Malalas 18.103 1–4 = 50–53 (Thurn)

Inhalt

Kapitel XVIII 103 informiert über besonders schwerwiegende Donner und Blitzeinschläge, durch die Menschen im Schlaf überrascht und Teile der Arcadius-Säule in Konstantinopel beschädigt wurden.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

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Μηνὶ ἰουνίῳ ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ ἐγένοντο βρονταὶ καὶ ἀστραπαὶ
 
φοβεραὶ πάνυ, ὥστε καὶ ἀνθρώπους καθεύδοντας ἐκ τῶν ἀστραπῶν
 
βλαβῆναι. ἐν αὐτοῖς δὲ τοῖς φόβοις καὶ τοῦ κίονος τοῦ ἐν τῷ Ξηρολόφῳ
 
ἀπεπτελώθη μέρος.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ ἰουνίῳ ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ: Dieser Verweis bezieht sich auf die zehnte Indiktion (September 546–August 547 n. Chr.), die bereits in Kap. XVIII 97 (Februar) erstmals genannt und auf die danach insgesamt drei Mal rückverwiesen wird (XVIII 99, XVIII 100 und der hiesige Abschnitt XVIII 103). In XVIII 104 datiert Malalas (in der Baroccianus-Version) zudem den Tod der Kaiserin Theodora auf den 29. Juni der zehnten Indiktion. Daraus ergibt sich eine dichte Abfolge von Ereignissen innerhalb von nur fünf Monaten, während der Codex Baroccianus für die elfte und zwölfte Indiktion womöglich gar keine Ereignisse überliefert (Mango/Scott 1997, 330, Anm. 3). Nicht nur Theophanes (dem man eine gezielte Verlegung zutrauen könnte), sondern auch Prokop datieren den Tod der Theodora allerdings auf Juni 548, weswegen man sich fragen kann, ob der Malalas-Text hier korrupt oder fehlerhaft und die Ereignisabfolge insgesamt zu entzerren ist: Vgl. Mango/Scott 1997, 329, Anm. 3; zur komplexen Datumsdiskussion bereits XVIII 102, 1. Für die hier berichteten Unwetter ergibt sich eine Reihe von Datierungsmöglichkeiten. Den Tod Theodoras in XVIII 104 legt Malalas dezidiert in denselben Monat wie die Unwetter (τῇ κη' τοῦ αὐτοῦ μηνός). Kombiniert mit dem korrigierten Todesdatum der Kaiserin könnte sich daraus eine Datierung in die elfte Indiktion ableiten lassen. Theoph. I 226,11–15 de Boor verzeichnet das Ereignis mit sehr ähnlichem Text hingegen für das Jahr nach dem Tod Theodoras, das hieße also die zwölfte Indiktion. Womöglich hat Theophanes hier Material verlegt, um die gleichmäßige Verteilung auf seine Jahreseinträge zu gewährleisten. Ein "Überrest" der Malalas-Passage an der ursprünglichen Stelle könnte möglicherweise noch in dem kursorischen Verweis auf starke Regenfälle (βροχαὶ μεγάλαι) in Theoph. I 226, 4–5 de Boor, d.h. 547/48 n. Chr., kurz vor dem Tod Theodoras, zu sehen sein (vgl. Meier 2004a, 665, Anm. 84); damit hätte Theophanes das Ereignis also dupliziert.
