Malalas 18.112 1–14 = 76–89 (Thurn)
Inhalt
Kapitel 112 beschreibt ein "großes" Erdbeben in der Levante, das nach Malalas weiträumig zu spüren war und insbesondere entlang der phönizischen Küste für Zerstörungen sorgte. Der vergleichsweise ausführliche Bericht enthält Hinweise auf Todesopfer, auf Hilfsmaßnahmen vonseiten des Kaisers sowie auf Sekundärwirkungen unterschiedlicher Art: Erwähnt werden ein Bergsturz nahe der Stadt Botrys sowie eine plötzliche und außergewöhnlich weitreichende Ebbe, die den Verlust vieler Schiffe verursachte.
Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur
ἐν τῇ χώρᾳ τῆς Μεσοποταμίας καὶ Ἀντιοχείας καὶ Φοινίκης παράλου καὶ
τελήφθησαν δὲ ἐν αὐταῖς καὶ πλήθη ἀνθρώπων. ἐν δὲ τῇ πόλει Βότρυος
προσώπου μέρος καὶ κατηνέχθη εἰς τὴν θάλασσαν, καὶ ἀπετέλεσε λιμένα,
10 (85)
γέθη· οὐκ εἶχε γὰρ ἡ αὐτὴ πόλις τὸ πάλαι λιμένα. ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς
κελεύσει ἀπεκατέστη ἡ θάλασσα εἰς τὴν ἀρχαίαν κοίτην.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 <Μηνὶ ἰουλίῳ, ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἕκτῃ,> ἰνδικτιῶνος ιδʹ: D.h. 6. Juli 551 n. Chr.
Die Datierungsangabe <Μηνὶ ἰουλίῳ, ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἕκτῃ> ist von Thurn 2000, 413 aus Fragm. Tusc. 4 (p. 27, 9 Mai) ergänzt worden und findet eine partielle Bestätigung bei Theoph. 227, 21 de Boor (τῷ δὲ Ἰουλίῳ μηνὶ θʹ [am 9. Tag], ohne Indiktionsangabe; ähnlich wie Theophanes auch Cedr. 409.5, 23 Tartaglia τῇ δὲ θʹ τοῦ Ἰουλίου μηνὸς: Diese Erdbebenstelle könnte einer der Fälle sein, bei denen Kedrenos direkt auf Theophanes zurückgriff: siehe allgemein dazu jetzt Tartaglia 2016, 21–22). Die – wenn auch nicht perfekte – Übereinstimmung zwischen Theophanes und den Fragmenta Tusculana lässt vermuten, dass die präzise chronologische Information "am 6. (bzw. am 9.?) Tag des Monats Juli" bereits im "Ur-Malalas" vorkam, während der bloße Hinweis von O auf "die vierzehnte Indiktion" (ἰνδικτιῶνος ιδ') das Restergebnis einer späteren Kürzung ist.
Dionysios von Tellmahre (115 Witakowski) datiert auf 552/553, bietet aber auch eine im Wortlaut identische Dublette für das Jahr 559/560 (125 Witakowski) sowie einen deutlich ausführlicheren, aber inhaltlich eng verwandten Bericht für 556/57 (118–119 Witakowski). Ein weiteres, inhaltlich stark abweichendes Narrativ, das sich aber wahrscheinlich auf dieselbe Begebenheit bezieht, setzt er in das Jahr 558/59 (119–121 Witakowski). Auch Mich. Syr. 308-311, der das Ereignis 557 n. Chr. einordnet, kann angesichts der bekannten chronistischen Verschiebungstendenzen vernachlässigt werden. Die Diskussion des Jahres 543 als Datum bei Leclercq 1907, 2378 mit Anm. 5 (schon dort verworfen) geht auf einen Fehler in der lateinischen Übersetzung der Theophanes-Chronik in der Patrologia Graeca zurück: vgl. Downey 1961, 558, Anm. 234. Schwieriger mit der Datierung bei Malalas übereinzubringen ist der ausführliche Bericht über das Ereignis in Agath. II 15, der in Agathias' Narrativ unter Verwendung des Anschlusses ὑπὸ δέ τὸν αὐτὸν χρόνον ("um dieselbe Zeit") auf Ereignisse des Jahres 555 folgt. Bereits Stein 1949, 757, Anm. 5 und Cameron 1970a, 138f. haben darauf aufmerksam gemacht, dass dieser zeitliche Anschluss eher vage ausfällt; sie haben überdies auf den Exkurs-Charakter der Agathias-Stelle hingewiesen (vgl. zur Diskussion auch McCail 