Malalas 18.34 1–9 = 37–45 (Thurn)

Inhalt

Die Einheit der Lykokraniten wird an die Front abkommandiert, Belisar zum magister militum per Orientem ernannt und Hermogenes auf diplomatische Mission geschickt. (Brendan Osswald)

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

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Ἀκούσας δὲ ὁ αὐτὸς βασιλεὺς τὰ γενόμενα ὑπὸ τῶν Σαρακηνῶν,
 
πέμψας οὐκ ὀλίγην βοήθειαν πεζικὴν ἐκ τῆς Φρυγῶν χώρας, τοὺς λεγομέ-
 
νους Λυκοκρανίτας, ἀπῆλθεν ἐπὶ τὰ Σαρακηνικὰ καὶ τὰ Περσικὰ μέρη. ἐν
 
αὐτῷ δὲ τῷ καιρῷ προεβλήθη ἔξαρχος Ῥωμαίων Βελισσάριος ὑπὸ τοῦ
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αὐτοῦ βασιλέως· ἦν γὰρ διαδεχθεὶς Ὑπάτιος ὁ πατρίκιος, ὁ πρὸ αὐτοῦ
 
ὢν στρατηλάτης, καταπιστευθεὶς δὲ Βελισσάριος τὰ ἐξέρκετα καὶ τοὺς
 
δοῦκας εἰς τὴν κατὰ Περσῶν μάχην. ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ ἐπέμφθη εἰς
 
