Malalas 18.109 1–4 = 66–69 (Thurn)

Inhalt

Kapitel XVIII 109 berichtet von der Einweihung der unter Justinian neugebauten Apostelkirche in Konstantinopel und der feierlichen Niederlegung der Reliquien des Andreas, Lukas und Timotheos in der Kirche durch den Patriarchen Menas.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (66)
Μηνὶ ἰουνίῳ κηʹ, ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ, ἐγένετο τὰ ἐγκαίνια τῶν
 
ἁγίων ἀποστόλων καὶ κατάθεσις τῶν τιμίων λειψάνων Ἀνδρέου,
 
Λουκᾶ, καὶ Τιμοθέου ἐν Κωνσταντινουπόλει· καὶ διῆλθεν ἐπίσκοπος
 
Μηνᾶς μετὰ τῶν αὐτῶν ἁγίων λειψάνων καθήμενος ἐν ὀχήματι βασιλικῷ.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ ἰουνίῳ κηʹ, ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ: Die Indiktionsangabe bezieht sich auf die in Kap. XVIII 106 erwähnte 13. Indiktion (549/50). Diese Datierung wird durch die Fragmenta Tusculana und Theophanes sicher bestätigt: In den Fragmenta findet sich der identische Rückbezug ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ; die 13. Indiktion wird hier für die Zirkusunruhen von April 550 explizit erwähnt (24, Z. 2f. Mai = Thurn 2000, 411, Z.+13; äquivalent zu Malal. XVIII 108). Theophanes ordnet das Geschehen in das 38. Regierungsjahr Justinians (= 549/50) ein. Übereinstimmung herrscht auch bei der Tagesangabe (28. Juni; bei der Datumsangabe 29. Juni in der Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 509 scheint es sich um einen Fehler zu handeln). Fragm. Tusc. und Theoph. geben dazu noch die dritte Tagesstunde an; schließlich bietet Fragm. Tusc. 24, Z. 10 Mai noch eine Konsuldatierung – notwendigerweise anhand des ‚Postkonsulates‘ (XVIII 83, 1). Namentlich wird in das neunte (!) Postkonsulat des letzten römischen Konsuls Basilius datiert (= 550, vgl. Bagnall/Cameron/Schwartz/Worp 1987, 617).

Laut Macrides/Magdalino 1988, 72 Anm. 91 ist die Einweihung der Apostelkirche am Todestag der Kaiserin Theodora (28. Juni) "another example of the honour accorded to the deceased empress".
1/8 τὰ ἐγκαίνια: Zum Pluraletantum ἐγκαίνια (lat. encaenia) XIII 17, 14.
1f./8 τὰ ἐγκαίνια τῶν ἁγίων ἀποστόλων: Die hier angesprochene Apostelkirche lag auf einem Hügel im nordwestlichen Bereich des Stadtareals (heute durch die Fatih-Moschee überbaut) und war bereits unter Konstantin dem Großen als Grabkirche für ihn und seine Dynastie errichtet worden; nach mehreren Umbauten erfolgte eine erste Weihe 370 n. Chr. Justinian hatte das Gebäude, wie aus Prokop zu erfahren ist, aufgrund von Baufälligkeit abreißen und an selber Stelle eine kreuzförmige neue Kirche errichten lassen (Procop. aed. I 4,9–15), die er wiederum als Grablege seiner eigenen Dynastie designierte. Zu der Anlage und ihrer Geschichte vgl. Janin 1953, 46–55; Müller-Wiener 1977, 405–411; Epstein 1982; Besprechung der schriftlichen Überlieferung bei Speck 2000.

