Malalas 18.129 1–7 = 82–88 (Thurn)

Inhalt

Kapitel XVIII 129 dreht sich um einen Einfall der Hunnen und Sklavenen (Slawen) in Thrakien. Der vorhandene Text berichtet von der Auseinandersetzung zwischen Römern und Barbaren bis hin zu letzterer Eindringen in den Bereich hinter den "konstantinopolitanischen Mauern", d.h. die unter Anastasius erbauten bzw. fertiggestellten "langen Mauern" in Thrakien. Die Passage bricht im Codex Baroccianus nach einigen Zeilen wegen eines Seitenausfalles ab; Thurn hat die Passage jedoch durch die entsprechende Stelle bei Theophanes (233 de Boor) ergänzt: Thurn 2000, 421f. Dort findet sich für die ersten Zeilen ein mit dem Codex Baroccianus eng verwandter Text. Daran schließen sich bei Theophanes noch umfassende Ausführungen über die Reaktionen des Kaisers sowie die Abwehr der Eindringlinge durch dessen Feldherrn Belisar an. Inwiefern sein Text auf Malalas zurückgeht bleibt aber unsicher.

(Jonas Borsch mit Olivier Gengler)

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (82)
Μηνὶ μαρτίῳ ἰνδικτιῶνος ζʹ ἐπανέστησαν οἱ Οὗννοι καὶ οἱ Σκλᾶ-
 
βοι τῇ Θρᾴκῃ <πλήθη πολλά>· καὶ πολεμήσαντες πολλοὺς ἀπέκτειναν
 
καί τινας ἐπραίδευσαν· τὸν δὲ υἱὸν Βάκχου <τοῦ πρεσβυτέρου> Σέργιον
 
τὸν στρατηλάτην καὶ Ἐδέρμαν μειζότερον Καλοποδίου ἐπραίδευσαν, λα-
5 (86)
βόντες αὐτοὺς αἰχμαλώτους. ηὗρον δὲ τοῦ τείχους Κωνσταντινουπόλεως
 
τόπους καταπεπτωκότας, κἀκεῖθεν εἰσελθόντες κατέδραμον ἕως τοῦ
 
ἁγίου Στρατονί[κου]***
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ μαρτίῳ ἰνδικτιῶνος ζʹ: Die siebte Indiktion bezieht sich in diesem Fall auf September 558 bis August 559. Malalas' März-Angabe meint also den März des Jahres 559. Sie deckt sich mit der Datierung auf das 32. Regierungsjahr Justinians (April 558 bis März 559) in Theoph. 232,16–21 de Boor. In den ausführlichen Berichten bei Agathias (V 11,5–V 24) und Menander Protektor (Fr. 2,1) fehlen absolute Datumsangaben. Agathias legt seinen Bericht jedoch in das Jahr eines erneuten Pestausbruches (mit hoher Wahrscheinlichkeit desjenigen von 558: Malal. XVIII 127 = Februar 558). Zudem lässt der Verweis auf das Überqueren der zugefrorenen Donau (Agath. V 11,5) auf winterliche Temperaturen schließen. Ein abweichendes Datum hat möglicherweise Victor von Tunnuna, der einen Einfall für das Jahr 560 überliefert (Vict. Tonn. ad ann. 560 = Chron. Min. II 205 Mommsen). Mit Datierung auf 559 Meier 2004a, 669; Sarantis 2016, 336; auf Winter 558/559 Liebeschuetz 2007, 112.
1f./5 ἐπανέστησαν οἱ Οὗννοι καὶ οἱ Σκλᾶβοι τῇ Θρᾴκῃ <πλήθη πολλά>: Die Formulierung mit ἐπανίστημι (= raise in revolt against, cf. LSJ, s.v.) lässt zunächst an eine Erhebung von im Reich ansässigen Gruppen denken; der enge zeitliche Zusammenhang und die weiteren Details des Berichtes bringen die Passage aber sicher mit dem bei Agathias und Menander Protektor berichteten Einfall der hunnischen Kutriguren unter Zabergan (vgl. Stein 1949, 535-540; Lemerle 1954, 286; Ziemann 2007, 99-101; Liebeschuetz 2007, 112; Sarantis 2016, 336-349) in Verbindung. Der Dativ τῇ Θρᾴκῃ dürfte sich demzufolge auf einen Angriff dieser Gruppierungen auf Thrakien beziehen (Thurn/Meier 2009, 520 übersetzen stattdessen "in Thrakien"). Für die Verwendung von ἐπανίστημι im Sinne einer Erhebung von barbarischen Stämmen gegen die Herrschaft Roms (unabhängig von der faktischen Kontrolle Roms über diese Gruppierungen) vgl. schon Malal. XVIII 44, 145.

