Malalas 18.22 1–9 = 95–8 (Thurn)

Inhalt

Kapitel 22 thematisiert einen Prozess wegen Majestätsbeleidigung, dem sich der Neffe des Kaisers Anastasios, Probos, der bei Justinian in Ungnade gefallen war, stellen musste, schlussendlich aber von allen Vorwürfen freigesprochen wird. Dieses Kapitel leitet eine Sequenz kaiserlicher Wohltaten ein, die sich in Milde und Fürsorge gegenüber zu Unrecht verurteilten bzw. verarmten Untertanen äußert.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (95)
Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ ἠγανακτήθη πατρίκιος Πρόβος, ὅστις
 
συγγενὴς ἦν Ἀναστασίου τοῦ βασιλέως, ὡς λοιδορήσας τὸν αὐτὸν βασι-
 
λέα Ἰουστινιανόν. καὶ γενομένου σιλεντίου κομβέντου ἐπὶ πράξεως
 
ὑπομνημάτων ἐγγράφως, καὶ τῶν πεπραγμένων πάντων ὑπαναγνω-
5 (4)
σθέντων τῷ βασιλεῖ μετὰ τὸ ἐλεγχθῆναι τὸν αὐτὸν Πρόβον ἐπὶ τοῦ κοι-
 
νοῦ τῆς συγκλήτου λαβὼν αὐτὸς βασιλεὺς τὰ πεπραγμένα ἔσχισεν,
 
εἰπὼν τῷ αὐτῷ Πρόβῳ, ὅτι· 'ἐγὼ τὸ ἁμάρτημα συγχωρῶ σοι, ὃ κατ'
 
