Malalas 18.105 1–3 = 56–58 (Thurn)

1 (56)
Καὶ τῷ ἰουλίῳ μηνὶ συμβολῆς γενομένης ἐξ ἀμφοτέρων τῶν μερῶν
 
ἐμπρησμὸς γέγονεν ἐν τῇ οἰκίᾳ τῇ λεγομένῃ τὰ Πάρδου· καὶ ἐκαύθησαν
 
πολλὰ καὶ ἔπεσαν φόνοι πολλοί.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/2 τῷ ἰουλίῳ μηνὶ: Die Monatsangabe bezieht sich offensichtlich auf dasselbe Jahr wie das vorangegangene Kapitel XVIII 104 (Tod Theodoras). Dort wird der Juni der zehnten Indiktion ([_i.e._] Juni 547) angegeben; allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass dort ein Fehler vorliegt (XVIII 104, 1).
1/5 συμβολῆς γενομένης: _Genitivus absolutus_ mit temporaler Bedeutung: „nachdem sich eine Schlacht zugetragen hatte“. In der Chronographia wird συμβολῆς γενομένης (oder, in der umgekehrten Reihenfolge, γενομένης συμβολῆς) beinahe formelhaft verwendet, siehe Weierholt 1963, 72–73 und die im Text regelmäßig verstreuten Belege: V 6 καὶ γενομένης συμβολῆς, V 13 συμβολῆς γάρ, ὡς ἴστε, Τρώων καὶ Ἑλλήνων γενομένης, ferner V 27, VIII 22, XIV 40, XVIII 21, XVIII 26, XVIII 50, XVIII 71, XVIII 138. Die Formulierung ist auch in früheren Geschichtswerken geläufig, vgl. z.B. Hdt. I 74 u. V 95; Diod. Sic. 36, 2, 6; Hdn. 3, 7, 2 u. 7, 9, 5; besonders häufig ist sie im Werk des Flavios Josephos anzutreffen ([_AJ_] 7, 73; 8, 413; 10, 86 etc.). Im Licht dieser Formel und ihres „Pendants in finiter Form“ ἐγένετο συμβολή (dazu XVIII 108, 1) sind auch die in der Chronographia jeweils einmal belegten Ausdrücke ἀμιξία ἐγένετο (XVIII 99) und τῆς γὰρ ἀμιξίας γενομένης (XVIII 60) zu interpretieren: ἀμιξία ist an diesen zwei Stellen Synonym von συμβολή, siehe dazu XVIII 99, 2 und Festugière 1978, 225.
1/5 συμβολῆς γενομένης ἐξ ἀμφοτέρων τῶν μερῶν: Zu den notorisch unruhigen Zirkusparteien, den Anhängern der großen Rennställe, XVIII 1, 8. Die Spezifizierung ἀμφοτέρων τῶν μερῶν bezieht sich hier wie schon früher (XVIII 99, 2) zweifelsohne auf die Faktionen der Grünen und Blauen, die die beiden anderen Parteien (die der Roten und Weißen) im 6. Jh. marginalisiert hatten.
1/7 ἐξ ἀμφοτέρων τῶν μερῶν: Zur Formel und ihrer Verwendung in der Chronographia: V 6, 3.
2/1 ἐμπρησμὸς: Zu Bränden, die in der Chronographia als typische Stadtkatastrophen regelmäßig berichtet werden, X 10, 26f.. Es gehört zum Standard der entsprechenden Darstellungen, dass Angaben über den Ort bzw. die Ausdehnung des jeweiligen Brandes, häufig auch über dessen Verursacher (XI 4, 9) gemacht werden; die hiesige Passage fügt sich in dieser Hinsicht also in das typische Bild. Das Anzünden von Gebäuden durch die Aufständischen ist für Cameron 1976, 276 Teil eines wiederkehrenden Musters spätantiker Zirkusunruhen.
2/4 τῇ οἰκίᾳ τῇ λεγομένῃ τὰ Πάρδου: Das Haus des Pardos ist nur durch die Chronographia (bzw. die Parallelüberlieferung) bekannt: Mango/Scott 1997, 330, Anm. 4. Die Brandlegungen im Zuge von Zirkusaufständen richteten sich zuweilen gezielt gegen Amtsgebäude insbesondere der Prätoren, häufiger jedoch erscheinen sie laut Cameron 1976, 276 eher wahllos. Vgl. auch ebd. 277: „pointless vandalism“.

Das mediale Partizip von λέγω in der Bedeutung ‚ge-/benannt‘ (~ ὀνομάζω), bezogen auf ein Gebäude und konstruiert mit Genitiv des Gebäudeinhabers o.ä. findet sich auch an anderen Stellen der Chronographia; für Belege XIII 3, 7. Die Existenz dieses Konstrukts legt nahe, dass der in O an dieser Stelle vor dem Genitiv Πάρδου überlieferte Artikel τά korrupt ist und durch einen entsprechenden Genitiv-Artikel ersetzt werden soll. Die Parallelstelle in Theoph. 226, 17 de Boor hat tatsächlich vor dem Eigennamen Πάρδου den Genitiv Plural τῶν. Dass dies die richtige, für den Urtext der Chronographia wiederherzustellende Lesart ist, könnten drei identische Formulierungen in XVIII 135 bestätigen: τῆς οἰκίας τῆς λεγομένης τῶν Ἀππίωνος, τὴν οἰκίαν τὴν λεγομένην τῶν Ἀνδρέου und τὴν οἰκίαν τὴν λεγομένην τῶν βαρσυμίου. Der Genitiv Plural τῶν ist wohl mit Bezug auf die Mitglieder der Familie bzw. des Clans des namentlich genannten Hausherren zu verstehen („nach der Familie des so-und-so“, wie Thurn/Meier 2009, 525 für die drei τῶν + Eigenname-Formel in XVIII 135 übersetzen); zur Formulierung auch XVIII 111, 3.
2/11 ἐκαύθησαν πολλὰ: ἐκαύθησαν, passiver Aorist des Verbes καίω mit reflexivem/intransitiven Sinne: Viele Gebäude ‚brannten ab‘ (eher als ‚wurden verbrannt‘); siehe dazu Merz 1911, 32 mit Sammlung der Belege für die Passivform des Verbes in der Chronographia und zur – nicht immer leicht zu treffenden – Unterscheidung zwischen medialer und genuin passiver Bedeutung. Ein echtes Passiv von καίω findet sich z.B. in XIII 31: Der böse praepositus Rhodanos ἀπηνέχθη εἰς τὴν σφενδόνην τοῦ Ἱππικοῦ καὶ ἐκαύθη, „wurde zur Sphendone des Hippodroms gebracht und verbrannt“.

