Malalas 18.51 1–14 = 12–25 (Thurn)

Inhalt

Kapitel 51 berichtet vom Auftauchen eines umherziehenden Mannes aus Italien mitsamt seinem über ungewöhnliche Begabungen verfügenden Hund. Bei einer öffentlichen Vorführung des Hundes auf einem nicht näher definierten Marktplatz überzeugt sich eine Menschenmenge von seinen außerordentlichen, bis in den Bereich der Hellseherei reichenden Fähigkeiten.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (12)
Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ ἀνεφάνη τις ἐκ τῆς Ἰταλῶν χώρας κοσμο-
 
δρομῶν <ὀνόματι Ἀνδρέας>, ἔχων μεθ’ ἑαυτοῦ κύνα ξανθὸν <καὶ
 
τυφλόν>, ὅστις κελευόμενος ὑπὸ τοῦ ἀναθρεψαμένου ἐποίει τινὰ θαύμα-
 
τος ἄξια. ὁ γὰρ αὐτὸν ἀναθρεψάμενος ἑστὼς ἐν τῇ ἀγορᾷ, καὶ ὄχλου
5 (16)
περιεστῶτος εἰς τὸ θεάσασθαι, λάθρᾳ τοῦ κυνὸς ἐκομίζετο παρὰ τῶν
 
ἑστώτων δακτυλίδια <χρυσᾶ τε καὶ ἀργυρᾶ καὶ σιδηρᾶ>, καὶ ἐτίθει εἰς
 
τὸ ἔδαφος περισκέπων αὐτὰ ἐν χώματι. καὶ ἐπέτρεπε τῷ κυνὶ ἐπᾶραι καὶ
 
δοῦναι ἑκάστῳ τὸ ἴδιον· καὶ ἐρευνῶν ὁ κύων τῷ στόματι ἐπεδίδου ἑκά-
 
στῳ τὸ γνωριζόμενον. δὲ αὐτὸς κύων καὶ διαφόρων βασιλέων νομί-
10 (21)
σματα μιγνύμενα ἐπεδίδου κατ’ ὄνομα. παρεστῶτος δὲ ὄχλου ἀνδρῶν
 
τε καὶ γυναικῶν ἐπερωτώμενος ἐδείκνυε τὰς ἐν γαστρὶ ἐχούσας καὶ τοὺς
 
ὄντας πορνοβοσκοὺς καὶ μοιχοὺς καὶ κνιποὺς καὶ μεγαλοψύχους· καὶ
 
ἀπεδείκνυε πάντα μετὰ ἀληθείας. ὅθεν ἔλεγον πολλοί, ὅτι πνεῦμα Πύθω-
 
νος ἔχει.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ: Die Zeitangabe im vorangehenden Abschnitt 18,50 ist aufgrund der Konsuldatierung sicher auf 530 n. Chr. zu beziehen; entsprechend wäre anzunehmen, dass die Formel ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ auf ein einzelnes Ereignis im selben Jahr bzw. zu Beginn desselben Jahres verweist. Da der hier thematisierte "Wunderhund" als eine Attraktion geschildert wird, die von einem umherwandernden (κοσμοδρομῶν/κωμοδρομῶν) Mann ohne nähere Ortsangabe ἐν τῇ ἀγορᾷ ("auf der Agora") präsentiert wird, kann der Bericht von seinen Wundertaten sich aber auch auf mehrere, nach dem immer gleichen Schema verlaufende "Vorführungen" beziehen. Damit hätte man die Formel ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ als Umschreibung eines Zeitraumes zu verstehen, der mit dem Punkt begann, zu dem der Halter des Hundes mitsamt seinem Tier erstmals auftrat (ἀνεφάνη). Theophanes (224,15 de Boor = AM 6036, gefolgt von Cedr. 657,4 Bekker) datiert das Ereignis auf 543/44 n. Chr. Mango/Scott 1997, 325 gehen davon aus, dass er die Episode um einen Indiktionszirkel verschoben hat, was bei Theophanes nicht ungewöhnlich wäre (vgl. die Analogie Theoph. 222,31–223,27 de Boor = AM 6035 über die Auxumiten, abhängig von Malal. XVIII 15: Mango/Scott 1997, 324). Scott 2006, 35 vermutet, Theophanes habe für die späten 520er und die 530er Jahre die militärischen Aktivitäten Justinians besonders betonen wollen, was (unter anderem) dazu geführt habe, dass er diese nicht-militärische Passage in ein späteres Kapitel seiner Erzählung verlegte. Bemerkenswert ist, dass Theophanes, Georgios Monachos, Georgios Kedrenos und Michael Glykas die Notiz über den Hund jeweils innerhalb einer Reihe von Unglücksfällen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Seuchen und Hungersnöten platzieren (Theoph. 224,11–225,10 de Boor; Georg. Mon. 641,1–644,12 de Boor; Cedr. 656,16–658,11 Bekker; Mich. Glyc. 499,14–501,12 Bekker; vgl. dazu auch Duffy 2009, 37).
1/6 ἀνεφάνη: Der starke Passive Aorist des Verbes ἀναφαίνω kommt bei Malalas oft vor, mit ‚verdächtiger‘ Häufung im Zusammenhang mit ominösen Erscheinungen: vgl. dazu den historischen Kommentar XVIII 51, 1f. und die Stellenauflistung von Duffy 2009, 36 Anm. 5. Ein Verzeichnis der Okkurrenzen der Aorist-Formen von ἀναφαίνω und von anderen φαίνω-Komposita in der Malalas-Chronik bietet Merz 1911, 29.
1f./6 ἀνεφάνη τις ἐκ τῆς Ἰταλῶν χώρας κοσμοδρομῶν: Die Charakterisierung als κοσμοδρομῶν übersetzen Thurn/Meier 2009, 472 mit "herumvagabundierend", während bei Jeffreys/Jeffreys/Scott von einem "travelling showman" die Rede ist. Eine abweichende Lesart des Begriffes als κωμοδρομῶν (vgl. den philolog. Kommentar ad Z. 1) würde die Kernaussage – dass es sich um eine umherreisende Person handelt – nicht verändern; allerdings könnte man je nach Verständnis der Vorsilbe "κωμο-" entweder "im Zug umherziehend" (nach κῶμος, Festzug) oder "über die Dörfer ziehend" (nach κώμη, Dorf) ergänzen. Im letzteren Sinne übersetzen auch Mango/Scott 1997, 324 für die Version des Theophanes (κωμοδρομῶν = "who travelled from village to village"); ähnlich Duffy 2009, 37f. Konkret bezeichnet das Wort κωμοδρόμος, wie Duffy 2009, 38 bemerkt, einen reisenden Metallarbeiter und -händler. Diese Spezifizierung entspricht nicht nur derjenigen als χαλκεύς (Schmied) bei Symeon Logothetes und Georgios Kedrenos (Sym. Log. 104,12; Cedr. 657,4 Bekker), sondern korrespondiert auch mit den dem Hund gestellten Aufgaben: Dieser soll Fingerringe zu ihren Besitzern zurückbringen, Münzen nach Kaisern ordnen und bestimmte innere Qualitäten der Umstehenden aufdecken, zu denen unter anderem Geiz und Großzügigkeit zählen.
Personen, die sich über die Orte (im Allgemeinen Städte) bewegen und durch bemerkenswerte Taten oder Qualitäten auffallen, sind bei Malalas häufiger und in verschiedenen Kontexten anzutreffen: Zu ihnen gehören herausragende Wundertäter wie Apollonios von Tyana (X 51), die Apostel Paulus (X 31; 37) und Petrus (X 32–36) oder der Widersacher des letzteren, Simon Magus (X 32–34). In den späteren bzw. "zeithistorischen" Abschnitten finden sich in diesem Kontext auch banaler anmutende Figuren wie der als Geldbetrüger verleumdete Philosoph Johannes Isthmeos (XVI 5, 1f.) oder eine namenlose bettelnde Frau aus Kilikien, die aufgrund ihrer Körpergröße als außergewöhnliche Erscheinung gewertet wird (XVII 7, 2). Außerhalb der üblichen sozialen Bindungen stehende Personen spielten im spätantiken Osten als feste Bezugspunkte christlicher Gläubiger eine hervorragende Rolle (vgl. grundlegend Brown 1971); dieses Phänomen lässt sich teils auch auf pagane Kontexte übertragen: Fowden 1982. Eine Assoziation mit solchen Personen muss nicht, kann aber in der Absicht des Autors gelegen haben.