ἐμοῦ ἔπραξας· εὖξαι οὖν, ἵνα καὶ ὁ θεὸς συγχωρήσῃ σοι.' καὶ ἀνυμνήθη
 
ὁ αὐτὸς βασιλεὺς ὑπὸ τῆς συγκλήτου.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/6 ἠγανακτήθη: Das 'passive' Pendant zur aktiven ἀγανακτεῖν-Formel in der Malalas-Chronik (siehe dazu XVIII 41, 2f.): Der Kaiser (oder seltener Gott o.ä.) 'ärgert sich' (ἀγανακτήσας o.ä.) und ergreift Maßnahmen [aktives Verhaltensmuster], das Ziel dieses Zornes, der ἀγανακτηθείς/die ἀγανακτηθέντες, fällt/fallen diesen Maßnahmen zum Opfer [passives Verhaltensmuster], Näheres XVIII 43, 1. (Fabian Schulz)
1f./7 ὁ πατρίκιος Πρόβος, ὅστις συγγενὴς ἦν Ἀναστασίου τοῦ βασιλέως: Bei Flavius Probos (PLRE II (Fl. Probus 8), 912f.) handelt es sich um einen in zahlreichen Zusammenhängen des Zeitraums 528 bis 533 n. Chr. und in verschiedenen Werken auftauchenden römischen Senator, einen Neffen des Kaiser Anastasios (vgl. Marcell. 532, Anon. Val. XIII 74–5, Procop. Pers. I 12,6, Malal. XVIII 22). Er war Konsul im Jahr 502 n. Chr., magister utriusque militiae um 526 n. Chr. und patricius (zum letztgenannten Titel: XIII 27, 15). Neben seiner Verwandtschaft mit Kaiser Anastasios ist bekannt, dass er ein Bruder des Hypatios (PLRE II (Hypathius 6), 577-581) und Pompeios (PLRE II (Pompeius 2), 898f.) war, vgl. Greatrex 1996, Cameron 1978, Meier 2014a. Nachdem Probos im Anschluss an seine beiden Brüder im Jahr 502 das Konsulat verliehen worden war (diese Ehrenzuweisung an Verwandte kann als Charakteristikum der Herrschaft des Anastaios angesehen werden, vgl. Cameron 1978, 260f. sowie Meier 2014a, 4f.), fällt sein Name im Zusammenhang mit der Einführung des Mönchs und späteren Patriarchen von Antiochia Severos bei Anastasios um 508 (Zach., HE VII 10); später ist Probos Adressat eines Briefes des Severos, den dieser im Exil zwischen 519 und 538 nach seiner Flucht nach Ägypten verfasst hat, vgl. Sev. Ant. Ep. 79. Zudem wird er bei Prokop im Zusammenhang einer Delegation erwähnt, die Justin im Jahr 526 mit einer größeren Menge Geldes zu einem hunnischen Verband entsandte, um bei ihnen Kämpfer zu rekrutieren, die den durch Übergriffe durch den Perserkönig Kavadh (vgl. den Kommentar ad Malal. XVIII 4 und 26) bedrängten Iberern zu Hilfe kommen sollten – ein Unternehmen, das jedoch scheiterte (vgl. Procop. Pers. I 12,6–9). Möglicherweise hatte er in dieser Zeit das Amt eines magister militum inne, war in jedem Fall aber bereits patricius.
Die im vorliegenden Kapitel beschriebene Geschichte ereignete sich wahrscheinlich im Jahr 528, da sie unmittelbar nach der Niederlage der magistri militum Konstantiolos und Ascum gegen die in Skythien und Moesien eingefallen Bulgaren (Malal. XVIII 21) eingereiht wird. Die in XVIII 22 erwähnte Passage aus dem Leben des Probos stellt einen singulären Fall dar: Probos war auf nicht näher erläuterte Weise in Ungnade gefallen und wird nun nach einer ersten Beratung über seinen Fall vor eine Senatsvollversammlung geführt – möglicherweise eine Reminiszenz an das alte Senatsgericht, wo über ihn gerichtet werden soll. Ebenfalls ohne weitere Erklärung nimmt Justinian die zuvor angefertigten Protokolle und zerreißt sie als Zeichen der Begnadigung des Probos. Der genaue Hergang der Geschichte und der Vorgeschichte, die Probos in diese Situation brachte, ist nicht rekonstruierbar, möglicherweise handelt es sich bei der Einfügung dieser Episode um die Einleitung einer Reihe symbolischer Handlungen, die in den Kapiteln XVIII 22–24 eine wichtige Rolle spielen und diese Kapitel gleichsam als Einheit erscheinen lassen (vgl. auch die Ausführungen ad Malal. XVIII 23–24).
Weitaus prominenter und eindeutiger ist das spätere Auftreten des Probos im Zusammenhang des Nikaaufstandes im Jahr 532 n. Chr., vgl. dazu Chron. Pasch. 532 und Marcell. 532, wo von ihm behauptet wird, ein aktiver Aufrührer gemeinsam mit seinen Brüdern Hypatios (vgl. zu seiner Person ausführlich Greatrex 1996 und Meier 2014a) und Pompeios gewesen zu sein. Im Kontext jener Volkserhebung in Konstantinopel, die als die schwerste Zirkusunruhe der Spätantike gilt und im Laufe derer zahlreiche Menschen den Tod fanden und große Teile der Stadt zerstört wurden (vgl. Malal. XVIII 71), lassen sich mehrere Handlungsstränge und Protagonisten herausarbeiten, unter ihnen Probos, der als Neffe des Anastasios aus Gründen der Legitimität zeitweilig als geeigneter Gegenkandidat zum Kaiser gehandelt wurde. Nachdem Justinian den im Zusammenhang