Diese Stelle wird von Jeffreys 1990a, 214 zu den Abschnitten gezählt, die möglicherweise auf die Nutzung einer konstantinopolitanischen Stadtchronik zurückgehen, da ihre Themen der "traditional pattern of the acta urbis" entsprächen, welche üblicherweise u.a. Nachrichten über Kirchweihungen (aber auch über viele andere lokale Begebenheiten) enthielten. Es ist in diesem Zusammenhang aber zumindest auch denkbar, dass sich die Relevanz für die Darstellung in Malalas aus dem größeren kirchenpolitischen Zusammenhang des Dreikapitelstreites ergibt, zu dessen Protagonisten der Patriarch Menas und der (indirekt erwähnte) Kaiser zählten: XVIII 109, 3f.. (Jonas Borsch)
2/4 ἡ κατάθεσις: Erster von vier Belegen für das Substantiv κατάθεσις in der Malalas-Chronik und gleichzeitig der einzige Beleg, bei dem das Wort eine auch sonst bezeugte Bedeutung – nämlich 'Niederlegung' (von Reliquien) – hat, vgl. z.B. Eus. HE 3, 31, 1 Παύλου μὲν οὖν καὶ Πέτρου τῆς τελευτῆς ὅ τε χρόνος καὶ ὁ τρόπος καὶ πρὸς ἔτι τῆς μετὰ τὴν ἀπαλλαγὴν τοῦ βίου τῶν σκηνωμάτων αὐτῶν καταθέσεως ὁ χῶρος ἤδη πρότερον ἡμῖν δεδήλωται ["der Ort der Niederlegung ihrer Leichen nach ihrem Ausscheiden aus dem Leben", bezogen auf die Apostel Petrus und Paulus]. Die anderen drei Malalas-Belege von κατάθεσις kommen – in Plural – im Malal. XVIII 141 vor und haben dort die sonst unübliche Bedeutung 'Geständnis' (von Verhafteten), siehe Thurn 2000, 487 im "Index verborum ad res Byzantinas spectantium".
2/6 τῶν τιμίων λειψάνων: Diese Phrase könnte als ein weiteres Beispiel von Malalas' "formulaic phraseology" (allgemein dazu Jeffreys 1990e) gelten; sie zählt drei Belege, vgl. neben vorliegender Stelle noch Malal. XVIII 49 τὸ τίμιον λείψανον τοῦ ἁγίου μάρτυρος Μαρίνου und XVIII 113 τὰ τίμια λείψανα. Anders als durch die Aufnahme des Wortes λείψανον in Thurns "Index verborum ad res Byzantinas spectantium" suggeriert werden könnte (Thurn 2000, 488), findet sich dieses Substantiv (meistens im Plural) mit Bezug auf menschliche Leichen, und spezifisch christlich auf Leichen von Heiligen (also auf Reliquien), auch in früheren Werken der griechischen Literatur (für λείψανον als 'Leiche' siehe bereits Soph. El. 1113 αὐτοῦ σμικρὰ λείψαν’; im christlichen Kontext siehe die zahlreichen Belege bei GLRBP s.v. λείψανον).
2f./3 καὶ ἡ κατάθεσις τῶν τιμίων λειψάνων Ἀνδρέου, Λουκᾶ, καὶ Τιμοθέου ἐν Κωνσταντινουπόλει: An diesem Satz lässt sich das zwischen Fragm. Tusc. IV, der Handschrift O und Theophanes' Chronographia bestehende Quellenverhältnis besonders gut ablesen und verfolgen (ausgehend von der Annahme, dass die Fragm. Tusc. den Text des 'Ur-Malalas' wiedergeben):

Fragm. Tusc. IV, p. 25 Mai ist am ausführlichsten und liest:
καὶ κατάθεσις τῶν ἁγίων λειψάνων Ἀνδρέου, Λουκᾶ, καὶ Τιμοθέου ἐν τῷ οἴκῳ τῶν αὐτῶν ἁγίων ἀποστόλων ἐν Κωνσταντινουπόλει·

Daraus schöpften die O-Version der Malalas-Chronik und Theophanes jeweils unterschiedliche Details. O lässt die Textpartie ἐν τῷ οἴκῳ τῶν αὐτῶν ἁγίων ἀποστόλων ganz weg; der O-Text sagt also nicht explizit, wo genau die Niederlegung der Reliquien stattfand (nämlich in der neugeweihten Apostelkirche): Das muss aus der Erwähnung dieser Kirche am Anfang des Kapitels erschlossen werden. In O besteht – streng genommen – kein Verhältnis zwischen dem ersten und dem zweiten Satz im Kapitel: Es könnte sich bei der Kirchenweihe und der Reliquiendeposition rein theoretisch um zwei nicht verwandte Episoden handeln. Dieser sprunghafte Duktus der Narration kann als typisches Ergebnis des in O vorliegenden Kürzungsprozesses betrachtet werden.