Auffällig ist die Einführung des reisenden Mannes mit ἀνεφάνη – ein Verb, das Malalas an mehreren Stellen benutzt, um menschliche und himmlische "Erscheinungen" ominösen Charakters zu charakterisieren. Duffy 2009, 36f. mit Anm. 5 listet einige Stellen auf, in denen ἀνεφάνη und das verwandte ἐφάνη als Signalwörter für das Auftreten ominöser Erscheinungen verwendet wird: Vgl. Malal. II 17 (die Sphinx); III 9 (Endymion); X 54 (Manes); XVII 7 (die namenlose Riesin, s.o.); XVIII 52 (ein Komet), die alle in aufsehenerregender Weise und von außerhalb der Gemeinschaft kommend auftreten. Seine Liste lässt sich noch um weitere Okkurenzen der beiden Verben ergänzen: Dazu zählen etwa das "Erscheinen"/"Sichzeigen" von Jesus Christus (Malal. X 2 [Geburt] und X 14 [Wiederauferstehung]), der Manichäer Kerdo (XII 31) und Bundos (XII 42), des Johannes Isthmeos (XVI 5, s.o.), des Manichäismus im Perserland (XVIII 30), des Sarazenenführers Alamundaros in der Osrhoene (XVIII 59), der sabirischen Hunnen im Römerland (XVIII 70) sowie eines Himmelsfeuers (XVIII 122). Das Schlagwort ἀνεφάνη/ἐφάνη kann also auch eine positive Konnotation haben und muss auch nicht grundsätzlich Ominöses ankündigen; wohl aber bezieht es sich durchgehend auf Personen, Personengruppen oder Ereignisse, die weithin für Aufsehen sorgen. (Jonas Borsch)
1f./12 κοσμοδρομῶν: An dieser Stelle überliefert die Handschrift O (f. 293) zweifellos die Lesart κομοδρομῶν. Die Angabe von Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 266 in App. dass O [dort abgekürzt als Ba(roccianus)] die Form κοσμοδρομῶν hat, ist falsch (richtig schildert hingegen den Sachverhalt Duffy 2009, 37). Die australischen Übersetzer verweisen für ihre Information auf Bury 1897, 230, wo allerdings κοσμοδρομῶν in einer – freilich nicht ganz übersichtlichen – Liste von „misprints, omissions and all important cases where the reading of the Oxford ed. is a correction sec. man.“ erscheint. κοσμοδρομῶν ist als Konjektur zu werten, und hat (als solche) Aufnahme in den Malalas-Text bei Thurn 2000, 381 gefunden; diese Konjektur wird noch am Ende dieser Anmerkung näher zu besprechen sein: Der Systematik halber sei mit der handschriftlich überlieferten Lesart begonnen:

κομοδρομῶν ist als Partizip Pr. Akt. Nom. Mask. Sing. eines Verbes *κομοδρομέω zu analysieren, das in dieser Schreibweise sonst nicht belegt ist. Am nächsten kommt diesem Verb das Substantiv κομοδρόμος, das in einem Text des 10. Jahrhunderts bezeugt ist: In dem sg. „Treatise C“, das die Handschrift L (Lips. Rep. I 17) im Zusammenhang mit der Abhandlung De Cerimoniis von Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos († 959) überliefert, kommt der Akkusativ τὸν κομοδρόμον vor (Nach einer ersten Ausgabe durch Reiske 1829 ist die maßgebliche Ausgabe dieser Abhandlung heute die von Haldon 1990; siehe auch Moffatt/Tall 2012, mit englischer Übersetzung und Anmerkungen). „Treatise C“ führt – in der Person Konstantins selbst, der sich an seinen noch sehr jungen Sohn und Mitregenten Romanos wendet – die zahlreichen Kenntnisse und Vorbereitungen aus, die ein Kaiser für einen erfolgreichen militärischen Feldzug benötigt: In den Zeilen 653–655 Haldon (S. 494,7–10 Reiske) heißt es: δέον πάντας τοὺς στρατηγοὺς ποιεῖν τε παραγγελίαν εἰς τοὺς τουρμάρχας αὐτῶν, κἀκεῖνοι εἰς τοὺς δρουγγαροκόμητας, ἵνα ἑνὶ ἑκάστῳ βάνδῳ ἔχωσι τὸν κομοδρόμον αὐτῶν, ὁμοίως καὶ τζαγγάριον „Es ist nötig, dass alle stratēgoi die Befehle ihren toumarchoi geben, und jene den drouggarokomētai, so dass jedes bandon seinen eigenen komodromos sowie seinen eigenen tzaggarios habe“. tzaggarios ist sicherlich eine Berufsbezeichnung, es steht für ‚Schuster‘. Dasselbe ist auch für komodromos (es sei zunächst noch an der auf L überlieferten Schreibweise festgehalten) zu erwarten. Und dies ist in der Tat der Fall: Das Wort κωμοδρόμος (s.u. für die Schreibweise) und verwandte Begriffe kommen am häufigsten in mittel- und spätbyzantinischen Dokumenten (Chrysobullen von Kaisern, Testamenten von Klöstern) innerhalb von Inventaren, Listen von Steuern udg. vor; sehr klar schimmert die konkrete Bedeutung dieser Wortfamilie in einer aus dem Jahr 1247 stammenden und beim Kloster Vatopedi (Athos-Berg) aufgefundenen Urkunde durch: Die Akte Diataxis et inventarium Maximi fundatoris monasterii Boreinae (siehe dazu die umfassende Präsentation von Bompaire/Lefort/Kravari/Giros 2001, 136–152) enthält u.a. ein Inventar der Besitztümer dieses Klosters, aufgelistet nach ‚Standorten‘; das ἐργαστήριον κωμοδρομικόν besitzt ἀκμόνια δύο καὶ ἡ ἄλλη ἅπασα ακουλουθία (sic) τοῦ ἐργαστηρίου, λισκάρια δεκαεπτά, ἀξινάρια τέσσαρα (158,15–16 Bompaire-Lefort-Kravari-Giros = Z. 190 der Urkunde), d.h. „zwei Ambosse und die übrige dazugehörige Ausstattung einer Werkstatt, siebzehn Schwerter, vier Äxte“. Aus den aufgezählten Gegenständen geht klar hervor, dass das ἐργαστήριον κωμοδρομικόν des Klosters eine Werkstatt (= ἐργαστήριον) war, die sich der Herstellung von Metallgegenständen widmete. Das Adjektiv κωμοδρομικός in dieser Urkunde, wie schon das Substantiv κομοδρόμος (überlieferte Form) im sog. „Treatise C“ des Porphyrogennetos, bezieht sich also auf die Bearbeitung von Metallen und die Produktion von entsprechenden Gegenständen, vor allem offenbar Waffen (der κομοδρόμος des sog. „Treatise C“ wird im Militär eingesetzt). Haldon 1990, 135 und Moffatt/Tall 2012, 494 übersetzen also zu Recht τὸν κομοδρόμον im „Treatise C“ als ‚smithy‘ resp. ‚blacksmit‘ (dt. ‚Schmied‘); vgl. auch die Paraphrase von Haldon 1990, 259 in seiner Anmerkung z.St.: ‚a mobile smithy‘; in diesem Sinne bereits Reiske 1829, 494 ‚comodromum seu fabrum ferrarium‘. Siehe für weitere Belege aus dieser Zeit (neben „Treatise C“ und der Urkunde aus dem Athos-Berg), die die Wiedergabe von κομωδρόμος als ‚Schmied‘ erhärten, auch die Stellen und die Lexika-Verweise angegeben bei Du Cange s.v. κωμοδρόμοι und LBG s.v. κωμοδρόμος: Ihnen ist zu entnehmen, dass in dem besonders archaischen Dialekt Zyperns κωμοδρόμος heute noch für σιδηρούργος, also ‚Metallarbeiter‘, benutzt wird.

