Malalas 18.85 1–5 = 59–63 (Thurn)
Inhalt
Kapitel 85 beschreibt den Wiederaufbau nach dem Nika-Aufstand sowie zwei Regelungen zur Neuordnung der städtischen Administration in Konstantinopel.
Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur
καὶ τὸ ὡρολογεῖον τὸ πλησίον τοῦ Αὐγουστίου καὶ τῆς βασιλικῆς. περι-
ῃρέθη δὲ τῷ αὐτῷ χρόνῳ ἡ τοῦ νυκτεπάρχου ἀρχή, καὶ ἐγένετο ἀντ᾽
Philologisch-Historischer Kommentar
1/5 ἐπληρώθη: Das Verb πληρόω deckt in der Malalas-Chronik verschiedene Bedeutungsfelder ab. Am einfachsten auf die Grundbedeutung 'füllen mit (+ Gen.)' (hierfür vgl. Malal. X 12 τὴν γῆν ἐπλήρωσα δακρύων; Malal. XIII 30 πληρώσας βάθρων; Malal. XVI 6 ὥστε τὸ ἅγιον θυσιαστήριον πληρωθῆναι αἵματος; Malal. XVIII 60 ἐπλήρωσαν τὸν ποταμὸν λειψάνων) lässt sich die auch an dieser Stelle bezeugte Verwendung 'zu einem Ende bringen, vollenden' zurückführen. Dieser Gebrauch von πληρόω kommt beinahe formelhaft im Kontext der (Nicht-)Vollendung eines Gebäudes vor: vgl. Malal. IV 10 (2x) πληρώσας τὰ τείχη (ähnlich auch Malal. VII 3; VIII 24; XII 30); Malal. VI 15 ἐπληρώθη δὲ τὸ ἱερὸν δι’ ἐτῶν μʹ; Malal. X 10 θέατρον οὐκ ἐπλήρωσεν εἰς τέλειον; Malal. X 53; Malal. XIII 3 ἐπλήρωσε τὴν αὐτὴν βασιλικὴν; Malal. XIII 8 καὶ ὅτε πάντα ἐπλήρωσεν; Malal. XIII 14 πληρωθῆναι τὸ κτίσμα ... τὸ τῆς μεγάλης ἐκκλησίας; Malal. XIII 30 ἐπλήρωσε τὸν φόρον αὐτοῦ; XIV 13 ἐπλήρωσε τὸ αὐτὸ ἔργον τῆς βασιλικῆς. Andere mögliche verwandte Usus betreffen z.B. die Vollendung bzw. das 'Zum-Ende-Bringen' eines Opfers (Malal. IV 10 u. Malal. V 2; zu diesem Stellenpaar siehe Wolf 1912, 37; Malal. VIII 11), eines Theaterstücks (Malal. IV 13 Εὐριπίδης ... πληρώσας τὸ δρᾶμα), einer Herrschaft (Malal. VI 3 ὁ θεός ... ἐπλήρωσε τὴν βασιλείαν σου) oder des eigenen Lebens (Malal. I 3 κακῶς ἀναλωθέντες ἐπλήρωσαν τὸν ἴδιον βίον). Aus diesem Bezug zum Leben(sablauf) ist möglicherweise die Bedeutung 'älter bzw. alt werden' entstanden, welche in Malal. XIV 15 μετὰ τὸ πληρῶσαι αὐτόν und nach der Interpretation von Festugière 1978, 231 vielleicht auch in Malal. XVIII 60 vorzuliegen scheint. Nach Thurn 2000, 520 bedeutet πληρόω an letztgenannter Stelle hingegen 'ein Amt ausfüllen', wie auch in Malal. XIII 4 πληροῦντα τὸν τόπον ... τοῦ ἐπάρχου τῶν πραιτωρίων (wortwörlich 'die Position eines Eparchen ausfüllen').