der Unruhen von den Aufständischen genannten Forderungen nach Entlassung des Prätorianerpräfekten Johannes, des Stadtpräfekten Eudamion und des quaestor sacri palatii Tribonian nachgekommen war und die hohen Würdenträger freigelassen hatte, die Unruhen jedoch nicht abebbten, wurde Belisar mit einer Schar Goten gegen die wütende Menge entsandt (vgl. Malal. XVIII 71). Anstelle einer Deeskalation der Situation folgten weitere blutige Straßenschlachten, weitere Gebäude gerieten in Brand und die Aufständischen ließen nicht von ihrem Ansinnen ab. „Sie hofften auf einen Gegenkaiser, und die Auswahl war nicht schwer, standen doch mit den Neffen des Anastasius geeignetere Kandidaten zur Verfügung. Man zog zum Haus des einen, des Probus.“ Leppin 2011a, 146 (vgl. auch Theoph. 184,21–24, Chron. Pasch. 622,2–6; zum genauen Ablauf des Aufstandes vgl. Greatrex 1997, 74 sowie Meier 2003a, 286ff.) Probos jedoch war nicht zugegen, er hatte sich vielleicht vorsorglich entfernt, woraufhin sein Haus in Brand gesetzt wurde. Später wurden auch Probos‘ Brüder jeweils zum Kaiser ausgerufen, was jedoch ebenfalls misslang und mit der Hinrichtung der beiden Brüder endete (zur schwer einzuschätzenden Rolle und Funktion des Hypatios vgl. Meier 2003a, 294ff. sowie zur Überlegung, dass in der Proklamation des Probos bestechende Parallelen zu der im Jahr 512 vollzogenen Akklamation des Areobindos (PLRE II (Fl. Areobindus Dagalaiphus Areobindus 1), 143f.) bestehen, vgl. Greatrex 1997, 74f.).
Die Quellen berichten von der anschließenden Exilierung des Probos, eine im Vergleich zur Behandlung seiner beiden Brüder, die exekutiert wurden, leichte Strafe, zumal sie im Jahr 533 wieder aufgehoben wurde: Probos wurde in jenem Jahr gemeinsam mit dem patricius Olybrius nach Konstantinopel zurückgeholt und erhielt sein Vermögen, das offensichtlich eingezogen worden war, zurück (Malal. XVIII 80). Die Milde der Bestrafung muss dadurch erklärt werden, dass sich Probos augenscheinlich nicht auf die Seite der Aufständischen stellte, sondern sich frühzeitig durch Verlassen seines Hauses ihrem Vorhaben entzog. Auch in späteren Zeugnissen findet er nochmal Erwähnung: Laut Johannes von Ephesos gab er diesem im Zeitraum von 540 bis 542 die Möglichkeit, in seinem Haus zu wohnen, vgl. Ioh. Eph. V. SS. Or. 10.
Interessant im Kontext der Figur des Probos ist darüber hinaus die Situation der Nachfolgeregelung beim Tod Kaiser Anastasios‘, mit dem ja Probos, Hypatios und Pompeios verwandt waren: Es herrschte „ein gewisses Durcheinander“ beim Ableben des Kaisers, da er keine Vorsorge für diesen Fall getroffen zu haben schien, vgl. de caerim. I 93, Anon. Val. XIII 74–78 sowie Meier 2009, 322f. Zum sich anschließenden Aufstieg des Justin anstelle eines direkten Verwandten des Anastasios vgl. Meier 2009, 322f., Leppin 2011a, 43ff., Croke 2007, passim sowie Meier 2014a, passim mit einer ausführlichen Analyse der Karriere des Hypatios und Überlegungen dazu, warum er und seine Brüder zwar von einer direkten Nachfolge ausgeschlossen wurden, sowohl für Anastasios als auch später Justinian jedoch einen einzukalkulierenden Faktor darstellten. Meier kommt dabei zu dem Ergebnis, dass eine Zugehörigkeit zur kaiserlichen Familie keineswegs eine glänzende politische Karriere garantierte, die Erwartungshaltung der Bevölkerung, welche gerade in Zeiten der Unruhen und des Unmutes gegen den jeweils regierenden Herrscher auf Angehörige der kaiserlichen Familie als alternative Thronprätendenten zurückgriff, jedoch nicht vollständig ignoriert werden konnte. Dies führte dazu, dass der amtierende Kaiser die Mitglieder der (vormaligen) kaiserlichen Familie zumindest nicht gänzlich von der politischen Bildfläche verdrängen konnte, vgl. Meier 2014a, besonders 14f.
2ff./8 τὸν αὐτὸν βασιλέα Ἰουστινιανόν... τὸν αὐτὸν Πρόβον... ὁ αὐτὸς βασιλεὺς... τῷ αὐτῷ Πρόβῳ... ὁ αὐτὸς βασιλεὺς: An der Häufung von αὐτός, die wohl amtlichen Sprachgebrauch spiegelt, lässt sich die linguistische Überdeterminierung der Chronik erkennen; vgl. James 1990, 224f. und Horrocks 2010a, 247. (Fabian Schulz)
3/5 σιλεντίου: Latinismus. σιλέντιον – ‚reception, audience‘ (Lampe). Malalas verwendet über 150 Latinismen, was für die offizielle und populäre Sprache seiner Zeit charakteristisch ist, vgl. James 1990, 222f. Dies ist bemerkenswert, weil das Griechische im Begriff war, das Lateinische als Verwaltungssprache abzulösen, vgl. Horrocks 2010a, 245.