Nachdem die Verwendung von κωμοδρόμος in mittelbyzantinischen Texten geklärt worden ist, seien nun die Schreibweise und dadurch die Etymologie und die Urbedeutung des Wortes in den Blick genommen. Orthographisch liegt es nahe, auch das eigenwillige κομοδρόμος in „Treatise C“ sowie das sonst nicht existierende Partizip κομοδρομῶν der hiesigen Malalas-Stelle an die in den Urkunden und auch sonst verbreitete Form mit κωμο- anzupassen. Denn κομ(ο)- als erster Bestandteil eines Kompositums aus -δρόμος entzieht sich einer sprachlichen Erklärung, während κωμ(ο) unmittelbar auf κώμη ‚Dorf‘ verweist: Der κωμοδρόμος (oder evtl. der κωμοδρομῶν, siehe für die Partizipialform noch unten) ist also etymologisch einer, der ‚von Dorf zu Dorf zieht‘ (-δρόμος ist als zweites Glied des Kompositums absolut transparent: ‚Lauf, Strecke, Bahn‘). Diese Analyse der Wortzusammensetzung bestätigt bereits das Lexikon von Julius Pollux, 2. Jahrhundert n. Chr. (11,9 Bethe): ἀπὸ δὲ κωμῶν κωμήτης καὶ κωμῆτις καὶ κώμαρχος, καὶ κωμοδρομεῖν καὶ κωμῳδεῖν που δὲ καὶ κωμῳδία καὶ κωμῳδιδάσκαλος καὶ κωμῳδοποιὸς καὶ κωμῳδοποιητής, καὶ κωμῳδῶν, καὶ κωμικὸν δρᾶμα καὶ κωμῳδικὸν πρᾶγμα, ἐπεὶ κατὰ κώμας ἔστησαν τὴν πρώτην οἱ χοροί (man könnte auch, gegen Pollux, eine Verbindung zwischen κωμοδρομεῖν und κῶμος ‚Zug, Festzug‘ – statt κώμη – erwägen, sich auf die Tatsache berufend, dass Pollux auch alle Begriffe rund um κωμῳδία als κώμη-Komposita analysiert, jedoch gewiss irrtümlich, da diese bekanntlich aus κῶμος stammen. Diese Alternativdeutung würde keinen allzu großen Sinnunterschied ergeben: Der κωμοδρόμος aus κῶμος wäre also einfach einer, der ‚herumzieht‘. Es ist sogar möglich, dass κώμη und κῶμος aus sprachwissenschaftlicher Perspektive demselben Stamm angehören: siehe Chantraine 1990, 606 und Frisk 1960, 60–61, mit Literatur und Verweisen). Nachdem das relevante Material – Etymologie, frühere und spätere Belege – präsentiert worden ist, lautet die für die Analyse der hiesigen Malalas-Stelle entscheidende Frage: Ab wann verliert κωμοδρόμος die allgemeine Bedeutung ‚von Dorf zu Dorf ziehend‘, die bei Julius Pollux belegt ist, und engt sich ein auf ‚Schmied‘ ? Wie und warum sich diese Sinnverschiebung vollziehen konnte, ist leicht zu erraten: Sie ist offenbar dem Umstand geschuldet, dass unter den ‚Herumziehenden‘ sich sehr oft Metallarbeiter (Schleifer, Klempner usw.) befanden, die durch hohe Mobilität eine möglichst breite Kundschaft erreichen wollten. Als modernes Pendant zu den byzantinischen κωμοδρόμοι führt Duffy 2009, 38 Anm. 12 die irischen tinkers an („traveling tinsmiths with no fixed abode“), Du Cange s.v. κωμοδρόμοι hatte auf die französischen chaudroniers hingewiesen; ein drittes Beispiel lässt sich aus Italien anführen, wo der wandernde Arbeiter par excellence eben der Schleifer ist: Seine Standardankündigung beim Ankommen in einem neuen Dorf („Donne, è arrivato l’arrotino“ , „Meine Damen, der Schleifer ist da“) erklang oft auf dem Land noch bis vor wenigen Jahrzehnten. Gehört der – aus Italien kommende! – Hundehalter Andreas, Protagonist der hiesigen Malalas-Stelle, spezifisch dieser Zunft an oder ist er ‚nur‘ ein Vagabund? Eine Entscheidung ist schwierig. Die Art der von Andreas mitgeführten und für die Darbietung mit dem Hund benutzten Objekten, die allesamt aus Metall sind, könnte für eine Wiedergabe von κωμοδρόμος mit ‚Schleifer‘ auch für diese Stelle sprechen; andererseits sind Fingerringe und Münze nicht genau die für diese Arbeiterkategorie typischen Gegenstände. Auch eine Analyse der Bezeichnung des Andreas in der reichen, späteren Parallelüberlieferung für diese Anekdote lässt keine klaren Schlüsse zu: Es stimmt, dass er dort nur zweimal als κωμοδρόμος erscheint (in Theoph. 224,16 de Boor; Georg. Mon. 643,20 und 644,2 de Boor; varia lectio übrigens bei beiden κομοδρόμος), sonst wird er direkt χαλκεύς, also ‚Schmied‘, genannt (in Sym. Log. 104,12 Walgren = S. 143; Georg. Cedr. 657,4 Bekker; Leon Gramm. 130,1 Bekker; Ἐκλογαὶ Ἰστοριῶν bei (Anecd. Par. 2,323,9). Bevor man diesen Befund als Beleg für die perfekte Synonymie zwischen κωμοδρόμος und χαλκεύς interpretiert, sollte man den zeitlichen Abstand zwischen Malalas und den Autoren der Parallelüberlieferung nicht aus dem Blick verlieren: Es ist gut möglich, dass ihre χαλκεύς-Paraphrase von Malalas’ κωμοδρόμος lediglich vor dem Hintergrund ihres eigenen, eben mittelbyzantinischen Gebrauchs dieses Wortes erfolgte (siehe oben für die urkundlichen Belege von κωμοδρόμος als ‚Metallarbeiter‘ im mittelalterlichen Griechisch), so dass ihr Zeugnis sehr wenig über die präzise Nuance von κωμοδρόμος in der Vorlage aussagen kann. Die modernen Übersetzungen bzw. Analysen der Malalas-Stelle sind zwiegespalten: Während Mango/Scott 1997, 325 (für die Theophanes-Parallelstelle) und Thurn/Meier 2009, 472 sich zurückhaltend an den reinen etymologischen Wortgehalt des Substantives halten (‚who travelled from village to village‘ bzw. ‚ein herumvagabundierender Mann‘), bezieht Duffy 2009, 37–38 durch seine Wiedergabe „a traveling tradesman who works with metal“ eindeutig Stellung für κωμοδρόμος als ‚Schmied‘ bereits bei Malalas; eine dritte, eher paraphrasierende Interpretation von κωμοδρόμος bieten Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 286 und Jeffreys 1990a, 211, die ‚a travelling showman‘ übersetzt; ähnlich auch Festugière 1978, 228: ‚comédien ambulant‘ (ist vielleicht mit ‚showman‘ ein Bezug auf κῶμος, den ‚Festzug‘, intendiert, unter dem Einfluss des anderen, berühmteren κῶμος-Kompositums κωμῳδία?). Mangels weiterer zeitgenössischer Belege des Wortes ist eine genaue Definition des Bedeutungsspektrums von κωμοδρόμος in vorliegender Malalas-Stelle – breit wie noch bei Pollux, oder bereits auf ‚Schmied‘ spezialisiert wie im mittelalterlichen Griechisch? – mit den gewohnten philologischen Mitteln so gut wie unmöglich.