τὰ Περσικὰ Ἑρμογένης ὁ ἀπὸ μαγίστρων, Σκύθης, ἀνὴρ σοφός <περὶ
 
εἰρήνης>.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἀκούσας δὲ ὁ αὐτὸς βασιλεὺς τὰ γενόμενα ὑπὸ τῶν Σαρακηνῶν: Wie oft befindet sich bei Theoph. 178,15–16 eine genauere Zeitangabe: „im Monat April, in derselben Indiktion“ (April 529). (Christine Radtki mit Olivier Gengler)
2f./1 πέμψας οὐκ ὀλίγην βοήθειαν πεζικὴν ἐκ τῆς Φρυγῶν χώρας, τοὺς λεγομένους Λυκοκρανίτας: Die Lykokraniten ‚Wolfsköpfe‘, die Malalas und Theophanes in Phrygien lokalisieren, werden von Justinian und Prokop in Pisidien angesiedelt (Iust. Nov. 24,1 und Procop. Goth. 7,27,20). Die Provinzen Phrygia I und Phrygia II liegen im Zentrum Kleinasiens, die angrenzende Provinz Pisidia liegt südöstlich. Während die Lykokraniten bei Malalas als Stamm erscheinen, aus dem eine Truppe ausgehoben wird, sind sie bei Justinian eine Räuberbande. In seiner Novelle über den Prätor Pisidiens aus dem Jahr 535 (Iust. Nov. 24,1) kommt Justinian auf die Lykokraniten zu sprechen, um eine ungewöhnliche Maßnahme zu begründen: Die militärische und zivile Befehlsgewalt solle in Pisidien ausnahmsweise in einer Hand konzentriert werden, weil die Provinz eine straffere Führung benötige. Die dortigen großen und bevölkerungsreichen Dörfer weigerten sich nämlich häufig, die Steuern zu zahlen. Außerdem müsse etwas gegen die Verstecke von Dieben und Mördern getan werden, die auf dem Berg namens „Wolfskopf“ eingerichtet seien und „Behausung der Wolfsköpfe“ heißen (τοῖς τε λῃστρικοῖς ἐκείνοις καὶ ἀνδροφόνοις χωρίοις, ἅπερ ἐπί τινος ἀκρωρείας Λύκου κεφαλῆς καλουμένης ἵδρυται Λυκοκρανιτῶν τε οἰκητήριον ὀνομάζεται). Prokop erwähnt die ‚Wolfsköpfe‘ in einem etymologischen Exkurs. Er argumentiert rationalistisch, dass das Kap Skylaion bei Tarent seinen Namen nicht dem theriomorphen Fabelwesen Skylla verdanke, die dort von den Dichtern verortet werde, sondern den an der Meerenge noch heute ansässigen (See-)Hunden. Es folgen weitere Beispiele dafür, dass Personen und Gruppen mit Tiernamen, diese nicht ihrem Aussehen, sondern therionymen Herkunftsorten verdanken, u.a. die Lykokraniten aus Pisidien, die ihren Namen dem gleichnamigen Berg verdankten (ἀλλὰ καὶ Λυκοκρανίτας καλοῦσι τῶν Πισιδῶν τινας, οὐχ ὅτι λύκων κεφαλὰς ἔχουσιν, ἀλλ’ ὅτι Λύκου Κράνα τὸ ὄρος ἐκλήθη, ὃ ταύτῃ ἀνέχει). Die Angabe Prokops deckt sich mit derjenigen Justinians. Obwohl Malalas einen Faible für Etymologien und Ätiologien hat (vgl. Jeffreys/Croke/Scott 1990, 62 und 89), greift er hier auf dieses Erklärungsmuster nicht zurück. Zum Wort βοήθεια: I 9, 3. (Fabian Schulz)