Die entsprechende Theophanes-Stelle (Theoph. 227, 11–12 de Boor) lautet hingegen:
καὶ ἡ κατάθεσις τῶν ἁγίων λειψάνων Ἀνδρέου, Λουκᾶ, καὶ Τιμοθέου, τῶν ἀποστόλων

Hier ist die geographische Angabe ἐν Κωνσταντινουπόλει ausgelassen; mit der Übernahme des Genitivs ἀποστόλων wird eine Brücke zur zuvor erwähnten Neueinweihung der Apostelkirche geschlagen; siehe zum Verhältnis der Texte auch Rochow 1983, 470.
2f./4 ἡ κατάθεσις τῶν τιμίων λειψάνων Ἀνδρέου, Λουκᾶ, καὶ Τιμοθέου: Die Apostelreliquien waren bereits 356/57 in der Kirche niedergelegt worden (Mango 1990b, 52f.; vgl. Mango/Scott 1997, 331, Anm. 5). Prokop berichtet ausführlich, wie die heiligen Gebeine im Zuge der Bauarbeiten an der Kirche zu Tage gekommen seien; nach einer Instandsetzung der Holzsärge hätten die Reliquien eine abermalige feierliche Bestattung erhalten (Procop. aed. I 4,17–22). Hier setzt der Bericht des Malalas an, der – ergänzt durch die Parallelüberlieferung – die Prozession beschreibt, die aus Anlass dieser Neubestattung abgehalten wurde.

Bei den drei Heiligen handelt es sich um den Apostel Andreas (Halkin 1957 I, 29; Bibliotheca Sanctorum I [1961], s.n. Andrea, apostolo 1194–1100 [G. D. Gordini]), den Evangelisten Lukas (Halkin 1957 II, 57–60; Bibliotheca Sanctorum VIII, s.n. Luca, Evangelista, 188–222 [P. Cannata]) sowie den Paulus-Gefährten Timotheus (Halkin 1957 II, 305; Bibliotheca Sanctorum XII [1969], s.n. Timoteo, 482–488 [G. Lucchesi]). Alle drei zusammen waren Namensgeber der Kirche, wie Fragm. Tusc. 25, Z. 3f. Mai verdeutlicht: die Leichname wurden "im Gotteshaus derselben heiligen Apostel" (ἐν τῷ οἴκῳ τῶν αὐτῶν ἁγίων ἀποστόλων) zur Ruhe gebettet.
3f./6 καὶ διῆλθεν ὁ ἐπίσκοπος Μηνᾶς μετὰ τῶν αὐτῶν ἁγίων λειψάνων καθήμενος ἐν ὀχήματι βασιλικῷ: Nach βασιλικῷ beendet die O-Version der Malalas-Chronik den Bericht über die Reliquiendeposition. An sich wirkt die Erzählung abgeschlossen; ein Vergleich mit Fragm. Tusc. IV, p. 25 Mai zeigt jedoch, dass O einige Details über den Verlauf des feierlichen, von Menas geleiteten Prozessionszuges ausgelassen hat – ein weiterer Beweis dafür (auch XVIII 109, 2f.), dass – falls die Fragmenta Tusculana ein Abbild des Ur-Malalas sind – O nur die abgekürzte Fassung desselben sein kann.
3f./7 διῆλθεν ... βασιλικῷ: Mit Blick auf die Schilderung der Prozession fällt insbesondere die Nutzung des kaiserlichen Wagens auf. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Patriarch im Rahmen einer Einweihungsfeier das kaiserliche Gespann genutzt haben soll: Entsprechendes überliefert Theophanes (217,16–22 de Boor) auch für die Einweihung der Hagia Sophia, bei der der Kaiser die Prozession zu Fuß begleitete: dazu XVIII 86, 1. Die besondere Rolle des Kaisers im hiesigen Fall betont Procop. Aed. I 4,18; I 4,22–24. Die hohe Zahl der erhaltenen Berichte über die Weihung und insbesondere die Auffindung der Gebeine (vgl. Mich. Syr. IX 33 Chabot) unterstreicht die Bedeutung des Ereignisses. Leppin 2011a, 285 äußert die Vermutung, die öffentliche Prozession könne als "Zeichen des Friedens" im Konflikt um die Drei Kapitel (XVIII 97, 1f.) zu verstehen sein; deutlicher in diesem Sinne lässt sich womöglich der Bericht über die gemeinsame Einweihungsprozession für die Hagia Eirene in Galatai des Menas und des alexandrinischen Bischofs Apollinarios interpretieren: XVIII 113, 3ff.. Drecoll 2016, 54 macht darauf aufmerksam, dass es sich bei den Verweisen auf die kaiserlichen Wagen nahezu um die einzigen, noch dazu indirekten Erwähnungen des Kaisers in der Darstellung des Dreikapitelstreites bei Malalas handelt (neben XVIII 111, 1).

