Malalas 18.27 1–11 = 78–88 (Thurn)

Inhalt

Kapitel 27 beschreibt ein schweres Erdbeben in Antiocheia, der Zählung nach das sechste, das erneut durch den Zorn Gottes hervorgerufen wurde. Infolge des Bebens stürzten zahlreiche Gebäude ein, darunter auch die Stadtmauern und einige Kirchen. Bis zu 5000 Menschen kamen ums Leben, zahlreiche flohen aus der Stadt in umliegende Städte oder ins Gebirge. Die Reaktion der Bewohner erfolgte stereotyp: es wurden Trauer- und Bittprozessionen abgehalten. Nach dem Bericht des Patriarchen Ephraem an den Kaiser, fanden auch in Konstantinopel über eine Reihe von Tagen Bittprozessionen statt.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (78)
Συνέβη δὲ ἐν αὐτῷ τῷ καιρῷ ὑπὸ θεομηνίας παθεῖν Ἀντιόχειαν τὸ
 
ἕκτον αὐτῆς πάθος. ὁ δὲ γεγονὼς σεισμὸς κατέσχεν ἐπὶ μίαν ὥραν, καὶ
 
μετὰ τούτου βρυγμὸς φοβερός, ὥστε τὰ ἀνανεωθέντα κτίσματα ὑπὸ τῶν
 
πρῴην γενομένων φόβων καταπεσεῖν καὶ τὰ τείχη καί τινας ἐκκλησίας.
5 (82)
τὰ δὲ συμβάντα ἠκούσθη καὶ ἐν ταῖς ἄλλαις πόλεσιν, καὶ πᾶσαι πενθοῦ-
 
σαι ἐλιτάνευον. ἔπαθεν δὲ καὶ μέρη τῶν πέριξ τῆς πόλεως· τελευτῶσι δὲ
 
ἐν αὐτῷ τῷ σεισμῷ ἄχρι ψυχῶν πεντακισχιλίων. οἱ δὲ περισωθέντες
 
πολῖται ἔφυγον εἰς τὰς ἄλλας πόλεις, φανεροὶ δὲ ἐν τοῖς ὄρεσιν ᾤκουν.
 
δὲ πατριάρχης Ἐφραΐμιος πάντα τὰ γενόμενα ἀνήγαγεν τῷ βασιλεῖ· καὶ
10 (87)
ἀκούσαντες οἱ ἐν τῷ Βυζαντίῳ τὰ συμβάντα ἐλιτάνευον ἐπὶ ἡμέρας
 
ἱκανάς.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/3 ἐν αὐτῷ τῷ καιρῷ: Das Beben ereignete sich im Zeitraum 528/529 n. Chr., nach Theoph. 177,22 am 29. November, zur 3. Stunde, einem Mittwoch, in der siebten Indiktion. Es ereignete sich damit zwei bzw. drei Jahre nach den ersten großen Beben in Antiocheia im 6. Jh. (vgl. Theoph. 177,23–24: „Dies geschah zwei Jahre nach dem vorhergehenden Beben“), die bereits große Schäden angerichtet hatten, vgl. Malal. XVII 14 und 16 (vor allem Malal. XVII 16 beschreibt ein wahres Schreckensszenario, in dem 250000 Menschen den Tod fanden, vgl. ausführlicher dazu die Kommentare zu XVII 14 und 16 sowie Downey 1961, 519ff. und Meier 2004a, 656ff. mit einer Auflistung der Katastrophen im Oströmischen Reich zwischen 500 und 565). Die großen Beben, die sowohl Antiocheia als auch Konstantinopel in den 520er Jahren trafen, scheinen in der Tatsache begründet zu liegen, dass beide Städte an „earthquake belts“ Downey 1961, 520, für einen aktuellen Überblick über die Erdbeben in der Region Syrien vgl. Sbeinati/Darawcheh/Mouty 2005, passim sowie speziell zum hier genannten Zeitraum 355–357) gelegen haben. Die Erdbeben des Jahres 526 und das hier behandelte