Die drei wichtigsten Quellen zum Kutrigureneinfall von 558/559, die inhaltlich sehr unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen, sind kürzlich von Sarantis 2016, 336-348 vergleichend analysiert worden; er sieht die vorliegende Malalas-Passage als wichtiges Korrektiv insbesondere gegenüber der Justinian-feindlichen Darstellung bei Agathias (ebd., 342). Agathias bietet einen ausführlichen, literarisch ausgestalteten Bericht, der das leichte Vordringen der Hunnen maßgeblich auf Fehler des Kaisers beim Grenzschutz zurückführt (V 13,5 - 14,5). Demnach hätten sich die Barbaren in drei Abteilungen gespalten, von denen eine in Richtung Griechenland, eine zur thrakischen Chersonnes und eine weitere gegen Konstantinopel gezogen sei. Nur der heroische Einsatz des aus dem Ruhestand herbeigerufenen Belisar mit einigen seiner Veteranen sowie einem zusammengewürfelten Trupp aus Bauern und anderen Zivilisten habe Byzanz in diesem Moment gerettet (V 15,7 - 16,3, V 19,1, V 20,3; dazu Sarantis 2016, 340f.). Auch mit Blick auf die Kämpfe um die Chersonnes hebt Agathias den Befehlshaber Germanicus lobend hervor (V 21,2). Letztlich habe man die Kutriguren jedoch nur durch Lösegeldzahlungen zum Abzug bewegen können (V 23,7-8). Agathias weiß außerdem von einem durch Rom angestifteten Vergeltungsfeldzug durch die ebenfalls hunnischen Utiguren zu berichten (V 25,1-3). Entsprechende Bemühungen vonseiten Justinians bestätigt auch ein Fragment des Menander Protektor, demzufolge die Utiguren sich jedoch zunächst aufgrund der engen ethnischen Bindungen geweigert hätten, gegen andere Hunnen vorzugehen (Men. Prot. Fr. 2,1). Die im Codex Baroccianus erhaltene Malalas-Version hat eine Kurzfassung der Ereignisse um Konstantinopel, die das Vordringen der hunnischen Gruppen in Thrakien, durch die langen Mauern und bis zur Kirche Stratonikos einschließen, bevor das Manuskript wegen eines Seitenausfalls abbricht. Soweit der deutlich längere Bericht bei Theophanes tatsächlich auf Malalas zurückgeht (oder zumindest auf einen Text des 6. Jh.; zur Diskussion XVIII 129, 6f.), lässt sich durch ihn das Eingreifen Belisars grundsätzlich bestätigen (wenngleich es als weniger entscheidend bewertet wird). Von Lösegeldzahlungen ist hier genauso wenig die Rede wie von einem Feldzug der Utiguren; wohl aber bezeugt der Text die Verwüstung des konstantinopolitanischen Umlandes durch die Hunnen noch bis in den August hinein, d.h. noch lange nach dem Eingreifen Belisars. Abhilfe hätten demnach erst Grenzbefestigungsmaßnahmen durch den Kaiser geschaffen. Insgesamt lässt Theophanes das kaiserliche Handeln in einem deutlich positiveren Licht erscheinen als Agathias (Theoph. 233,28 - 234,7 de Boor; vgl. Stein 1949, 539f.; Mango/Scott 1997, 342-344; Liebeschuetz 2007, 112; Sarantis 2016, 346).
2/4 <πλήθη πολλά>: Von Thurn 2000 inseriert (im Sinne von "Gewaltige Massen", siehe Thurn/Meier 2009, 520) aus Theoph. 233,7 de Boor, der für seine Beschreibung der Erhebung die Darstellung des Malalas als seine Hauptquelle benutzt hat. In dieser Hinsicht wirft allerdings Theophanes' Text die Frage nach seiner eigenen Umformung des Malalas-Kapitels und (eventuell) nach der Verfügbarkeit alternativer Quellen auf, die in Bezug zum Problem des ‚Ur-Malalas' steht (siehe dazu auch unten im Kommentar dieses Kapitels). Theophanes folgt den ersten Zeilen von Malal. XVIII 129 mit Sorgfalt (trotz der üblichen Umformung, die auch hier beobachtet werden kann), aber in diesem Fall dokumentieren die anderen Zeugen des Berichtes (Cedr. 677,21, Mich. Syr. IX 33 - die allerdings den Text sicher abkürzen) nicht die Wendung πλήθη πολλά; die Einfügung ist insofern plausibel; man kann aber nicht definitiv ausschließen, dass es sich um eine spätere Ergänzung zu Malalas' Text handelt.