1/6 ἡ χαλκῆ: Durch den Artikel ἡ substantivierte und kontrahierte Form des Femininums des Adjektivs χάλκεος, -έα, -εον. Die Malalas-Chronik verwendet unterschiedslos sowohl die kontrahierten als auch die unkontrahierten Formen von diesem wie auch von ähnlichen Farbadjektiven (ἀργύρεος, πορφύρεος, etc.): siehe die Übersicht bei Wolf 1911, 30. Die Kontraktion erfordert den Zirkumflex: Die Handschrift O überliefert aber sowohl hier (f. 312) als auch für die Erwähnung derselben Baustruktur in XVIII 71 (f. 307) die Form mit Akut χαλκή, welche der Korrektur bedarf. An vorliegender Stelle ist der Zirkumflex von Dindorf 1831, 479 wiederhergestellt worden. Die Aussage von Wolf 1911, 30, dass im Kapitel des Nika-Aufstandes die erste Hand χαλκῆ geschrieben habe, kann durch Lektüre des Digitalisats nicht bestätigt werden.
1f./6 ἡ χαλκῆ τοῦ παλατίου Κωνσταντινουπόλεως: Bei der Chalke handelt es sich um den Eingangsbereich (Vestibül) des großen, unter Konstantin gegründeten Palastes im Südosten der Halbinsel von Byzanz (zur Chalke Mango 1959; zur archäologisch kaum erhaltenen Gesamtanlage Müller-Wiener 1977, 229–237; Bardill 1999; Bolognesi Recchi Franceschini 2003). Die Chalke, deren Gestalt nur auf Basis von Schriftquellen und einigen wenigen Sondagen rekonstruiert werden kann, empfing die Besucher vom Augusteion her und bildete einen für die Öffentlichkeit besonders gut sichtbaren Teil des für die Allgemeinheit nicht zugänglichen und hinter Hippodrom und Mauern verborgenen Palastbezirkes. Zweifelsohne diente sie auch dem Zweck, die Pracht des kaiserlichen Hauses schon den Ankommenden vorzuführen (vgl. zur Ausstattung unter Anastasios Anthol. Graec. IX 656, unter Justinian Procop. Aed. I 10,11–20). Der Name Chalke ("Bronzene") wird in den Quellen mit der Verwendung von Bronze für Dach und/oder Türen erklärt: Dazu Mango 1959, 21f. Das Chronicon Pascale I 627,17–20 bezeugt, dass die Chalke beim Nika-Aufstand im Jahr 532 von Anhängern der Zirkusparteien niedergebrannt worden war. Der Wiederaufbau hatte demnach etwa sechs Jahre in Anspruch genommen. Procop. Aed. I 10,3 bezeichnet die Chalke als eine der "Schöpfungen" (ἔργα) Justinians, womit er suggeriert, es habe sich um einen vollständigen Neubau gehandelt.
2/6 μουσίῳ: 'Mosaik'. Laut GLRBP s.v. μουσεῖον or μουσῖον (mit Belegstellen) ist μουσῖον itazistische Schreibweise (in der Aussprache begründet) von μουσεῖον; nach dieser Interpretation übernahm der Terminus für 'Museum' (aufgrund einer – freilich nicht ganz leicht nachvollziehbaren – Bedeutungserweiterung) in der spätantike Gräzität auch die Bedeutung 'Mosaik'. Nach Festugière 1978, 229 könnte hingegen μουσῖον das lautliche Resultat der Übertragung des lateinischen Wortes musivum (dessen Etymologie ebenfalls im Dunkeln liegt) ins Griechische sein. Das ist der einzige Beleg für μουσῖον in der Malalas-Chronik; in der Bedeutung 'Mosaik' bzw. 'Mosaiktechnik' kommt sonst μουσάριον vor, in XII 33 (γράψας ἐν αὐτῷ διὰ μουσαρίου τὸν Ὠκεανόν) und XIV 13 (ἐπέγραψεν ἐν αὐτῇ διὰ χρυσέου μουσαρίου ταῦτα).
3/11 περιῃρέθη: Aorist des Verbes περιαιρέω mit Augment, wie üblich bei Verben mit anlautendem Diphthong αι- in der Malalas-Chronik, siehe Merz 1911, 10. Form und Bedeutung ('löschen, aufheben', vgl. Thurn 2000, 490 in Index verborum ad res Byzantines spectantium: "περιαιρέω: tollo") sind dieselbe wie in Malal. XVIII 107 περιῃρέθη τὸ ὄνομα Μηνᾶ.
