Malalas 18.28 1–7 = 89–95 (Thurn)

Inhalt

Kapitel 28 beschreibt im unmittelbaren Anschluss an Kapitel 27 ein Erdbeben in Laodikeia, das erste, das in dieser Stadt offensichtlich als ein schweres Beben eingestuft wurde. Bei diesem Vorfall stürzte die Hälfte des Ortes ein, dazu die Synagogen der Juden. 7500 Menschen kamen bei dem Unglück zu Tode, der Überlieferung zufolge in der Mehrzahl Juden und nur wenige Christen. Unversehrt blieben die Kirchen.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (89)
Ἐν δὲ τῷ αὐτῷ χρόνῳ συνέβη παθεῖν ὑπὸ σεισμοῦ Λαοδίκειαν τὸ
 
πρῶτον αὐτῆς πάθος· κατηνέχθη δὲ ὑπὸ τοῦ φόβου τὸ ἥμισυ τῆς αὐτῆς
 
πόλεως καὶ αἱ συναγωγαὶ τῶν Ἰουδαίων. ἀπώλοντο δὲ ἐν αὐτῷ τῷ
 
φόβῳ χιλιάδες ἑπτὰ ἥμισυ, Ἑβραίων τε πλῆθος καὶ χριστιανῶν ὀλίγοι·
5 (93)
αἱ δὲ ἐκκλησίαι τῆς αὐτῆς πόλεως ἔμειναν ἀρραγεῖς, περισωθεῖσαι ὑπὸ
 
θεοῦ. δὲ αὐτὸς βασιλεὺς ἐχαρίσατο τοῖς Λαοδικεῦσιν εἰς ἐκχόησιν τῆς
 
αὐτῶν πόλεως κεντηνάρια δύο.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἐν δὲ τῷ αὐτῷ χρόνῳ: Johannes von Ephesos in der Chronik von Zuqnîn (PS.-Dionys.), p. 69 WIT präzisiert: „Am 2. Januar, um die 8. Stunde, im Jahre 529“.
1f./6 συνέβη παθεῖν ὑπὸ σεισμοῦ Λαοδίκειαν τὸ πρῶτον αὐτῆς πάθος: Zu Laodikeia, einer Hafenstadt im nordwestlichen Syrien: VIII 17, 2f.. Die Stadt scheint - im Gegensatz zu anderen Städten in der Levante - nicht ganz so häufig von Erdbeben geschädigt worden zu sein, da es sich hier um das „erste“ nennenswerte Beben handelt.