im Jahr 528 waren dabei so bemerkenswert und heftig, dass sie in den Städtechroniken als „fünftes“ und „sechstes“ aufgeführt wurden (zum Vergleich: das zweite Erdbeben fand im Jahr 37 n. Chr. (Malal. X 18), das dritte im Jahr 115 n. Chr. (Malal. XI 8) und das vierte unter der Herrschaft Leos I. (Malal. XIV 36) statt, vgl. Downey 1961, 522). Das "erste" Erdbeben findet bei Downey keine Erwähnung, weil bezüglich der Zuweisung Unsicherheit besteht. In der thurnschen Malalas-Ausgabe findet sich jedoch für Malal. VIII 24 der Hinweis auf ein Erdbeben in der Mitte des 2. Jh. v.Chr., wobei hier die Datierung unklar ist. Die Nennung des Bebens erfolgt nur in der Parallelüberlieferung zum Barocchianus, könnte aber möglicherweise als "erstes Beben" in die Liste mitaufgenommen werden. Ein weiteres größeres Beben ist in Syrien über andere Quellen für die 60er Jahre v.Chr. belegt, vgl. Pomp. Trog. = Iust. Epit. XL 2,1; Cass. Dio XXXVII 11,4; Oros. VI 5,1).
1f./1 Συνέβη δὲ ἐν αὐτῷ τῷ καιρῷ ὑπὸ θεομηνίας παθεῖν Ἀντιόχειαν τὸ ἕκτον αὐτῆς πάθος: Nach XVIII 19, 1 werden an der vorliegenden Stelle sowie in XVIII 28, 1f. erneut Erdbeben und Naturkatastrophen erwähnt, die die Städte Antiocheia und Laodikeia treffen. Wie bereits für XVIII 19 dargelegt, spielen sie in der Darstellung der Geschichte bei Malalas eine besondere Rolle: Sie repräsentieren eine Erzählstrategie des Malalas, dessen Intention es war, das Zeitalter Justinians als ein Zeitalter der „Desaster“ zu zeichnen Meier 2007a, 251. Die Häufung von Katastrophen und Schicksalsschlägen interpretiert Malalas dabei nicht als Anzeichen einer Endzeit mit einer bevorstehenden Apokalypse, sondern als unmittelbaren Ausdruck göttlichen Unmutes über frevelhaftes, gottvergessenes Verhalten der Menschen (XVIII 19, 1). Auch in der hier dargestellten Situation reagiert der Kaiser in der bereits genannten Weise: Er nimmt sich der vom Unglück Gebeutelten an und lässt ihnen Wohltaten zukommen, im vorliegenden Fall unternimmt er Schenkungen, die den Überlebenden und dem Wiederaufbau der Stadt zu Gute kommen sollen. Dieses Verhalten erweist sich als stereotyp. Malalas schildert ein für alle Kaiser gleiches Handlungsschema: Gott straft, sein Stellvertreter auf Erden zeigt Milde und Güte im Angesicht von Not und Unheil. Krisen und Unglücke schaffen wichtige Handlungsoptionen für den Kaiser, die es dem Chronisten erlauben, ihn in das Weltengeschehen einzubinden. Die Darstellung von Güte und Gnade ist dabei also weniger panegyrisch anzusehen, sondern als ausgleichende Komponente einer vorherigen Strafe: Meier 2007a, 256f.

