Malalas 15.2 1–9 = 9–17 (Thurn)

Inhalt

In Mal. XV 2 wird die Flucht des Zenon aus Konstantinopel berichtet, die in die im folgenden Abschnitt (XV 3) berichtete Kaisererhebung des Basiliskos mündet. (Florian Battistella)

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (9)
Μετὰ δὲ δύο ἔτη καὶ μῆνας δέκα τῆς βασιλείας αὐτοῦ ἐν λύπῃ γενό-
 
μενος διὰ πρᾶγμα αἰτηθὲν παρὰ τῆς αὐτοῦ πενθερᾶς Βηρίνης καὶ μὴ
 
παρασχεθὲν αὐτῇ παρ᾽ αὐτοῦ κατεσκευάσθη παρὰ τῆς δεσποίνης
 
Βηρίνης τῆς αὐτοῦ πενθερᾶς. καὶ φοβηθεὶς μὴ σφαγῇ ὑπό τινος τῶν τοῦ
5 (13)
παλατίου, ὡς συνοικούσης τῆς πενθερᾶς αὐτοῦ Βηρίνης ἔν τῷ παλατίῳ,
 
ποιήσας πρόκεσσον ἐν Χαλκηδόνι ἔφυγεν ἐκεῖθεν βερέδοις καὶ ἀπῆλθεν εἰς
 
τὴν Ἰσαυρίαν ὡς ἐστὶ βασιλεύς. ὅντινα κατέλαβεν φυγοῦσα τὴν ἰδίαν
 
αὐτῆς μητέρα λάθρᾳ καὶ ἡ βασίλισσα Ἀριάδνη εἰς τὴν Ἰσαυρίαν· καὶ
 
διῆγεν ἅμα τῷ ἰδίῳ αὐτῆς ἀνδρί.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/10 αὐτοῦ: Gemeint ist Kaiser Zenon (zu ihm: XIV 46, 3; Mal. XV insgesamt). Sein Name taucht jedoch im gesamten vorliegenden Abschnitt nicht auf. Dies ist insofern bemerkenswert, als im vorliegenden Abschnitt über seine Flucht berichtet wird. Es verschwindet also nicht nur der Kaiser aus Konstantinopel, sondern bis zu einem gewissen Grad auch sein Name aus dem Text. (Florian Battistella)
1/11 ἐν λύπῃ γενόμενος διὰ πρᾶγμα ...: Die slawische Fassung (Istrin 1994, 334; Tvorogov 1999, 347) beginnt inhaltlich erst hier. Es fehlt ihr eine Entsprechung für die vorangehende Zeitangabe μετὰ δὲ δύο ἔτη καὶ μῆνας δέκα τῆς βασιλείας αὐτοῦ. Diese Angabe könnte jedoch bereits in dem Mal. XV 1 entsprechenden Part enthalten gewesen sein (XV 1, 2). Ob allerdings die griechische Fassung, die der slawischen Fassung als Vorlage diente, ursprünglich bereits ὁ δὲ αὐτός Ζήνων ἐν λύπῃ γενόμενος διὰ πρᾶγμα ... (oder ähnlich) lautete oder erst eine Mal. XV 1–2 zusammenführende Kürzung im Rahmen der Übersetzung zur vorliegenden Gestalt führte, ist nicht zu entscheiden.

Die Formulierung ἐν λύπῃ γενόμενος διὰ πρᾶγμα könnte sich auf die Vorgänge beziehen, von denen Joh. Ant. 233 (425,8–17 Mariev) berichtet: Verräterische Schriften, die Illus überbringt; Verinas Wunsch nach mehr Macht für sich selbst und/oder ihren (angeblichen?) Liebhaber Patricius; eine Nachricht, für die Zenon aus dem Hippodrom gerufen wird. (Florian Battistella, Kamil Choda)
2/8 πενθερᾶς: Die slawische Fassung (Istrin 1994, 334 und Tvorogov 1999, 347) hat hier "Tochter" statt "Schwiegermutter"; die Übersetzung des ersten Satzes (XV, 2, 1–4) ist aber unklar. Vgl. Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 209; Spinka/Downey 1940, 96. (Kamil Choda)
2/11 μὴ: Eine Entsprechung hierfür fehlt in der slawischen Fassung (Istrin 1994, 334; Tvorogov 1999, 347). (Kamil Choda)
3/5 κατεσκευάσθη: Das Verb κατασκευάζω hat in der Chronographia häufig die Bedeutung "sich verschwören" und, in passiver Form, wie hier, "Opfer einer Verschwörung sein": VII 9, 11. (Olivier Gengler)
3/8 δεσποίνης: Zum Titel δέσποινα: XIII 31, 26. (Brendan Osswald)
5/7 Βηρίνης: Von Thurn 2000, 301 nach Vergleich mit dem Chronicon Paschale (600,7 Dindorf) anhand der slawischen Überlieferung (Istrin 1994, 334; Tvorogov 1999, 347) ergänzt. Zu Verina selbst: XIV 44, 4. (Florian Battistella mit Kamil Choda)
6/4 Χαλκηδόνι ἔφυγεν: Die slawische Fassung (Istrin 1994, 334 und Tvorogov 1999, 347) fügt zwischen den Entsprechungen von Χαλκηδόνι und ἔφυγεν noch "dankte ab" ein. (Kamil Choda)
6/7 βερέδοις: Bei dem Wort βέρεδος handelt es sich um eine Übertragung des lateinischen Wortes veredus, das in den Handschriften auch als veraedus überliefert ist. Alternative Formen zum maskulinen Nominativ βέρεδος sind im Griechischen daher: βέριδον, βέραιδος. Das Wort an sich bezeichnet Reit- bzw. Zugpferde des cursus publicus (Festugière 1978, 236; LBG, s.v. βέραιδος; LSJ, s.v. βέρεδος; Georges, s.v. verredus und s.v. veredarius). Die Übersetzung "using post-horses" (Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 209) ist daher derjenigen von Thurn/Meier 2009, 389 ("mit der kaiserlichen Post") vorzuziehen. Nach Kolb 2000, 214–216 (mit den Anm.) sind diese veredi von den Packpferden, sog. agminales, zu unterscheiden (s. auch die Lastbeschränkungen in CTh 8,5,8,1). Zenon nutzte demnach für seine Flucht die schnellsten Mittel des öffentlichen Transportwesens, wenn man dem Chronisten glaubt. Joh. Ant. 233 (425 Mariev) spricht allerdings davon, dass die Flucht auf Mauleseln und Pferden erfolgte.

