Malalas 16.12 1–9 = 71–79 (Thurn)

1 (71)
Ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς κουφίσας Ἰωάννην τὸν Παφλαγόνα ἐκ τοῦ
 
τρακτεύειν τὰ δημόσια χαρτία τοῦ πραιτωρίου τῶν ἐπάρχων ἐποίησεν
 
αὐτὸν ἀπὸ ὑπάτων, ἀντ’ αὐτοῦ ποιήσας τρακτευτὴν καὶ λογοθέτην Μα-
 
ρῖνον τὸν Σύρον· ὅστις τοὺς πολιτευομένους ἅπαντας ἐπῆρε τῆς βουλῆς,
5 (75)
καὶ ἐποίησεν ἀντ’ αὐτῶν τοὺς λεγομένους βίνδικας εἰς πᾶσαν πόλιν τῆς
 
Ῥωμανίας. ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς προεχειρίσατο κόμητα λαργιτιώνων ἐν
 
Κωνσταντινουπόλει τὸν ἀπὸ ὑπάτων Ἰωάννην τὸν Παφλαγόνα τὸν λε-
 
γόμενον Καϊάφαν· ὅστις ἅπαν τὸ προχωροῦν κέρμα τὸ λεπτὸν ἐποίησεν
 
φολλερὰ προχωρεῖν εἰς πᾶσαν τὴν Ῥωμαϊκὴν κατάστασιν ἔκτοτε.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/6 Ἰωάννην τὸν Παφλαγόνα: PLRE II (Ioannes 'the Paphlagonian' 45), 604f. = Begass 2018 Nr. 118, 164f.

Gebürtig aus Krateia in der Provinz Honorias. Seine Karriere ist nur aus Malalas bekannt, auch wenn er selbst noch anderweitig bezeugt ist. Nach Cameron 1970b 3; 245 kann Παφλαγών gleichbedeutend mit 'blusterer' oder auch 'windbag' verwendet werden, wovon sich der Beitrag in der PLRE II recht überzeugt zeigt. Begass 2018, 164 Anm. 888 wendet jedoch zurecht ein, dass die geographische Lage von Krateia gegen eine solch einseitige Auslegung spricht. Krateia gehörte zeitweilig zur Provinz Honorias, zeitweilig zur Provinz Paphlagonia (vgl. Belke 1996, 239), sodass Παφλαγών ziemlich sicher eine geographische Angabe meint. Dies schließt allerdings eine negative Konnotation nicht eindeutig aus.

Zur Aufstellung einer Anastasius-Statue durch Johannes: XVI 13, 4. (Florian Battistella)
1/9 ἐκ τοῦ τρακτεύειν: Gemeint ist das Innehaben des Amtes eines tractator. Ein tractator "repräsentiert[e] die zentrale präfektorale Finanzverwaltung vor Ort, in den Provinzen" (Brandes 2002, 73). Die Aufgabe von tractatores war wohl die Überwachung der Steuereintreibung, die sie zumindest gelegentlich auch selbst übernahmen (Näheres bei Brandes 2002, S. 72–79). (Florian Battistella)
3/2 ἀπὸ ὑπάτων Anastasius machte Johannes zum Exkonsul, ohne dass dieser zuvor das Amt wirklich bekleidet hatte. Zum Honorarkonsulat an sich: X 1, 6 (der dort als ex-consul bezeichnete Johannes ist nicht dem hier ausgezeichneten identisch), zur Verbindung von ὁ ἀπὸ mit dem Genitiv einer Amtsbezeichnung XVIII 43, 1f.. (Florian Battistella)
3/7 τρακτευτὴν καὶ λογοθέτην: Nach den Analysen von Brandes 2002, 65f.; 86f. muss man die Passage wohl so verstehen, dass Marinus (XVI 12, 3) zunächst tractator (dazu s.o.) und später numerarius war. Ähnlich äußert sich Meier 2007e, 295. Marinus avancierte demnach innerhalb der Finanzverwaltung vom Bediensteten zum Vorsteher eines scrinium der Prätorianerpräfektur (dazu s. Brandes 2002, 70–72). (Florian Battistella)
3/10 Μαρῖνον τὸν Σύρον: PLRE II (Marinus 7), 726-728 = Begass 2018 Nr. 148, 187-190. S. auch Meier 2007c, 182-185.