2/4 <πλήθη πολλά>: Dass die Zahl der in das Reich eingedrungenen Angreifer hoch war, lässt sich auch aus Agathias schließen, der eine der insgesamt drei kutrigurischen Abteilungen auf 7000 Berittene beziffert (Agath. V 12,5). Die Schätzung von Sarantis 2016, 339, nach der die Gesamtzahl der Beteiligten mindestens diejenige des früheren Kutrigureneinfalles von 551 (12000 Mann) erreicht habe, erscheint auf dieser Basis durchaus plausibel. Der Bericht bei Malalas (auch im über Theophanes ergänzten Text) beschreibt nur die Auseinandersetzung mit jenen 7000 Mann, die von dem kutrigurischen Anführer Zabergan in Richtung Konstantinopel geführt worden waren.
2/7 πολεμήσαντες: Nach Agathias konnten die Kutriguren zunächst kampflos bis zu den "langen Mauern" und darüber hinaus vordringen (Agath. V 13,5). Malalas' Darstellung korrigiert diese Version insoweit, als die Hunnen zwar offensichtlich auf römische Einheiten trafen, diesen jedoch schwere Verluste beibrachten und zahlreiche von ihnen - darunter auch einige von hohem Rang - gefangennehmen konnten: Vgl. Mango/Scott 1997, 343, Anm. 8; Sarantis 2016, 342.
3/3 ἐπραίδευσαν: Lateinisches Lehnwort von praedari bzw. praeda: II 7, 15. Normalerweise wird πραιδεύω in der Chronographia im Sinne von "plündern, berauben" in Verbindung mit dem Akkusativ zur Angabe der geplünderten Orte und Objekte (τὴν χώραν/τὴν πρώτην Συρίαν/...) verwendet. Die Menschen, die eventuell Subjekt der passiven Form sein können, sind die, die beraubt werden (vgl. z.B XVI 17). Bei Malalas XVIII 129, der hier betrachteten Stelle, findet man jedoch gleich zweimal πραιδεύω im Sinne von "abfangen": Diese außergewöhnliche Bedeutung wird durch die anschließende Erklärung λαβόντες αὐτοὺς αἰχμαλώτους sowie durch Theophanes' Umformulierung und Ersetzung von ἐπραίδευσαν durch ἐπίασαν (233, 6 de Boor) bestätigt. (Laura Carrara)
3/5 δὲ: Zu Malalas' übermäßiger Verwendung von δέ siehe Festugière 1979, 234.
3/10 Σέργιον: Sergios, Sohn des Bakchos (PLRE IIIB (Sergius 4), 1124-1128) war ein Neffe des umstrittenen Prätoriumspräfekten in Africa, Solomon († 544). Von 543 bis 544 fungierte er als Statthalter (vermutlich im Rang eines dux) in Tripolitanien; 544 folgte er seinem Onkel als praefectus praetorio Africae nach - Prokop zufolge (BV II 22,2) zum großen Unglück der Provinz. 545 wurde der Oberbefehl über Africa geteilt, bald darauf Sergios ganz abberufen. Bei seiner hier von Malalas berichteten Gefangennahme im Jahr 559 trug er den Titel eines patricius (Vict. Tonn. a. 559), während ein militärisches Amt für diese Zeit nicht mehr überliefert ist. Neben Malalas weiß auch Agathias über das Schicksal des Sergios zu berichten, den er als General bezeichnet und der, - nachdem die Kutriguren bei allen ihren Unternehmungen Rückschläge hätten hinnehmen müssen - einer