Malalas 18.106 1–2 = 59–60 (Thurn)

1 (59)
Ἰνδικτιῶνος ιγʹ πρεσβευτὴς Ἰνδῶν κατεπέμφθη μετὰ καὶ ἐλέφαν-
 
τος ἐν Κωνσταντινουπόλει.
Kapitel-Kommentar
Mal. 18.106
Kapitel XVIII 106 informiert über einen ‚indischen‘, d.h. vermutlich aus dem heutigen Äthiopien angereisten Gesandten, der einen Elefanten nach Konstantinopel bringt. In der O-Fassung der Chronographia weist vorliegendes Kapitel markante Ähnlichkeiten mit Kap. XVIII 73 auf: Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ καὶ πρεσβευτὴς Ἰνδῶν μετὰ δώρων κατεπέμφθη ἐν Κωνσταντινουπόλει. Die Unterschiede betreffen die Datierungsformel für die zwei Gesandtschaften (532 vs. 550) und die Art der ‚Begleitung‘ des Gesandten (einmal sind es allgemein δῶρα, i.e. nicht näher definierbare Gesandtschaftsgeschenke; einmal ist es ein Elefant). Sonst sind die Kapitel im Wortlaut identisch. Es sind solche Wiederholungen von Erzählstrukturen und -einheiten, die zum formelhaften Charakter der Sprache entscheidend beitragen (zum Phänomen allgemein Jeffreys 1990e).

Die ursprüngliche Textversion beschränkte sich hingegen (wahrscheinlich) nicht auf diese knappe Notiz, sondern bot eine bewegt(er)e Darstellung des Aufenthalts des Elefanten in der Hauptstadt. Dieser Fassung der Episode nach konnte das Tier nach einiger Zeit nachts aus seinem Stall entfliehen; im Zuge seiner Flucht zertrampelte es Passanten. Textgrundlage für diese Rekonstruktion sind die entsprechenden Passagen in Fragm. Tusc. IV, p. 24 Mai sowie auch Theoph. 227, 4-6 de Boor und Cedr. 409.4, 13–16 Tartaglia; für ihre Zugehörigkeit zur Tradition der Chronographia siehe Mango/Scott 1997, 331 mit Anmerkungen; auch Rochow 1983, 470.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἰνδικτιῶνος ιγʹ: Die Datierung des Ereignisses auf die 13. Indiktion (549/50) wird durch die Parallelüberlieferung in den Fragmenta Tusculana (13. Indiktion) und bei Theophanes (u.a. 23. Regierungsjahr Justinians) bestätigt. Die Fragmenta ergänzen den Oktober als Monat. Bei Theophanes’ Präzisierung des Datums auf den 13. fällt die Zahlenübereinstimmung mit den Indiktionsangaben in Fragm. Tusc. und O auf: Es ist daher nicht ganz auszuschließen, dass es sich bei Theophanes’ Zahl 13 (ιγʹ) um einen ‚Überrest‘ der bei ihm sonst fehlenden Indiktionsangabe handelt.
1/3 πρεσβευτὴς Ἰνδῶν: Das Topo- bzw. Ethnonym Indien/Inder (Ἰνδική/Ἰνδοί) wird in der Chronographia in unterschiedlicher Weise verwendet: Diese Bezeichnungen beziehen sich zwar an mindestens einer Stelle tatsächlich auf die indische Halbinsel bzw. die dort von Alexander dem Großen bekriegten Völker (VIII 3), in den späteren Abschnitten des Werkes werden damit aber v.a. Regionen und Gruppierungen an der Seestraße zwischen Indien und dem Roten Meer bezeichnet, d.h. genauer im nördlichen Äthiopien und auf der südlichen arabischen Halbinsel („auxumitische“ und „homeritische/ameritische“ Inder, dazu XVIII 15, 1f.; vgl. XVIII 9, 56). Es ist wahrscheinlich, dass auch hier eine der beiden letzteren Gruppen gemeint sind. Da mit den Auxumiten im heutigen Äthiopien ein Bündnis bestand sowie angesichts der Art des Geschenkes (ein Elefant), ist es wahrscheinlich, dass der Bericht über den diplomatischen Verkehr sich auf diese bezieht (vgl. auch Mango/Scott 1997, 331, Anm. 2; Leppin 2011a, 281; zur kontroversen Diskussion zusammenfassend mit weiterer Literatur Nechaeva 2014, 199–201).
1f./6 μετὰ καὶ ἐλέφαντος: Im Zuge der in den Quellen wiederholt greifbaren diplomatischen Reisen ostafrikanischer oder südarabischer Gesandtschaften nach Byzanz gehörten exotische Tiere zu den besonders beliebten Gastgeschenken (Nechaeva 2014, 198–202; vgl. Scullard 1974, 200). Möglicherweise für die Zeit unter Anastasius gibt es ein gut dokumentiertes Beispiel einer Gesandtschaft, in deren Zuge zwei Giraffen und ein Elefant aus diesen Regionen über Gaza nach Konstantinopel verbracht worden waren: Vgl. Burstein 1992 mit Quellenmaterial. Der Besitz von Elefanten war ein Privileg des Kaisers (Scullard 1974, 200); allgemein waren diese Tiere in Byzanz wohl äußerst selten gesehen: Burstein 1992, 55. Durch die Parallelüberlieferung in den Fragmenta Tusculana und Theophanes lässt sich die Episode inhaltlich präzisieren: Hier wie dort ist von der öffentlichen Vorführung des Elefanten durch den ‚indischen‘ Gesandten im Hippodrom anlässlich eines Pferderennens die Rede. Die Ergänzung über den Ausbruch des Elefanten aus seinem Stall in der Parallelüberlieferung ([_Fragm. Tusc._] und Theoph.: XVIII 106, 1f.) folgt dort übereinstimmend für März und nach kurzer Unterbrechung durch die Notiz über ein kirchenpolitisches Ereignis im Januar (mit XVIII 107 identisch). Diese Übereinstimmungen deuten klar darauf hin, dass auch der Schluss der Elefanten-Episode auf eine sehr frühe Version der Chronographia zurückgeht und erst im späteren Kürzungsprozess verloren gegangen ist.

