, University Park, 1987.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Müller-Wiener (1986): Müller-Wiener, Wolfgang: Von der Polis zum Kastron: Wandlungen der Stadt im Ägäischen Raum von der Antike zum Mittelalter, Gymnasium, 1986, 435–475.
Nagl (1934): Nagl, A.: s.v. Theodora, RE, 1934, 1773–1791.
Rapp/Drake (2014): Rapp, Claudia/Drake, H. A.: The City in the classical and post-classical world. Changing contexts of power and identity, Cambridge, 2014.
Rich (1992): Rich, John: The city in late antiquity, London, 1992.
Schieffer/Schwartz/Straub (1984): Schieffer, Rudolfus and Schwartz, Eduard and Straub, Johannes: Acta conciliorum oecumenicorum. Index topographicus, Berlin, 1984.
Stein (1949): Stein, Ernest: Histoire du Bas-Empire, Tome II. De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), Paris/Bruxelles/Amsterdam, 1949.
Trousset (2000): Trousset, P.: s.v. Hadrumetum, Encyclopédie berbère | Hadrumetum – Hidjaba, Aix-en-Provence, 2000, 3307–3319.
Wolf (2011): Wolf, Joseph G.: Die Lex Irnitana. Ein römisches Stadtrecht aus Spanien, lateinisch und deutsch, Darmstadt, 2011.