der zahlreichen Gefangenen gewesen sei, die gegen Lösegeldzahlungen freigelassen wurden. Erst kurz zuvor sei er demnach "aufgrund eines unglücklichen Schicksals" (ἀπαισίᾳ τινὶ χρησάμενος τύχῃ) in Gefangenschaft geraten (Agath. V 23,8) - Agathias schweigt also auch hier über die von Malalas in diesem Zusammenhang erwähnten Kampfhandlungen (vgl. XVIII 129, 2). Ob Sergios und der weitere von Malalas erwähnte prominente Römer, Edermas (XVIII 129, 4), den Kutriguren tatsächlich gezielt mit Truppen entgegengesandt worden waren, wie Sarantis 2016, 342 und 373 annimmt, ist jedoch auch aus Malalas' Text nicht eindeutig zu erschließen.
4/4 Ἐδέρμαν μειζότερον Καλοποδίου: Zu Edermas, der nur hier (und, aus Malalas schöpfend, in Theoph. 233 de Boor) erwähnt ist, PLRE IIIA (Edermas), 434f. In welchem Verhältnis er zum nachfolgend erwähnten Kalopodios stand, ist aufgrund der unklaren Textüberlieferung ungewiss: Die Übersetzung von μειζότερον Καλοποδίου mit "älterer Sohn des Kalopodios" (Thurn/Meier 2009, 520) bringt angesichts des Eunuchenstatus des letzteren Probleme mit sich, während die Bezeichnung von Edermas als στρατηγὸς Καλοποδίου bei Theophanes keiner bekannten Funktion entspricht. Als plausibelste Lösung erscheint es, dass Malalas hier den lateinischen Titel maior domo (des Kalopodios) ins Griechische übertragen hat, was von Theophanes nicht mehr verstanden und deshalb in die allgemeine Bezeichnung στρατηγός umgewandelt wurde: XVIII 129, 4.
4/5 μειζότερον: Morphologisch ist μειζότερος der "fortgesetzte Komparativ" von μέγας, der aus der alten Form auf -ων durch Hinzufügung der Endung -τερος entstanden ist: Siehe dazu Psaltes 1913, 190. Der Sinn von μειζότερος ist hier nicht klar, da die Bedeutung des Adjektivs μείζων aufgrund des Kontextes variiert. Gegen eine Übersetzung als "älterer Sohn" (des Kalopodios) spricht der Umstand, dass Kalopodius als Cubicularius Eunuch war: Siehe dazu PLRE IIIA (Edermas), 434f.; Thurn/Meier 2009, 520 (auch wenn nicht auszuschließen ist, dass Edermas bereits Kinder gezeugt hatte, bevor er sich entschloss, Eunuch zu werden). Stattdessen könnte das Adjektiv μειζότερος in Bezug auf sein lateinisches Äquivalent maior interpretiert werden, d.h. im Sinne von maior domo von Kalopodios. Allerdings fehlen die Parallelwendungen dazu, und diese Deutung scheint auch im Lichte von Theophanes' Text (233,7 de Boor) problematisch, da dort Edermas als ὁ στρατηγὸς Καλοποδίου bezeichnet wird. Es ist möglich, dass die Form στρατηγός im Theophanes-Text aus Teophanes' eigener Interpretation von Malalas stammte (vielleicht kannte er das Wort μειζότερος im Sinne von maior domo nicht); allerdings bleibt eine reine Äquivalenz zwischen μειζότερος und στρατηγός unplausibel, da es keine Vorstellung von 'στρατηγός von jemandem' gab: Vgl. dazu PLRE IIIA (Edermas), 434f. und Mango/Scott 1997, 342, Anm. 6, die vorschlagen, dass der ursprüngliche Text des Malalas etwas wie Ἐδέρμαν {στρατηγὸν καὶ} μειζότερον Καλοποδίου geboten haben könnte.