Der allgemeine Hinweis ἐκαύθησαν πολλά wird in Theophanes’ Version des Ereignisses (die angesichts der Parallelen in Inhalt, Struktur und Vokabular sicher auf die Chronographia zurückgeht: Vgl. entsprechend auch Rochow 1983, 469) weiter präzisiert: τοῦτ' ἔστιν ἀπὸ τοῦ χαλκοῦ τετραπύλου ἕως τῆς λεγομένης τὰ Ἐλευσίας (226,17–18 de Boor, Übs. Mango/Scott 1997, 330: „that is from the Bronze Tetrapylon to the quarter known as Eleusia“). Das Tetrapylon ist (im Gegensatz zum Eleusia-Viertel) in einer größeren Zahl von Texten belegt und stand wahrscheinlich auf einer zentralen Kreuzung im Zentrum der Stadt; konkret kann es zwischen dem Konstantinsforum und dem Forum Tauri verortet werden: Mango 1985, 30f.; vgl. Mango/Scott 1997, 330, Anm. 5.
3/3 ἔπεσαν φόνοι πολλοί: Dass Konflikte zwischen den Zirkusparteien in extreme Gewalt ausarteten, war nichts Außergewöhnliches (vgl. Cameron 1976, 271–278; Greatrex 1997, 64f. zur allgemeinen Typologie). Im hiesigen Fall war der Konflikt offenbar auf die Parteien begrenzt. Von einem Eingreifen der Obrigkeit liest man an dieser Stelle weder in O noch in der Parellelüberlieferung etwas; in anderen Fällen dokumentiert die Chronographia dies hingegen häufig: (XVIII 99, 3f.).

Ähnlich zu ἔπεσαν φόνοι πολλοί, aber nicht identisch, ist die Formel ἐγένοντο φόνοι πολλοί, „es ereigneten sich viele (gewaltsame) Todesfälle/Ermordungen“ am Schluss von zwei anderen Kapiteln zu Naturkatastrophen bzw. Gewaltakten im 18. Buch: XVIII 52 (ἐγένοντο ἀνυδρίαι καὶ κατὰ πόλιν δημοτικοὶ φόνοι) und XVIII 131 (πολλοὶ φόνοι γεγόνασιν, ergänzt aus Kedrenos). Im vorliegenden Ausdruck steht statt γίγνομαι das Verb πίπτω, was zusammen mit dem Substantiv φόνοι eine bemerkenswerte Kombination ist: Was zum ‚Fallen‘ (euphemistisch für ‚sterben‘, vgl. LSJ s.v. πίπτω II fall in battle) kommt, sind selbstverständlich nicht die Ermordungen selbst (= φόνοι), sondern deren Opfer. φόνος bedeutet hier also konkret ‚victime d'un meurtre‘ (so Festugière 1978, 235), nicht die Gewalttat, die zum Tod führt. Diese metonymische Bedeutungsverschiebung von φόνος ist in Passagen wie Eur. Or. 1357 τὸν Ἑλένας φόνον κείμενον und 1491 ἐπὶ φόνῳ ... ματρός (beide aus lyrischen Partien), in denen φόνος ‚Leiche‘ bedeutet, antizipiert. Zum schwachen Aorist von πίπτω (hier ἔπεσαν) in der Chronographia und allgemein zur Verdrängung der starken durch die schwachen Aoristformen in der späteren Gräzität siehe Festugière 1979, 230; Wolf 1911, 67.
Parallelüberlieferung
Theoph. 226, 15–19 de Boor; Cedr. 409.3, 8–13 Tartaglia Theoph. 226, 19–22 de Boor, korrespondiert mit Frag. Tusc. IV, p. 22–23 Mai [das Fragment setzt erst hier an] und hat keine Entsprechung in O
Literatur
Cameron (1976): Cameron, Alan: Circus factions: Blues and Greens at Rome and Byzantium, Oxford, 1976.
Festugière (1978): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. I, Revue de Philologie, 1978, 221–241.
Festugière (1979): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. II, RPh, 1979, 227–237.
Greatrex (1997): Greatrex, Geoffrey: The Nika Riot: A Reappraisal, JHS, 1997, 60–86.
Mango (1985): Mango, Cyril: Le Développement urbain de Constantinople (IVe–VIIe siècle), Paris, 1985.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Merz (1911): Merz, Ludwig: Zur Flexion des Verbums bei Malalas, Pirmasens, 1911.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.
Weierholt (1963): Weierholt, Kristen: Studien im Sprachgebrauch des Malalas, Oslo, 1963.
Wolf (1911): Wolf, Karl: Studien zur Sprache des Malalas, Tl. 1: Formenlehre, Diss. München, 1911.