Malalas 17.22 1–15 = 65–79 (Thurn)

Inhalt

Mal. XVII 22 berichtet über die Nachfolge des im Erdbeben von 526 zu Tode gekommenen antiochenischen Patriarchen Euphrasios, der durch den bisherigen comes Orientis Ephraimios ersetzt wurde. Das Amt des CO wurde wiederum an einen Tyrier namens Zacharias vergeben. Die Darstellung dieser Personalrochade ist mit dem Bericht über eine von Zacharias angeführte Gesandtschaft nach Konstantinopel verknüpft, die dort erfolgreich größere Summen für die erdbebenzerstörte Stadt einwarb.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (65)
Τῆς δὲ θεομηνίας συμβάσης κόμης ἀνατολῆς ὑπῆρχεν Ἐφραΐμιος·
 
ὅστις μετ᾿ ὀλίγον χρόνον ἀναγκασθεὶς προεχειρίσθη πατριάρχης Ἀντι-
 
οχείας· γὰρ πρὸ αὐτοῦ γεγονὼς Εὐφράσιος ἐν τῇ θεομηνίᾳ πυρίκαυ-
 
στος ἐγένετο. γνόντες δὲ οἱ εὐσεβεῖς βασιλεῖς, ὅτι ὁ κόμης τῆς ἀνατολῆς
5 (69)
᾿Εφραῖμιος ὑπὸ τοῦ κλήρου κανονικῶς ἐχειροτονήθη πατριάρχης, προ-
 
ηγάγοντο ἀντ᾽ αὐτοῦ κόμητα ἀνατολῆς Ζαχαρίαν, ὅστις ὑπῆρχε Τύριος.
 
ὁ δὲ αὐτὸς Ζαχαρίας ἰδὼν τὴν γενομένην ἅλωσιν τῆς πόλεως ἠτήσατο
 
τοὺς αὐτοὺς εὐσεβεῖς βασιλεῖς διὰ μηνύσεως αὐτοῦ ἀνελθεῖν ἐν Βυζαντίῳ
 
καὶ πρεσβεῦσαι ὑπὲρ τῆς Ἀντιοχέων πόλεως. καὶ ἔλαβεν μεθ᾿ ἑαυτοῦ τὸν
10 (74)
ἐπίσκοπον Ἀμηδείας, ἄνδρα εὐλαβῆ, καὶ ἄλλους κληρικούς· καὶ ἀνῆλθαν
 
ἐν Κωνσταντινουπόλει, καὶ πολλὰ κατορθώσαντες ὑπέστρεψαν ἐν Ἀντι-
 
οχείᾳ τῇ μεγάλῃ μετὰ δωρεῶν βασιλικῶν, λαβόντες χρυσοῦ κεντηνάρια
 
λʹ καὶ τύπους περὶ διαφόρων κεφαλαίων τοῦ ἄγεσθαι ἐν τῇ αὐτῇ πόλει
 
τὰ πάτρια. οἱ δὲ αὐτοὶ βασιλεῖς μετ᾿ ὀλίγον καιρὸν ἐδωρήσαντο τῇ αὐτῇ
15 (79)
πόλει καὶ ἄλλα κεντηνάρια δέκα.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Τῆς δὲ θεομηνίας συμβάσης: Die Datierungsformel (mit einem genitivus absolutus) ist außergewöhnlich und führt einen Rückblick ein. Üblicherweise sind vergleichbare Rückblicke anders strukturiert: Erst nach einer Referenz auf das Ereignis des thematisierten Zeitpunktes (in diesem Fall auf die Ernennung von Zacharias) wird der Rückblick eingefügt, bevor eine Rückkehr zur diskutierten Zeit erfolgt.

Zum Begriff θεομηνία und den Erdbeben in der Chronik: VII 18, 3. Das Erdbeben, um das es hier geht, ist dasjenige, das Antiochia im Jahr 526 heimsuchte und in XVII 16 geschildert wird.

