Malalas 17.11 1–3 = 24–26 (Thurn)

Inhalt

Mal. XVII 11 berichtet vom Tod des antiochenischen Patriarchen Paulos (dessen vorheriger Rücktritt allerdings unerwähnt bleibt) und seiner Ersetzung durch den Chalkedonier Euphrasios, der laut Malalas Verfolgungen unter den "sogenannten Orthodoxen" vornehmen ließ. Lit.: Menze 2008, 88--89.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

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Ἐν ᾧ χρόνῳ τελευτᾷ Παῦλος ὁ πατριάρχης Ἀντιοχείας, καὶ ἐγέ-
 
νετο ἀντ᾿ αὐτοῦ Εὐφράσιος ὁ Ἱεροσολυμίτης, ὅστις μέγαν ἐποίησεν
 
διωγμὸν κατὰ τῶν λεγομένων ὀρθοδόξων, πολλοὺς φονεύσας.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἐν ᾧ χρόνῳ: Die Formel ἐν ᾧ χρόνῳ legt das Geschehen lose in die Jahre um 521/22, in die die vorangehend geschilderten außenpolitischen Ereignisse in etwa gehören (zur Datierung XVII 9, 1; XVII 10, 1). Für den Rücktritt des Paulos gibt [_Coll. Avell._] 241 einen fixen terminus ante quem im Mai 521. Dagegen setzt Theoph. 168,12 das erste Amtsjahr des Euphrasios zusammen mit dem fünften Regierungsjahr Justins (522/23) an. Er widerspricht sich aber selbst, wenn er Euphrasios in 167,20–23 schon für das dritte Jahr Justins (520/21) als "Euphrasios von Antiochia" ([_i.e._] offensichtlich als Bischof) kirchenpolitische Maßnahmen durchführen lässt (vgl. Mango/Scott 1997, 255, Anm. 4). In der vorangehenden Jahreszählung wird als Patriarch von Antiochia noch Paulos geführt (zweites von drei Jahren). Diese Unstimmigkeiten sind vielleicht auf die Listenzählung der Bischöfe zurückzuführen, die jeweils nur die Eintragung eines Bischofs pro Jahr vorsah, auch wenn in einem gegebenen Jahr der Amtsinhaber gewechselt hatte. (Jonas Borsch)
1/4 τελευτᾷ: Zu Paulos XVII 6, 3f.. Malalas' Angabe, wonach der Patriarch im Amt verstorben sei, findet sich auch bei Joh. Nik. XC 14, wird aber durch zahlreiche pro- wie antechalkedonische Quellen widerlegt, die übereinstimmend berichten, dass der Patriarch sich gezwungen gesehen hatte, sein Amt niederzulegen: Alpi 2006, 233f., Menze 2008, 88. Vgl. auch Downey 1961, 519, Anm. 71, der davon ausgeht, dass der Hinweis auf Paulos' Tod im Amt dadurch zustande kam, dass Paulos bereits kurz nach dem Verlust des Episkopates verstarb. Diese Vermutung scheint sich bei Evagr. IV 4 zu bestätigen, der bei Downey als Parallele zu Malalas' Darstellung zitiert wird, jedoch noch mehr herzugeben scheint: "Nachdem Paulos sich freiwillig aus Antiochia zurückgezogen hatte, ging er den Weg aller Menschen, da er das Leben durchmessen hatte" (Παῦλος μὲν οὖν ἐθελούσιος ἀναχωρήσας τῆς Ἀντιοχου, τὴν πάντων στέλλεται πορείαν τὸν βίον διαμετρησάμενος). Paulos' ἀναχωρήσις könnte sich nicht nur auf die physische Entfernung aus Antiochia, sondern auch auf den Rückzug aus Amt und Würden beziehen.