1/7 βρονταὶ καὶ ἀστραπαὶ: Donner und Blitze begegnen in der Chronographie in sehr unterschiedlichen Kontexten. Dem generell hohen Interesse an Zeichen bzw. omina (XVIII 51, 1f.; XVIII 51, 1f.; XVIII 52, 1) entspricht die Verbindung von Blitz und Donner mit Geburt (Malal. II 15, 7–8: Geburt des Dionysos) und Tod (XVI 22: Tod des Anastasios). An anderer Stelle wird durch Blitzeinschlag ein paganer Talisman zerstört (X 51, 41) und begleiten Blitze ein besonders schwerwiegendes Erdbeben (XVII 16, 8–9). Als einzeln erwähnte und für sich selbst berichtenswerte Unglücksfälle finden sich Donner und Blitz nur hier sowie in XVIII 121 mit einer im Vergleich zur hiesigen Stelle ähnlich strukturierten und ein ähnliches Vokabular aufweisenden, aber deutlich kürzeren Notiz.
2/1 φοβεραὶ πάνυ: Zur besonderen, keineswegs durchweg negativen Konnotation des Begriffes φοβερός bei Malalas vgl. XVIII 52, 1.
2/1 φοβεραὶ: Zur Verwendung des Adjektivs φοβερός in der Malalas-Chronik, allgemein und zur Qualifizierung von Naturkatastrophen, insb. Erdbeben XVIII 52, 1, XVIII 79, 1.
2/4 καὶ ἀνθρώπους καθεύδοντας: Die von Thurn 2000, 410 in seinem Apparat gewählte Formulierung lässt den Eindruck entstehen, dass die Theophanes-Parallelstelle (Theoph. 226, 11–15 de Boor, hier Z. 12) vor dem Partizip καθεύδοντας noch das Adjektiv πόλλους ergänzt. In der Tat ersetzt bei Theoph. 226, 12 de Boor das Adjektiv πόλλους das Substantiv ἀνθρώπους; ferner wird bei Theophanes die Konjunktion καὶ ganz ausgelassen: ὥστε πόλλους καθεύδοντας. Dass Theophanes an dieser Stelle von einer vollständigeren Version der Malalas-Chronik abhängt, ist offensichtlich (der gemeinsame Hinweis auf die schlafenden Opfer kann nicht zufällig sein) und wird allgemein erkannt (Rochow 1983, 469; Mango/Scott 1997, 330 Anm. 3). Zieht man Georgios Monachos hinzu (641, 16–17 de Boor), der in diesem Punkt mit O übereinstimmt, dann scheint καὶ ἀνθρώπους καθεύδοντας der Originaltext gewesen zu sein (πόλλους wäre also Theophanes' 'Eigenleistung'). Die Formulierung von Kedrenos (409.1, 7–8 Tartaglia) ist mit Theophanes (fast) identisch.
2/7 ἐκ τῶν ἀστραπῶν ... βλαβῆναι: ἐκ leitet hier ein Agens beim Passiv ein, wie z.B. in Malal. II 13 Μέρρος, προβληθεὶς ἐκ τοῦ ἰδίου ... πάππου Κηφέως; einige weitere Malalas-Stellen von ἐκ bei Passiven sammelt Rüger 1895, 42; siehe allgemein für diesen Gebrauch der Präposition LSJ s.v. ἐκ III 5. Von den Parallelstellen liest nur Kedrenos (409.1, 8 Tartaglia) an dieser Stelle die Präposition ὑπό, eine offenkundige lectio facilior.
2f./5 ἀνθρώπους καθεύδοντας ἐκ τῶν ἀστραπῶν βλαβῆναι: Dass Unglücke die Menschen im Schlaf überraschten, wird zuweilen in antiken Berichten über Erdbeben betont: So etwa Diod. XV 48, 2; Tac. II 47, 1 (vgl. auch ; Strab. 8,7,2 Ail. nat. 11,19). Diodor oder Tacitus verstanden das nächtliche Eintreten dabei als etwas, das den schrecklichen Charakter des Geschehens noch steigerte, da die Menschen auf diese Weise noch mehr überrascht wurden und der Katastrophe noch schutzloser ausgesetzt waren.