Die Formel μετὰ καὶ mit Genitiv fungiert in der Chronographia als eine Art „Pluszeichen“ (so treffend definiert von Rüger 1895, 43 bezüglich XVII 23 ἔτη θʹ καὶ ἡμέρας εἰκοσιδύο μετὰ καὶ τῶν τεσσάρων μηνῶν τοῦ αὐτοῦ ἀνεψιοῦ, Justin regierte neun Jahre und zweiundzwanzig Tage „und die vier Monate ([_scil._] der Mitregentschaft) seines ([_scil._] Justins) Neffen auch dazu“); vgl. z.B. XVIII 24 Θεοδώρα μετὰ καὶ τῶν ἄλλων αὐτῆς ἀγαθῶν ἐποίησε καὶ τοῦτο, „Theodora, neben ihren anderen guten Taten, tat auch dies“ (XVIII 24, 1f.); XVIII 23 γυμνὸς ἔφυγε μετὰ καὶ τῶν τριῶν αὐτοῦ τέκνων, "Er ([_scil._] Eulalios) ergriff die Flucht, nackt, und seine drei Töchter auch noch dazu“.
2/2 ἐν Κωνσταντινουπόλει: Ortsbestimmungen mit ἐν + Dativ an Stellen, wo man klassisch Richtungsangaben mit εἰς + Akkusativ erwartet hätte, d.h. nach ganz geläufigen Verben der Bewegung (‚gehen (nach)‘, ‚schicken/geschickt werden (nach)‘ usw. – hier durch das Verb κατεπέμφθη ausgedruckt), finden sich sehr oft in der O-Version der Chronographia, XVIII 43, 2f..
Parallelüberlieferung
Fragm. Tusc. IV, p. 24 Mai; Theoph. 226, 33–227, 2 de Boor; Cedr. 409.4, 13–15 Tartaglia. Vgl. ferner Theoph. 227,4–6 de Boor; Cedr. 409.4, 15–16 Tartaglia.
Literatur
Burstein (1992): Burstein, Stanley M.: An Elephant for Anastasius: A Note on P. Mich. inv. 4290, Ancient History Bulletin, 1992, 55–57.
Jeffreys (1990e): Jeffreys, Michael: The language of Malalas, 2: Formulaic phraseology, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 225–231.
Leppin (2011a): Leppin, Hartmut: Justinian. Das christliche Experiment, Stuttgart, 2011.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Nechaeva (2014): Nechaeva, Ekaterina: Embassies – Negotiations – Gifts. Systems of east Roman Diplomacy in Late Antiquity, Stuttgart, 2014.
Rochow (1983): Rochow, Ilse: Malalas bei Theophanes, Klio, 1983, 459–474.
Rüger (1895): Rüger, Anton: Studien zu Malalas. Präpositionen und Adverbien. Das 18. Buch. Die konstantinischen Excerpte. Die tuskulanischen Fragmente, Bad Kissingen, 1895.
Scullard (1974): Scullard, H. H.: The Elephant in the Greek and Roman World, Cambridge, 1974.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.