Malalas 18.79 1–2 = 41–42 (Thurn)

Inhalt

Knapper Bericht über ein angsteinflößendes, aber nicht schädliches Erdbeben in Antiochia.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

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Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Καὶ μετ᾽ οὐ πολὺ: „kurz darauf“, mit πολύ adverbial und mit Zeitbezug, wie nicht unüblich in solchen adverbialen Ausdrücken: vgl. LSJ s.v. πολύς IV, mit Beispielen (ἐπὶ πολύ, εἰς πολύ usw.) und Belegen. Das ist der einzige Beleg für μετ’ (οὐ) πολὺ in der Malalas-Chronik (zumindest laut der Version von O: Theoph. 164,8 de Boor und Cedr. 396.6, 65 Tartaglia bieten οὐ μετὰ πολύ an einer Stelle, wo die Handschrift O μετὰ χρόνον hat, vgl. Malal. XVI 20, Z. 57). Mit der Angabe μετ’ οὐ πολύ wollte Malalas offenbar die sehr kurze Zeitspanne zwischen diesem Erdbeben und dem im vorausgehenden Kapitel geschilderten Ereignis (Erlass des sog. theopaschitischen Edikts durch Justinian) besonders hervorheben: Zu den möglichen Implikationen dieser engen Verbindung der Fakten sowie zur absoluten Chronologie siehe den historischen Kommentar XVIII 79, 1.
1/2 μετ᾽ οὐ πολὺ: Das Ereignis wird von Malalas nach dem Orthodoxie-Edikt Justinians vom 20. November 533 n. Chr. (erwähnt ohne dezidierte Datierung in Malal. XVIII 78) und vor Geldspenden bzw. Begnadigungen von Verbannten anlässlich von Justinians drittem Konsulat (Januar – Dezember 533; XVIII 80) platziert. Daraus müsste man auf eine Datierung des Bebens zwischen Ende November und Jahresende 533 schließen, wofür auch der Anschluss καὶ μετ᾽ οὐ πολὺ ("und kurz darauf [i.e. nach dem Edikt]") spräche. Anzumerken ist jedoch, dass der am nächsten liegende Anlass für Zuwendungen und Amnestien während eines Konsulats der Amtsantritt wäre, was dann eine Datierung des nachfolgenden Kapitels XVIII 80 auf Januar 533 nahelegen würde. Auf die Annahme eines terminus ante quem am Jahresbeginn 533 geht wohl auch die Datierung des Bebens auf 532 n. Chr. bei Capelle 1924, 356 und Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 326 zurück. Mit Einordnung in das Jahr 533 Meier 2004a, 662; auf den terminus post quem 20.11.533 aufbauend Ambraseys 2009, 196 mit Datierung in das Jahr 534. Unentschieden Downey 1961, 533 mit Anm. 136, der die zehnte und zwölfte Indiktion als Rahmendaten nennt und das Beben auf dieser Basis grob zwischen (September) 531 und (August) 534 einordnet. Jeffreys 1990b, 158 datiert unter Verweis auf den Kontext bei Theophanes (wo das Beben jedoch unerwähnt bleibt) auf 536/537. Keine Erwähnung findet das Ereignis merkwürdigerweise in den Listen von Hermann 1962, 1110 und Guidoboni 1989, 695f. Womöglich könnte die Chronologie des Malalas hier aber von vorneherein unpräzise gewesen sein, sodass eine Rechnung mit terminus post oder ante quem nur bedingt sinnvoll ist: Vgl. dazu XVIII 77, 1.

Dieses Erdbeben wird von Odorico 1995, 314 wie schon die Beben in XVIII 55 oder XVIII 77 mit einem chronologisch nahe liegenden Ereignis, hier dem vorangegangen berichteten Orthodoxie-Edikt, in Verbindung gebracht. Odorico versteht seine Platzierung an dieser Stelle gewissermaßen als auktoriale "Stellungnahme". Es ist in diesem Kontext durchaus bemerkenswert, wenn Malalas hier seine standardisierten chronologischen Formulierungen durchbricht und erklärt, das Beben habe sich "kurz darauf" (μετ᾽ οὐ πολὺ), also in unmittelbarer chronologischer Nähe zum Edikt, ereignet. Dem zeitgenössischen Publikum konnte dies eine auch kausale Nähe suggerieren.
1/5 σεισμὸς ἐγένετο: Die Formel σεισμός + eine Form des Verbes γίγνομαι wird ab XVIII 55, 1 zur Verzeichnung eines Erdbebens verwendet. (Laura Carrara)
1/7 φοβερὸς: Der φόβος bildet ein Schlüsselwort in den letzten Büchern der Chronographia. Das Erzeugen von Angst durch Gott und den Kaiser kann bei Malalas dezidiert positiv im Sinne einer läuternden Wirkung interpretiert werden: XVII 4, 2. (Jonas Borsch)
1/9 Ἀντιοχείᾳ: Antiochia wird in der Chronographia so häufig mit Erdbeben in Verbindung gebracht wie sonst nur Konstantinopel (s. VII 18, 3). Zur Stadtgeschichte VIII 12, 23. Auffällig an diesem Bebenereignis ist, dass die Zählung der Erdbeben, die gerade für Antiochia bis hierhin ein konstitutives Darstellungselement bildete (so zuletzt in XVIII 27: παθεῖν Ἀντιόχειαν τὸ ἕκτον αὐτῆς πάθος – "erlitt Antiochia sein sechstes Unglück"), hier nicht mehr fortgeführt wird. Als Erklärung wäre vielleicht denkbar, dass der weniger schwerwiegende Charakter des Bebens es nicht als πάθος qualifizierte, es also schlicht nicht katastrophal genug war, um in die Liste aufgenommen zu werden. Man könnte jedoch auch an einen Quellenwechsel denken – endete hier die von Jeffreys 1990b, 159 vermutete archivarisch verwahrte Erdbebenliste?