Die nach der hier vertreten These richtige Lesart κωμοδρόμος findet sich bis heute in keiner der existierenden Malalas-Ausgaben. Chilmead 1691, II, 189 und Dindorf 1831, 453 (beide ohne näheren Kommentar) hatten bereits das erste ο in ω korrigiert, sonst aber die Partizipialform beibehalten: Ihr κωμοδρομῶν könnte durch einen Hinweis auf o.g. Stelle aus dem Lexikon des Pollux gestützt werden, wo das Verb κωμοδρομέω tatsächlich bezeugt ist. Die Verbreitung des Substantives κωμοδρόμος im byzantinischen Griechisch und die Tatsache, dass zwei Zeugnisse aus der Parallelüberlieferung (Theophanes, Georgios Monachos, s.o.) genau dieses Wort benutzen, legen aber sehr nahe, die Substantivform auch bei Malalas wiederherzustellen (man beachte ferner, dass die anderen Zeugnisse auch ein Nomen, χαλκεύς, haben – und kein Partizip). In der heute maßgeblichen Malalas-Ausgabe von Thurn 2000, 381 ist an der Stelle des überlieferten κομοδρομῶν die Konjektur κοσμοδρομῶν abgedruckt. In dem „Index verborum ad res Byzantinas spectantium“ gibt Thurn 2000, 488 für κοσμοδρομέω die lateinische Übersetzung ‚vagor‘ an, interpretiert also offenbar den ersten Bestandteil des Kompositums, κόσμος, als ‚Erde, Welt‘ (vgl. LSJ s.v. κόσμος IV), das Verb κοσμοδρομέω demzufolge als ‚die Welt bereisen‘. κοσμοδρομέω ist sonst ein einziges weiteres Mal handschriftlich überliefert, und zwar im Codex Angelicus 29, f. 73 (aus dem 14. Jahrhundert, siehe dazu die detaillierte Beschreibung von Cumont/Boll 1904, 4–57), der u.a. die griechische Übersetzung eines arabischen Werkes, bekannt als De Mysteriis, aus der Feder des iranischen Astrologen Apomasar beinhaltet (Muhammad Abou Ma'shar al-Balkhî, geb. 787, gest. 886). Dort heißt es zur Konstellation des Widders (158,12–18 Cumont-Boll): Κατὰ δὲ Ἰνδοὺς παρανατέλλει τῷ τοιούτῳ δεκανῷ ἀνὴρ λευκός, ἔχων τρίχας ἀληθινὰς καὶ θυμώδης, φορῶν βραχιόλιον ξύλινον καὶ κατέχων κλάδον ἐν τῇ χειρὶ καὶ φορῶν ἐρυθρὰ ἱμάτια καὶ γινώσκων τὴν κοσμοδρομικὴν τέχνην καὶ ἐπιζητῶν ποιῆσαι ἀγαθὸν καὶ μὴ δυνάμενος κτλ., „Nach der Meinung der Inder steigt in diesem Dekan ein weißer Mann mit roten Haaren auf, zorniger, der ein hölzernes Armband trägt und einen Stab in der Hand hält und in Purpur gekleidet und in der κοσμοδρομικὴ τέχνη gewandt ist und sich wünscht, etwas Gutes zu tun, kann aber nicht usw.“. Der Herausgeber diese Textes, Franz Boll, gestand im Apparat, κοσμοδρομικὴν nicht verstanden zu haben, und verwies auf den arabischen Originaltext, der – dem Sinn nach – an dieser Stelle „fabricae ferrae peritus“ hat (arabischer Text bei Dyroff in Boll 1903, 498–499, mit deutscher Übersetzung: „geschickt in der Bearbeitung des Eisens“). Das beweist, dass auch im griechischen Text der Begriff ‚Schmiedekunst‘ o.ä. zu stehen hat, also κωμοδρομικὴν τέχνην.

