Malalas 18.28 1–7 = 89–95 (Thurn)
πρῶτον αὐτῆς πάθος· κατηνέχθη δὲ ὑπὸ τοῦ φόβου τὸ ἥμισυ τῆς αὐτῆς
πόλεως καὶ αἱ συναγωγαὶ τῶν Ἰουδαίων. ἀπώλοντο δὲ ἐν αὐτῷ τῷ
φόβῳ χιλιάδες ἑπτὰ ἥμισυ, Ἑβραίων τε πλῆθος καὶ χριστιανῶν ὀλίγοι·
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αἱ δὲ ἐκκλησίαι τῆς αὐτῆς πόλεως ἔμειναν ἀρραγεῖς, περισωθεῖσαι ὑπὸ
αὐτῶν πόλεως κεντηνάρια δύο.
Kapitel-Kommentar
Mal. 18.27 - Mal. 18.28
Nach dem Erdbeben in Pompeiupolis (XVIII 19, 1 ) werden in XVIII 27 und 28 erneut Erdbeben und Naturkatastrophen erwähnt, die die Städte Antiocheia und Laodikeia treffen. Der Chronist berichtet in Kapitel 27 von einem schweren Erdbeben in Antiocheia, der Zählung nach das sechste, das erneut durch den Zorn Gottes hervorgerufen wurde. Infolge des Bebens stürzten zahlreiche Gebäude ein, darunter auch die Stadtmauern und einige Kirchen. Bis zu 5000 Menschen kamen ums Leben, zahlreiche flohen aus der Stadt in umliegende Städte oder ins Gebirge, wie der Chronist hier berichtet. Es wurden zudem Trauer- und Bittprozessionen abgehalten; auch in Konstantinopel fanden Bittprozessionen statt. Kapitel 28 beschreibt im unmittelbaren Anschluss ein Erdbeben in Laodikeia, das erste, das in dieser Stadt offensichtlich als ein schweres Beben eingestuft wurde. Bei diesem Vorfall stürzte die Hälfte des Ortes ein, dazu die Synagogen der Juden. 7500 Menschen kamen bei dem Unglück zu Tode; der Überlieferung zufolge in der Mehrzahl Juden und nur wenige Christen. Unversehrt blieben die Kirchen.
Erdbeben spielen in der Darstellung der Geschichte in der Chronographia eine besondere Rolle; zu Erdbeben in der Chronographia: VII 18, 3 : Sie repräsentieren eine Erzählstrategie des Chronisten, dessen Intention es war, das Zeitalter Justinians als ein Zeitalter der „Desaster“ zu zeichnen Meier 2007a, 251. Die Häufung von Katastrophen und Schicksalsschlägen interpretiert der Chronist dabei nicht als Anzeichen einer Endzeit mit einer bevorstehenden Apokalypse, sondern als unmittelbaren Ausdruck göttlichen Unmutes über frevelhaftes, gottvergessenes Verhalten der Menschen (XVIII 19, 1 ). Auch in den hier dargestellten Situationen reagiert der Kaiser in der bereits genannten Weise: Er nimmt sich der vom Unglück Gebeutelten an und lässt ihnen Wohltaten zukommen, im vorliegenden Fall unternimmt er Schenkungen, die den Überlebenden und dem Wiederaufbau der Stadt zu Gute kommen sollen. Dieses Verhalten erweist sich als stereotyp. Der Chronist schildert ein für alle Kaiser gleiches Handlungsschema: Gott straft, sein Stellvertreter auf Erden zeigt Milde und Güte im Angesicht von Not und Unheil. Krisen und Unglücke schaffen wichtige Handlungsoptionen für den Kaiser, die es dem Chronisten erlauben, ihn in das Weltengeschehen einzubinden. Die Darstellung von Güte und Gnade ist dabei also weniger panegyrisch anzusehen, sondern als ausgleichende Komponente einer vorherigen Strafe (Meier 2007a, 256f). (Fabian Schulz)