4/6 Καλοποδίου: Kalopodios wird von Theophanes 233,8 de Boor als ὁ ἐνδόξοτατος κουβικουλάριος καὶ πραιπόσιτος, "der illustreste cubicularius und praepositus" beschrieben; zu dieser Rolle siehe Guilland 1967, 269-82. Im Gegensatz zu Bacchus' Beschreibung als πρεσβύτερος schlagen die Editoren hier keine Einfügung aus Theophanes vor, vielleicht aufgrund der problematischen Lage des Satzes (XVIII 129, 4). Falls allerdings alle bei Theophanes zu findenden Zusatzinformationen aus einer einzigen Quelle stammen und falls diese Quelle mit dem sogenannten ‚Ur-Malalas' zu identifizieren ist, sollten die Beschreibungen der Rollen der gefangengenommenen Soldaten vielleicht einheitlicher behandelt werden.
5/4 ηὗρον: Zum gelegentlichen Verlust des Augments bei Malalas siehe Merz 1911, 9-15. Eine gewisse Verschiedenheit weist das Augment der mit εὐ- anlautenden Verben auf, besonders im Fall des Verbs εὑρίσκω: Formen mit dem Augment sind in Malalas dokumentiert; anscheinend zieht er aber augmentlose Formen (εὗρον, εὗρε, ἐξεῦρε, ἐφεῦρε usw.) vor.
5/7 τείχους Κωνσταντινουπόλεως: Die "konstantinopolitanische Mauer" ist sicher mit der sogenannten anastasianischen Mauer in Thrakien zu identifizieren, die von Theophanes explizit bei diesem Namen genannt wird (τείχους τοῦ Ἀναστασιακοῦ statt τείχους Κωνσταντινουπόλεως) und bei Agathias unter der Bezeichnung "lange Mauern" erscheint (V 13,5). Die Sperrmauer, die wahrscheinlich unter Anastasios fertiggestellt, deren Bau aber möglicherweise bereits unter dessen Vorgängern begonnen wurde, durchzieht die konstantinopolitanische Halbinsel etwa 65 km westlich der Stadt auf einer Länge von 45 km. Sie gehört zu den größten Anlagen ihrer Art und ist heute noch auf knapp der Hälfte ihrer Länge überirdisch erhalten. Vgl. Croke 1982b; Crow 1995; Crow 2013. Die Schäden an der Mauer, die es den Angreifern erlaubten, diese gefahrlos zu durchqueren, werden von Theophanes auf das vorangegangene Erdbeben (wahrscheinlich dasjenige vom Dezember 557: Malal. XVIII 124 = Theoph. 231 de Boor) zurückgeführt. Hier liegt abermals ein Korrektiv zu Agathias vor, der das Erdbeben gar nicht erwähnt und stattdessen erklärt, die Pflege der Mauer sei vernachlässigt worden und diese daher zerfallen gewesen (Agath. V 13,5; vgl. Mango/Scott 1997, 343, Anm. 8).
5/8 Κωνσταντινουπόλεως: Theophanes nennt die Mauer nicht 'konstantinopolitanisch' (wie im Baroccianus zu lesen ist), sondern 'anastasianisch' (τοῦ τείχους τοῦ Ἀναστασιακοῦ, 233,9 de Boor). Es ist deswegen plausibel, dass die aktuelle Lesart aus einer späten Vereinfachung resultiert (obwohl die Möglichkeit, dass diese alternative, präzisere Benennung der Mauer als 'anastasianisch' aus einer anderen Quelle stammt, nicht komplett ausgeschlossen werden kann).
6/2 καταπεπτωκότας: In Theoph. I 233,10 de Boor wird καταπεπτωκότας von ἐκ τῶν σεισμῶν ("auf Grund der Edbeben") erklärt; auch hier bleibt es schwierig zu entscheiden, ob Theophanes' Zusatzinformationen aus dem ‚Ur- Malalas' stammen oder aus alternativen Quellen.
6f./6 ἕως τοῦ ἁγίου Στρατονί[κου]***: Nach den Buchstaben Στρατονί- (d.h. am Ende von Folio 317v) fehlen im Baroccianus gr. 182 max. zwei Blätter, um die letzte Quaternio des Einbands zu vervollständigen: siehe dazu Neumann 1880, 358 mit Jeffreys 1990f, 246 und Anm. 3 und Thurn 2000, 11* (Weierholt 1963 behandelt das Problem nicht); XVIII 145, 10. Die mechanische Lücke wird in Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986 sowie in Thurn 2000 durch Theophanes 233,11 - 234,12 de Boor ergänzt, der allerdings wahrscheinlich Malalas' Sprache partiell umformt (s. unten).