Ob ein Teil des Gefolges mitreiste, ist aus dem Text der Chronographia nicht zu erkennen. Nach VDanielis 69 flüchteten zumindest einige Eunuchen mit Zenon und seiner Frau (allgemein zu Reisen des Kaiserhofes s. Kolb 2000, 248–257). (Florian Battistella)
7/6 ὅντινα κατέλαβεν φυγοῦσα τὴν ἰδίαν αὐτῆς μητέρα λάθρᾳ καὶ ἡ βασίλισσα Ἀριάδνη εἰς τὴν Ἰσαυρίαν: καὶ διῆγεν ἅμα τῷ ἰδίῳ αὐτῆς ἀνδρί: Theod. Lect. fr. 401 (112 Hansen); Joh. Ant. fr. 233 (425 Mariev); Theoph. AM 5967 (120,29f. De Boor) und Candidus fr. 1 (466 Blockley) berichten, dass Zenon mit seiner Frau und einigen Geldmitteln nach Isaurien geflohen sei. Von den bei der Flucht mitgeführten Reichtümern wissen auch die Exc. Val. 41, die jedoch keine Informationen zum Schicksal Ariadnes bieten. Auch die slawische Malalas-Tradition weiß von mitgeführten Geldmitteln, allerdings übersetzen Spinka/Downey 1940, 96 das slawische Wort, das seinerseits wohl das griechische Wort πρᾶγμα wiedergibt, fälschlich mit "some weapons". Prok. BV, 1,7,18, erwähnt Zenons Frau, aber nicht die finanziellen Mittel. Die VDanielis 69 weiß nichts von mitgeführten Geldmitteln, berichtet aber von einigen begleitenden Eunuchen. Dass Ariadne nachgefolgt sei, findet sich bei Vict. Tunn. 44 (a.a. 475; S. 14 Cardelle de Hartmann), Evagr. HE III 3 und Malalas, wobei sie bei Victor von Tunnuna per Schiff trotz des Winters ihrem Gatten nachfolgt.

Feld 2005, 252 hat richtig gesehen, dass Ariadne (zu ihr: XIV 46, 3) für Zenons Thronanspruch nicht unwichtig war, und stellt daher die Frage, ob Aridane freiwillig Konstantinopel verlassen habe, gibt aber keine explizite Antwort. Die u.a. in der Chronographia berichtete Version, dass Ariadne nachgefolgt sei, lässt jedenfalls den Eindruck entstehen, sie sei ihrem Mann freiwillig nach Isaurien gefolgt. Dies hat in der Chronographia den Effekt, dass Zenons Legitimität gesteigert wird, da seine Herrschaft nach dem Tod Leons II. vor allem durch seine Ehe mit Ariadne, der Tochter Leons I., legitimiert wird. (Florian Battistella mit Kamil Choda, Brendan Osswald)
8/6 βασίλισσα: Zum Titel βασίλισσα: VII 19, 4. (Brendan Osswald)
Parallelüberlieferung
Thurn 2000, 301. Twardowska 2014, 10–14. Leszka 2017, 34–36. Gr.: Prok. BV 1,7,18; Chron. Pasch. 600,4-11; Theoph. s.a. 5967 (120,26–30 De Boor); Georg. Mon. 617,18-618,1; Leo Gramm. 116,12-17; Kedr. §384.2,10-13; Cramer, Anecd. gr. II 314,18-23; Theod. Scut. II, 154,2-7 (Tocci); VDanielis §68-69, 65,20-66,26; Zonar. XIV 2,4-5 = III 128,10-15; Nik. Kall. Xanth. PG 147, 118D-120A; Candidus fr. 1 (466,52-55 Blockley); Theod. Lect. fr. 401 (112 Hansen); Joh. Ant. fr. 233 (424,6-22 Mariev) = Cramer, Anecd. gr. II 79,27-80,12 ; Euagr. HE III 3, 100,14-24; Manasses 2917–2924 (s. auch 2925—2932); Laudatio S. Barnabae, §36, 112,666–668; Glykas 490,11–13; Joel 42,15–18. Lat.: Liberat. XVI, 105 (125,8); Exc. Val. 41; Vict. Tunn. 44 (a.a. 475; S. 14 Cardelle de Hartmann); Iord. Rom. 341–342. Syr.: Chron. Zuqnin s.a. 790 (Übers. Chabot 170); Chron: 1234 48f. (146,24f., 28–31, 32 Übers. Chabot). Die slawische Fassung (Istrin 1994, 334 und Tvorogov 1999, 347) gibt den griechischen Text dieses Kapitels meistens getreu wieder. Für die weggelassenen Stellen aus dem Buch XV s. (Istrin 1994, 365-368). Es gibt manche Übersetzungsfehler. Die wichtigsten Unterschiede sind im Kommentar aufgelistet. (Kamil Choda, Brendan Osswald)
Literatur
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Twardowska (2014): K. Twardowska: Empress Verina and the Events of 475-476, Byzantinoslavica, 2014, 9-22.