(Olivier Gengler mit Brendan Osswald)
1/5 κόμης ἀνατολῆς ὑπῆρχεν Ἐφραΐμιος: Die Chronologie der comites Orientis in diesen Jahren ist komplex.
Ephraim ist im Nov. 524 noch als CSL tätig. Frühestens Ende 524 ist er CO geworden. Er bekämpft die Faktionsunruhen im Jahr 525 (XVII 12), aber beim Brand in Antiochia im Okt. 525 ist Anatolios 9 CO (XVII 14). Jedoch war, wie hier berichtet wird, Ephraimios im Mai 526 wieder CO. Im Lauf der folgenden Monate wurde er zum Bischof gewählt und nach April 527 durch Zacharias ersetzt. (Olivier Gengler)
1/8 Ἐφραΐμιος: Zu Ephraimios (PLRE II (Ephraemius), 394–396) s. XVII 12, 16f.. (Jonas Borsch)
3/10 θεομηνίᾳ: Zum Begriff θεομηνία: VII 18, 3. (Brendan Osswald)
3f./2 ὁ γὰρ πρὸ αὐτοῦ γεγονὼς Εὐφράσιος ἐν τῇ θεομηνίᾳ πυρίκαυστος ἐγένετο: Zu Euphrasios, Patriarch von 521 bis 526, der als Chalkedonier Verfolgungen initiiert hatte, XVII 11, 2. In der feindseligen anti-chalkedonischen Berichterstattung wird sein Tod detailreich ausgemalt. Nach Ps.-Zach. VIII 4 und Ps.-Dion. 46–47 Witakowski fiel er kopfüber in einen Topf voll mit brennendem Wachs; in der weiteren Überlieferung kursieren abweichende Versionen (auch die Chalkedonier gehen z.T. ins Detail, doch fällt der Tod bei ihnen weniger grausam aus). Dazu Vasiliev 1950, 347f.; Downey 1961, 521f., Anm. 81; Meier 2004a, 351f. mit weiteren Quellen. (Jonas Borsch)
5/5 κανονικῶς: Die Verwendung dieses Adverbs trotz der ungewöhnlichen Umstände dieser Inthronisation zeigt wahrscheinlich die Sympathie des Autors für diesen außergewöhnlichen Patriarchen, unabhängig von einer christologischen Zugehörigkeit: Alpi 2006, S. 242. (Brendan Osswald)
12ff./8 χρυσοῦ κεντηνάρια λ’ ... κεντηνάρια δέκα: Ein κεντηνάριον (nach Lat. centenarium) entspricht hundert Pfund Gold, d.h. 7.200 solidi; s. Procop. Bell. I 22,3–4: ἕλκει δὲ λίτρας τὸ κεντηνάριον ἑκατὸν, ἀφ’ οὗ δὴ καὶ ὠνόμασται. κέντον γὰρ τὰ ἑκατὸν καλοῦσι Ῥωμαῖοι, "Das Kentenarion wiegt hundert Pfund, wovon es auch seinen Namen trägt. Kenton heißt nämlich bei den Römern hundert" (Übers. Veh). Diese Menge war als Rechnungs- genauso wie als Gewichtseinheit (ca. 32 kg.) gut handhabbar (Callu 1978, 301; vgl. Dagron/Morrisson 1975, 146–147; Entwistle 2008, 39–40). Ursprünglich war das centenarium/κεντηνάριον eine reine Gewichtseinheit und wurde gelegentlich für andere Produkte als Gold bzw. Goldmünzen verwendet. Laut Callu 1978, 303–307 wurde der Begriff erst ab ca. 540 gängig, was bedeuten würde, dass er in diesem Abschnitt eher zum Sprachgebrauch des Autors und nicht zu den beschriebenen Ereignissen gehört (zum Vergleich, X 53, 7 und XVII 22, 1). Die Spezialisierung des Wortes, um eine Geldsumme zu bezeichnen, ist aber eher ein längerer Prozess, der sicherlich im 5. Jh. begann und offensischtlich unter Justinian noch nicht abgeschlossen war (Carlà 2009, 322–323), und schließt nicht die Weiterverwendung des Wortes mit einer allgemeinen Bedeutung aus (Dagron/Morrisson 1975, 145–146). Der Zusatz χρυσοῦ (Z. 12) muss in diesem Kontext interpretiert werden: Als der Abschnitt geschrieben wurde, war die Verwendung von κεντηνάριον ohne weitere Angaben als Geldeinheit noch nicht ganz fixiert (Carlà 2009, 323; vgl. auch die oben zitierte Erklärung von Prokop, die sich aber vielleicht dadurch erklärt, dass der Begriff aus dem Lat. entstanden ist und dadurch nicht zur klassischen griechischen Sprache gehört – und nicht unbedingt dadurch, dass das Wort in seiner Zeit besonders neu war, contra Callu 1978, 307).

