Malalas 17.19 1–10 = 49–58 (Thurn)

Inhalt

Der Abschnitt XVII 19 präsentiert eine Reihe von Nachrichten über Stiftungen des Kaiserpaares Justinian und Theodora, darunter zahlreiche Baumaßnahmen in Antiochia, die womöglich mit der mit dem Brand von 525 (Malal. XVII 14) einsetzenden Serie von Zerstörungen in Verbindung stehen. Die komprimierte Form des Abschnittes spricht dafür, dass hier Maßnahmen zusammengebracht sind, die sich in der Realität über einen längeren Zeitraum hinzogen und entsprechend nicht alleine durch das Erdbeben von 526 (XVII 16), sondern vielleicht erst durch dasjenige von 528 (XVIII 27) nötig geworden sein könnten. Überschneidungen mit von Prokop (aed. II 10) überlieferten, z.T. archäologisch bestätigten Maßnahmen nach dem Persereinfall unter Chosroes I. von 540 könnten sogar dafür sprechen, dass einzelne Maßnahmen erst nach diesem Ereignis vorgenommen wurden.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (49)
Ἔκτισεν δὲ ἐν τῇ αὐτῇ Ἀντιοχείᾳ εὐκτήριον οἶκον τῆς ἁγίας θεοτό-
 
κου καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας, ἄντικρυς τῆς λεγομένης Ῥουφίνου βασι-
 
λικῆς, κτίσας πλησίον καὶ ἕτερον οἶκον τῶν ἁγίων Κοσμᾶ καὶ Δαμιανοῦ.
 
ὡσαύτως δὲ ἔκτισεν καὶ ξενῶνα καὶ λουτρὰ καὶ κινστέρνας. ὁμοίως δὲ καὶ
5 (53)
εὐσεβεστάτη Θεοδώρα καὶ αὐτὴ πολλὰ τῇ πόλει παρέσχεν· ἔκτισεν δὲ
 
καὶ οἶκον τοῦ ἀρχαγγέλου Μιχαὴλ εὐπρεπέστατον πάνυ· ἔκτισεν δὲ καὶ
 
τὴν λεγομένην Ἀνατολίου βασιλικήν, πέμψας τοὺς κίονας ἀπὸ Κωνσταν-
 
τινουπόλεως. δὲ αὐτὴ Αὐγούστα Θεοδώρα, ποιήσασα σταυρὸν πολύ-
 
τιμον διὰ μαργαρίτων ἔπεμψεν ἐν Ἱεροσολύμοις. δὲ αὐτὸς Ἰουστινιανὸς
10 (58)
δωρεὰς κατέπεμψεν πᾶσι τοῖς ὑποτελέσι τῆς Ῥωμαϊκῆς πολιτείας.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἔκτισεν δὲ: Der hier beginnende Abschnitt wird sowohl von Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 243 als auch von Thurn 2000, 351) als eigenes Kapitel gezählt. Diese Einteilung entspricht formal allerdings nicht konsequent dem üblichen Vorgehen, da eine Datierungsformel hier ganz fehlt. Im Gesamtkontext gelesen fällt die Stelle in den Rahmen derjenigen Taten Justinians, die gleich nach dessen Antritt als Mitkaiser (XVII 18) vorgestellt werden: Eine Schenkung an Antiochia, das Erzeugen von Furcht unter Missetätern durch Erlasse in allen Provinzen, dann, im hier Folgenden, die Errichtung von Bauten gemeinsam mit Kaiserin Theodora sowie schließlich Geschenke an alle Untertanen. Damit bestehen für die in diesem Abschnitt vorgestellten Baumaßnahmen, die offenbar thematisch gebündelt berichtet werden, genau genommen nur ein terminus post quem im Jahr 527 und ein terminus ante quem im Jahr 548 (Theodoras Tod).