Hält man trotz Mangels weiterer Belege an der Konjektur κοσμοδρομῶν fest und sucht man im Wortmaterial selbst nach anderen Interpretationsmöglichkeiten neben Thurns ‚vagor‘, könnte man auf den Gedanken kommen, den ersten Bestandteil des Kompositums nicht als ‚Welt(all)‘, sondern als ‚Schmuck‘ zu verstehen: vgl. LSJ s.v. κόσμος II ‚ornament, decoration‘, esp. of women. Diese Deutung ist auf der Sinnebene attraktiv, weil damit κοσμοδρομῶν einen klaren Bezug zur Tätigkeit des Hundehalters, der eben primär mit Schmuck (Fingerringen) und Münzen operierte, erkennen ließe. Daraus – d.h. als κοσμοδρομῶν mit κόσμος als ‚Schmuck‘ – hätten die vier oben genannten Zeugnisse der Parallelüberlieferung die damit sinnverwandte Berufsbezeichnung χαλκεύς gut ableiten können (Sym. Log. 104,12 Walgren = S. 143; Cedr. 657,4 Bekker; Leon Gramm. 130,1 Bekker; Anecd. Par. 2,323,9). Rein sprachlich ist jedoch diese Alternativdeutung des hypothetischen Hapaxlegomenons κοσμοδρομῶν problematisch, weil damit die beiden Glieder des Kompositums in keinem klaren grammatikalischen Verhältnis zueinander stünden: In ähnlich zusammengesetzten Komposita dient κόσμος – sei es in der Bedeutung ‚Welt‘, sei es in der Bedeutung ‚Schmuck‘ – als Akkusativobjekt des folgenden Verbes bzw. des folgenden Verbalsubstantives: vgl. κοσμοτρόφος ‚Welt-Ernährer‘, κοσμοφθόρος ‚Welt-Zerstörer‘, κοσμουργέω ‚die Welt schöpfen‘, κοσμοφόρος ‚Schmuck-Träger‘. In κοσμοδρομῶν hinge hingegen κόσμος qua ‚Schmuck‘ nicht direkt vom -δρόμος ab, und man bräuchte einen gewissen Gedankenumweg, um daraus die gewollte Bedeutung ‚derjenige, der mit Schmuck herumgeht bzw. hantiert‘ herauszulesen.
Zusammenfassend lässt sich zu diesem textkritischen Problem sagen, dass die überlieferte Form κομοδρομῶν unhaltbar ist; dass die bereits von Theophanes angebotene alternative Lesart κωμοδρόμος sehr wahrscheinlich das Richtige trifft; dass sie entweder die etymologisch fundierte Bedeutung ‚Herumziehender‘ hat oder vielleicht schon, wie im mittelbyzantinischen Griechisch, pointiert und präzise für den ‚(wandernden) Schmied‘ benutzt wird. Die von Thurn abgedruckte Konjektur κοσμοδρομῶν legt hingegen ein sonst praktisch nicht belegtes Kompositum *κοσμοδρομέω zugrunde und ist schon allein aus diesem Grund – ungeachtet der prima vista attraktiven Möglichkeit, ihren ersten Bestanteil κόσμος als ‚Schmuck‘ zu interpretieren – unwahrscheinlich.
2/2 <ὀνόματι Ἀνδρέας>: Der bei Theophanes überlieferte griechische Name Andreas wird von Thurn dem ursprünglichen Text zugerechnet. Die italische Herkunft des Mannes spricht nicht gegen diese Ergänzung, da der Eigenname durch das Neue Testament bzw. den Apostel Andreas bereits weit über die griechische Welt hinaus verbreitet war.
2/7 κύνα: Für einen Bericht über die öffentliche Vorführung eines Wunder vollbringenden Tieres gibt es in der Chronik des Malalas und auch in der zeitgenössischen Literatur keine direkte Parallele. Ähnlichkeiten bestehen zu Plu. Moralia 973E–974A, wo ein dressierter Hund im stadtrömischen Marcellus-Theater als "Schauspieler" auftritt und seine eigene Vergiftung simuliert (vgl. Toynbee 1983, 101). Zeitnäher sieht Scott 1990, 79 Parallelen u.a. zu den Wundergeschichten bei Kosmas Indikopleustes (Mitte 6. Jahrhundert) oder Theophylaktos Simokates (frühes 7. Jahrhundert), die teils mit Tieren in Verbindung stehen; generell bringt er die Passage mit einer Vorliebe der zeitgenössischen Literaten und ihres Publikums für legendenhafte und unterhaltende Berichte in Verbindung. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Geschichte, die bei keinem Zeitgenossen überliefert wird, von späteren Chronisten so häufig übernommen wurde wie kaum eine andere in Malalas enthaltene Begebenheit aus der Regierungszeit Justinians. Noch häufiger wiederholt wurde nur die Information über die Errichtung der Hagia Sophia (vgl. Malal. XVIII 86). Scott 2006, 45 bemerkt dazu ironisch, beim Erscheinen des Hundes handele es sich offenbar um eines der wichtigsten Ereignisse der justinianischen Ära. Er sieht hier in erster Linie einen Beleg für die byzantinische "fondness for a good story": Scott 2010, 251. Zumindest für das ursprüngliche Auftreten der Geschichte bei Malalas stellt sich jedoch die Frage, ob sie über ihren unterhaltenden Charakter hinaus auch noch aus anderen Gründen als besonders berichtenswert erschienen sein könnte. Die im historischen Kommentar ad Z. 1f angesprochenen Parallelen zu anderen aufsehenerregenden Einzelfiguren bezeugen deutlich die hervorgehobene Rolle von Wundern und Wundertätern in der Chronik. Mit dem Hund wiederum wurde in der Antike eine Vielzahl von Eigenschaften verknüpft: Einerseits galt er durch seine Rolle als Haus- und Jagdtier traditionell als treuer Begleiter; gleichzeitig sah man in ihm aber auch ein lasterhaftes Tier und fürchtete seine Wildheit, was nicht zuletzt mit dem schon in der Antike vieldiskutierten Phänomen der Tollwut zusammenhing (vgl. zur ambivalenten Wahrnehmung des Hundes in der griechisch-römischen Welt Toynbee 1983, 108f.; Loth 1994, 786–803). "Hund" und "hündisch" begegnen in der gesamten antiken Literatur, und auch noch bei Malalas (XVI 16, Z. 25; XVII 10, Z. 14), als Schimpfwörter. In der christlichen Schrifttradition findet diese Haltung ihren Widerhall: In verschiedenen Märtyrerviten werden Inquisitoren, Folterer und sogar Satan persönlich mit Hunden gleichgesetzt. Andererseits begegnen Hunde in der Hagiographie als Begleiter und Helfer verschiedener Heiliger (zu beiden Phänomenen Loth 1994, 819–822; vgl. zu letzterem auch die Vorläufer in der klassischen Mythologie: Mainoldi 1984, 59–93). Eine besonders prominente Episode aus dem Leben des Petrus hat auch in die Chronik des Malalas Eingang gefunden: In Malal. X 32 (neronische Zeit) lässt der selbsternannte "Christus" Simon Magus seine Tür durch einen Hund bewachen, der zum allgemeinen Erstaunen die erwünschten von den unerwünschten Gästen zu trennen vermag. Diesen Hund veranlasst Petrus dazu, ihn mit Menschenstimme bei seinem Herrn anzukündigen – der Auftakt zu einem ausgedehnten Wettstreit der beiden Männer in ihrer Wundertätigkeit. In den apokryphen Petrus-Akten, wo sich die Begebenheit erstmals findet, hält der Hund eine regelrechte Ansprache an Simon, in der der "Magier" als Betrüger und Petrus als wahrer Diener Gottes auf Erden ausgewiesen werden (A.Petr.c.Sim. 12; Hennecke/Schneemelcher 1964, 202). Das göttliche Wirken entfaltet sich hier also gleichermaßen in einem Tier wie umgekehrt nach christlicher Vorstellung schon die Schlange im Garten Eden (Gen 3) stellvertretend für Satan gesprochen hatte. Vorbilder hat auch die Assoziation von Hunden mit hellseherischen Fähigkeiten: Im römischen Vorzeichenglauben gilt das Bellen und Heulen von Hunden als böses omen (vgl. Burress 1935, 35–37; Scholz 1937, 25–28; Loth 1994, 802; Février 2003). Auch im christlichen Kontext sind solche Vorstellungen verschiedentlich weitertradiert worden (vgl. August. civ.D. 3,23; Oros. 5,18). Die überkommene Verbindung des Hundes mit dämonischen und/oder mantischen Eigenschaften mag den Glauben an die hellseherischen Fähigkeiten des auf dem Marktplatz auftretenden Hundes beim umstehenden (und lesenden) Publikum befördert haben. In jedem Fall waren entsprechende Vorstellungen dazu angetan, der Begebenheit abseits ihres unterhaltenden Charakters auch eine zeichenhaft/ominöse Konnotation zu verleihen. Die Charakterisierung des Hundes als blind, die sich bei Theophanes findet und in die Ausgabe von Thurn aufgenommen wurde, verweist bereits in den mantischen Bereich, was zum Ende des Abschnittes hin (Z. 13f) mit dem Hinweis auf den "pythischen Geist" noch einmal aufgenommen wird.
2/9 <καὶ τυφλόν>: Wie schon für <ὀνόματι Ἀνδρέας> (XVIII 51, 2), nimmt an dieser Stelle Thurn 2000, 381 einen Ausdruck in seine Malalas-Ausgabe auf, der nicht in O, sondern nur in der Parallelüberlieferung (allen voran Theoph. 224,17 de Boor; siehe auch Cedr. 657,5 Bekker und Georg. Mon. 644,1 de Boor) bezeugt ist. Diese textkritische Entscheidung ist durch die Annahme geleitet, dass der Theophanes-Chronik an dieser Stelle – sowie an unzähligen anderen – eine vollständigere Version der Malalas-Chronik als die von O zugrunde lag: siehe dazu Mango/Scott 1997, lxxxi, xcii–xciii; Jeffreys 1990f, 257–259; Scott 2015, 252–257. Inhaltlich passt der Zusatz <καὶ τυφλόν> gut zur dargestellten Szene, die einen hellseherischen Hund als Protagonisten hat. Zwischen physischer Blindheit und hellseherischen Fähigkeiten existierte in der griechischen Antike eine enge, uralte Verbindung: Man denke an paradigmatische Figuren wie den thebanischen Seher Teiresias oder auch den Dichter Homer, die beide traditionell als blind charakterisiert wurden. Die Blindheit war ein typisches Merkmal von außerordentlichen Gestalten, die sich somit wirklich ‚auf den ersten Blick‘ vom (i.d.R. normal sehenden) Durchschnittmenschen unterschieden, scheinbar zu ihrem Nachteil; durch ihre übernatürliche Begabungen und dank ihrer Nähe zu den Göttern hatten sie aber selbstverständlich Zugang zu einer ungemein tieferen Ebene der Realität als der von Jedermann mit bloßen Augen greifbaren.
Die vorliegende bildet die erste Stelle im kritischen Apparat Thurns zu diesem Kapitel, an der ein weiteres handschriftliches Einzeltextzeugnis neben Malalas’ O genannt wird: Es handelt sich um die berühmte Theophanes-Handschrift Parisinus gr. 1710 (bei Thurn noch abgekürzt als Reg.[ius]), die viele Fragen in der Theophanes-Forschung aufgeworfen hat und noch aufwerfen wird (anfangend mit der Datierung: 10. Jahrhundert, wie traditionell vermutet, oder doch schon 9. Jahrhundert? Die Diskussion lässt sich ausgehend von Ronconi 2015, 133–147 verfolgen, dort zahlreiche weitere Literatur). Fest steht, dass Paris. gr. 1710 eher eine Be- und Umarbeitung als eine treue Kopie des Theophanes-Textes (wie rekonstruierbar aus den anderen Kodizes) ist: siehe deBoor 1885, 364–373; Mango/Scott 1997, xcv–xciii. Bezüglich der Episode von Andreas und seinem Hund lässt sich das hier relevante Problem so umreißen: In welchem Verhältnis steht die – ausführlichere und lebendigere – Fassung dieser ‚Hundegeschichte‘ in Paris. gr. 1710 einerseits zur Malalas-Chronik teste O, andererseits zur restlichen Theophanes-Tradition? Diese Frage ist insofern von Bedeutung, als man grundsätzlich die Möglichkeit erwägen könnte, dass der Pariser-Kodex die nur bei ihm überlieferten zusätzlichen Details aus dem Ur-Malalas nahm. Thurn 2000, 381 war offenbar nicht dieser Meinung, da er die fraglichen Textabschnitte (wenn auch nur) im Apparat abdruckte. Der Erstherausgeber der Theophanes-Chronik, deBoor 1885, 370–371, enthielt sich einer endgültigen Beurteilung; er machte jedenfalls auf einige auffällige Gemeinsamkeiten zwischen Paris. gr. 1710 und Malalas teste O gegen Theophanes in dieser Erzählung aufmerksam (beide haben z.B. den längeren Satz ὅστις κελευόμενος ὑπὸ τοῦ ἀναθρεψαμένου ἐποίει τινὰ θαύματος ἄξια, Theophanes hat nur ὅστις κελευόμενος ὑπ’ αὐτοῦ ἐποίει θαύματα) und schloss dabei die Eventualität aus, dass für die nur auf dem Paris. gr. 1710 vorhandenen Zusätze „der Bearbeiter einmal seiner Phantasie freien Lauf gelassen hätte“: Die Hypothese, dass der Ur-Malalas Quelle dieser Hinzufügungen war, bleibt zumindest im Raum. Neuere Studien sind über die Möglichkeit einer direkten Übernahme der Hundegeschichte durch Paris. gr. 1710 aus dem Ur-Malalas skeptisch: siehe Duffy 2009, 36 Anm. 4 („no chance that this detail ever appeared in Malalas“) und – vorsichtiger und vager – Jeffreys 1990f, 259. Die Frage wird nur im Zusammenhang mit einer Gesamtbeurteilung der stemmatischen Position von Paris. gr. 1710 in der Theophanes-Überlieferung zu entscheiden sein – ein Thema, mit dem die Theophanes-Spezialisten noch intensiv beschäftigt sein werden.