1967; zusammenfassend Meier 2004a, 666f., Anm. 97). Da sich Agathias wie Malalas auf ein schwerwiegendes und weiträumig spürbares Beben mit Tsunami-Folgen bezieht (zur Einordnung von Malalas' Beschreibungen XVIII 112, 2ff. ; XVIII 112, 13 ), ist kaum anzunehmen, dass hier zwei unterschiedliche Ereignisse beschrieben werden. Meinen beide dasselbe Ereignis, so ist dem präzisen Datum in der Malalas-Tradition gegenüber der nur ungefähren Einordnung bei Agathias der Vorzug zu geben. Mit Datierung auf 554 (nach Agath. II 15 und Malal. XVIII 118, XVIII 118, 1 ) noch Capelle 1924, 356; Hermann 1962, 1111. So auch noch Downey 1955, 598; anders allerdings bereits Downey 1961, 558 mit Anm. 234, wo die Angaben der Malalas-Tradition (Juli 551) unter Verweis auf Stein übernommen werden. Vgl. die weitgehend übereinstimmenden Datierungen auf (Juli) 551 bei McCail 1967; Russel 1985, 39; Guidoboni 1989, 699–701; Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 332; Meier 2004a, 666f. mit Anm. 97; Ambraseys 2009, 199. In der Frage nach dem präzisen Datum (6. oder 9.?) folgen die jüngeren Erdbebenkataloge ohne nähere Begründung Theophanes statt den Fragmenta; das Gegenteil wäre ebenso gut denkbar. (Jonas Borsch)
Die Datierungsangabe <Μηνὶ ἰουλίῳ, ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἕκτῃ> ist von Thurn 2000, 413 aus Fragm. Tusc. 4 (p. 27, 9 Mai) ergänzt worden und findet eine partielle Bestätigung bei Theoph. 227, 21 de Boor (τῷ δὲ Ἰουλίῳ μηνὶ θʹ [am 9. Tag], ohne Indiktionsangabe; ähnlich wie Theophanes auch Cedr. 409.5, 23 Tartaglia τῇ δὲ θʹ τοῦ Ἰουλίου μηνὸς: Diese Erdbebenstelle könnte einer der Fälle sein, bei denen Kedrenos direkt auf Theophanes zurückgriff: siehe allgemein dazu jetzt Tartaglia 2016, 21–22). Die – wenn auch nicht perfekte – Übereinstimmung zwischen Theophanes und den Fragmenta Tusculana lässt vermuten, dass die präzise chronologische Information "am 6. (bzw. am 9.?) Tag des Monats Juli" bereits im "Ur-Malalas" vorkam, während der bloße Hinweis von O auf "die vierzehnte Indiktion" (ἰνδικτιῶνος ιδ') das Restergebnis einer späteren Kürzung ist.
Dionysios von Tellmahre (115 Witakowski) datiert auf 552/553, bietet aber auch eine im Wortlaut identische Dublette für das Jahr 559/560 (125 Witakowski) sowie einen deutlich ausführlicheren, aber inhaltlich eng verwandten Bericht für 556/57 (118–119 Witakowski). Ein weiteres, inhaltlich stark abweichendes Narrativ, das sich aber wahrscheinlich auf dieselbe Begebenheit bezieht, setzt er in das Jahr 558/59 (119–121 Witakowski). Auch Mich. Syr. 308-311, der das Ereignis 557 n. Chr. einordnet, kann angesichts der bekannten chronistischen Verschiebungstendenzen vernachlässigt werden. Die Diskussion des Jahres 543 als Datum bei Leclercq 1907, 2378 mit Anm. 5 (schon dort verworfen) geht auf einen Fehler in der lateinischen Übersetzung der Theophanes-Chronik in der Patrologia Graeca zurück: vgl. Downey 1961, 558, Anm. 234. Schwieriger mit der Datierung bei Malalas übereinzubringen ist der ausführliche Bericht über das Ereignis in Agath. II 15, der in Agathias' Narrativ unter Verwendung des Anschlusses ὑπὸ δέ τὸν αὐτὸν χρόνον ("um dieselbe Zeit") auf Ereignisse des Jahres 555 folgt. Bereits Stein 1949, 757, Anm. 5 und Cameron 1970a, 138f. haben darauf aufmerksam gemacht, dass dieser zeitliche Anschluss eher vage ausfällt; sie haben überdies auf den