Es ist bemerkenswert, dass Prokop in de aedificiis (II 10,25 sowie II 10,14) gleich mehrere der hier von Malalas erwähnten Gebäude erneut nennt; auch bei ihm werden sie als Bauten Justinians beschrieben, jedoch ohne Erwähnung Theodoras und mit Datierung in die Zeit nach der abermaligen Zerstörung Antiochias durch Chosroes' Perser 540. Downey 1961, 552f. mit Anm. 207 geht davon aus, dass es sich um einen zweiten – abermaligen – Wiederaufbau derselben Gebäude handelt, den Justinian aus Prestigegründen so rasch als möglich habe vornehmen lassen. Es ist aber vielleicht wahrscheinlicher, dass sich beide auf dieselben Maßnahmen beziehen (Jeffreys 2000, 74f.), die von Malalas, so könnte man angesichts von dessen loser chronologischer Einordnung ergänzen, alle gemeinsam in komprimierter Form zu Beginn von Justinians Regierungszeit präsentiert werden, obwohl sie sich vielleicht über einen längeren Zeitraum hinweg hinzogen bzw. womöglich sogar z.T. erst nach dem Persereinfall vorgenommen wurden. Umgekehrt könnte auch Prokop Baumaßnahmen, die bereits nach den Bebenkatastrophen der 520er Jahre vorgenommen worden waren, auf den Wiederaufbau nach dem Perserinfall bezogen haben – was dann wiederum dafür spräche, dass die entsprechenden Gebäude von Chosroes' Heer niemals zerstört wurden. (Jonas Borsch)
1/7 εὐκτήριον οἶκον: Ein εὐκτήριος οἶκος ist eine "Gebetstätte", i.e. eine Kapelle. Das Neutrum τὸ εὐκτήριον ist ebenfalls in der Chronographia belegt (IV 9, 21–22 und XVI 16,21–22). Vgl. LSJ und Lampe s.v. εὐκτήριος. (Olivier Gengler)
1/9 τῆς ἁγίας θεοτόκου καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας: Gängige Bezeichnung der Mutter Christi, die unter zahlreichen anderen Belegen auch bei Justinian (z.B. [_Edictum rectae fidei_], S. 148 Z. 20–21) zu finden ist. In der Chronographia wird Maria darüber hinaus als ἡ ἁγία παρθένος καὶ θεοτόκος Μαρία (IX 25,3–4) oder einfach ἡ ἁγία θεοτόκος Μαρία (XV 8,13) bezeichnet. (Olivier Gengler)
1f./7 εὐκτήριον οἶκον τῆς ἁγίας θεοτόκου καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας: Eine Kirche der Jungfrau Maria wird in der slawischen Fassung des Berichtes über die Beben- und Brandkatastrophe von 526 unter die zerstörten Gebäude gezählt; zu diesem Bau XVII 16, 35. Es erscheint plausibel, dass es sich dabei um den Vorgängerbau der hier neu errichteten Kirche der "heiligen Gottesgebärerin und ewigen Jungfrau Maria" (τῆς ἁγίας θεοτόκου καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας) handelt (vgl. Mayer/Allen 2012, 108; Todt/Vest 2014, 646). In seinem Bericht über den Wiederaufbau Antiochias nach dem Einfall des Chosroes bezeugt Prokop (aed. II 10,25) die Errichtung eines ἱερὸν ἐνταῦθα τῇ θεοτόκῳ ... μέγα. Mayer/Allen 2012, 108 vermuten, dass