Erdbeben spielen in der Darstellung der Geschichte in der Chronographia eine besondere Rolle; zu Erdbeben in der Chronographia: VII 18, 3 : Sie repräsentieren eine Erzählstrategie des Chronisten, dessen Intention es war, das Zeitalter Justinians als ein Zeitalter der „Desaster“ zu zeichnen Meier 2007a, 251. Die Häufung von Katastrophen und Schicksalsschlägen interpretiert der Chronist dabei nicht als Anzeichen einer Endzeit mit einer bevorstehenden Apokalypse, sondern als unmittelbaren Ausdruck göttlichen Unmutes über frevelhaftes, gottvergessenes Verhalten der Menschen (XVIII 19, 1 ). Auch in den hier dargestellten Situationen reagiert der Kaiser in der bereits genannten Weise: Er nimmt sich der vom Unglück Gebeutelten an und lässt ihnen Wohltaten zukommen, im vorliegenden Fall unternimmt er Schenkungen, die den Überlebenden und dem Wiederaufbau der Stadt zu Gute kommen sollen. Dieses Verhalten erweist sich als stereotyp. Der Chronist schildert ein für alle Kaiser gleiches Handlungsschema: Gott straft, sein Stellvertreter auf Erden zeigt Milde und Güte im Angesicht von Not und Unheil. Krisen und Unglücke schaffen wichtige Handlungsoptionen für den Kaiser, die es dem Chronisten erlauben, ihn in das Weltengeschehen einzubinden. Die Darstellung von Güte und Gnade ist dabei also weniger panegyrisch anzusehen, sondern als ausgleichende Komponente einer vorherigen Strafe (Meier 2007a, 256f). (Fabian Schulz)
Philologisch-Historischer Kommentar
1f./6 συνέβη παθεῖν ὑπὸ σεισμοῦ Λαοδίκειαν τὸ πρῶτον αὐτῆς πάθος: Zu Laodikeia, einer Hafenstadt im nordwestlichen Syrien: VIII 17, 2f. . Die Stadt scheint – im Gegensatz zu anderen Städten in der Levante – nicht ganz so häufig von Erdbeben geschädigt worden zu sein, da es sich hier um das „erste“ nennenswerte Beben handelt.
Aus stilistischer Sicht ist es bemerkenswert, dass der Autor in seiner formellen Ankündigung nicht θεομηνία sondern σεισμός verwendet. Dies ist das einzige Vorkommen der Junktur παθεῖν ὑπὸ σεισμοῦ anstelle von παθεῖν ὑπὸ θεομηνίας: VII 18, 3 . Auffällig ist auch, dass der Autor dennoch die figura etymologica παθεῖν ... πάθος (VIII 24, 3f. ) verwendet und eine Aufzählung der πάθη (Katastrophen) beginnt, obwohl dies die einzige Katastrophe ist, die für Laodikeia in der Chronographia erwähnt wird. (Brendan Osswald)
Aus stilistischer Sicht ist es bemerkenswert, dass der Autor in seiner formellen Ankündigung nicht θεομηνία sondern σεισμός verwendet. Dies ist das einzige Vorkommen der Junktur παθεῖν ὑπὸ σεισμοῦ anstelle von παθεῖν ὑπὸ θεομηνίας: VII 18, 3 . Auffällig ist auch, dass der Autor dennoch die figura etymologica παθεῖν ... πάθος (VIII 24, 3f. ) verwendet und eine Aufzählung der πάθη (Katastrophen) beginnt, obwohl dies die einzige Katastrophe ist, die für Laodikeia in der Chronographia erwähnt wird. (Brendan Osswald)
3f./7 ἀπώλοντο δὲ ἐν αὐτῷ τῷ φόβῳ χιλιάδες ἑπτὰ ἥμισυ: vgl. Johannes von Ephesos, a.a.O.: „siebeneinhalbtausend, mindestens, soweit man überhaupt Zählungen anstellte“. Das Beben scheint zumindest in Bezug auf Todesopfer ein ähnliches Ausmaß angenommen zu haben wie dasjenige in Antiocheia im vorherigen Kapitel. Beide scheinen nach Angabe des Chronisten bedeutend weniger Menschenleben gekostet zu haben als dasjenige, das die Region im Jahr 526 traf; zu der wohl hyperbolischen Angabe von 250.000 Todesopfern: XVII 16, 42ff. .