Bemerkenswert ist der Umstand, dass Malalas Antiochia ab dieser Stelle nur noch zwei weitere Male (XVIII 87 und XVIII 112) erwähnt (Saliou 2016, 61f.). In diesem Umstand zeigt sich besonders deutlich der von Croke 1990c, 22 und Jeffreys 1990b, 161f. hervorgehobene Wechsel des räumlichen Fokus in Richtung Konstantinopel (vgl. auch Jeffreys 2003, 500; Thurn/Meier 2009, 24).
(Laura Carrara mit Brendan Osswald)
1/11 μεγάλῃ: Zum Beinamen μεγάλη für Antiochia (und sekundär auch für andere Städte) in der Malalas-Chronik siehe den philologischen Kommentar XVIII 41, 1f..
2/1 ἀβλαβής: Die Verwendung von ἀβλαβήs in der aktiven Form überrascht an dieser wie auch an der anderen sicher nachweisbaren Belegstelle (XVIII 123; dazu XVIII 79, 2) insofern, als sie in Verbindung mit der Qualifizierung des Bebens als φοβερός begegnet: Das unterstreicht den 'Fingerzeig'-Charakter des Bebens, das durch den ausgelösten Schrecken dazu geeignet ist, einen Läuterungsprozess in Gang zu setzen, ohne aber effektiv Schaden anzurichten. Gerade in einem solchen Beben manifestiert sich damit in besonders deutlicher Weise das göttliche Wirken.
2/1 ἀβλαβής: Das Adjektiv ἀβλαβής ist in der Malalas-Chronik nur viermal belegt. Zweimal wird ἀβλαβής im aktiven Sinne verwendet (‚unschädlich, harmlos‘, vgl. LSJ s.v. ἀβλαβής II), beide Male in Verbindung mit φοβερός und zur Qualifizierung eines Erdbebens: vgl. neben diesem Kapitel noch Malal. XVIII 123 γέγονε σεισμὸς φοβερὸς καὶ ἀβλαβής. Vgl. auch Chron. Pasch. 629,11 Dindorf γέγονε σεισμὸς μέγας ἀβλαβής, wo vielleicht die ursprüngliche Malalas-Beschreibung jener Bebenepisode vorliegt, die in Malal. XVIII 77 in knappen drei Zeilen berichtet wird: siehe dazu den philologischen Kommentar XVIII 77, 3 und den historischen Kommentar XVIII 77, 1. Die zwei anderen Belege für ἀβλαβής kommen in Malal. VIII 3 (Alexander der Große zur Königin Kandake) ὁ δὲ Ἀλέξανδρος εἶπεν αὐτῇ· ‘διὰ τὸ σπουδαῖον καὶ περίεργον τῆς φρονήσεώς σου ἀβλαβῆ σε φυλάξω κτλ.ʼ und Malal. XVII 16 (nach dem Großbeben in Antiochia 526 n. Chr.) πολλαὶ δὲ γεννήσασαι εἰς τὴν γῆν κάτω ὑπὸ τὰ χώματα ἀνῆλθον … σὺν νηπίοις ἀβλαβεῖς vor und haben passiven Sinne: ‚unbeschädigt, unversehrt‘, vgl. LSJ s.v. ἀβλαβής I.
Parallelüberlieferung
keine
Literatur
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Festugière (1978): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. I, Revue de Philologie, 1978, 221–241.
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Guidoboni/Comastri/Traina (1994): Guidoboni, Emanuela/Comastri, Alberto/Traina, Giusto (Hrsg.): Catalogue of ancient earthquakes in the Mediterranean area up to the 10th century, Rom, 1994.
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Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.