Prokop sich auf dieselbe Bautätigkeit bezieht wie Malalas (s. XVII 19, 1 zu den vergleichbaren allgemeinen Beobachtungen zum Abschnitt von Jeffreys 2000), und dass letztere durch das Erdbeben veranlasst wurde – für das Malal. XVII 16 (slav.) explizit die Zerstörung einer Marienkirche bezeugt, während für 540 nichts Entsprechendes aus den Quellen zu entnehmen ist. Da Malalas nicht präzise datiert, ist dieser chronologische Ablauf allerdings nicht sicher. (Jonas Borsch)
2/5 ἄντικρυς τῆς λεγομένης Ῥουφίνου βασιλικῆς: "Gegenüber der so genannten Basilika des Rufinus": Zur Basilika des Rufinus, die im 4. Jahrhundert entstand und von Downey 1961, 621–624 im Stadtteil Epiphania im Bereich der "hellenistischen Agora" vermutet wird, XIII 3, 9. Epiphania wird üblicherweise im Hangbereich am Fuß des Silpios-Berges vermutet: Malal. VIII 21; vgl. Downey 1961, 621; Caire 2019, 175f. Im Zuge jüngerer archäologischer Untersuchungen ist Epiphania allerdings versuchsweise auch ganz außerhalb der Stadt auf dem Gipfel des Staurin-Berges lokalisiert worden, was für unser Verständnis der antiochenischen Topographie erhebliche Konsequenzen hätte: Mayer/Allen 2012, 67 unter Verweis auf Hoepfner 2004. (Jonas Borsch)
3/6 οἶκον τῶν ἁγίων Κοσμᾶ καὶ Δαμιανοῦ: Diese Kirche des Kosmas und Damian, der beiden aus Syrien stammenden wunderheilenden Märtyrer (zu der angeblich durch sie bewerkstelligten Bekehrung des Kaisers Carinus s. XII 36), ist nur durch Malalas belegt. Da dieser die Kirche in der Nähe (πλησίον) der Theotokos-Kirche lokalisiert, könnte sie ebenfalls in Epiphania gelegen haben: XVII 19, 2, vgl. Mayer/Allen 2012, 67. (Jonas Borsch)
4/5 ξενῶνα καὶ λουτρὰ καὶ κινστέρνας: "ein Hospiz, Bäder und Zisternen": Für jede dieser Gebäudeformen finden sich zumindest ungefähre Entsprechungen in Prokops Beschreibung von Justinians Baumaßnahmen nach 540: Vgl. aed. II 10,14 (καὶ βαλανεῖα καὶ ὑδάτων ... πεποίηται, "Auch Bäder und Wasserspeicher entstanden"; φρέαρ τε ὤρυξεν ἐν πύργῳ ἑκάστῳ: "es wurde ein Behälter in jedem Turm [der Stadtmauer] gegraben", Übers. Veh 1970 mit Modif.) sowie die Ausführungen zur Bereitstellung von Häusern und anderem für die Pflege kranker Bettler (und Fremder) Notwendigem in aed. II 10,25. Auch hier erscheint es möglich, dass Malalas dieselben Maßnahmen, die bei Prokop mit einiger Detailfreude berichtet werden, in einer lediglich stärker komprimierten Form bietet. Die Erwähnung einer Geldstiftung für das Hospiz (ξενών) in Mal. XVIII 48 bezeugt, dass ein entsprechender Bau nach dem zweiten schweren Beben von 528 (XVIII 27) existierte, also entweder nicht zerstört worden war oder erst in dessen Folge (neu) errichtet wurde. Zum Begriff und den möglichen Funktionen des ξενών XVIII 48, 1f..