σιλεντίου κομβέντου: asyndetisch. (Fabian Schulz)
3/6 κομβέντου: Latinismus. κόνβεντος – ‚conventus, assembly‘ (LSJ Supp.). (Fabian Schulz)
3f./3 καὶ γενομένου σιλεντίου κομβέντου ἐπὶ πράξεως ὑπομνημάτων ἐγγράφως: Nachdem ein silentium und ein Konvent einberufen worden waren, wurde schriftlich über die Verhandlung Protokoll geführt. Der Terminus σιλέντιον ist dem Lateinischen entlehnt; in byzantinischer Zeit stand er in einem engen Zusammenhang mit dem der Person des Kaisers gebührenden Schweigen (vgl. Christophilopulu 1951, 79). Er kommt zudem in der Wendung σιλέντιον διδόναι vor, einer Weisung des Kaisers an seinen praepositus, während einer Zeremonie den Anwesenden ein Zeichen zu geben zu schweigen, sich zu sammeln oder zu entfernen. Im Rahmen einer Weiterbildung erscheint der Terminus σιλέντιον jedoch auch als Bezeichnung für eine Versammlung selbst, die in der Regel feierlichen Charakter hatte und sich weniger durch Diskussionen und Debatten kennzeichnete als vielmehr durch das Bekanntgeben kaiserlicher Entschlüsse und die Entgegennahme von Akklamationen (Christophilopulu 1951, 80 sowie De caerim. I 77). In der Zeit Justinians wurden an die beschriebenen Silentien jedoch auch noch förmliche Prozesse überwiesen, was aus der Novelle LXII aus dem Jahr 534 hervorgeht:
NOV. LXII DE SENATORIBUS. (AD 537)
CAPUT I.
_In praesenti itaque multis variisque actibus urgentibus, quos nostra maiestas bello ac pace indefesse gerere noscitur, pars vacantium senatorum in nimiam deminutionem pervenit hocque summam putavit iniuriam et non curiosae conversationis remedium._