Zur figura etymologica ἔπαθεν ... τὸ ... πάθος und der Zählung von Katastrophen: VIII 24, 3f.; zu den Erdbeben von Antiochia: VIII 24, 3; zu Erdbeben in der Chronographia: VII 18, 3. (Fabian Schulz mit Brendan Osswald)
2/7 σεισμὸς: Zur Alternanz zwischen σεισμός und θεομηνία in der Chronographia: VII 18, 3. (Brendan Osswald)
3/3 βρυγμὸς: βρυγμός (von βρύκω bzw. βρύχω) – ‚Hinunterschlingen‘, Eup. Fr. 347; ‚chattering‘, ‚shivering‘ Hp. Vict. 3, 84, Steril. 214; in der Bedeutung ‚Beißen‘ Nic. Th. 716; NT Matt. 8, 12 (βρυγμός ὀδόντων) u.ö. vom ‚Zähneknirschen‘. An dieser Stelle aber wohl im Sinne von ‚Brüllen‘ (zu βρυχάομαι; vgl. LSJ s.v. βρυγμός II). In dieser Bedeutung ist das Wort auch LXX, Prov. 19, 12 (βασιλέως ἀπειλὴ ὁμοία βρυγμῷ λέοντος) belegt. Bei den griechischen Autoren, die Malalas rezipieren, kommt dieses Brüllen aus dem Himmel (βρυγμὸς ἐκ τοῦ οὐρανοῦ, vgl. Theoph. 177,25; Georg. Mon. 643,5; Cedr. 646,8), was vielleicht endzeitliche Assoziationen weckte. Diesseitiger wird das Wort hingegen von den syrischen Autoren interpretiert, die es mit dem Muhen einer Kuh vergleichen (vgl. Io. Eph. und Mich. Syr.). (Fabian Schulz)
3/8 κτίσματα: Die Sonderbedeutung „Gebäude“ des Plurals von κτίσμα ist spätantik; vgl. LSJ mit Verweis auf PSI 1.84.8. (Fabian Schulz)
3f./5 ὥστε τὰ ἀνανεωθέντα κτίσματα ὑπὸ τῶν πρῴην γενομένων φόβων καταπεσεῖν καὶ τὰ τείχη καί τινας ἐκκλησίας: vgl. die Ausführungen bei Io. Eph. 226,3–227,3: „Die bewegte Erde wurde mit so fürchterlichem Lärm geschüttelt, dass alle nach der letzten Zerstörung wiederaufgerichteten Gebäude einstürzten, die Mauern, die Stadttore, insbesondere die Große Kirche, die übrigen Kirchen und Stätten der Märtyrer. Und alle anderen Gebäude, die das frühere Erdbeben ausgehalten hatten, sie stürzten mit wenigen Ausnahmen ein: Und alle Gebäude fielen dem Einsturz anheim, auch die Mauern. Und die alten Häuser, die beim ersten Erdbeben nicht demoliert waren, sie wurden nun zerstört. Und der ganze Glanz, der auf Grund der großzügigen Gaben und auf der Basis der privaten Bautätigkeit der Bürger zustande gekommen war, alles ging zugrunde“.
3f./6 τὰ ἀνανεωθέντα κτίσματα ὑπὸ τῶν πρῳήν γενομένων φόβων: ὑπό + Genitiv scheint hier die Bedeutung ‚nach’ bzw. ‚after‘ zu haben, wie Thurn/Meier 2009, 458 und Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986 übersetzen, zumal Johannes von Ephesos von aedificia post excidium refecta spricht (Übersetzung vanDouwen/Land 1889). Weitere Belege für die temporale Bedeutung von ὑπό + Genitiv lassen sich schwerlich anführen, da die kurzen Abschnitte zur Entwicklung der byzantinischen Präpositionen in Horrocks 2010a und Bortone 2010 keine Auffälligkeiten verzeichnen und die einschlägigen Lexika wie DGE und LBG noch nicht bis Υ reichen. Erstaunlicherweise ist dieser ungewöhnliche Fall nicht von Rüger 1895 erfasst. Normalerweise