Malalas 18.42 1–8 = 17–24 (Thurn)
Kapitel XVIII 42 berichtet von einer großen, reichsweiten Heidenverfolgung, in deren Zusammenhang Enteignungen stattfanden und die vor allem hochrangige Reichsbeamte traf. Im Zuge der Verfolgungen ordnete Justinian an, dass „Altgläubige“ keine gehobene Stellung im Staat mehr einnehmen dürften und dass allgemein Angehörige von Häresien römisches Hoheitsgebiet verlassen müssten. Als Frist für eine Konversion zum orthodoxen Glauben wurde der Zeitraum von drei Monaten veranschlagt. Allgemeine Einschätzung: Die Listen der Opfer bei Theophanes und Malalas weisen eine Reihe prominenter Namen auf, darunter den patricius Phokas sowie den quaestor sacri palatii Thomas, den Justinian im Zuge dieser Heidenverfolgung durch seinen Vertrauten Tribonian (zur Person Tribonians vgl. den Kommentar ad Malal. XVIII 38) ersetzte. Vor allem diese letztere Aktion hat in der Forschung Kontroversen darüber hervorgerufen, ob die sehr personalisierte erste Heidenverfolgung unter Justinian inszeniert gewesen sein könnte, um bestimmten Personen den Zugang zu wichtigen Ämtern zu ermöglichen bzw. andere aus ihnen zu verdrängen. Neben der Einsetzung Tribonians vollzog sich nämlich noch ein weiterer interessanter Personalwechsel in der höchsten Reichsadministration: Auch der praefectus praetorio Orientis Menas (PLRE II (Menas 5), 755) wurde durch Demosthenes (PLRE II (Demosthenes 4), 353f.) abgelöst; wie Tribonian war auch Demosthenes ein offensichtlicher Vertrauter Justininians, der loyal und linientreu dessen politische Vorstellungen umsetzte (vgl. Malal. XVIII 63 sowie Meier 2004a, 206). Auch wenn keine Beweise dafür vorliegen, dass diese „Heidenverfolgungen“ ausschließlich der Personalpolitik Justinians dienen sollten, so ist es doch denkbar, dass im Zuge von Verfolgungen unliebsame Beamte ohne großes Aufsehen entfernt werden konnten; vgl. Meier 2004a, 205f. sowie Honoré 1978, 52.
Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur
αὐτός erfüllt in den zwei Ausdrücken allerdings verschiedene Funktionen: Vor dem bestimmten Artikel τῷ ist es kein Adjektiv (mehr), sondern ein Demonstrativpronomen mit nahezu deiktischer Kraft: ‚diese‘ (~ οὗτος, vgl. Psaltes 1913, § 309 für das sprachliche Phänomen und Festugière 1978, 223 für die Stellenangaben bei Malalas). Diese Verwendung von αὐτός antizipiert den neugriechischen Sprachgebrauch: siehe neben Psaltes 1913, § 309 auch Horrocks 2010a, 247.
Für die Herrschaftszeit Justinians ist bekannt, dass er in seine Herrschaftsrepräsentation und Herrschaftsauffassung altrömische Elemente einband und diese mit christlichen Elementen verwob (vgl. dazu Maas 1992, 41ff.). Bei diesem Vorgehen beschränkte sich der Kaiser jedoch darauf, die ihm nützlichen Elemente zu adaptieren und andere, unpassende Elemente zu verdrängen (ein gutes Beispiel für diesen Mechanismus stellt z.B. die Konstruktion eigener Vergangenheitsbilder durch den Kaiser dar, vgl. dazu Maas 1986, Noethlichs 2001b, 707 sowie Meier 2004a, 141ff.). Die Kriterien bei der Auswahl nützlicher bzw. unbrauchbarer Elemente bestimmte der Kaiser und beanspruchte darüber auch ein Monopol für die Definition des Begriffs „Heide“: „[…] als heidnisch wurde nunmehr nicht unbedingt alles Altrömische, mit herkömmlichem Götterglauben zu assoziierende angesehen, sondern vielmehr nur dasjenige, was sich nicht unmittelbar in Justinians spezifische Vorstellungen eines christlich-römischen Imperiums fügte. Damit wurde der Begriff „Heide“, mehr noch als in den zurückliegenden Jahren, politisiert. Der Vorwurf des Heidentums betraf jetzt nicht mehr vorwiegend die Neigung zu alten Kulten, sondern implizierte vielmehr die Aufrechterhaltung oder gar Propagierung alter Traditionen, die in der Konzeption Justinians keinen Platz mehr besaßen, wodurch der Vorwurf des Heidentums letztlich zur pauschalen Chiffre für politischen Widerstand werden konnte.“ (Meier 2004a, 204.