4/5 προεβλήθη: Zum Verb προβάλλω in der Malalas-Chronik XVIII 85, 5. (Fabian Schulz)
4/6 ἔξαρχος Ῥωμαίων Βελισσάριος: Zu Belisar (PLRE IIIA (Belisarius 1), 181–224) und entsprechender Literatur XVIII 4, 5. Als magister militum Orientis übernahm er als Nachfolger des hier auch erwähnten Flavius Hypatios (PLRE II (Fl. Hypatius 6), 577-581) 529 die Führung im um 526–528 ausgebrochenen Krieg gegen die Perser, in dem er 530 bei Dara einen Sieg über die Perser erlangte, 531 am Euphrat jedoch vernichtend geschlagen wurde, was zu einer Abberufung durch den Kaiser führte. Vgl. hier Procop. Pers. I 13.9 mit dem Befehl Justinians an Belisar, die Perser zu bekriegen. Zum schwierigen Verhältnis zwischen Kaiser und Militär im spätantiken römischen Reich siehe Börm 2013.
5/3 ἦν γὰρ διαδεχθεὶς: Imperfekt von εἰμί + Partizip Aorist Passiv dient zur Umschreibung des Plusquamperfekt Passivs, vgl. Psaltes 1913, §344 und Horrocks 2010a, 346. Zur Verwendung des Verbs διαδέχομαι: IX 2, 6f.. (Brendan Osswald)
5f./6 Ὑπάτιος ὁ πατρίκιος, ὁ πρὸ αὐτοῦ ὢν στρατηλάτης: Hierbei handelt es sich um Flavios Hypatios (PLRE II (Fl. Hypatius 6), 577-581), den ältesten der drei Neffen des Anastasios I., Konsul im Jahr 500 n. Chr., ab ca. 516 n. Chr. mit Unterbrechungen magister militum per Orientem (516–518, 520–525 sowie 527–529). Malal. XVII 20 berichtet davon, dass Hypatios vom Kaiser 527 dazu eingesetzt worden sei, die östlichen Bereiche des Reiches vor Sarazeneneinfällen zu schützen, was Hypatios allerdings nicht vermocht hat: wie bereits bei früheren Einsätzen (525 wurde er beispielsweise in eine Korruptionsaffäre verwickelt, vgl. zu Details Meier 2014a) verhandelte er erfolglos mit den Persern und wurde schließlich von Belisar abgelöst. Wohl seit 525 n. Chr. war er patricius (Procop. Pers. I 11,24; Malal. XVII 20; zum Titel an sich: XIII 27, 15) und wurde im Kontext des Nika-Aufstandes im Jahr 532 n. Chr. gegen Justinian zum Kaiser ausgerufen, aber schon zwei Tage später hingerichtet, vgl. u.a. Malal. XVIII 71 und Procop. Pers. I 24,19–31 und 42–56; vgl. auch Meier 2001. Zu den Geschehnissen um die drei Neffen des Anastasios im Nika-Aufstand vgl. die Ausführungen im Kommentar ad Malal. XVIII 22 (Rolle des Probos) sowie den Kommentar ad Malal. XVIII 71). Zu weiteren biographischen Details vgl. Meier 2014a, Greatrex 1996 sowie Cameron 1978 passim. Theophanes gibt in der von ihm verfassten Parallelstelle (genauso wie zur Parallelstelle zu XVII 20) noch ein weiteres biographisches Detail des Hypatios preis, indem er ihn als Sohn des Sekundinos (PLRE II (Secundinus 5), 986) beschreibt, vgl. Theoph. 171,1 bzw. 178,19.