Beim St Stratonikos handelt es sich um eine Kirche an der Via Egnatia zwischen dem Hebdomon und Rhegion, d.h. wenige Kilometer westlich von Konstantinopel in der Küstenregion des Marmarameeres: Mango 1985, 32f.; Mango/Scott 1997, 343 Anm. 16. Laut Theoph. 231, 22–25 de Boor hatte das Erdbeben von 557 (XVIII 124, 1) Rhegion und die dort lokalisierten Kirchen von St. Stratonikos und St. Kallinikos bis zum Fundament zerstört (dazu XVIII 124, 6).

In der Version dieses Berichtes bei Theophanes dringen die Angreifer zunächst bis zu den Orten Drypia, Nymphai und Chiton vor, besiegen dann an den langen Mauern eine Abteilung von scholarii, werden jedoch bei Chiton von einem notdürftig zusammengestellten Aufgebot Belisars durch eine List in die Flucht geschlagen und ziehen sich erst von dort aus in die Gegend von St. Stratonikos zurück. Dies alles ordnet Theophanes chronologisch noch vor dem Osterfest (April) ein, d.h. er beschreibt wohl Ereignisse weniger Monate oder Wochen. Der Umstand, dass die Erwähnung der Gegend von St. Stratonikos bei Theophanes erst nach längeren Ausführungen über Kriegshandlungen folgt, erlaubt die Vermutung, dass die Version des Codex Baroccianus an dieser Stelle starke Kürzungen enthält. Der von Thurn ergänzte Theophanes-Text kann, wenn überhaupt, dann erst nach der Erwähnung von St. Stratonikos als Fortsetzung des Malalas-Textes gelesen werden. Welche Bestandteile des weiteren Theophanes-Textes ursprünglich auf den fehlenden Seiten des Codex Baroccianus enthalten waren und inwiefern beide Versionen mit einem etwaigen "Ur-Malalas" korrespondieren, ist letztlich kaum zu klären: Die fehlenden Passagen im Oxforder Codex dürften jedenfalls in ihren Formulierungen deutlich von Theophanes abgewichen sein (XVIII 133, 1). Ob beide Versionen auf Malalas selbst, auf einen etwaigen anonymen Fortsetzer oder eine gemeinsamen Quelle zurückgehen, bleibt Spekulation. Als die sicherste Lösung erscheint es hier weiterhin, nur den explizit unter dem Namen Malalas enthaltenen Text im Codex Baroccianus als Teil der Chronographie zu bewerten. (Jonas Borsch, Olivier Gengler mit Lea Niccolai)
Parallelüberlieferung
Theoph. 233,4–11 de Boor (entspricht Malal. XVIII 129), Theoph. 233, 11–234,12 de Boor (Fortsetzung); Cedr. 677,20-678,14 Bekker = 417,2 Tartaglia (nach Weiss 1988, 46 aus Theophanes); Men. Prot. II 1,13-32. Syr.: Mich. Syr. IX 33 (269). Vgl. Vict. Tonn. ad a. 560 = Chron. Min. II 205 Mommsen; Agath. V 11,5–V 25.
Literatur
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Crow (2013): Crow, J. G.: Fortifications and the Late Roman East: From Urban Walls to Long Walls, War and Warfare in Late Antiquity: Current Perspectives, 2013, 397–432.
Curta (2001): Curta, F.: The Making of the Slavs, Cambridge, 2001.
Festugière (1978): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. I, Revue de Philologie, 1978, 221–241.
Guilland (1967): Guilland, R.: Recherches sur les Institutions Byzantines, Berlin, 1967.
Lemerle (1954): Lemerle, Paul: Invasions et migrations dans les Balkans depuis la fin de l'époque romaine jusqu'au VIIIe siècle, Revue historique, 1954, 265–308.
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Litavrin (1991): Litavrin, G. G.: Ioann Malala, Svod drevnejšich pis'mennych izvestij o slavjanach, 1991, 265–275.
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Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.
Weierholt (1963): Weierholt, Kristen: Studien im Sprachgebrauch des Malalas, Oslo, 1963.
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