Aus stilistischer Sicht ist es bemerkenswert, dass der Autor in seiner formellen Ankündigung nicht θεομηνία sondern σεισμός verwendet. Dies ist das einzige Vorkommen der Junktur παθεῖν ὑπὸ σεισμοῦ anstelle von παθεῖν ὑπὸ θεομηνίας: VII 18, 3. Auffällig ist auch, dass der Autor dennoch die figura etymologica παθεῖν ... πάθος verwendet und eine Aufzählung der πάθη (Katastrophen) beginnt, obwohl dies die einzige Katastrophe ist, die für Laodikeia in der Chronographia erwähnt wird. Darüber hinaus ist dies die letzte Okkurrenz dieser figura etymologica: VIII 24, 3f.. (Brendan Osswald)
2f./4 κατηνέχθη δὲ ὑπὸ τοῦ φόβου τὸ ἥμισυ τῆς αὐτῆς πόλεως καὶ αἱ συναγωγαὶ τῶν Ἰουδαίων: Johannes von Ephesos, a.a.O. präzisiert: „Die ganze Stadt wurde vom Tor des Antiochos an zerstört, bis hin zum Judenviertel. Die Erde sank ins Meer. Aber die Bereiche links von der Marienkirche wurden nicht vom Einsturz betroffen“. Auch in seiner Darstellung bleiben also die kirchlichen Bauten verschont, die jüdischen wurden getroffen.
3f./7 ἀπώλοντο δὲ ἐν αὐτῷ τῷ φόβῳ χιλιάδες ἑπτὰ ἥμισυ: vgl. Johannes von Ephesos, a.a.O.: „siebeneinhalbtausend, mindestens, soweit man überhaupt Zählungen anstellte“. Das Beben scheint zumindest in Bezug auf Todesopfer ein ähnliches Ausmaß angenommen zu haben wie dasjenige in Antiocheia, allerdings, wie in XVIII 27 erwähnt, bedeutend weniger Menschenleben gekostet zu haben als dasjenige, das die Region im Jahr 526 traf. Auch können aber Bevölkerungsabwanderung und eine bereits vollzogene Dezimierung der Stadt der Grund für diese Zahl sein.
4/5 Ἑβραίων τε πλῆθος καὶ χριστιανῶν ὀλίγοι: auch hier liefert Johannes von Ephesos präzisere Angaben: Es starben „274 Juden und 40 Christen. Es gab auch Überlebende, aber sie waren schwer verletzt. Aber es tobte kein Feuer bei dieser Zerstörung“. Der Anteil der in diesem Unglück getöteten Juden ist also offenbar höher als der der Christen, deren Bauten verschont geblieben sind. Diese hohe Anzahl der jüdischen Betroffenen kann als Beleg dafür angesehen werden, dass sich in Laodikeia noch immer eine starke jüdische Gemeinde befand. Eine solche wird für diese Stadt bereits in römischer Zeit belegt: Der Kolosser-Brief des Apostels Paulus erwähnt eine solche Gemeinde in Laodikeia, vgl. Kol. 4,13 und Egelhaaf-Gaiser/Schäfer 2002, 89. Durch die Beschreibung, dass die Juden größere Verluste hinnehmen mussten, wird ihnen indirekt an dieser Stelle die Funktion eines „Sündenbockes“ zugespielt: Beben eines solchen Ausmaßes mussten den Menschen unerklärlich erscheinen (vgl. Meier 2004a, 230 und passim mit dem Gedanken, dass traditionelle Erklärungsmuster wie das nahende Ende der Zeiten bzw. das Jüngste Gericht nicht mehr griffen), irgendetwas musste also den Zorn Gottes auf sich gezogen haben: Da die Juden Laodikeias in solch schlimmem Maße bestraft wurden, lag es nahe, dass sie in irgendeiner Form den Zorn Gottes provoziert haben mussten. Die Behauptung also, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark getroffen wurden, diente möglicherweise als Erklärungs- bzw. Bewältigungsstrategie für diese ansonsten so schwer nachvollziehbare Situation.
5/8 ἀρραγεῖς: ἀρραγής in der Bedeutung ‚unzerstört‘ ist in der klassischen Literatur seltener (Arist. Pr. 899b20), in der hellenistischen häufiger (z.B. ἀρραγὴς διέμεινεν ὁ σίδηρος Plu. Demetr. 21) und in der patristischen sowie byzantinischen Literatur wieder seltener belegt (vgl. Lampe und LBG); inschriftlich im Zusammenhang mit Gebäuden (βάσεις, ἁρμοί IG VII 3073,103,117). (Fabian Schulz)
5f./9 περισωθεῖσαι ὑπὸ θεοῦ: In dieser Formulierung zeigt sich, wie Malalas Beschreibung und Interpretation zusammenfallen lässt.
6/9 εἰς ἐκχόησιν: ἐκχόησις ist ein Substantiv zu ἐκχέω, das wie häufig in den Chroniken mit dem Suffix -σις gebildetet ist, vgl. Psaltes (1913), § 386. ἐκχόησις ist ein Hapax, das weder in Inschriften noch in Papyri noch in anderen literarischen Werken, sondern nur bei Malalas bezeugt ist, auch in XVIII 19,5 und XVII 17,2 (allerdings ergänzt). An allen drei Stellen geht es um kaiserliche Rettungsmaßnahmen nach einem Erdbeben, die mit ähnlichem Vokabular beschrieben werden, z.B. immer nach εἰς. Dieser Befund passt zu der feststellbaren Gleichförmigkeit von Malalas’ Erdbebenbeschreibungen, vgl. Jeffreys 1990e, 228. Als Substantive zu ἐκχέω erscheinen im byzantinischen Griechisch sonst ἐκχόϊσμα oder ἐκχοϊσμός (vgl. LBG). (Fabian Schulz)
6f./2 ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς ἐχαρίσατο τοῖς Λαοδικεῦσιν εἰς ἐκχόησιν τῆς αὐτῶν πόλεως κεντηνάρια δύο.: Kentenarien: Lat. centumpondium, Münzeinheit von 100 Libralasse = 100 Pfund. (Fabian Schulz)
Parallelüberlieferung
Io. Eph. 227,4–13; Chron. anon. Pseudo-Dionys. 852; Mich. Syr. IX 21 (195), IX 29 (243);  Chronik von Zuqnin 852.1 (p. 74–75).
Literatur
Egelhaaf-Gaiser/Schäfer (2002): Egelhaaf-Gaiser, Ulrike and Schäfer Alfred: Religiöse Vereine in der römischen Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung, Tübingen, 2002.
Honigmann (1924): Honigmann, Ernst: s.v. Laodikeia am Meere, RE, 1924, 713–718.
Jeffreys (1990e): Jeffreys, Michael: The language of Malalas, 2: Formulaic phraseology, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 225–231.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Meier/Thurn (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik, Stuttgart, 2009.
Mittag (2006): Mittag, Peter: Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Berlin, 2006.
Nabhani (2009): Nabhani, Omar: Städte Syriens im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Freiburg, 2009.
Psaltes (1913): Psaltes, Stamatios B.: Grammatik der byzantinischen Chroniken, Göttingen, 1913.
Roussel (1942): Roussel, Pierre: Décret des Péliganes de Laodicée-sur-Mer, Syria, 1942, 21–32.
Sauvaget (1934): Sauvaget, Jean: Le plan de Laodicée-sur-Mer, Bulletin des études orientales, 1934, 81–114.
Seyrig (1970): Seyrig, Henri: Séleucus I et la fondation de la monarchie syrienne, Syria, 1970, 290–311.
Ziegler (1978): Ziegler, Ruprecht: Antiochia, Laodicea und Sidon in der Politik der Severer, Chiron, 1978, 493–514.