4/8 νυκτεπάρχου: Das Amt des Nykteparchen (XVIII 18, 3 ) wurde unter Justinian in der Tat abgeschafft und in das eines praetor urbi umgewandelt (u.a. unter Verweis auf die irreführende Bezeichnung, die fälschlicherweise eine nächtliche Tätigkeit suggeriere): Zu dieser Neuordnung Stein 1949, 803f. Die entsprechende Novelle (Nov. XIII) datiert allerdings auf den 15. Oktober 535 und damit nicht weniger als drei Jahre vor den hiesigen Eintrag in der Chronographie. Da im nächsten Satz die in einer Novelle auf März 539 datierte Neueinführung der Magistratur des quaesitor in dasselbe Jahr gelegt wird (XVIII 85, 5 ), ist Malalas' Chronologie hier offenkundig unpräzise. Dass die Neuregelungen bei ihm erst verspätet angekommen sind (vgl. zur Publikation von Gesetzestexten in den Städten des Reiches XVIII 78, 3 ), erscheint angesichts der Widersprüche in der Chronologie als Erklärung in diesem Fall nicht ausreichend. (Jonas Borsch)
5/3 Καὶ τῷ αὐτῷ ἔτει προεβλήθη κοιαίστωρ: Diese Nachricht bezieht sich auf die Neuschaffung des Amtes des quaesitor, eingeführt in Nov. LXXX (10. März 539), wo auch die Funktion näher definiert wird: Angesichts einer großen Zahl von aus den Provinzen in die Stadt drängenden Landbewohnern wird der neue Magistrat damit beauftragt, die Zahl und Herkunft der Neuankömmlinge zu erfassen, diese daran zu hindern, auf den Straßen zu betteln oder zu stehlen und sie, wo immer möglich, an ihren Herkunftsort zurückzuschicken. Sehr unscharf umreißt diese Aufgaben Procop. Arc. XX 9, wenn er behauptet, der quaesitor sei dafür zuständig, Sittenverbrecher zu bestrafen. Dass ein Diskurs über die müßiggängerische Landbevölkerung in der Hauptstadt bestand, bezeugen Ausführungen über die ὄχλοι ἄχρηστοι (die unnützen Mengen) der aus den Provinzen in die Stadt strömenden Landarbeiter in Lyd. Mag. III 70; Lydos zufolge war das zu harsche Vorgehen von vormals inaktiven Magistraten wie den praetores und den quaesitores gegen diese Leute eine der Ursachen für das Ausbrechen eines großen Aufstandes. Letzterer kann nur mit dem Nika-Aufstand identifiziert werden (vgl. Bandy 1983, 342). Ungeachtet der chronologischen Schwierigkeiten, die Lydos' Aussage bereitet, zeigt sie eindeutig, dass Zeitgenossen einen Zusammenhang zwischen den anwesenden Menschenmassen und dem Ausbrechen des Aufstandes sahen. Die hier berichteten Maßnahmen beziehen sich insofern aller Wahrscheinlichkeit nach auf Missstände in der inneren Verwaltung der Hauptstadt, die durch den Nika-Aufstand sichtbar geworden waren: So schon Stein 1949, 455f. Malalas scheint das zu bestätigen, wenn er die Notizen über die Neuordnung der Magistraturen inmitten seines Berichtes über den Wiederaufbau Konstantinopels unterbringt und sie so offenbar zu einem Teil der Nachlese des Aufstandes macht. (Jonas Borsch)
5/7 προεβλήθη: Medium und Passiv des Verbes προβάλλω drücken zu Zeiten der athenischen Demokratie – wenn bezogen auf einen Wahlvorgang – das 'selbst Kandidieren' bzw. 'als Kandidat aufgestellt werden' aus, siehe LSJ s.v. προβάλλω A II 4 u. B 4 mit Belegstellen. In der Kaiserzeit bezeichnet das Verb nicht (mehr) die Kandidatur, sondern die direkte Ernennung zu einem Amt durch die herrschende Macht, siehe GLRBP s.v. προβάλλω 3 mit Belegstellen. Der Indikativ Aorist von προβάλλω kommt in diesem Sinne in der Malalas-Chronik wieder wenige Zeilen später vor, in XVIII 91 Λογγῖνος ἔπαρχος πόλεως προεβλήθη; vgl. auch Malal. XVIII 34 προεβλήθη ἔξαρχος Ῥωμαίων Βελισσάριος und in früheren Büchern die Belege in XVII 12; X 14; IX 2. Das dazugehörige Partizip προβληθείς (bzw. eine dem Satzbau entsprechend deklinierte Form davon) findet sich in Malal. II 13 (προβληθεὶς ἐκ τοῦ ἰδίου αὐτοῦ πάππου τοῦ Κηφέως: Bestimmung des Nachfolgers durch den ausscheidenden alten König); VII 9 (τοῖς παρ’ αὐτοῦ προβληθεῖσιν ὑπατικοῖς ἄρχουσιν τῶν ἐπαρχιῶν); IX 12 (τὸν προβληθέντα πρῴην ὑπὸ τοῦ Καίσαρος); XII 5 (προβληθεὶς ἀπὸ τῶν κτητόρων καὶ τοῦ δήμου παντός). Über die zu dieser späteren Semantik des Verbes προβάλλω gut passende, lange Zeit aber verkannte Bedeutung 'Beförderung, Ernennung zu einem Amt' des Substantivs πρόβλησις in Malal. XVIII 137 siehe jetzt Brandes 2017, 362–364.
