Malalas 18.62 1–3 = 9–11 (Thurn)

1 (9)
Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ καὶ ἐμπρησμὸς ἐγένετο ἐν Ἀντιοχείᾳ· τινὸς
 
γὰρ ὑφάψαντος κηροὺς ἐν τῷ θεάτρῳ, καὶ τοῦ κηροῦ στάξαντος ἐπάνω
 
τῶν ξύλων, ὑφῆψαν τὰ ξύλα· καὶ συνδρομῆς γενομένης ἐσβέσθη.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ: Der Chronist präsentiert das Ereignis im unmittelbaren Anschluss an seinen Bericht über die aus einer Initiative des Sarazenen (Arabers) Alamundaros im Juni 531 hervorgegangene Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit dem Perserkönig (XVIII 61). Es folgt u.a. noch die lange Schilderung der für die Römer siegreichen Schlacht bei Martyropolis (XVIII 65/66), bevor mit dem Tod des Perserkönigs Kavadh am 8. September (531) ein weiteres Fixdatum genannt wird (XVIII 68). Dieses dichte chronologische Netz erlaubt für die hiesige Stelle eine Eingrenzung auf den Sommer 531, die mangels weiterer Überlieferung allerdings nicht überprüft werden kann und durch die vage chronologische Anschlussformel ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ auch nicht explizit nahegelegt wird. Downey 1961, 532 datiert allgemein auf 531 n. Chr.

Auch dieses Feuer wird von Odorico 1995, 314 innerhalb der Reihe von ominösen Ereignissen aufgeführt, die nach seiner Interpretation der Darstellung des Friedensprozesses in der Chronographia gewissermaßen kommentierend beiseitegestellt worden sind (zu dieser These allgemein XVIII 55, 1). Als durch Menschenhand ausgelöstes Feuer fällt das Ereignis gegenüber den zeitgenössisch üblicherweise als gottgesandt verstandenen Erdbeben, die Odorico sonst zitiert, semantisch aus der Reihe. Auffällig ist jedoch der aus dem Kontext heraus nicht notwendige, einen Zusammenhang mit dem vorangegangen Geschilderten betonende Anschluss mit καί (XVIII 62, 1).
1/6 καὶ: Es fällt auf, dass der Chronist die in diesem Kapitel zu berichtende Begebenheit mit einem kumulativen καί (auch) auf das vorherige Ereignis folgen lässt; damit ist eine Verbindung zwischen den beiden suggeriert: Im Normalfall werden die Ereignisse eines und desselben Jahres bzw. Zeitraumes in der Chronographia nicht häufend nebeneinandergestellt („und es passierte auch noch Folgendes“); vielmehr steht jede Episode (d.h. in der Thurn-Ausgabe i.d.R. jedes Kapitel) mit ihrer eigenen Zeitangabe für sich und fängt die Erzählung gleichsam von Neuem an. Diese Verwendung von καί (auch) könnte sich im Sinne Odoricos (XVIII 62, 1) interpretieren lassen: Dem Chronisten ist tatsächlich daran gelegen, die Friedensbemühungen von XVIII 61 implizit als ein negatives Ereignis zu präsentieren, und er erzielt diesen Effekt durch den Hinweis in XVIII 62, dass dazu auch (καὶ) ein Brand kam. Anders gesagt: Mit καί (auch) wird der Brand von XVIII 62 als ein zusätzliches Ereignis zu den Vorgängen von XVIII 61 dargestellt; und da ein Brand ein Unglück ist, können die Fakten, denen er sich durch καί zugesellt, wesenhaft nicht anders sein.
1/7 ἐμπρησμός ἐγένετο: Brände zählen zum typischen Repertoire der „Stadtkatastrophen“ in der Chronographia; dazu: X 10, 26f.. In den Beschreibungen dieser Brände wird fast durchgehend angegeben, welche Gebäude oder Stadtteile betroffen waren. Im hiesigen Kontext fehlen allerdings Angaben darüber, ob sich der Brand über eine größere Fläche erstreckte.
1f./11 τινὸς γὰρ ὑφάψαντος κηροὺς: Der Chronist stellt im Zusammenhang mit Feuern die menschliche Verantwortung häufig in den Vordergrund; dazu: XI 4, 9. Im hiesigen Fall deutet der etwas kursorische Verweis, „irgendjemand“ (τις: mit Akzent (statt enklitisch), da erstes Wort im Satzgefüge: vgl. LSJ s.v. τις III 1) habe eine Kerze brennen lassen, hingegen auf eine Einzelperson hin. Dass von deren Seite Absicht vorgelegen haben könnte, ist dem Wortlaut nach nicht auszuschließen, wird von dem Chronisten allerdings nicht explizit gemacht. Kerzen sind als reguläre Ausstattung des Theaters nicht unbedingt zu erwarten, da die Aufführungen bei Tageslicht stattfanden.