gibt ὑπό + Genitiv die handelnde Person im Passiv an, was der Leser hier nach ἀνανεωθέντα erwartet. Vielleicht liegt eine logische Ellipse oder ein textlicher Ausfall vor: ‚die von dem früheren Erdbeben wieder aufgebaut worden waren‘. Alternativ ließe sich an eine kausale Nuance denken, in der die logische Ellipse kleiner wäre: ‚die wegen des früheren Erdbebens wieder aufgebaut worden waren‘. Diese Bedeutung ist zwar ebenfalls nicht belegt, sie liegt semantisch aber näher an der Angabe der Urheberschaft. (Fabian Schulz)
5/4 ἠκούσθη: Der passivische Aorist, dessen Gebrauch in späterer Zeit als attizistische Feinheit galt, findet sich in den byzantinischen Chroniken häufig; vgl. Psaltes (1913), § 341. ἠκούσθην ist bereits bei Thukydides belegt (Th. 3,38). (Fabian Schulz)
5f./12 πενθοῦσαι: πενθέω ‚(be)trauern‘ häufig im frühgriechischen Epos und in der Tragödie, z.B. Hom. Il. 19,225 oder A. Pers. 545; bei den Kirchenvätern und im byzantinischen Griechisch eher ungebräuchlich (vgl. Lampe und LBG πενθέω). (Fabian Schulz)
6/2 ἐλιτάνευον: Das Verb λιτανεύω (‚beten, anflehen‘) entstammt der epischen Sprache. In der attischen Dichtung und Prosa ist es selten (X. HG 2, 4, 26; Pl. R. 388b; Men. Asp. 49), in der Septuaginta (LXX, Ps. 44, 13) und bei den Kirchenvätern hingegen häufig (vgl. Lampe), besonders für Gebete nach Erdbeben (Chrys. Laz. 6.1; Niceph. Ur., v. Sym. 109). Bei Malalas tritt das Verb punktuell gehäuft auf, wobei sich das gemeinsame Bitten um Gnade, das auf ein unheilvolles Zeichen Gottes folgt, als kollektive Bewältigungshandlung verstehen lässt: hier (Bewohner der umliegenden Städte nach Erdbeben) und vier Zeilen später in diesem Kapitel (hauptstädtische Bevölkerung), ferner Malal. XIV 22,4 (Kaiser mit Senat und Volk nach Erdbeben) und XIV 42,3 (hauptstädtische Bevölkerung nach Ascheregen) sowie XVIII 90,4 und 7 (hauptstädtische Bevölkerung, nachdem eine Frau ein Zeichen erhalten hat). Das gemeinsame Bitten kann die Form einer Prozession nehmen (XVIII 90,4) und sich über eine festen mehrtägigen Zeitraum erstrecken (XVIII 27,10). Im byzantinischen Griechisch wird λιτανεύω von λιτάζω abgelöst (vgl. LBG λιτάζω). (Fabian Schulz)
6/7 τῶν πέριξ τῆς πόλεως: Der Ausdruck τὰ πέριξ τῆς πόλεως für ‚Vorstadt‘ findet sich auch Philost. HE 12, fr. 3. Für πέριξ in der Malalas-Chronik XVIII 88, 2. (Fabian Schulz)
6f./3 ἔπαθεν δὲ καὶ μέρη τῶν πέριξ τῆς πόλεως: Auch Johannes von Ephesos beschreibt die Situation am angegeben Ort: „die herumliegenden Landstädte, welche vorher wiederaufgebaut worden waren, alle wurden sie im Umkreis von 10 Meilen zerstört. Aber das sechste Erdbeben richtete in Seleukeia bzw. Daphne, Städten, die von Antiocheia in verschiedenen Richtungen 20 Meilen entfernt lagen, keinen Schaden an. Das fünfte Erdbeben hatte diese gänzlich vernichtet, nicht durch Feuer, sondern das Beben an sich“.