  1. Ideoque et eam quibus oportet modis ampliare nostro molimento visum est et homines nobilitate et summa opinione egregios ei adsignare, quatenus una quidem nostri senatus pars per administrationes suam ostendat sagacitatem, altera vero, quae in quiete degit, alio modo suum ingenium reipublicae valeat exhibere.
  2. Et quia magna utilitas ex iudicandi sinceritate reipublicae nostrae cedit, quaedam autem causae post appellationes iudicibus porrectas in sacrum nostri numinis consistorium inferuntur et a nostris proceribus examinantur, idcirco nobis non solum iudices nostros, sed etiam senatores ad examinandas lites in consultationibus convenientes una cum aliis florentissimis nostris proceribus litium facta trutinare, et quemadmodum, si quando silentium ob alia una cum conventu fuerit nuntiatum, omnes colliguntur et proceres et senatores, ita et nunc, quando silentium tantummodo propter alicuius causae examinationem pronuntietur, etsi non addatur conventus vocabulum, tamen eos convenire et omnes consedentes quod eis visum fuerit sub sacrosanctorum evangeliorum praesentia et statuere et ad nostram referre scientiam et augustae maiestatis dispositionem expectare: a solis senatoribus, sed ab utroque ordine, huiusmodi litibus exercendis. Melius enim et perpensius amplioribus quam paucis examinantibus ius merum et iustitiae lumen invenitur.
  3. Eo certissimo constituto, quod et in ludis circensibus et quando conventus fuerit nuntiatus, solito more et senatores colligi necesse est et suum officium exercere. Et hunc quidem praesentis legis articulum ita disponimus et hac constitutione in perpetuum valitura constringimus.