In Opposition zur skeptischen Beurteilung durch Downey 1939 hat Whitby 1989 im Rahmen eines Surveys zur Wasserregulierung am noch aufrecht stehenden sog. "Eisernen Tor" festgestellt, dass sich gerade im Bereich der Wasserversorgung bzw. Hochwasservorsorge die von Prokop berichteten Maßnahmen zumindest im Groben archäologisch bestätigen lassen (vgl. auf Basis neuerer Bauuntersuchungen Brands 2009 mit ähnlichen Ergebnissen). Einer der erhaltenen (bautypologisch schwer datierbaren) Mauerzüge weist durchgehend Türme mit Zisternen auf, was als Beweis für seine Errichtung durch Justinian gesehen worden ist: Brasse 2010, 279, vgl. Brands 2016, 42. (Jonas Borsch)
4/9 κινστέρνας: Aus dem Lat. cisterna als κινστέρνα o. κιστέρνα belegt. Vgl. LBG s.v. κινστέρνα. (Olivier Gengler)
5/1 ἡ εὐσεβεστάτη Θεοδώρα: Zu Justinians Frau Theodora, hier erstmals nach ihrer Erhebung zur Augusta erwähnt, XVIII 24, 1f.. (Jonas Borsch)
6/8 ἔκτισεν δὲ καὶ τὴν λεγομένην Ἀνατολίου βασιλικήν: Hier ist offensichtlich ein Gebäude gemeint, das in der Chronographia bereits früher erwähnt wurde: Über die Errichtung eines als Basilika des Anatolios bezeichneten Gebäudes durch einen magister militum dieses Namens unter Theodosius II berichtet Mal. XIV 13. Es handelt sich mithin implizit um einen Wiederaufbau. Das Gebäude befand sich möglicherweise in der Nähe eines Forums (vgl. Evagr. HE I 18 auf Basis von Malalas), das aber nicht sicher zu identifizieren ist: Downey 1961, 625–627 vermutet hypothetisch die "hellenistische Agora". (Jonas Borsch)
8f./2 ἡ δὲ αὐτὴ Αὐγούστα Θεοδώρα, ποιήσασα σταυρὸν πολύτιμον διὰ μαργαρίτων ἔπεμψεν ἐν Ἱεροσολύμοις: Nur durch die Person Theodoras und den Gegenstand, eine wohltätige Stiftung, mit dem Vorangegangenen verbunden ist der Bericht über die Entsendung eines Kreuzes nach Jerusalem durch Theodora, der in den Rahmen der vielfältig bezeugten Kirchenstiftungen der Kaiserin (bzw. des Herrscherpaares) fällt, vgl. dazu allgemein Leppin 2011a, 78, 199–201. (Jonas Borsch)
9f./7 ὁ δὲ αὐτὸς Ἰουστινιανὸς δωρεὰς κατέπεμψεν πᾶσι τοῖς ὑποτελέσι τῆς Ῥωμαϊκῆς πολιτείας: Auch hier handelt es sich abermals um eine Stiftung, die jedoch nach dem Ortswechsel von Antiochia nach Jerusalem nun offenbar Bewohner des gesamten Reiches betrifft und damit den Katalog von Maßnahmen gebührend abschließt. Die Art der Geschenke wird nicht definiert. (Jonas Borsch)
Parallelüberlieferung
Cramer Anecd. Paris. 2,110,7–9; Joh. Nik. XC,50. Vgl. Procop. aed. II 10,1–25.
Literatur
Brands (2009): Brands, Gunnar: Prokop und das Eiserne Tor. Ein Beitrag zur Topographie von Antiochia am Orontes, Syrien und seine Nachbarn von der Spätantike bis in die islamische Zeit, 2009, 9–20.
Brands (2016): Brands, Gunnar: Antiochia in der Spätantike, Berlin/Boston, 2016.
Brasse (2010): Brasse, Christiane: Von der Stadtmauer zur Stadtgeschichte: Das Befestigungssystem von Antiochia am Orontes, Aktuelle Forschungen zur Konstruktion, Funktion und Semantik antiker Stadtbefestigungen, 2010, 259–282.
Caire (2019): Caire, Emmanuèle: Jean Malalas et la mémoire d’Antioche. Construction de l’espace et du temps dans la Chronique, l’exemple d’Épiphania, Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur, 2019, 171–189.
Downey (1939): Downey, Glanville: Procopius on Antioch : A Study of Method in the "De Aedificiis", Byzantion, 1939, 361–378.
Downey (1961): Downey, Glanville: A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest, Princeton, 1961.
Hoepfner (2004): Hoepfner, Wolfram: Antiochia die Große. Geschichte einer antiken Stadt, Antike Welt, 2004, 3–9.
Jeffreys (2000): Jeffreys, Elizabeth: Malalas, Procopius and Justinian's Buildings, Antiquité Tardive, 2000, 73–79.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Leppin (2011a): Leppin, Hartmut: Justinian. Das christliche Experiment, Stuttgart, 2011.
Mayer/Allen (2012): Mayer, Wendy/Allen, Pauline: The Churches of Syrian Antioch (300–638 CE), Leuven/Paris/Walpole, 2012.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Todt/Vest (2014): Todt, Klaus-Peter; Vest, Bernd Andreas: Syria, Wien, 2014.
Whitby (1989): Whitby, Michael: Procopius and Antioch, The Eastern Frontier of the Roman Empire, 1989, 537–553.