6f./11 τελευτῶσι δὲ ἐν αὐτῷ τῷ σεισμῷ ἄχρι ψυχῶν πεντακισχιλίων: Nach Theoph. 177,31–32 kamen bei diesem Beben 4870 Menschen ums Leben; vgl. auch Mich. Syr. IX 21 (4770). Diese nahezu übereinstimmenden Angaben fallen um ein Vielfaches geringer aus als die für das Beben von 526 angegebene Zahl (Malal. XVII 16: 250.000 Tote). Für Downey 1961, 528f. deutet das darauf hin, dass die Population der Stadt seither stark geschrumpft war. Sollten Theophanes oder Michael Syrus die originale Zahl geben (was wegen der Ähnlichkeit der krummen Zahl bei beiden, dem Zusatz ἄχρι ["bis zu"] in O sowie angesichts der Tatsache, dass die glatte Zahlenangabe in O gegenüber Theoph. vier Wörter einspart und entsprechend gut auf eine Kürzung zurückgehen kann, durchaus plausibel anmutet), so wäre sie aber nicht nur viel geringer, sondern auch viel genauer: Wie schon Meier 2004a, 353 Anm. 59 vermutet, kann diese Angabe sehr gut auf ein offizielles Dokument zurückgehen. Das trifft auf die glatte und angesichts antiker Bevölkerungsverhältnisse fantastisch anmutende Zahl von 250.000 im Bericht zu XVII 16 – für den wahrscheinlich eine rhetorische Quelle benutzt worden ist – nicht zu. Letztere muss demnach als weniger zuverlässig angesehen werden (XVII 16, 42ff.). (Jonas Borsch)
6f./11 τελευτῶσι... ψυχῶν: Hier scheint ψυχή ‚Seele‘ pars pro toto für ‚Mensch‘ zu stehen. Die Verbindung mit τελευτάω ‚sterben‘ irritiert, da die meisten Christen von der Unsterblichkeit der Seele überzeugt waren. Der Gedanke einer unsterblichen Seele, die losgelöst vom Körper existiert, geht nicht auf das Alte Testament zurück, sondern auf die Kirchenväter, besonders Gregor von Nyssa und Augustin, die platonisches Gedankengut rezipierten (TRE s.v. Seele). In der Septuaginta ist von einer ‚toten Seele‘ bzw. einem ‚toten Menschen‘ die Rede (LXX, Num. 6), ohne dass dieser Vers groß von den Kirchenvätern aufgegriffen worden wäre (abgesehen von Cyr. Al., De ador.). Durch den Gebrauch dieser fast singulären und heterodox anmutenden Junktur legt Malalas eine bemerkenswerte Nonchalance an den Tag. (Fabian Schulz)
7/4 σεισμῷ: XVIII 27, 2. (Brendan Osswald)
7f./8 οἱ δὲ περισωθέντες πολῖται ἔφυγον εἰς τὰς ἄλλας πόλεις, φανεροὶ δὲ ἑν τοῖς ὄρεσιν ᾤκουν: Die Naturkatastrophen führten zum einen dazu, dass die Überlebenden die Stadt verließen und in den Bergen Schutz suchten. Darüber hinaus hielten sie jedoch auch Bittprozessionen ab, deren außergewöhnliche Intensität erst über einen Blick in die Parallelüberlieferung deutlich wird. Sowohl Theoph. 177,34–178,2 als auch Johannes von Ephesos 226,3–227,3 beschreiben die Situation einer großen Katastrophe, in der auf die genannten Beben auch noch ein besonders harter Winter folgte und die Bewohner einmal mehr zu der Annahme verleitete, vom Zorn Gottes getroffen worden zu sein. Johannes von Ephesos beschreibt dabei ihre ungewöhnlichen Reaktionen auf die Situation: Diejenigen, die in der Stadt zurückblieben, hätten Bittprozessionen mit nackten Füßen im Schnee veranstaltet, wobei sie Ölbaumzweige mit sich führten, sie hätten sich kopfüber in den Schnee geworfen und mit Trauermiene und heftigem Klagen das ‚Herr erbarme dich’ gesungen. So gequält von der winterlichen Kälte seien sie von einer Vision erfüllt worden, die ihnen mitteilte, sie müssten auf allen Türstürzen der Haustüren und erhaltenen Geschäfte die Inschrift anbringen, ‚Gott mit uns. Bleibt’. Dieser