Der Ausdruck σιλέντιον erscheint hier in Verbindung mit dem Terminus conventus (neben der genannten Novelle auch noch in De caerim. I 92 und I 93). Während silentium in dieser Anwendung lediglich eine Versammlung des kaiserlichen Rates bzw. des consistoriums bezeichnet, meint eine Veranstaltung silentium cum conventu eine Ergänzung der im consistorium üblicherweise anwesenden Mitglieder durch Senatsangehörige, die in den Entscheidungsprozess beispielsweise in Rechtsfragen miteinbezogen werden sollten. „In serious cases, senators who did not belong to the Council were frequently called to assist. The technical term for a meeting of the Council was silentium; a meeting in which the Senate took part was called silentium et conventus. But the words et conventus were frequently dropped; and thus it becomes difficult to say in a given case whether a silentium means the Council only or the Council and Senate.” (Bury 1923, 23f.)
Ein solches (in der Novelle LXII beschriebenes) σιλέντιον war dadurch gekennzeichnet, dass es im Gegensatz zur oben beschriebenen Variante Rede und Gegenrede der Teilnehmer sowie die freie Meinungsäußerung der Teilnehmenden zuließ, diese sogar als förderlich für die Entscheidungsfindung empfunden wurde, vgl. Nov. LXII 2: Melius enim et perpensius amplioribus quam paucis examinantibus ius merum et iustitiae lumen invenitur). Die Angelegenheiten, die bei Silentien behandelt wurden, waren hauptsächlich innenpolitischer Natur und dabei sowohl weltlicher als auch kirchlicher Art. Bei den Verhandlungen mit weltlichen Themen ging es zumeist um Hochverratsprozesse gegen die Person des Kaisers (wie dies auch im vorliegenden Fall des Probos gegeben sein könnte). Mit diesbezüglichen Prozessen beschäftigten sich die Silentien bis ins 7. Jh. Aus den im 6. Jh. entstandenen Kapiteln des Zeremonienbuches wissen wir zudem, dass in entsprechenden Silentien auswärtige Gesandtschaften empfangen wurden, wobei der Schwerpunkt dieser Veranstaltungen auf der gegenseitigen Gunsterstattung und dem Geschenkeaustausch, weniger auf einer politischen Auseinandersetzung lag (vgl. De caerim. I 87–89). Für das 6. Jh. belegt sind darüber hinaus die Beförderungen höherer Amtsträger in Silentien (z.B. De caerim. I 84–85).
3f./7 ἐπὶ πράξεως ὑπομνημάτων ἐγγράφως: ἐπί + Gen. scheint das Ziel der Zusammenkünfte anzugeben: ‚um einen Bericht der Tat zu verfassen‘. Die Bestimmung eines Nomens durch ein Adverb ist seltsam. Vielleicht ist ἐγγράφων zu konjizieren. (Fabian Schulz)
4/4 τῶν πεπραγμένων πάντων: τὰ πεπραγμένα hier entweder im Sinne von 'Akten', was Wolf 1911, 74 als Latinismus erklärt, oder 'das Vorgefallene', πράξεως aufgreifend. (Fabian Schulz)
4f./7 ὑπαναγνωσθέντων: ὑπαναγιγνώσκω in der Bedeutung ‚Satz für Satz lesen‘ bereits im klassischen Griechisch, vgl. Is. 11, 4; Aeschin. 2, 109; Hyp. Eux. 40. Erst spätgriechisch in der Bedeutung ‚laut lesen‘, vgl. Hierocl. in CA 27 p. 484 M. So auch an dieser Stelle. (Fabian Schulz)
5f./11 τοῦ κοινοῦ τῆς συγκλήτου: κοινόν impliziert einen weiteren Teilnehmerkreis als bei den beiden vorher genannten Versammlungsformen. Die Junktur erscheint auch in Malal. VII 10,11. (Fabian Schulz)
6/5 ὁ αὐτὸς βασιλεὺς τὰ πεπραγμένα ἔσχισεν: Entsprechend der obigen Beschreibung der Funktion des Silentiums als Gericht in Hochverratsprozessen erfolgte vor der Vollversammlung auch die Entscheidung des Kaisers, die er durch die Geste des Zerreißens der Protokolle, die über Probos geführt worden waren, zum Ausdruck brachte. Nach Leppin 2018, 52 spricht dieser symbolische Akt am Ende des Verfahrens dafür, dass der Kaiser an den vorherigen Ermittlungen nicht beteiligt gewesen war. Die Geste selbst hat dabei eine starke Symbolkraft, da sie die Nichtigkeit aller erhobenen Vorwürfe bzw. die Freisprechung des Angeklagten von ihnen verdeutlicht. Zudem veranschaulicht sie möglicherweise auch die Bedeutungslosigkeit des Probos, an dem der Kaiser gefahrlos einen solchen, im Kontrast zur Bestrafung seiner Brüder stehenden Gnadenerweis durchexerzieren konnte, vgl. Meier 2014a, 9f. Üblicherweise wurde auf diese Weise mit Schuldscheinen verfahren, die im Senat zerrissen wurden. Auch aus biblischem Kontext sind Parallelen bekannt, die die Auflösung von Schuld durch einen entsprechenden Schuldschein verdeutlichen, vgl. Col. 2,14: „Gott hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben.“ Was hier herausgekehrt wird, ist die Gnade und Milde des Kaisers, die den Probos nicht in der gleichen Weise wie seine Cousins bestraft. Es ist diese Tugend der clementia bzw. philantropía, die auch in den folgenden Kapiteln im Verhalten Justinians und Theodoras deutlich wird und die Kapitel thematisch miteinander verbindet.
7f./7 τὸ ἁμάρτημα ..., ὃ κατ᾿ ἐμοῦ ἔπραξας: κατά mit Genitiv hat bei Malalas häufig die metaphorische Bedeutung ‚contra‘, vgl. Rüger 1895, 11f. Es steht daher oft bei Verben des Kämpfens, vgl. Wolf 1912, 45. (Fabian Schulz)
8/3 εὖξαι οὖν, ἵνα καὶ ὁ θεὸς συγχωρήσῃ σοι: εὔχομαι wird klassisch mit Infinitiv konstruiert, mit Finalsatz erst im späteren Griechisch, vgl. Aristeas 45; D.H. 9, 53; Arr. Epict. 2, 6, 12. (Fabian Schulz)
8/12 ἀνυμνήθη: ἀνυμνέω im Sinne von ‚(durch Gesang) preisen‘ erst im kaiserzeitlichen Griechisch, vgl. D.H. Rh. 2, 1 (‚feiern‘); Iul. Or. 5, 172d; Chor. p. 127 B., Procop. Gaz. Ep. 52; Ps.-Luc. Philopatr. 4 (Passiv). Das Verb hat oft eine religiöse Konnotationen, vgl. Lampe. (Fabian Schulz)
8f./11 καὶ ἀνυμνήθη ὁ αὐτὸς βασιλεὺς ὑπὸ τῆς συγκλήτου: Am Ende der Sitzung werden Lobes- und Dankesakklamationen auf den Kaiser durchgeführt, die sich auf dessen Milde gegenüber Probos beziehen. Unter einer acclamatio sind rhythmisch oder sprechchorartige Zurufe zu verstehen, die Glückwunsche, Lob, Beifall oder auch deren Gegenteil ausdrücken konnten. Im Laufe der Kaiserzeit wurden diese zunächst spontanen Äußerungen des Volkes zu vorformulierten und zeremoniell festgelegten Sprechakten (Hurschmann 1996, 53f.). Ihre Funktion als „Surrogat politischer Partizipation“ untersuchte Wiemer 2004 und Wiemer 2013 und legte dar, wie dieses Phänomen in spätrömischer Zeit alle Gesellschaftsschichten umfasste (es gab im spätrömischen Reich nur eine Personengruppe, die niemals akklamierte: der Kaiser und seine Familie, Wiemer 2013, 186), alle Bereiche des öffentlichen Lebens durchdrang und andere Formen politischer Kommunikation in den Hintergrund drängte (Wiemer 2013, 191). Die Akklamation entwickelte sich zu einem Medium der Kommunikation mit dem abwesenden Kaiser: In den Provinzstädten waren lediglich die Statthalter zugegen, die den Kaiser vertraten. Über die Anfertigung von Protokollen und die Bearbeitung der Akklamationen durch höhere Amtsträger im Auftrag des Kaisers konnte die Bevölkerung jedoch mit dem Kaiser in Kontakt treten: „Als die Kaiser der Spätantike Akklamationen, die ihnen lediglich in schriftlicher Form bekannt wurden, als legitime Willensäußerung ihrer Untertanen anerkannten, übertrugen sie einen Modus der Interaktion, der bisher nur in der direkten Begegnung zwischen dem Kaiser und seinen Untertanen wirksam gewesen war, auf das gesamte Reich und schufen damit ein auf ihre Person ausgerichtetes System der Kommunikation, das im Prinzip allen Reichsbewohnern offen stand.“ (Wiemer 2013, 192).

Bemerkung: Es scheint, als ob die Reihenfolge der von Malalas beschriebenen Ereignisse vertauscht wurde: Der hier genannte Prozess gegen Probos, dessen Grund nicht näher benannt wird, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Hochverratsprozess gewesen (vgl. die Ausführungen zu σιλέντιον in diesem Kapitel). Wir erfahren von der späteren Exilierung des Probos, die im Jahr 533 wieder aufgehoben wurde: Probos wurde in diesem Jahr gemeinsam mit dem patricius Olybrius nach Konstantinopel zurückgeholt und erhielt sein Vermögen, das offensichtlich eingezogen worden war, zurück (Malal. XVIII 80). Von einem dieser Exilierung vorausgehenden Prozess ist bei Malalas im Kontext des Nika-Aufstandes, in dem das Vergehen des Probos eher zu verorten sein könnte, keine Rede (und auch in keiner weiteren Quelle). Eventuell handelt es sich hier also um eine verdrehte Reihung der Ereignisse, die der thematischen Einheit der Kapitel 22–24 geschuldet sein könnte.
Parallelüberlieferung
Procop., Pers. I 12,6.
Literatur
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