Die interessantesten Zusatzdetails, die Paris. gr. 1710 über den restlichen Theophanes und auch über die O-Version von Malalas hinausgehend bietet, werden suo loco vermerkt. An vorliegender Stelle hat Paris. gr. 1710 statt καὶ τυφλόν folgende nähere Charakterisierung des Hundes: οὐ μέγαν τῇ θέᾳ ἔχοντα κεκομμένα τὰ ὦτα καὶ τὴν οὐράν „er war von kleiner Dimension, hatte kupierte Ohren und einen kupierten Schweif“ (Übersetzung teils nach Thurn/Meier 2009, 472 Anm. 308). Der Hinweis auf die Blindheit, oder genauer auf die verminderte Sehfähigkeit des Hundes, kommt in Paris gr. 1710 erst ganz am Ende der Erzählung, vgl. den Apparat von Thurn zur Z. 25: εἶχε γὰρ καὶ τοὺς ὀφθαλμοὺς ἠλλοιωμένους, „er hatte nämlich veränderte Augen“ (Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 473 Anm. 313).
4/8 ἐν τῇ ἀγορᾷ: Es handelt sich hierbei um die einzige Ortsangabe innerhalb der entsprechenden Passage des Codex Baroccianus. Auch Theophanes, dessen Text insgesamt ausführlicher ausfällt, bietet diesbezüglich keine Ergänzung. Angesichts der starken Konzentration der Malalas-Chronik auf Antiochia (zumindest in den Abschnitten bis Kap. XVIII 76) läge es mangels näherer Hinweise zunächst nahe, auch diese Episode in der syrischen Metropole zu verorten. Allerdings geben einige der späteren, direkt oder indirekt auf Malalas zurückgreifende Berichterstatter als Ort des Geschehens nicht Antiochia, sondern Konstantinopel an (Georg. Monach. 643,20–644,1: ἐν Κωνσταντινουπόλει; Zon. XIV 6,38: τῷ Βυζαντίῷ). Auch wenn diese Lokalisierung vermutlich als Ergänzung der mittelbyzantinischen Chronisten anzusehen ist – für die es offenbar selbstverständlich war, das Geschehen in der Reichshauptstadt anzusiedeln –, ziehen diese Hinweise die aus dem Stellenkontext heraus naheliegende Verortung in Syrien bzw. Antiochia in Zweifel. Wo die Episode stattgefunden hat, muss insofern offen bleiben. Angesichts des expliziten Hinweises auf die Bewegung des Hundehalters 'Andreas' (Charakterisierung als κοσμοδρομῶν/κωμοδρομῶν) hat man wohl ohnehin davon auszugehen, dass das Tier auf einer ganzen Reihe von Marktplätzen in ähnlicher Weise vorgeführt worden war und entsprechend nicht eine einzelne Ortschaft, sondern eine Region gemeint ist. Die unbestimmte Lokalisierung kann vielleicht als Hinweis darauf gewertet werden, dass Malalas hier, wie schon von Scott 1981, 23 vermutet, mündliche Informationen verarbeitet hat, passt sie doch zu einer in der Bevölkerung kursierenden aufsehenerregenden Geschichte. Sowohl Scott 1981, 23 als auch Jeffreys 1990a, 211 betonen jedoch die Unmöglichkeit, den mündlichen Ursprung solcher Informationen zu belegen.
5/5 λάθρᾳ τοῦ κυνὸς: Rüger 1895, 10 (Punkt c) und 19 wollte in der Hinzufügung des Genitivs τοῦ κυνός zu dem in der Malalas-Chronik sonst absolut verwendeten Adverb λάθρᾳ (‚heimlich‘) ein weitere „Unregelmäßigkeit“ sehen, die seiner Meinung nach zusammen mit vielen anderen für die Andersartigkeit – d.h. konkret: für die spätere Abfassungszeit – des 18. Buches der Malalas-Chronik spricht. Diese These wird heute – zumindest in dieser pauschalisierten Form – weitgehend abgelehnt. Spezifisch zu diesem (vermeintlichen) Indiz ist darüber hinaus festzuhalten, dass die Verbindung von λάθρᾳ und τοῦ κυνός keine sprachliche Besonderheit im Sinne Rügers darstellt, sondern inhaltlich motiviert ist: Wie schon Patzig 1896, 352 richtig gesehen hatte, bringt λάθρᾳ in der Malalas-Chronik normalerweise keinen Genitiv mit sich, weil bzw. wenn die Handlung sich heimlich auf der Ebene der menschlichen Akteure vollzieht (siehe z.B. Malal. II 16 Z. 39: Die mythische Argos-Königin Dirke hat den Verdacht gefasst, dass ihr Mann König Lykos λάθρᾳ μιγνύμενος μετ’ αὐτῆς, gemeint ist dessen schöne Nichte Antiope; Malal. V 31 Z. 4: der gerade in seine Heimat zurückgekehrte Orestes λάθρᾳ εἰσῆλθε πρὸς τὴν Ἠλέκτραν, ἀδελφὴν αὐτοῦ). An vorliegender Stelle spielt sich die Aktion – die Sammlung der Fingerringe – nicht hinter dem Rücken eines oder mehrerer Menschen, sondern hinter dem Rücken eines Wunderhundes ab: Und dieser besondere Umstand will durch den entsprechenden Genitiv präzisiert werden.
6/3 <χρυσᾶ τε καὶ ἀργυρᾶ καὶ σιδηρᾶ>: Ein weiterer Zusatz aus Theophanes (224,30 de Boor), Kedrenos (657,7 Bekker) und Georgios Monachos (644,4 de Boor); siehe die Anmerkungen zu 2 <ὀνόματι Ἀνδρέας> und 2f <καὶ τυφλόν>.
6/10 ἐτίθει: Für die 3. Pers. Sing. des Imperfekts Akt. von τίθημι benutzt die Malalas-Chronik auch die nach klassischem Konjugationsmodell ungebräuchliche Endung mit -η, in IV 16 Z. 7 ὁ Μίνωος … ἐθαλασσοκράτει πολεμήσας Ἀθηναίοις καὶ νόμους ἐτίθη. Die zwei Endungen unterschieden sich in der Aussprache des byzantinischen Griechisch nicht mehr, da beide i-Laute waren: siehe Merz 1911, 39.
7/11 ἐπᾶραι: Inf. Aor. Akt. des Verbes ἐπαίρω, mit – regulärer – α-Bildung; siehe Merz 1911, 22 für ein Verzeichnis von weiteren Aorist-Formen von αἴρω und dessen Komposita in der Malalas-Chronik.
8/11 ἐπεδίδου: 3. Pers. Sing. Imperf. Akt. von ἐπιδίδωμι, nach ganz „attischer Weise“ (so formuliert von Merz 1911, 39 Anm.1); anderswo bildet Malalas für und statt δίδωμι auch die kontrahierte Form δίδοω, z.B. in XVIII 29 Z. 5 διδοῦντες: siehe Merz 1911, 39 und den philologischen Kommentar ad loc.. ἐπεδίδου kommt in diesem Kapitel ein zweites Mal vor, gleich unten in Z. 10, und bezeichnet wieder die ‚Rückgabeaktion‘ des Hundes (erst Fingerringe zu deren Besitzern, dann Münzen zu den jeweiligen Kaisern), vgl. LSJ. s.v. ἐπίδιδωμι 5 ‚give into another‘s hands, deliver‘.
9/4 ὁ δὲ αὐτὸς κύων … κατ’ ὄνομα: Paris. gr. 1710 bietet eine detailreiche Beschreibung des Tricks mit den Kaisermünzen, woraus klarer hervorgeht, was genau auf dem Marktplatz vonstattenging: ἔλεγε [scil. der Hundehalter] δὲ πάλιν τῷ αὐτῷ κυνί· ἐλθὲ καὶ δός μοι τὸ νόμισμα τοῦ βασιλέως Λέοντος. καὶ ἐρευνῶν ὁ κύων ἐλάμβανε τῷ στόματι καὶ ἐδίδει αὐτό. καὶ πάλιν ἔλεγεν· ἐπίδος μοι τὸ Ζήνωνος καὶ ἐπεδίδει αὐτό, ὡσαύτως καὶ ἑκάστου βασιλέως, οὗ ἕλεγεν αὐτῷ, ἐπεδίδει τὸ ἴδιον χάραγμα, „Er sagte aber wieder zu diesem Hund: 'Komm und gib mir den solidus des Kaisers Leon'. Und der Hund schnüffelte, nahm ihn mit dem Maul auf und lieferte ihn ab. Und wieder sprach er: 'Gib mir den des Zenon'. Und er lieferte diesen nach, wie auch die Münzen eines jeglichen Kaisers: Welchen Namen er immer nannte, er gab jeweils die richtige Prägung ab“ (Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 472 Anm. 311).