Interessant im Kontext der Figur des Hypatios (ebenso wie seiner Brüder) ist die Situation der Nachfolgeregelung beim Tod Kaiser Anastasios‘, mit dem Probos, Hypatios und Pompeios verwandt waren: Es herrschte „ein gewisses Durcheinander“ beim Ableben des Kaisers, da er keine Vorsorge für diesen Fall getroffen zu haben schien, vgl. De caerim. I 93, Anon. Val. XIII 74–78 sowie Meier 2009, 322f. Zum sich anschließenden Aufstieg des Justin anstelle eines direkten Verwandten des Anastasios vgl. Meier 2009, 322f., Leppin 2011a, 43ff., Croke 2007, passim sowie Meier 2014a, passim mit einer ausführlichen Analyse der Karriere des Hypatios und Überlegungen dazu, warum er und seine Brüder zwar von einer direkten Nachfolge ausgeschlossen wurden, sowohl für Anastasios als auch später Justinian jedoch einen einzukalkulierenden Faktor darstellten. Meier kommt dabei zu dem Ergebnis, dass eine Zugehörigkeit zur kaiserlichen Familie keineswegs eine glänzende politische Karriere garantierte, die Erwartungshaltung der Bevölkerung, welche gerade in Zeiten der Unruhen und des Unmutes gegen den jeweils regierenden Herrscher auf Angehörige der kaiserlichen Familie als alternative Thronprätendenten zurückgriff, jedoch nicht vollständig ignoriert werden konnte. Dies führte dazu, dass der amtierende Kaiser die Mitglieder der (vormaligen) kaiserlichen Familie zumindest nicht gänzlich von der politischen Bildfläche verdrängen konnte, vgl. Meier 2014a, besonders 14f.
6/3 καταπιστευθεὶς δὲ Βελισσάριος τὰ ἐξέρκετα: Καταπιστεύω in der Bedeutung ‚jemandem etwas anvertrauen‘, steht normalerweise mit Dativ der Person und Akkusativ des Objekts (vgl. LSJ II). Obwohl das Verb im Aktiv nicht mit doppeltem Akkusativ konstruiert wird, erscheint hier ein persönliches Passiv mit Akkusativobjekt. Diese Konstruktion von καταπιστεύω, das in der Chronik nur an dieser Stelle vorkommt, ist ausgefallen, aber nicht singulär. Bei Photios findet sich eine Parallele, nur dass statt des Akkusativobjekts ein Infinitiv steht: καὶ τὰ τῆς πόλεως χρήματα διοικεῖν καταπιστευθείς – ‚Er war auch mit der Verwaltung der städtischen Finanzen betraut‘. (Fabian Schulz)
6f./6 τὰ ἐξέρκετα καὶ τοὺς δοῦκας: Der militärische Jargon war wie die Verwaltungssprache von Latinismen geprägt:XVIII 22, 3f.; speziell zu τὰ ἐξέρκετα, das vom lateinischen Wort exercitus abstammt: XVI 3, 12. (Fabian Schulz mit Florian Battistella)
7/7 ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ: Theoph. 178,19 beschreibt es genauer „am 12. Mai“.
8/7 ὁ Σκύθης: Dieser Hinweis meint möglicherweise nicht, dass Hermogenes ein Skythe war, sondern lediglich dass er in der Provinz Skythien geboren war: PLRE IIIA (Hermogenes 1), 590. Über die Skythen: II 3, 9. (Brendan Osswald)
8f./11 <περὶ εἰρήνης>: Thurns Zusatz, der den Grund der Entsendung angibt, ist Theophanes (Theoph. I 178,21–22) entnommen, der wahrscheinlich den ungekürzten Malalas spiegelt. Theophanes berichtet ferner, dass Hermogenes auf seinem Weg in Antiocheia Station machte. Diese Information, die zu Malalas regionalem Fokus passt, könnte späteren Rezipienten überflüssig erschienen sein, was ihre Auslassung im Baroccianus erklären könnte. (Fabian Schulz)
Parallelüberlieferung
Theoph. 178,15–22; Procop., Pers. I 18,9
Literatur
Brands (2003): Brands, Gunnar: Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle, Saale, Wiesbaden, 2003.
Börm (2013): Börm, Henning: Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung. Überlegungen zum Verhältnis zwischen Kaiser und Militär im späten Römischen Reich, Chiron, 2013, 63–126.
Cameron (1978): Cameron, Alan: The House of Anastasius, GRBS, 1978, 259–276.
Chrysos (1992): E. Chrysos: Byzantine Diplomacy, A.D. 300 800, 1992, 25 39.
Clauss (1980): Clauss, Manfred: Der magister officiorum in der Spätantike, 1980.
Croke (2007): Croke, Brian: Justinian under Justin: reconfiguring a reign, Byzantinische Zeitschrift, 2007, 13–56.
Delmaire (1995): Delmaire, Roland: Les Institutions du Bas-Empire Romain de Constantin à Justinien. I: Les Institutions Civiles Palatines, Paris, 1995.
Diebler (1995): Diebler, Stéphane: Les hommes du roi. Sur la représentation souveraine dans les relations diplomatiques entre Byzance et les Sassanides d'après les historiens byzantins du sixième siècle, Studia Iranica, 1995, 187-218.
Greatrex (1996): Greatrex, Geoffrey: Flavius Hypatius, quem vidit validum Parthus sensitque timendum. An Investigation of His Career, Byzantion, 1996, 120–142.
Groß-Albenhausen (1999): Groß-Albenhausen, Kirsten: s.v. Magister officiorum, DNP, 1999, 677–679.
Horrocks (2010a): Horrocks, Geoffrey: Greek: A History of the Language and Its Speakers, Malden, MA/Oxford/Chichester, 2010.
Jeffreys (1990e): Jeffreys, Michael: The language of Malalas, 2: Formulaic phraseology, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 225–231.
Jeffreys/Croke/Scott (1990): Jeffreys, Elizabeth/Croke, Brian/Scott, Roger: Studies in John Malalas, 1990
Krause (2006): Krause, Jens-Uwe: Die Stadt in der Spätantike, Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003, Stuttgart, 2006.
Leppin (2011a): Leppin, Hartmut: Justinian. Das christliche Experiment, Stuttgart, 2011.
Meier (2001): Meier, Mischa: Der 'Kaiser der Luppa'. Aspekte der politischen Kommunikation im 6. Jahrhundert n. Chr., Hermes, 2001, 410–430.
Meier (2003a): Meier, Mischa: Die Inszenierung einer Katastrophe: Justinian und der Nika-Aufstand, ZPE, 2003, 273–300.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Meier (2009): Meier, Mischa: Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches, Stuttgart, 2009.
Meier (2014a): Meier, Mischa: Flavius Hypatius: Der Mann, der Kaiser werden wollte, 2014, 73–95.
Nechaeva (2014): Nechaeva, Ekaterina: Embassies – Negotiations – Gifts. Systems of east Roman Diplomacy in Late Antiquity, Stuttgart, 2014.
Psaltes (1913): Psaltes, Stamatios B.: Grammatik der byzantinischen Chroniken, Göttingen, 1913.