Darstellung zufolge ließen die Beben durch über das normale Maß hinausgehenden Taten der frommen Menschen nach: Sie setzen sich äußersten Qualen der winterlichen Kälte aus und versahen ihre Häuser mit Gott anrufenden Inschriften. Es hatte offensichtlich eines größeren Einsatzes bedurft als gewöhnlicher Bittprozessionen, wie sie uns von Malalas sowohl für Antiocheia selbst als auch für Konstantinopel in diesem Kontext berichtet werden. Erst das Vertrauen und die Rückbesinnung auf Jesus Christus und seinen Beistand hatten in der Version des Theophanes und des Johannes von Ephesos die Situation der Menschen verbessert. In der Folge galt Antiocheia nicht mehr nur als Stadt, die von Gott heimgesucht, sondern auch als Stadt, die von Gott gesegnet worden war, vgl. dazu ausführlicher Meier 2004a, 229ff. Durch diesen Zusatz, den wohlgemerkt die überlieferte Malalas-Version nicht in der Dramatik liefert, wird noch besser verständlich, warum Antiocheia nach diesen Katastrophen in Theoupolis umbenannt wurde, vgl. Malal. XVIII 29. Zum Beleg von Kreuzzeichen und christlichen Inschriften als Türsturz bereits vor diesem Ereignis vgl. Engemann 1975, 22ff. sowie Meier 2004a, 230 mit dem Hinweis, dass die Interpretation der Türinschriften als Schutz einer ganzen Stadt eine Neuerung ist. Vgl. zu den wiederholten Naturkatastrophen im Antiocheia des 6. Jahrhunderts bei Malalas auch Meier 2007a, Meier 2007b.
8ff./13 ὁ δὲ πατριάρχης Ἐφραΐμιος πάντα τὰ γενόμενα ἀνήγαγεν τῷ βασιλεῖ• καὶ ἀκούσαντες οἱ ἐν τῷ Βυζαντίῳ τὰ συμβάντα ἐλιτάνευον ἐπὶ ἡμὲρας ἱκανάς: zu Ephraimios/Epraem vgl. auch Malal. XVII 12. Es handelt sich um den Patriarchen von Antiocheia der Jahre 527 bis 545 (sein Todesjahr), vgl. PLRE II (Ephraemius), 394-396. Zuvor war er bereits comes orientis in den Jahren 523–524 sowie 526 gewesen. In letzterem Amt hat er das Unglück Antiocheias in den Jahren 525 und 526 miterlebt und sich bei der Unterstützung der Stadt offenbar so weit hervorgetan, dass er – gegen seinen Willen – als Nachfolger des durch das Unglück getöteten Patriarchen Euphrasios erwählt wurde, vgl. Malal.XVII 12, Evagr. HE IV 6, Chron. Edess. 99, Cedr. 642. Neben der vorliegenden Stelle und der genannten in Buch XVII wird er als Patriarch auch noch in XVIII 59 erwähnt. Vgl. auch Downey 1961, 529.
Parallelüberlieferung
Theoph. 177,22–33; Meg. Chron. 5 Whitby = 6 Schreiner; Cedr. 646,5–21; Georg. Mon. 643,3–10; Io. Eph. 226,3–227,3; Chron. Anonym. Pseudo-Dionys. 851; Mich. Syr. IX 21 (193–195); IX 29 (243); Cramer, Anecd. Paris. 2,320,22–26; Procop., Anecd. 18,41; Euagr. 4,6 (156,21–24); Xanth., HE., PG 147,224B–225C; Zach. Rhet. 154,31
Literatur
Bortone (2010): Bortone, Pietro: Greek prepositions from antiquity to the present, Oxford, 2010.
Brands (2004): Brands, Gunnar: Orientis apex pulcher – Die Krone des Orients. Antiochia und seine Mauern in Kaiserzeit und Spätantike, Antike Welt, 2004, 10–16.
Brands (2016): Brands, Gunnar: Antiochia in der Spätantike, Berlin/Boston, 2016.
Cimok (1994): Cimok, Fatih: Antioch on the Orontes, Istanbul, 1994.
Croke (1990c): Croke, Brian: Malalas, the man and his work, 1990, 1–25.
Debié (2004): Debié, Muriel: Jean Malalas et la tradition chronographique de langue syriaque, Beaucamp, Joelle/Agusta-Boularot, Sandrine/Bernardi, Anne-Marie/Cabouret, Bernardette/Caire, Emmanuèle, Recherches sur la chronique de Jean Malalas I, 2004, 147–164.