Bei Malalas ist ein solcher Hinweis singulär. Zwar werden einige der bei ihm berichteten Erdbeben ebenfalls explizit in die Abendstunden/Nacht gelegt (X 46, XVIII 77, XVIII 124), doch spezifiziert Malalas die Tageszeiten in entsprechenden Passagen regelmäßig und ohne erkennbare Präferenzen XVIII 77, 1f..

Wenn Malalas schreibt, dass die Betroffenen durch die Blitze geschädigt wurden, hat man wohl zu ergänzen, dass deren Häuser durch die Blitze in Brand gesteckt wurden. Darauf deutet auch Georg. Mon. 641, 19 de Boor, wo man statt βλαβῆναι ("schädigen") καυθῆναι ("brennen") liest.
3/2 ἐν αὐτοῖς δὲ τοῖς φόβοις: Wenn bezogen auf Naturphänomene, bezeichnet φόβος in der Malalas-Chronik nicht bzw. nicht primär die von solchen Ereignissen unter den Betroffenen ausgelöste Furcht, sondern die (Natur-)katastrophe an sich; am häufigsten handelt es sich dabei um Erdbeben: XVIII 124, 8 und Meier 2004a, 344 Anm. 8.

φόβος in diesem Sinne ('Unglück', nicht 'Angst, Schrecken') und in Plural kommt noch in Malal. ΙΧ 21 ἐκ τῶν πρῴην φόβων ("infolge der vorangegangenen Erdbeben", Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 236), Malal. XVIII 27 und Malal. XVIII 128, dreimal Genitiv, XVIII 128, 2f.. Der hiesige Dativ Plural ἐν αὐτοῖς δὲ τοῖς φόβοις ist einmalig; sehr oft anzutreffend ist hingegen die dazugehörige Singularform ἐν αὐτῷ δὲ τῷ φόβῳ (Malal. XVIII 28, 112, 118 [2mal], 124, 127).
3f./9 κίονος τοῦ ἐν τῷ Ξηρολόφῳ ἀπεπτελώθη μέρος: Bei der "Säule auf dem Xerolophos" handelt es sich um die 421 n. Chr. geweihte reliefierte Säule mit dem Standbild des Arcadius, die auf dem ebendiesem Kaiser gewidmeten, allerdings von seinem Sohn Theodosius II. fertiggestellten Arcadius-Forum in Konstantinopel stand. Der Name Xerolophos ("Trockenhügel") kann sowohl das umliegende Stadtgebiet als auch Forum und Säule selbst meinen: Bauer 1996, 205 mit Anm. 426. Trotz zahlreicher Beschädigungen stand diese Säule noch bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts aufrecht. Zu Forum und Säule Müller-Wiener 1977, 250–253; Bauer 1996, 203–212.

Vgl. Theoph. a.m. 6034 (I 222, 25–30 de Boor), wo mit Bezug auf ein auch in Malal. XVIII 118 erwähntes Erdbeben die Beschädigung der auf dieser Säule stehenden Statue berichtet wird (demnach sei der rechte Arm herabgefallen: s. auch XVIII 118, 4). Diese Beschädigung liegt somit bei Theophanes chronologisch vor dem hier fraglichen Ereignis (I 226,11–15 de Boor). Theophanes erwähnt die Säule auf dem Xerolophos zudem noch ein drittes Mal (a.m. 6232 = I 412, 9–14 de Boor für 739/40 n. Chr.). An der entsprechenden Stelle heißt es, die Statue sei anlässlich eines Erdbebens von der Säule herabgefallen. Über vorherige Ausbesserungsarbeiten ist nichts bekannt, was nahelegt, dass die Statue bis ins 8. Jahrhundert ohne Unterbrechungen auf der Säule gestanden hat. Wenn Malalas an der hiesigen Stelle erklärt, dass "part of the column ... was stripped off" (Übs. Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 289) bzw. dass "ein Teil der Säule ... abgespalten [wurde]" (Übs. Thurn/Meier 2009, 508), so dürfte sich das demzufolge nicht auf tragende Teile beziehen (zum problematischen Verb ἀπεπτελώθη XVIII 103, 4). Theoph. I 226, 14–15 de Boor ergänzt noch, auch das Säulenkapitell sei zu Schaden gekommen. Wahrscheinlich ist daran zu denken, dass reliefierte Stuckplatten von der Säule abgesprengt wurden. Eine Zeichnung des späten 17. Jahrhunderts (Müller-Wiener 1977, 250, Abb. 283) zeigt zahlreiche Absprengungen und Risse sowohl am Kapitell als auch insbesondere am Säulenschaft. Sie könnten freilich auch von unzähligen späteren Erdbeben, Bränden und sonstigen Beschädigungen herrühren.
Parallelüberlieferung
Theoph. a.m. 6041 = I 226,11–15 de Boor; Cedr. 409.1, 6–8 Tartaglia; Georg. Mon. 641,17–19 de Boor.; Theoph. a.m. 6040 = I 226, 4–5 de Boor (?).
Literatur
Chilmead (1691): Chilmead, Edmund: Johannis Antiocheni cognomento Malalae Historia Chronica … nunc primum edita cum Interpret. & Notis Edm. Chilmeadi …, Oxonii, 1691.
Dindorf (1831): Dindorf, Ludwig: Iohannis Malalae Chronographiae ex recensione L. Dindorfii, Bonn, 1831.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Rochow (1983): Rochow, Ilse: Malalas bei Theophanes, Klio, 1983, 459–474.
Rüger (1895): Rüger, Anton: Studien zu Malalas. Präpositionen und Adverbien. Das 18. Buch. Die konstantinischen Excerpte. Die tuskulanischen Fragmente, Bad Kissingen, 1895.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.
Toup (1790): Toup, Jonathan: Emendationes in Suidam et Hesychium et alios lexicographos Graecos, Oxonii, 1790.
deBoor (1885): de Boor, Carolus: Theophanis Chronographia volumen II, Lipsiae, 1885.