2/3 κηροὺς: κηρός bedeutet auf Griechisch „Wachs“, wie auch gleich in diesem Kapitel (τοῦ κηροῦ στάξαντος); der Plural κηροί spezialisierte sich im späteren Griechisch für die Gegenstände aus Wachs par excellence, die Kerzen: vgl. z.B. Hld. IX 11 κηρούς τε καὶ δᾷδας ἁψάμενοι, ferner Eus. Vita Const. II 5 (2Mal) und zwei weitere Stellen in der Chronographia, XIII 8 τῶν στρατιωτῶν ... πάντων κατεχόντων κηρούς [Kerzen bei einer Prozession] und XV 10 ἅψασα κηροὺς Ἰουβεναλία [Kerzen zum Dank an den Kaiser].
2/4 ἐν τῷ θεάτρῳ: Es steht zu vermuten, dass der Chronist sich hier auf dasjenige Theater bezieht, dessen Bau unter Caesar begonnen (IX 5) und wohl erst unter Trajan endgültig abgeschlossen wurde (XI 9). Insgesamt verfügte Antiocheia nach Ausweis der Schriftquellen über (mindestens?) zwei Theater. Ein sicherer archäologischer Nachweis auch nur eines solchen Baus konnte bisher nicht erbracht werden, wenngleich zwei mögliche Standorte identifiziert worden sind (zur Diskussion XVIII 41, 1f. mit ausführlicher Bibliographie; vgl. auch Brands 2016, 52f.). Theateraufführungen waren in den vorangegangenen Jahren in Verfügungen Justins (520 n.Chr.: XVII 12, 19ff.) und Justinians (529 n. Chr.: XVIII 41) ausgesetzt bzw. verboten worden; diese Verfügungen scheinen aber nicht konsequent bzw. dauerhaft durchgesetzt worden zu sein (vgl. Downey 1961, 532). Nach Puk 2014, 315–317 deutet der dokumentarische und literarische Befund darauf hin, dass das Theater- bzw. Bühnenwesen in Syrien noch über das Ende des 6. Jahrhunderts hinaus fortlebte. Für die anhaltende Bedeutung der Bühnenaufführungen spricht auch der Umstand, dass dem antiochenischen Theater kurze Zeit nach dem hier geschilderten Brand von offizieller Seite Gelder zur Verfügung gestellt wurden (XVIII 67). Sie sollten vermutlich dabei helfen, die durch den Brand angerichteten Schäden zu beseitigen. Noch beim Wiederaufbau der Stadt infolge des verheerenden Persereinfalles des Jahres 540 n.Chr. soll die Stadt u.a. mit Theatern ausgestattet worden sein: Procop. aed. 2, 10, 22. Vermutlich spielt Prokop dabei eher auf Restaurierungsarbeiten als auf Neubauten an (Brands 2016, 52f. mit Anm. 233).
2/10 στάξαντος: Absolute Verwendung des Verbes στάζω, d.h. die Flüssigkeit, die στάζει („tropft“), ist direktes Subjekt (und kein Objekt, das jemand „träufelt“): vgl. LSJ s.v. στάζω II 1 mit einschlägigen Belegen aus der griechischen Tragödie, allen voran die berühmte Stelle aus dem Zeushymnos des Agamemnon στάζει δ’ ἔν γ’ ὕπνωι πρὸ καρδίας μνησιπήμων πόνος (Aesch. Ag. 179–180, lyr.).
2/11 ἐπάνω: Hier dient ἐπάνω als lokale Präposition mit Genitiv (vgl. LSJ s.v. ἐπάνω I 2), wie auch sonst oft in der Chronographia: Verzeichnis einiger Stellen bei Thurn 2000, 517 und Rüger 1895, 18. Nach Rüger 1895, 21, 22, 24, 26 sind in der Chronographia ἐπάνω und ὑπεράνω an Stelle der verschwundenen konkreten Lokalfunktion von ὑπέρ mit Genitiv getreten, wozu siehe Rüger 1895, 26 (nur metaphorische, keine konkret lokalen Belege).