4/5 Ἑβραίων τε πλῆθος καὶ χριστιανῶν ὀλίγοι: Nach Johannes von Ephesos starben „274 Juden und 40 Christen. Es gab auch Überlebende, aber sie waren schwer verletzt. Aber es tobte kein Feuer bei dieser Zerstörung“. Der Anteil der in diesem Unglück getöteten Juden ist also offenbar höher als der der Christen, deren Bauten verschont geblieben sind. Diese hohe Anzahl der jüdischen Betroffenen kann als Beleg dafür angesehen werden, dass sich in Laodikeia noch immer eine starke jüdische Gemeinde befand. Eine solche wird für diese Stadt bereits in römischer Zeit belegt: Der Kolosser-Brief des Apostels Paulus erwähnt eine solche Gemeinde in Laodikeia, vgl. Kol. 4,13 und Egelhaaf-Gaiser/Schäfer 2002, 89. Durch die Beschreibung, dass die Juden größere Verluste hinnehmen mussten, wird ihnen indirekt an dieser Stelle die Funktion eines „Sündenbockes“ zugespielt: Beben eines solchen Ausmaßes mussten den Menschen unerklärlich erscheinen (vgl. Meier 2004a, 230 und passim mit dem Gedanken, dass traditionelle Erklärungsmuster wie das nahende Ende der Zeiten bzw. das Jüngste Gericht nicht mehr griffen), irgendetwas musste also den Zorn Gottes auf sich gezogen haben: Da die Juden Laodikeias in solch schlimmem Maße bestraft wurden, lag es nahe, dass sie in irgendeiner Form den Zorn Gottes provoziert haben mussten. Die Behauptung also, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark getroffen wurden, diente möglicherweise als Erklärungs- bzw. Bewältigungsstrategie für diese ansonsten so schwer nachvollziehbare Situation.
5/8 ἀρραγεῖς: ἀρραγής in der Bedeutung „unzerstört“ ist in der klassischen Literatur seltener (Arist. Pr. 899b20), in der hellenistischen häufiger (z.B. ἀρραγὴς διέμεινεν ὁ σίδηρος Plu. Demetr. 21) und in der patristischen sowie byzantinischen Literatur wieder seltener belegt (vgl. Lampe und LBG); inschriftlich im Zusammenhang mit Gebäuden (βάσεις, ἁρμοί IG VII 3073,103,117). (Fabian Schulz)
Parallelüberlieferung
Io. Eph. 227,4–13; Chron. anon. Pseudo-Dionys. 852; Mich. Syr. IX 21 (195), IX 29 (243); Chronik von Zuqnin 852.1 (p. 74–75).
Literatur
Egelhaaf-Gaiser/Schäfer (2002): Egelhaaf-Gaiser, Ulrike and Schäfer Alfred: Religiöse Vereine in der römischen Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung, Tübingen, 2002.
Honigmann (1924): Honigmann, Ernst: s.v. Laodikeia am Meere, RE, 1924, 713–718.
Jeffreys (1990e): Jeffreys, Michael: The language of Malalas, 2: Formulaic phraseology, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 225–231.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Meier/Thurn (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik, Stuttgart, 2009.
Mittag (2006): Mittag, Peter: Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Berlin, 2006.
Nabhani (2009): Nabhani, Omar: Städte Syriens im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Freiburg, 2009.
Psaltes (1913): Psaltes, Stamatios B.: Grammatik der byzantinischen Chroniken, Göttingen, 1913.
Roussel (1942): Roussel, Pierre: Décret des Péliganes de Laodicée-sur-Mer, Syria, 1942, 21–32.
Sauvaget (1934): Sauvaget, Jean: Le plan de Laodicée-sur-Mer, Bulletin des études orientales, 1934, 81–114.
Seyrig (1970): Seyrig, Henri: Séleucus I et la fondation de la monarchie syrienne, Syria, 1970, 290–311.
Ziegler (1978): Ziegler, Ruprecht: Antiochia, Laodicea und Sidon in der Politik der Severer, Chiron, 1978, 493–514.