10/2 μιγνύμενα: Bezogen auf νομίσματα: ‚vermischte Münzen‘, d.h. in einem Haufen ohne jegliche Ordnung gesammelte Münzen. μιγνύμενα ist die Lesart von Theophanes (224,23 de Boor) und – wohl von diesem abhängig – Kedrenos (657,10 Bekker). Die Malalas-Handschift O bezieht hingegen das Zahlwort μυρία, „a large number of coins“ (Übersetzung von Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 266; Thurn/Meier 2009, 472 geben hingegen Theophanes’ Text wieder) auf νομίσματα. Eine Wahl zwischen diesen zwei Lesarten ist schwierig, weil beide einen guten Sinn ergeben: Mit μυρία liegt die Emphase auf der großen Zahl der Münzen, die der Hund auf Befehl seines Besitzers und beim Nennen des entsprechenden Kaisernamens (siehe die genauere Beschreibung der Zuweisungsübung bei Paris. gr. 1710, zitiert im Kommentar zu Z. 9) ausfindig machen kann; mit μιγνύμενα tritt hingegen weniger der quantitative, sondern eher der qualitative Aspekt der Übung in den Vordergrund: Die Münzen liegen wirklich ohne jegliche Ordnung auf dem Marktplatz. Man könnte μυρία als lectio facilior bewerten und denken, dass der Ur-Malalas μιγνύμενα hatte – was Theophanes direkt übernahm –, während μυρία eine spätere Korruptel ist. Es ist aber nicht auszuschließen, dass μιγνύμενα eine selbständige Nachbesserung von Theophanes ist. Eine Stelle in der Beschreibung der Übung in Paris. gr. 1710 könnte als ein leichtes Indiz für μυρία interpretiert werden, denn in jenem Text wird u.a. gesagt, dass der Hund für jeden ihm genannten Kaiser (ἑκάστου βασιλέως, οὗ ἕλεγεν αὐτῷ) den Trick wiederholt: Betont wird also vor allem der quantitative Aspekt. Eine derartige Überlegung ist bei weitem nicht ausschlaggebend, es fehlt an dieser Stelle an Anhaltspunkten für eine motivierte Entscheidung.
11f./5 ἐδείκνυε τὰς ἐν γαστρὶ ἐχούσας καὶ τοὺς ὄντας πορνοβοσκοὺς καὶ μοιχοὺς καὶ κνιποὺς καὶ μεγαλοψύχους: Die Aufzählung der durch den Hund erkannten Eigenschaften von Umherstehenden variiert in der Parallelüberlieferung, wobei sowohl abweichende Formulierungen als auch Ergänzungen vorkommen. Die Grundbestandteile ähneln sich jedoch: Der Hund konnte demnach Schwangere (τὰς ἐν γαστρὶ ἐχούσας), Zuhälter/Unzüchtige (τοὺς ὄντας πορνοβοσκοὺς/πόρνους) und Ehebrecher (μοιχούς) erkennen; die Großmütigen (μεγαλοψύχους; zum Wort: V 9, 4) im Codex Baroccianus sind ab Theophanes durch die (Un-)barmherzigen ([ἀν]ελεήμονας) ersetzt. Eine besonders auffällige Ergänzung enthält der cod. Paris gr. 1710 (de Boor II, 370–371), wo spezifiziert wird, der Hund habe vorhersagen können, ob die schwangeren Frauen männliche oder weibliche Kinder zur Welt bringen würden. Dazu Duffy 2009, 36, Anm. 4: "There is no chance that this detail ever appeared in Malalas; it is a colorful enhancement added after the time of Theophanes" (vgl. die Diskussion im philolog. Kommentar ad Z. 2f.). Allen Texten gemeinsam ist, dass es sich bei der Auflistung überwiegend um moralische bzw. im moralischen Zusammenhang stehende Kategorisierungen handelt. Das erstaunliche Wirken des Hundes, das bisher anhand der Zuweisung von Ringen zu ihrem jeweiligen Besitzer und der Unterscheidung von Münzen nach dem darauf abgebildeten Kaiser (Zeilen 5–10) in einem eher amüsant anmutenden Rahmen aufgezeigt worden war, wird damit zum Ende der Vorführung auf einen Höhepunkt gebracht, der durch das Erkennen von nach außen hin nicht sichtbaren Charaktereigenschaften die Grenze zum Übernatürlichen berührt.
13/2 πάντα: Nicht nur die Handschrift O der Malalas-Chronik, sondern auch mehrere Zeugnisse der Parallelüberlieferung (Theoph. 224,26 de Boor; Georg. Mon. 644,11 de Boor; Zon. 3,158,13 Büttner-Wobst) lesen an dieser Stelle den Akk. Neutr. Plur. von πᾶς, πάντα – nur Kedrenos bietet den Akk. Mask. Plur. πάντας (Cedr. 657,13 Bekker). Bei der Lesart von Kedrenos handelt es sich wohl um ein bloßes Versehen oder vielleicht um eine Verschlimmbesserung dieses Chronisten, der πάντα an die vorangehende Reihe von Maskulina in Akkusativ – τοὺς ὄντας πορνοβοσκοὺς καὶ μοιχοὺς καὶ κνιποὺς καὶ μεγαλοψύχους – anpassen wollte oder sich von dieser Sequenz unbewusst beeinflussen ließ. Kedrenos’ πάντας kann jedoch unmöglich richtig sein. Gegen diese Form sprechen, wie gesagt, sowohl die restliche Parallelüberlieferung als auch Logik und Grammatik des Satzes: Denn am allerersten Platz der erwähnten Akkusativ-Reihe kommen keine männlichen, sondern weibliche Akteure vor, schwangere Frauen (τὰς ἐν γαστρὶ ἐχούσας), und diese können nicht unter πάντας subsumiert werden (obwohl fraglos mit dem Satz „der Hund zeigte πάντα(ς) wahrheitsgemäß an“ auch sie gemeint sind), sehr wohl hingegen unter dem allgemein gefassten, üblichen πάντα im Sinne von „alle Dinge“ (vgl. LSJ. s.v. πᾶς D 2).
Nach dem Satz „der Hund zeigte alles wahrheitsgemäß an“ fügt der Kodex Paris. gr. 1710 noch eine weitere ‚Einzelleistung‘ des Hundes hinzu: καὶ ὅσας γυναῖκας ἐγκύους ἐμαντεύσατο ὁ κύων εἴτε ἀρρενικόν ἔχειν ἤ θῆλυ, οὕτως ἐγέννησαν. καὶ ἐξεπλήττοντο πάντες, „Und alle Frauen gebaren, je nachdem der Hund einen männlichen oder weiblichen Spross zugewiesen hatte, dementsprechend. Und alle waren außer sich vor Staunen“ (Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 473 Anm. 312). Diese Ausdehnung des Themas „schwangere Frauen“ ist merkwürdig: Erstens hat der vorherige Satz „der Hund zeigte alles wahrheitsgemäß an“ klar einen zusammenfassend-abschließenden Ton, sodass man danach eigentlich kein Detail mehr erwartet; zweitens passt dieses letzte Wunder nicht so richtig in das bisher skizzierte Bild einer effektvollen, und ephemeren Darbietung auf einem Marktplatz: Während die anderen Übungen ihre Höhepunkte auf der Stelle erreichen und ihre Wirkung auf das Publikum sozusagen „in Echtzeit“ entfalten, sind Prophezeiungen über das Geschlecht der Leibesfrüchte ungeeignet, dem Hund und seinem Besitzer sofortigen Erfolg zu bringen, da sie sich erst nach Wochen oder Monaten als richtig erweisen können. Wenn es eine Stelle gibt, wo die Zusätze des Kodex Paris. gr. 1710 für diese Anekdote den Eindruck von freier, bloß auf die Steigerung der Sensation gerichteten Phantasie erwecken (siehe den Kommentar zu Z. 2f.), dann eben diese Schlussbemerkung.
13/6 ἔλεγον πολλοί, ὅτι πνεῦμα Πύθωνος ἔχει: Der Verweis auf den pythischen Geist erfolgt sicher nicht beiläufig. Duffy 2009, 37 macht auf eine bemerkenswerte Parallele in den biblischen Acta Apostolorum aufmerksam (Act. 16,16–18), wo der Apostel Paulus einer Sklavin begegnet, die – in zu Malalas praktisch identischer Formulierung – "den pythischen Geist hatte" (ἔχουσαν πνεῦμα Πύθωνα). Am tatsächlichen Vorhandensein der Weissagekräfte werden hier keine Zweifel geäußert: In der Tat erkennt die Frau den Apostel und seine Begleiter als Diener des höchsten Gottes. Kritik wird jedoch an der finanziellen Ausbeutung ihrer Wahrsagekunst durch die Besitzer der Sklavin laut, die ihre außergewöhnlichen Kräfte zur eigenen Bereicherung einsetzen. Der Geist wird ihr schließlich durch Paulus ausgetrieben. Es ist zweifelsohne davon auszugehen, dass viele Zeitgenossen mit dieser Bibelstelle vertraut waren. Wenn also über den wundersamen Hund des Malalas "viele sagten" (ἔλεγον πολλοί), dass ihm der pythische Geist innewohnte, nährt das "the note of mystery and foreboding" (Duffy 2009, 37) des Berichts.