3/1 τῶν ξύλων: Das Dionysos-Theater in Athen war noch in seiner perikleischen Bauphase z.T. mit Holzbänken ausgestattet, was die Betitelung der Zuschauerräume als ξύλα in der attischen Komödie erklärt (Blume 1978, 48; XVIII 62, 3). Obgleich cavea und Bühnengebäude der festeingerichteten kaiserzeitlichen und spätantiken Theater natürlich in der bei weitem überwiegenden Zahl der Fälle vollständig aus Stein bestanden, ist das Vorhandensein von Holzelementen auch hier durchaus zu erwarten – man denke beispielsweise an die Bühnenmaschinen oder die Konstruktionen für Dach und/oder vela (vgl. Sear 2006, 7–10). Im Theaterkontext kann allerdings der Plural τὰ ξύλα spezifisch mit Bezug auf die Bänke für die Zuschauer verwendet werden, welche eben (ursprünglich) aus Holz waren bzw. einen Holzbelag hatten: vgl. LSJ s.v. ξύλον 5 mit den dort zitierten Komikerstellen (Aristoph. Ach. 25 und Vesp. 25; Hermipp. fr. 7, 2 Kassel-Austin). Unabhängig von den tatsächlich zur Verwendung gekommenen Baumaterialien war ξύλα offenbar ein althergebrachter terminus für die Bezeichnung von Sitzstufen im Theater.
3/3 ὑφῆψαν: Mit dieser Lesart, welche handschriftlich überliefert ist (f. 302), bedeutet dieser Satz, dass ein – nicht näher definiertes – plurales Subjekt die ξύλα (Objekt) anbrannte (aktive Form). Der Text verlangt hier aber klar einen anderen Gedanken, nämlich dass – nachdem jemand Kerzen angezündet hatte (ὑφάψαντος – hier zurecht aktiv) und daraus Wachs getropft war – das darunter liegende Holz „in Brand gesetzt wurde“ (passiv; vgl. die in der Form zwar aktiv aber dem Sinn nach mediale Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 484 „Feuer fing“; vgl. auch Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 272 „caught fire“). Genau die gewünschte Bedeutung stellt die Doppelkonjektur von Chilmead 1691, II, 206 Anm. 1 wieder her: ὑφήψαντο bzw. in Sing. (auch zulässig, da auf einen Neutrum Plural zu beziehen) ὑφήψατο. Weder Dindorf 1831, 467 noch Thurn 2000, S. 391 haben diese Konjektur in ihren Textedition aufgenommen, obwohl sie nur eine sehr leichte Änderung der Überlieferung mit sich bringt, die perfekte Semantik wiedergibt und deshalb empfehlenswert erscheint.
3/7 συνδρομῆς γενομένης ἐσβέσθη: „Nachdem es zu einem Menschenauflauf gekommen war, wurde es (das Feuer) gelöscht.“ Nicht präzisiert wird, ob die zusammengelaufenen Menschen sich möglicherweise selbst ans Feuerlöschen machten oder als Schaulustige herbeiliefen. Meldungen über Reaktionen der Bevölkerung, die mit dieser hier formal vergleichbar ausfallen, sind auch aus mehreren anderen Abschnitten in der Chronik (z.B. Erdbeben, Kometen u.ä.) bekannt, wobei typischerweise die Ängste in den Mittelpunkt gestellt werden (vgl. etwa XVII 4; XVIII 52; 55; 75; 77; 139). Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die angesprochene συνδρομή ebenfalls eine Angstreaktion beschreibt: Vgl. auch LSJ s.v. συνδρομή („tumultuous concourse of people“).
3/9 ἐσβέσθη: Merz 1911, 30 listet σβέννυμι als eines der wenigen Verben in der Chronographia auf, die den Aorist ausschließlich in der ersten (schwachen) Form bilden: vgl. neben vorliegende Stelle noch XIV 42 πῦρ ... ἐσβέσθη.
Parallelüberlieferung
keine
Literatur
Blume (1978): Blume, Horst-Dieter: Einführung in das antike Theaterwesen, Darmstadt, 1978.
Brands (2016): Brands, Gunnar: Antiochia in der Spätantike, Berlin/Boston, 2016.
Chilmead (1691): Chilmead, Edmund: Johannis Antiocheni cognomento Malalae Historia Chronica … nunc primum edita cum Interpret. & Notis Edm. Chilmeadi …, Oxonii, 1691.
Dindorf (1831): Dindorf, Ludwig: Iohannis Malalae Chronographiae ex recensione L. Dindorfii, Bonn, 1831.
Downey (1961): Downey, Glanville: A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest, Princeton, 1961.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Merz (1911): Merz, Ludwig: Zur Flexion des Verbums bei Malalas, Pirmasens, 1911.
Odorico (1995): Odorico, Paolo: L'uomo nuovo di Cosma Indicopleuste e di Giovanni Malalas, Byzantinoslavica, 1995, 305–315.
Puk (2014): Puk, Alexander: Das römische Spielewesen in der Spätantike, Berlin, 2014.
Rüger (1895): Rüger, Anton: Studien zu Malalas. Präpositionen und Adverbien. Das 18. Buch. Die konstantinischen Excerpte. Die tuskulanischen Fragmente, Bad Kissingen, 1895.
Sear (2006): Sear, Frank: Roman Theaters. An Architectural Study, Oxford, 2006.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.