Die Gründe für das Scheitern von Paulos' Amtszeit werden von Menze 2008, 48–55 präzise dargelegt. Die Versuche des erst 519 (Mal. XVII 6) neu eingesetzten Patriarchen, die bisher anti-chalkedonisch besetzten Bischofstühle auf chalkedonische Seite zu bringen, sorgten nicht nur für erhebliche Unruhe in dem zwiegespaltenen Patriarchat, sondern scheiterten einigenorts auch am Widerstand lokaler Kleriker. In einem weiteren Fall vergriff sich Paulos bei der Auswahl eines Nachfolgers, als er einen vertriebenen Anti-Chalkedonier durch einen Mann ersetzte, der sich wenig später der Unterstützung des Dyophysitismus (d.h. 'Nestorianismus', der von Chalkedoniern wie Miaphysiten gleichermaßen verdammt wurde) verdächtig machte. Die Mischung einer harschen Verfolgungspolitik gegen die Miaphysiten mit solchen Misserfolgen und Affären machte Paulos nicht nur bei den Verfolgten verhasst, sondern untergrub auch seine Unterstützung auf lokaler und kaiserlicher Seite, wodurch er sich vor Mai 521 gezwungen sah, sich von seinem Bischofsstuhl zurückzuziehen: Menze 2008, 55, 88; zur Datierung ebd., 53, Anm. 177 mit Coll. Avell. 241 und 242. Sein Rückzug bedeutete für die in Konstantinopel weilenden Legaten des Papstes, die seine Amtseinsetzung unterstützt hatten, einen empfindlichen Schlag: Vasiliev 1950, 206. (Jonas Borsch mit Brendan Osswald)
2/4 Εὐφράσιος ὁ Ἱεροσολυμίτης: Der neue Bischof Euphrasios folgte Paulos wahrscheinlich noch im Jahr 521 nach: Stein 1949, 231; Honigmann 1951, 148f.; Downey 1961, 519; Leppin 2011a, 69. Nach dem desaströsen Episkopat des Paulos wurde er möglicherweise als stärker auf Ausgleich bedachter Kandidat installiert (vgl. Stein 1949, 231 sowie Menze 2008, 57 unter Verweis auf seine Herkunft aus Jerusalem, die ihn als Moderator zwischen Antiochia und dem wichtigen Episkopat seiner Heimatstadt qualifizierte). Die harsche Politik seines Vorgängers gegen Anti-Chalkedonier setzte er jedoch zweifelsohne fort: dazu im Einzelnen Menze 2008, 50f., 88f. Euphrasios starb in der Beben- und Feuerkatastrophe von Antiochia im Mai 526; sein Tod wird in der anti-chalkedonischen Berichterstattung mit äußerster Feindseligkeit ausgemalt: XVII 22, 3f.. (Jonas Borsch)
2/8 μέγαν ἐποίησεν διωγμὸν: Das griech. Wort διωγμὸς, klassich 'Jagd, Verfolgung', ist der technische Begriff für 'religiöse Verfolgung' geworden: Lampe s.v. 1; vgl. für die Verbindung mit μέγας schon Apg. 8,1: ἐγένετο δἒ ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ διωγμὸς μέγας κτλ. Die Gruppe, gegen die die Verfolgung gerichtet ist, wird mit dem Präpos. ἐπί + Akk. (z.B. Apg. 8,1: ἐπὶ τὴν ἐκκλησίαν τὴν ἐν Ἱεροσολύμοις) oder, wie hier, κατά + Gen. (vgl. Euseb. Comm. in Psalmos = PG XXIII S. 716,55–56: κατὰ τῆς Ἐκκλησίας τοῦ Θεοῦ) hinzugefügt. (Olivier Gengler)
2f./8 μέγαν ἐποίησεν διωγμὸν κατὰ τῶν λεγομένων ὀρθοδόξων: Das Partizip λεγόμενος wird in der Chronographia mal als Rückverweis auf eine bereits erwähnte bzw. thematisierte Person, Begebenheit oder Zeitspanne verwendet, mal im Sinne von: '(so-)genannt': XVIII 125, 2. Es ist daher interessant, dass dieses Wort hier in Verbindung mit ὀρθόδοξοι verwendet wird. Da Euphrasios Chalkedonier war, dürften die von ihm verfolgten "sogenannten Orthodoxen" mit Miaphysiten oder anderen Anti-Chalkedoniern zu identifizieren sein. Drecoll 2016, 51 betont, dass die Bezeichnung λεγομένοι ὀρθοδόξοι nicht zwingend eine negative Wertung enthält, weswegen Hinweise auf die glaubenspolitische Position des Autors sich aus dieser Aussage kaum entnehmen lassen (ähnlich Alpi 2006, 238). (Florian Battistella, Jonas Borsch)
3/5 ὀρθοδόξων: Zur Verwendung des Begriffs ὀρθόδοξος in der Chronographia: XVIII 42, 7. (Olivier Gengler)
Parallelüberlieferung
Griechisch: Evagr. IV 4; vgl. Theoph. 167,12 de Boor. Syrisch: Ps.-Dion. 26 Witakowski. Äthiopisch: Joh. Nik. XC,14. Vgl. Coll. Avell. 241–242.
Literatur
Alpi (2006): Alpi, Frédéric Nicolas: L’orientation christologique des livres XVI et XVII de Malalas. Les règnes d’Anastase (491–518) et de Justin Ier (518–527), Recherches sur la Chronique de Jean Malalas II, 2006, 227–242.
Downey (1961): Downey, Glanville: A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest, Princeton, 1961.
Drecoll (2016): Drecoll, V.: Miaphysitische Tendenzen bei Malalas?, Die Weltchronik des Johannes Malalas. Autor – Werk - Überlieferung, 2016, 45–57.
Honigmann (1951): Honigmann, Ernest: Évêques et évêchés monophysites d’Asie antérieure au VIe siècle (Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium, vol. 127; Subsidia, tome 2), Louvain, 1951.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Menze (2008): Menze, V.: Justinian and the making of the Syrian Orthodox Church, Oxford, 2008.
Stein (1949): Stein, Ernest: Histoire du Bas-Empire, Tome II. De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), Paris/Bruxelles/Amsterdam, 1949.
Vasiliev (1950): Vasiliev, Alexander A.: Justin the First. An Introduction to the Epoch of Justinian the Great (Dumbarton Oaks Studies l), Cambridge, MA, 1950.