Marinos wurde im syrischen Apameia (XVI 3, 11) geboren und war Miaphysit. Seine bisherige Karriere ist nicht bekannt. Malalas erwähnt ihn noch in XVI,16 und XVI,19 sowie in Exc. de insid. 170 (entspricht Mal. XVII,2). (Brendan Osswald mit Florian Battistella)
4/5 τοὺς πολιτευομένους ἅπαντας ἐπῆρε τῆς βουλῆς: Laniado 2002, 28f., zieht zwei Möglichkeiten in Betracht, um diese Passage zu verstehen. Gemäß der ersten ist τῆς βουλῆς ein Komplement von πολιτευομένους, aber Laniado hält das Ergebnis πολιτευομένους τῆς βουλῆς für einen Pleonasmus, ohne weitere Okkurrenz in den Quellen. Die englische und die deutsche Übersetzung, die sich für diese Lösung entscheiden, bestätigen die Ansicht, dass es sich um einen Pleonasmus handele, da sie nicht beide Begriffe (πολιτευομένοί und βουλή) übersetzen. Tatsächlich übersetzen Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 225, πολιτευομένους τῆς βουλῆς durch „members of the city councils“, doch bedeutet πολιτευομένοί nicht einfach nur „Mitglied“. Ihrerseits übersetzen Thurn/Meier 2009, 415, πολιτευομένους τῆς βουλῆς durch curiales. Laniado zieht eine andere Lösung vor, die grammatikalisch nicht klassisch, aber semantisch befriedigender ist: πολιτευομένοί würde die curiales bezeichnen, während der Genitiv τῆς βουλῆς eine Ergänzung des Verbs ἐπῆρε sei. Den bloßen Genitiv ohne Präposition als abhängig von ἐπῆρε anzusehen bereitet ihm jedoch ebenfalls Schwierigkeiten, weswegen er den Ausfall eines ἐκ oder ἀπὸ vermutet. Konstruktionen von ἐπαίρω mit einer Präposition sind allerdings nicht übermäßig häufig in der Chronographia:

  • Von zehn Passivkonstruktion (Mal. VII 8; X 52 (zweimal); XI 4; XIV 45; XVII 12; XVIII 49; XVIII 84; XVIII 101; XVIII 143) weisen nur vier eine Präposition auf: Mal. VII 8 (παρ’ αὐτοῦ); X 52 (ἀπὸ τῆς γῆς εἰς τὸν ἀέρα bzw. εἰς τὸν ἀέρα) und XI 4 (ἀπὸ τῆς πόλεως).


  • Bei aktiver Konstruktion, immerhin dreizehn Fälle (Mal. I 11; VIII 10; VIII 12; VIII 18; VIII 30; X 20; XIII 3; XIII 48; XV 5; XVI 12; XVIII 51; XVIII 60; XVIII 141), überwiegt der bloße Akkusativ. Präpositionen finden sich nur dreimal verwendet, bei Mal. I 11 (ἐὰν καύσει με τὸ πῦρ, ἐκ τῶν καιομένων μου ὀστέων ἐπάρατε), bei Mal. VIII 12 (ἐπῆρεν ἐκ τοῦ βωμοῦ τοῦ πυρὸς τῆς ὁλοκαυτώσεως κρέα) und bei Mal. XV 5 (ἐπῆρε παρὰ Βασιλίσκου καὶ τῆς γυναικὸς αὐτοῦ καὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ τὸ σχῆμα τῆς βασιλείας).


Laniado schlägt also die folgende Übersetzung vor: „[Il] ôta du conseil municipal tous les curiales“. Zum Begriff πολιτευομένοί: VIII 14, 15. (Florian Battistella, Brendan Osswald)
5/7 βίνδικας: Übertragung des lateinischen Wortes vindex. Das Wort selbst kommt in O nur an dieser Stelle vor, allerdings überliefert das teilweise auf Malalas zurückgreifende Chronicon Paschale noch einen vindex Antiochiae namens Antipater (PLRE IIIA (Antipater), 91) im Bericht über den Nika-Aufstand (vgl. CP 626,21). (Florian Battistella)
6/1 Ῥωμανίας: XVI 21, 3. (Florian Battistella)
8/2 Καϊάφαν: Hahn/Metlich 2000, 14 Anm. 78 schreiben zu dieser Stelle: "The nickname Kaiaphas seems to refer to the high priest in the New Testament who paid traitors, as the etymology of the (presumably Aramaic) word was certainly not known at that time." Ob die Etymologie tatsächlich unklar war, lässt sich wohl nicht entscheiden. Die Verbindung zum Hohepriester des Neuen Testaments ist jedoch auffällig, insbesondere wenn Παφλαγών beleidigend zu verstehen sein sollte (s.o.), da beides nur bei Malalas zu finden ist, während Johannes bei Kyr. VAbraamii S. 244 Schwartz dank der Gründung eines Klosters, dem Abraamios vorstehen sollte, in positivem Licht erscheint. (Florian Battistella)
8/7 κέρμα: Das Wort kommt nur hier sowie bei Mal. XVIII 117 vor. Beide Stellen behandeln eine Münzreform (dazu sowie zur Etymologie von κέρμα: XVIII 117, 1).