Die Wahrsagekunst verbindet die Passage über den Hund auch mit Malal. XVIII 90, wo die Vorhersagen einer Seherin aus Konstantinopel mitsamt ihren Folgen geschildert werden: Die Frau kündigte demnach die baldige Vernichtung "aller" durch Ansteigen des Meeresspiegels an. Daraufhin habe das Volk in Konstantinopel eine Bittprozession abgehalten, um Gott gnädig zu stimmen. Diese Reaktion zeigt deutlich das Erschütterungspotential, das solchen ominösen Nachrichten für viele Zeitgenossen innewohnte. Im hiesigen Fall handelt es sich gleichwohl nicht um zukunftsgerichtete Vorhersagen und damit um ein konkretes Bedrohungsszenario, sondern alleine um ein Ereignis, das angesichts seiner unheilvollen Konnotationen als prinzipiell bedeutsam, d.h. deutungsbedürftig, berichtet wird, ohne dass allerdings ein konkretes Deutungsangebot gemacht wird.
Parallelüberlieferung
Theoph. 224,15–27 de Boor; Cedr. 657,4–14 Bekker; Georg. Mon. 643,20–644,12 de Boor; Leo Gramm. 130,1–12 Bekker; Zon. 3,158,3–13 Büttner-Wobst; Mich. Gly. 500,20–501,1 Bekker.
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