Die Parallelüberlieferung zeugt von einer ausführlicheren, frühen Version des Malalas-Berichtes (XVIII 109, 3f.) und verdeutlicht damit zusätzlich das Gewicht, das derartigen Begebenheiten in der Chronographia beigemessen wird: Fragm. Tusc. und Theophanes präzisieren, dass der Bischof die Reliquiare auf den Knien gehalten habe (Fragm. Tusc., Theoph.), dass sein Wagen vergoldet und mit Edelsteinen verziert gewesen sei (Theoph.) und dass ihm voran ein weiteres kaiserliches Gespann (ohne Kutscher) zu sehen gewesen sei (Fragm. Tusc.).

Die Parallelüberlieferung zeugt von einer ausführlicheren, frühen Version des Malalas-Berichtes (XVIII 109, 3f.) und verdeutlicht damit zusätzlich das Gewicht, das derartigen Begebenheiten in der Chronographia beigemessen wird: FT und Theophanes präzisieren, dass der Bischof die Reliquiare auf den Knien gehalten habe (FT, Theoph.), dass sein Wagen vergoldet und mit Edelsteinen verziert gewesen sei (Theoph.) und dass ihm voran ein weiteres kaiserliches Gespann (ohne Kutscher) zu sehen gewesen sei (FT).
3f./8 ὁ ἐπίσκοπος Μηνᾶς: Zum konstantinopolitanischen Patriarchen Menas XVIII 83, 5.
4/8 ἐν ὀχήματι βασιλικῷ: Die Bezeichnung des Prozessionswagens als βασιλικός ist der einzige Hinweis auf die kaiserliche Involvierung in diesen (scheinbar) rein religiösen Akt, siehe dazu und allgemein zur untergeordneten Rolle Justinians in der Malalas-Darstellung des Drei-Kapitel-Streits Drecoll 2016, 53–55.
Parallelüberlieferung
Fragm. Tusc. IV, p. 25 Mai; Theoph. 227, 10–15 de Boor; Cedr. 409.4, 18–20 Tartaglia; Hist. Eccl. in Anec. Paris. 2, 113, 10–14 Cramer; Xanth. Hist. eccl. XVII 26, 39–42. Vgl. Procop. Aed. 1, 4, 19–24; Mich. Syr. IX 33 269f. Chabot.
Literatur
Bagnall/Cameron/Schwartz/Worp (1987): Bagnall, Roger S./Cameron, Alan/Schwartz, Seth R./Worp, Klaas A.: Consuls of the Later Roman Empire, Atlanta, 1987.
Drecoll (2016): Drecoll, V.: Miaphysitische Tendenzen bei Malalas?, Die Weltchronik des Johannes Malalas. Autor – Werk - Überlieferung, 2016, 45–57.
Epstein (1982): Epstein, Ann Warthon: The Rebuilding and Redecoration of the Holy Apostles in Constantinople: A Reconsideration, Greek, Roman and Byzantine Studies, 1982, 79–92.
Halkin (1957): Halkin, François: Bibliotheca Hagiographica Graeca II, Brüssel, 1957.
Jeffreys (1990a): Jeffreys, Elizabeth: Malalas' sources, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 167–216.
Jeffreys (1990e): Jeffreys, Michael: The language of Malalas, 2: Formulaic phraseology, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 225–231.
Laniado (2015a): Laniado, Avshalom: Ethnos et droit dans le monde protobyzantin, Genève, 2015.
Leppin (2011a): Leppin, Hartmut: Justinian. Das christliche Experiment, Stuttgart, 2011.
Macrides/Magdalino (1988): Macrides, Ruth/Magdalino, Paul: The architecture of ekphrasis: construction and context of Paul the Silentiary's poem on Hagia Sophia, Byzantine and Modern Greek Studies, 1988, 47–82.
Mango (1990b): Mango, Cyril: Constantine's Mausoleum and the Translation of Relics, Byzantinische Zeitschrift, 1990, 51–62.
Rochow (1983): Rochow, Ilse: Malalas bei Theophanes, Klio, 1983, 459–474.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.