Diese Politisierung des Heidenbegriffes kann als Erklärungselement für die Tatsache dienen, dass in dieser ersten großen Heidenverfolgung die Opfer der Aktionen keine größeren Gruppen bzw. Anhänger bestimmter Kulte waren, sondern prominente Einzelpersonen, die sogar namentlich genannt werden und die Justinian aus verschiedenen Gründen im Weg gewesen sein könnten (s.u.). Malalas berichtet im Detail:
In der Phase der gemeinsamen Herrschaft Justins und Justinians war bereits ein scharfes Gesetz gegen Häretiker, Manichäer und Samaritaner ergangen, das alle Nicht-Orthodoxen faktisch vom politischen und in manchen Aspekten sogar vom öffentlichen Leben ausschloss, vgl. Cod. Iust. I 5,12. Seine Erwähnung ist deshalb von Bedeutung, da es eine strikt antihäretische Politik einleitete, die sich als eine Grundlinie der Gesetzgebung Justinians bis in die 540er Jahre festhalten lässt (vgl. hierzu Meier 2004a, 201 mit Anmerkung 478 zu den in diese Richtung gehenden gesetzgeberischen Maßnahmen Justinians; auch unter Anastasios hatte es bereits ein antihäretisches Gesetzt gegeben (I 11,9), das häufig fälschlicherweise Justinian zugesprochen wird, vgl. Corcoran 2009, 183–208). Neben der Häretikerverfolgung, die dem Kaiser in seinem Bemühen um den rechten Glauben ein besonderes Anliegen war, finden sich in der Regierungszeit Justinians drei größere Heidenverfolgungen, die explizit belegt sind (528/529 belegt durch Malal. XVIII 42; 545/546 belegt durch Joh. Eph. in der Chronik von Zuqnin 71 (Edition von Witakowski); 562 belegt durch Malal. XVIII 136; vgl. Stein 1949, 799f. zur Datierung dieses Ereignisses). Diese verschiedenen Aktionen gegen Heiden sind jedoch nicht alle aus den gleichen Motivationen heraus durchgeführt worden, auch wenn die Forschung sie häufig als eine stringente Reihung religiöser Uniformierungspolitik Justinians angesehen hat (vgl. Whitby 1991, 119 oder Maas 1992, 74f. Wie die jüngere Forschung hat darlegen können, erfolgte gerade die erste Häufung von Verfolgungsaktionen aus einer komplizierten Vermischung von religiösen und politischen Motivationen, die tatsächlich im Kontext der allgemeinen Gesetzgebung zu Beginn der Herrschaft Justinians zu sehen sind, wohingegen die späteren Aktionen anders zu beurteilen sind. Während die Verfolgungen der Jahre 545/546 in ihrer breiten Wirkung (es ging nicht mehr um konkrete Einzelpersonen wie 528/529) tatsächlich religiös motiviert waren und Justinian mit ihnen gezielt seine eigene Frömmigkeit demonstrieren konnte, müssen die Aktionen des Jahres 562 stärker als politisch motiviert eingestuft werden. In dieser letzten großen Heidenverfolgung war es Justinian gelungen, die Reichsbevölkerung gegen die Heiden aufzubringen und an ihnen als Ventil aufgestauten Unmut abzulassen. Diese Maßnahme diente ihm in jener späten Phase seiner Herrschaft zur Kanalisierung von Gewalt und Missgunst weg von seiner eigenen Person hin auf eine religiöse Minderheit; vgl. dazu Meier 2004a, 298ff., Maas 1992, 76 sowie Leppin 2011b, 97ff. Vgl. auch die folgenden Ausführungen zur Suche nach dem rechten Glauben.
Für πολιτεύεσθαι als ‚remplir un office‘ in der Chronik finden sich einige weitere Stellenangaben bei Festugière 1978, 231.
Vor allem die späteren Jahre der Herrschaft Justinians zeigen, dass eine wichtige Konstante der Religionspolitik Justinians in dem Versuch bestand, die chalkedonische Glaubensformel gegen miaphysitische und nestorianische Interpretationen abzusichern und im Sinne des von ihm bevorzugten Theologen Kyrillos von Alexandreia neu zu definieren. Dabei ging es Justinian in seinen verschiedenen Bemühungen in der Tat um eine Einigung der verschiedenen religiösen Bewegungen auf Glaubenssätze, allerdings sind diesem Bestreben vor allem persönliche religiöse Motive zuzuschreiben, der Wunsch nach der Durchsetzung eigener religiöser Anschauungen, wozu ihn die auf allen ihm möglichen Kanälen promulgierte Herrschaftsauffassung auch befähigte (vgl. dazu im Detail Meier 2004a 273ff. sowie Meier 2004c, 91f.
Vergleicht man die spezifisch justinianischen Heidengesetze im Codex Iustinianus mit den darin aufgenommenen Konstitutionen früherer Kaiser, so fällt ein bedeutender Unterschied auf: Während die älteren Verordnungen vornehmlich auf die Zurückdrängung des heidnischen Kultes zielten, ging es Justinian darum, religiöse Gesinnung gesetzlich zu erzwingen. Damit tritt dem Betrachter erneut die zentrale Grundlinie der justinianischen Religions- und Kirchenpolitik vor Augen: der Versuch nämlich, das eigene, persönliche Bekenntnis der gesamten Reichsbevölkerung aufzuzwingen, vgl. Meier 2004a, 206f. sowie Noethlichs 1998, 23.
Außerhalb der hier erwähnten Aktionen finden sich als antiheidnische kaiserliche Maßnahmen ein generelles Lehrverbot für Heiden (Cod. Iust. I 5,18,4; I 11,10,2) sowie später im Jahr 562 auch Bücherverbrennungen und die Zerstörung heidnischer Bilder und Götterstatuen vgl. Noethlichs 2001b, 740 sowie Speyer 1981, 136f. In den gleichen Kontext fällt auch das 529 erfolgte Verbot der Lehre von Philosophie und Astronomie in Athen, vgl. dazu den Kommentar ad Malal. XVIII 47.