Downey (1961): Downey, Glanville: A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest, Princeton, 1961.
Engemann (1975): Engemann, Josef: Zur Verbreitung magischer Übelabwehr in der nichtchristlichen und christlichen Spätantike, JbAC, 1975, 22–48.
Foss (2000): Foss, Clive: Late Antique Antioch, 2000, 23–27.
Hoepfner (2004): Hoepfner, Wolfram: Antiochia die Große. Geschichte einer antiken Stadt, Antike Welt, 2004, 3–9.
Horrocks (2010a): Horrocks, Geoffrey: Greek: A History of the Language and Its Speakers, Malden, MA/Oxford/Chichester, 2010.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Kolb (1996): Kolb, Frank: Antiocheia in der frühen Kaiserzeit, Geschichte – Tradition – Reflexion. Festschrift Martin Hengel, 1996, 97–118.
Kondoleon (2000): Kondoleon, Christine: Antioch. The Lost Ancient City, New Jersey/Worcester, 2000.
Leisten (1996): Leisten, Thomas: s.v. Antiocheia am Orontes. Byzantinisch-islamische Zeit, DNP, 1996, 763–764.
Liebeschuetz (1972): Liebeschuetz, J.H.W.G.: Antioch. City and Imperial Administration in the Later Roman Empire, Oxford, 1972.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Meier (2004b): Meier, Mischa: Prokop, Agathias, die Pest und das 'Ende' der antiken Historiographie. Naturkatastrophen und Geschichtsschreibung in der ausgehenden Spätantike, Historische Zeitschrift, 2004, 281–310.
Meier (2007a): Meier, Mischa: Natural Disasters in the Chronographia of John Malalas: Reflection on their functions – An initial sketch, The Medieval History Journal, 2007, 237–266.
Meier (2007b): Meier, Mischa: Zur Terminologie der (Natur-)Katastrophe in der griechischen Historiographie – einige einleitende Anmerkungen, Historical Disaster Research. Concepts, Methods and Case Studies – Historische Katastrophenforschung. Begriffe, Konzepte und Fallbeispiele (= Historical Social Research 32.3 [2007]), 2007, 44–56.
Meier/Thurn (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik, Stuttgart, 2009.
Mittag (2006): Mittag, Peter: Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Berlin, 2006.
Nabhani (2009): Nabhani, Omar: Städte Syriens im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Freiburg, 2009.
Psaltes (1913): Psaltes, Stamatios B.: Grammatik der byzantinischen Chroniken, Göttingen, 1913.
Rüger (1895): Rüger, Anton: Studien zu Malalas. Präpositionen und Adverbien. Das 18. Buch. Die konstantinischen Excerpte. Die tuskulanischen Fragmente, Bad Kissingen, 1895.
Saliou (2006): Saliou, Catherine: Statues d'Antioche de Syrie dans la Chronographie de Malalas, Agusta-Boularot, S. and Beaucamp, J. and Bernardi, A.-M. and Caire, E., Paris 2006, 69–96.
Saliou (2014): Saliou, Catherine: Bains et histoire urbaine. L’exemple d’Antioche sur l’Oronte dans l’Antiquité, Boussac, Marie-Françoise/Denoix, Sylvie/Fournet, Thibaut/Redon, Bérangère, 25 siècles de bain collectif en Orient. Proche-Orient, Égypte et péninsule Arabique, no 9 – Ifpo (PIFD no 282), Le Caire 2014, 657–686.
Sbeinati/Darawcheh/Mouty (2005): Sbeinati, Mohamed and Darawcheh, Ryad and Mouty, Mikhail: The historical earthquakes of Syria: an analysis of large and moderate earthquakes from 1365 B.C. to 1900 A.D., Annals of Geophysics, 2005, 347–435.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.
vanDouwen/Land (1889): : Joannis Episcopi Ephesi Syri Monophysitae Commentarii de beatis orientalibus et Historiae ecclesiasticae fragmenta, Amsterdam, 1889.