Bei Lyd. mag. III 46 und Anth. Pal. XI 271 wird polemisch auf diese Münzreformen angespielt, wenn Skylla vor der Münzen prägenden Charybdis namens Anastasius gewarnt wird (dazu: Begass 2017, passim, insbesondere 131). (Florian Battistella mit Olivier Gengler)
8f./3 ὅστις ἅπαν τὸ προχωροῦν κέρμα τὸ λεπτὸν ἐποίησεν φολλερὰ προχωρεῖν εἰς πᾶσαν τὴν Ῥωμαϊκὴν κατάστασιν ἔκτοτε. Entgegen der Aussagen von Hahn 1973, 24 und Hahn/Metlich 2000, 14 mit Anm. 77f. weist Mal. XVI 12 überhaupt keine Datierung aus. Dennoch kann die Münzreform zeitlich verortet werden: Marcellinus Comes notiert in seiner Chronik für das Jahr 498 eine Münzreform, die er als placabilis commutatio bezeichnet und eine anonyme syrische Chronik vermerkt für 512/513: Et edidit imperator monetam quadraginta nummorum et viginti et decem et quinque (Chron. a.a. 724, S. 115 Brooks; CSCO III,4). Dies sind auch die beiden Zeitpunkte, die von der Forschung für Anastasius' Veränderungen akzeptiert werden, wobei man erste Schritte in das Jahr 498 setzt, während weitere Maßnahmen in das Jahr 512 datiert werden (vgl. Carlà 2009, 336f.; Meier 2009, 126; Haarer 2006, 202; Hendy 1985, 476f.; zur Debatte um die Datierung s. auch die Literatur bei Carlà 2009, 336f. Anm. 154).

Nach Ansicht von Meier 2009, 128 ist nicht zweifelsfrei zu ermitteln, ob Anastasius beide Maßnahmen gemeinsam geplant hatte oder es sich um zwei voneinander unabhängige Schritte handelte. Zunächst wurden jedenfalls drei Kupfernominale geschaffen: der follis als Basismünze im Wert von 40 nummi, Prägezeichen Μ (griechisches Zahlzeichen für 40), eine Münze im Wert eines halben follis), sprich 20 nummi, mit dem Prägezeichen Κ (griechisches Zahlzeichen für 20) und eine Münze im Wert eines Viertels von einem follis, entsprechend einem Wert von 10 nummi, mit dem Prägezeichen Ι (griechisches Zahlzeichen für 10). In einem zweiten Schritt wurde dann im Jahre 512 eine eigene Münze im Wert von fünf nummi (versehen mit ε, griechisch für fünf) eingeführt und das bisherige Gewicht der Münzen im Wert von 40, 20 und 10 nummi verdoppelt (vgl. Hahn/Metlich 2000, 14; Hendy 1985, 476f.; zur Gestaltung der Münzen s. Hahn/Metlich 2000, 28–31). In dieser Verdopplung sehen Hahn 1973, 24 und (ihm folgend) Meier 2009, 128 ein "gewaltiges Anziehen der Steuerschraube", denn ein solidus habe nun zwar weiterhin 360 folles entsprochen, diese Menge jedoch nun 20 Pfund Kupfer anstelle der vorherigen 10 Pfund Kupfer. Allerdings gilt es festzuhalten, dass diese Maßnahme nur dann sicher eine Steuererhöhung bedeutete, wenn Kupfermünzen nach Gewicht gegenüber dem Gold gewertet wurden. Hieran hegt Carlà 2009, insbesondere 337–340; 346–348 Zweifel, denn für ihn ist die Prägung von Münzen mit Wertangabe mittels einer Zahl untrügliches Zeichen für einen vom Feingehalt und Gesamtgewicht unabhängigen Wert der Kupfermünzen.