Parallelüberlieferung
Procop. Aed. I 10,3; I 10,11–20 Haury; Theoph. 216,24–25 de Boor; Nov. 13; 80; Procop. Arc. XX 9–11; Lyd. Mag. II 29; III 70.
Der Hinweis auf Georg. Mon. 627,3–7 de Boor als Zeuge der Parallelüberlieferung in Thurns Apparat zu diesem Kapitel ist fehl am Platz: Die Georgios-Stelle bezieht sich auf die Einweihung der Hagia Sophia und gehört somit zur Parallelüberlieferung des folgenden Kapitels 86.
Literatur
Bandy (1983): Bandy, A. C.: Ioannes Lydus on Powers or The Magistracies of the Roman State. Introduction, Critical Text, Translation, Commentary, and Indices, Philadelphia, 1983.
Bardill (1999): Bardill, J.: The Great Palace of the Byzantine emperors and the Walker Trust, Journal of Roman Archaeology, 1999, 216-230.
Bolognesi Recchi Franceschini (2003): Bolognesi Recchi Franceschini, E. B.: Das Palastareal in byzantinischer und osmanischer Zeit, Palatia, 2003, 60–69.
Brandes (2017): Brandes, Wolfram: Eine Verschwörung gegen Justinian im Jahre 562 und Johannes Malalas, Carrara, Laura/Meier, Mischa/ Radtki-Jansen, Christine, Die Weltchronik des Johannes Malalas. Quellenfragen, 2, Stuttgart 2017, 357–392.
Chilmead (1691): Chilmead, Edmund: Johannis Antiocheni cognomento Malalae Historia Chronica … nunc primum edita cum Interpret. & Notis Edm. Chilmeadi …, Oxonii, 1691.
Dindorf (1831): Dindorf, Ludwig: Iohannis Malalae Chronographiae ex recensione L. Dindorfii, Bonn, 1831.
Festugière (1978): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. I, Revue de Philologie, 1978, 221–241.
Gizewski (1988): Gizewski, Ch.: Zur Normativität und Struktur der Verfassungsverhältnisse in der späteren römischen Kaiserzeit, München, 1988.
Mango (1959): Mango, C.: The Brazen House. A Study of the Vestibule of the Imperial Palace of Constantinople, Kopenhagen, 1959.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Merz (1911): Merz, Ludwig: Zur Flexion des Verbums bei Malalas, Pirmasens, 1911.
Müller-Wiener (1977): Müller-Wiener, Wolfgang: Bildlexikon zur Topographie Istanbuls. Byzantion, Konstantinupolis, Istanbul bis zum Beginn des 17. Jahrhundert, Tübingen, 1977.
Rochow (1983): Rochow, Ilse: Malalas bei Theophanes, Klio, 1983, 459–474.
Stein (1949): Stein, Ernest: Histoire du Bas-Empire, Tome II. De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), Paris/Bruxelles/Amsterdam, 1949.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Wolf (1911): Wolf, Karl: Studien zur Sprache des Malalas, Tl. 1: Formenlehre, Diss. München, 1911.
Wolf (1912): Wolf, Karl: Studien zur Sprache des Malalas, Tl. 2: Syntax, Diss. München, 1912.