Exkurs-Charakter der Agathias-Stelle hingewiesen (vgl. zur Diskussion auch McCail 1967; zusammenfassend Meier 2004a, 666f., Anm. 97). Da sich Agathias wie Malalas auf ein schwerwiegendes und weiträumig spürbares Beben mit Tsunami-Folgen bezieht (zur Einordnung von Malalas' Beschreibungen XVIII 112, 2ff. ; XVIII 112, 13 ), ist kaum anzunehmen, dass hier zwei unterschiedliche Ereignisse beschrieben werden. Meinen beide dasselbe Ereignis, so ist dem präzisen Datum in der Malalas-Tradition gegenüber der nur ungefähren Einordnung bei Agathias der Vorzug zu geben. Mit Datierung auf 554 (nach Agath. II 15 und Malal. XVIII 118, XVIII 118, 1 ) noch Capelle 1924, 356; Hermann 1962, 1111. So auch noch Downey 1955, 598; anders allerdings bereits Downey 1961, 558 mit Anm. 234, wo die Angaben der Malalas-Tradition (Juli 551) unter Verweis auf Stein übernommen werden. Vgl. die weitgehend übereinstimmenden Datierungen auf (Juli) 551 bei McCail 1967; Russel 1985, 39; Guidoboni 1989, 699–701; Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 332; Meier 2004a, 666f. mit Anm. 97; Ambraseys 2009, 199. In der Frage nach dem präzisen Datum (6. oder 9.?) folgen die jüngeren Erdbebenkataloge ohne nähere Begründung Theophanes statt den Fragmenta; das Gegenteil wäre ebenso gut denkbar. (Jonas Borsch)
2/1 μέγας: Anders als das gleich folgende Adjektiv φοβερός (XVIII 112, 2 ) qualifiziert μέγας – eigentlich ein sehr banales Epitheton – in der O-Version der Malalas-Chronik nur zweimal Erdbeben, und zwar neben dieser Stelle nur noch das Erdbeben beim Tode Jesu in Malal. X 14 ἐγένετο εἰς πάντα τὸν κόσμον σεισμὸς μέγας; vgl. aber auch Theoph. 224, 12 de Boor σεισμὸς μέγας εἰς ὅλον τὸν κόσμον, möglicherweise aus dem "Ur-Malalas": XVIII 93, 1 .
Die seltene Bezeichnung des Bebens als μέγας hebt dieses Ereignis von anderen Erdbeben in der Chronik merklich ab. Dass es sich um einen exzeptionellen Fall handelt, wird auch durch die hohe Aufmerksamkeit bestätigt, die dem Geschehen abseits der chronikalischen Literatur zugekommen ist, vgl. Agath. II 15; Itin. Ant. Plac. 1,3–4; 1,6 (88 Milani); 2,1 (90 Milani); Vita Sym. Iun. 105 van den Ven; evtl. auch Roman. Mel. Hymn. 51. Zur Rekonstruktion allgemein Guidoboni 1989, 701–703; Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 332–336; Ambraseys 2009, 199–203. (Jonas Borsch, Laura Carrara)
Die seltene Bezeichnung des Bebens als μέγας hebt dieses Ereignis von anderen Erdbeben in der Chronik merklich ab. Dass es sich um einen exzeptionellen Fall handelt, wird auch durch die hohe Aufmerksamkeit bestätigt, die dem Geschehen abseits der chronikalischen Literatur zugekommen ist, vgl. Agath. II 15; Itin. Ant. Plac. 1,3–4; 1,6 (88 Milani); 2,1 (90 Milani); Vita Sym. Iun. 105 van den Ven; evtl. auch Roman. Mel. Hymn. 51. Zur Rekonstruktion allgemein Guidoboni 1989, 701–703; Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 332–336; Ambraseys 2009, 199–203. (Jonas Borsch, Laura Carrara)
2/3 φοβερὸς: Der Begriff φοβερός wird von Malalas gerade im Rahmen von Buch XVIII häufiger in Verbindung mit Erdbeben verwendet XVIII 79, 1 und kann auch Ereignisse beschreiben, die keine größeren Schäden anrichten (vgl. XVIII 123). Zur besonderen, keineswegs durchweg negativen Konnotation dieses Begriffes bei Malalas vgl. XVIII 52, 1 . (Jonas Borsch)