Zu den Kleinmünzen, den minimi, die sich vor 498 in Umlauf befanden, sei noch angemerkt, dass sie entgegen dem von Malalas vermittelten Eindruck nicht völlig aus dem Umlauf verschwanden und wahrscheinlich sogar weiterhin geprägt wurden (vgl. Meier 2009, 127; Hendy 1985, 477 mit Anm. 142; Hahn 1973, 23f. mit Anm. 41). (Florian Battistella)
9/1 φολλερὰ: Marc. Com. a.a. 498 schreibt: Nummis, quos Romani Terentianos (alternativ: terunciani; dazu Morrisson 1989, 243 Anm. 25) vocant, Graeci follares, Anastasius princeps suo nomine figuratis placibilem plebi commutationem distraxit. Demnach kann φολλερὰ beziehungsweise follares als eine spezifisch griechische Bezeichnung angesehen werden. Nach Morrisson 1989, 244 mit Anm. 27 ist diese als eine generische aufzufassen und findet sich erst seit Ananstasius' Veränderungen in den Quellen. Der Begriff drücke die Zugehörigkeit der Münzen zur Familie des follis aus und dürfe nicht mit dem follis selbst verwechselt werden. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings hervorzuheben, dass nach Carlà auch das Wort follis als Münzbezeichnung erst nach der Reform des Anastasius wieder überlicher wird (vgl. Carlà 2009, 345 Anm. 198). Zum follis an sich: XVIII 23, 6. (Florian Battistella mit Olivier Gengler)
9/7 κατάστασιν: XVIII 117, 3 (Olivier Gengler)
Parallelüberlieferung
Für die Einführung der vindices: Evagr. III,42; Lyd. mag. III,49; vielleicht auch: Prisc. paneg. 194–195. Für die Münzreform: Marc. Com. a.a. 498; Chron. a.a. 724, S. 115 Brooks; CSCO III,4. Zur slawischen Überlieferung: Die slawische Fassung umfasst lediglich eine abgekürzte Fassung des folgenden Abschnittes: ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς προεχειρίσατο κόμητα ... εἰς πᾶσαν τὴν Ῥωμαϊκὴν κατάστασιν ἔκτοτε (vgl. Istrin 1994, 345; Tvorogov 1999, 355).
Literatur
Begass (2017): Begass, Christoph: Kaiserkritik in Konstantinopel. Ein Spottepigramm auf Kaiser Anastasius bei Johannes Lydus und in der Anthologia Palatina, Millennium, 2017, 103-150.
Begass (2018): Begass, Christoph: Die Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, ca. 457-518. Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen, München, 2018.
Belke (1996): Belke, Klaus: Paphlagonien und Honorias, Wien, 1996.
Brandes (2002): Brandes, Wolfram: Finanzverwaltung in Krisenzeiten. Untersuchungen zur byzantinischen Administration im 6.–9. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 2002.
Brandes/Haldon (2000): Brandes, Wolfram; Haldon, John: Towns, Tax and Transformation. State, Cities and their Hinterlands in the East Roman World, 2000, 141-172.
Carlà (2009): Carlà, Filippo: L'oro nella tarda antichità: aspetti economici e sociali, Torino, 2009.
Chrysos (1971): Chrysos, Evangelos K.: Die angebliche Abschaffung der städtischen Kurien durch Kaiser Anastasios, Byzantina, 1971, 95-102.
Haarer (2006): Haarer, Fiona K.: Anastasius I. Politics and Empire in the Late Roman World, Cambridge, 2006.
Hahn (1973): Hahn, Wolfgang: Moneta Imperii Byzantini, 1. Teil; Von Anastasuis I. bis Justinianus I. (491–565) einschließlich der gotischen und vandalischen Prägungen, Wien, 1973.
Hahn/Metlich (2000): Hahn, Wolfgang/Metlich, Michael: Money of the incipient Byzantine empire. Anastasius I – Justinian I, 491 – 565, Wien, 2000.
Hendy (1985): Hendy, Michael F.: Studies in the Byzantine Monetary Economy c. 300–1450, Cambridge, 1985.
Istrin (1994): Istrin, V. M.: Истрин В. М. Хроника Иоанна Малалы в славянском переводе/Chronika Ioanna Malaly w slawjanskom perewode, 1994.
Laniado (2002): Laniado, Avshalom: Recherches sur les notables municipaux dans l'Empire protobyzantin, Paris, 2002.
Liebeschuetz (1973): Liebeschuetz, J.H.W.G.: The Origin of the Office of the Pagarch, ByzZ, 1973, 38-46.
Meier (2007e): Meier, Mischa: Die erste Prätorianerpräfektur des Marinos von Apameia, ZPE, 2007, 293-296.
Meier (2009): Meier, Mischa: Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches, Stuttgart, 2009.
Morrisson (1989): Morrisson, Cécile: Monnaie et prix à Byzance du Ve au VIIe siècle, 1989, 239-260.
Tvorogov (1999): Tvorogov, O. V. et alii: Letopisec Ellinskij i Rimskij/Летописец Еллинский и Римский, 1999.