Die gesammte Summe von 30 κεντηνάρια entspricht 216.000 solidi und 10 κεντηνάρια 72.000, d.h. ingesamt 1,31 Tonnen Gold. (Olivier Gengler)
13f./3 τύπους περὶ διαφόρων κεφαλαίων τοῦ ἄγεσθαι ἐν τῇ αὐτῇ πόλει τὰ πάτρια: Zu τύπος, "Edikt", XVI 6, 15. Die hiesigen Maßnahmen zielen auf die Aufrechterhaltung der πάτρια, i.e. der "herkömmlichen Bräuche" (Thurn/Meier 2009, 439 bzw. der "ancestral customs" (Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 244). Die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, auch mithilfe von Edikten, stellt in der Chronographia ein wichtiges kaiserliches Handlungsfeld dar, wobei die Verfolgung etwa von Verbrechern oder Heiden prominent hervortritt; vgl. etwa XVII 18, XVIII 18, XVIII 42, XVIII 119. Auf welche "Bräuche" die kaiserlichen Edikte in diesem Fall abzielten, bleibt im Text zunächst unklar. Denkbar wäre einerseits im Sinne der genannten Parallelen eine Ausrichtung gegen religiös oder moralisch deviante Personenkreise, andererseits aber auch, in Analogie zu frühneuzeitlichen oder modernen Katastrophenfällen, die Installation praktischer Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, etwa gegen Plünderer (deren Handeln in XVII 16 beklagt wird): Dazu Borsch 2018a, 260 und 67–69 für die Vergleichsbeispiele. Da explizit von einer Reihe von Maßnahmen (τύπους περὶ διαφόρων κεφαλαίων) die Rede ist, könnten diese auch beide Aspekte betroffen haben. Bemerkenswert ist nicht zuletzt der Umstand, dass die Edikte – genau wie die gespendeten Gelder – von der Gesandtschaft aus Konstantinopel mitgebracht wurden: Entsprechende Maßnahmen könnten demnach von den Bittstellern eingefordert worden sein. (Jonas Borsch)
Parallelüberlieferung
Literatur
Alpi (2006): Alpi, Frédéric Nicolas: L’orientation christologique des livres XVI et XVII de Malalas. Les règnes d’Anastase (491–518) et de Justin Ier (518–527), Recherches sur la Chronique de Jean Malalas II, 2006, 227–242.
Borsch (2018a): Borsch, Jonas: Erschütterte Welt. Soziale Bewältigung von Erdbeben im östlichen Mittelmeerraum der Antike, Tübingen, 2018.
Callu (1978): Callu, J.-P.: Le « centenarium » et l'enrichissement monétaire au Bas-Empire, Ktèma, 1978, 301 316.
Carlà (2009): Carlà, Filippo: L'oro nella tarda antichità: aspetti economici e sociali, Torino, 2009.
Dagron/Morrisson (1975): Dagron, G./Morrisson, C.: Le _Kentènarion_ dans les sources byzantines, Revue Numismatique, 1975, 145 162.
Downey (1961): Downey, Glanville: A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest, Princeton, 1961.
Entwistle (2008): Entwistle, Christopher: Late Roman and Byzantine Weights and Weighing Equipment, Jeffreys, E./Haldon, J./Cormack, R., 2008, 38 46.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.
Vasiliev (1950): Vasiliev, Alexander A.: Justin the First. An Introduction to the Epoch of Justinian the Great (Dumbarton Oaks Studies l), Cambridge, MA, 1950.