2/7 χώρᾳ: Erdbeben sind bei Malalas üblicherweise Stadtkatastrophen, weswegen die Hervorhebung des Landes hier auffällig erscheint. Die χώρα wird in anderen Erdbebenpassagen innerhalb der Chronik nur selten erwähnt: X 53 (Nikopolis und χώρα); XIV 12 (Beben auf Kreta; Unterscheidung von Spenden für πόλις und χώρα); vgl. auch XVIII 92 (Massensterben durch Seuche in allen Städten und Ländern). Die Konzentration auf urbane Katastrophen entspricht einer antiken Tendenz, die am deutlichsten im Bittschreiben des Aelius Aristides an die Kaiser Marc Aurel und Commodus nach einem Erdbeben in Smyrna (177/178 n. Chr.) zum Ausdruck kommt, wo die außerhalb der Mauer gelegenen Teile der Stadt explizit als weniger relevant aus dem Hilfsgesuch ausgeklammert werden (Arist. XIX 8; vgl. dazu Franco 2005, 481). Auffällig ist zudem, dass Malalas zunächst eine weiträumige Erschütterung nahezu aller Ländereien der Levante beschreibt, sich in einem zweiten Schritt (Z. 4f.; XVIII 112, 4f. ) aber ganz auf eine Reihe von Städten konzentriert, die alle in einer einzigen Provinz, nämlich der Phoenice, liegen. (Jonas Borsch)
2ff./4 ἐν πάσῃ τῇ χώρᾳ τῆς Παλαιστίνης ἔν τε Ἀραβίᾳ καὶ ἐν τῇ χώρᾳ τῆς Μεσοποταμίας καὶ Ἀντιοχείας καὶ Φοινίκης παράλου καὶ Λιβανησίας: Malalas benutzt hier – fast – durchgehend Provinzbezeichnungen. Es handelt sich dabei nacheinander um das "gesamte Land von Palästina", i.e. die Provinzen Palaestina I, Palaestina II und Palaestina salutaris, um die Provinz Arabia, beide mesopotamischen Provinzen (Mesopotamia und Osrhoene) sowie um den meerseitig gelegenen Teil der Phoenice (i.e. Maritima: vgl. den Zusatz παράλου; genau so bezeichnet mit Blick auf die Aufteilung der Phoenice unter Theodosius: Malal. XIII 37) und die Phoenice Libanensis. Wenn in diesem Kontext des Weiteren von (der χώρα von) Antiocheia die Rede ist, kann man das wohl auf die Provinz Syria (d.h. den zum Mittelmeer hin gelegenen Teil der insgesamt drei syrischen Provinzen) beziehen. Dass gerade hier die Bezeichnung von der wichtigsten Provinzstadt hergeleitet wird, könnte man als Indiz für die anhaltend besondere Rolle Antiocheias – auch noch in diesem späten Teil der Chronographia – werten. Hinter der außerordentlich großen Ausdehnung, die dem Beben hier von Malalas zugesprochen wird, vermuten Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 336 sekundäre Effekte und Nachbeben mit abweichenden Epizentren. Malalas spricht an dieser Stelle allerdings noch nicht von Zerstörungen. Er sagt somit lediglich, dass das Erdbeben in den genannten Regionen spürbar war. Dazu kongruent berichtet Agath. II 15,5, dass die Erschütterung noch in Alexandria zu spüren gewesen sei. Ambraseys 2009, 200, diskutiert die Möglichkeit, dass das Epizentrum nicht (wie mit Blick auf die sekundären Effekte vielleicht zu erwarten) im Meer, sondern im Inland gelegen haben könnte. (Jonas Borsch)
4/1 Λιβανησίας: Die Handschrift O liest sowohl für diese Stelle (auf f. 314) als auch für Malal. XIII 37 Λιβανισίας bzw. Λιβανισίαν, was ein offenkundiger itazistischer Fehler ist: Denn der griechische (Bei-)Name dieser Provinz war zweifelsohne Λιβανησία (lt. Phoenice Libanensis), vgl. Evagr. HE III 34 u. IV 5; Ioann. Mosch. Pratum Spirituale 47 (PG 87/3, Sp. 2901, 1) Φοινίκης τῆς Λιβανησίας πόλις ἐστίν (alle Stellen laut den maßgeblichen Ausgaben ohne orthographische Varianten). Die richtige Schreibweise stellte in den beiden Malalas-Passagen Dindorf 1831, 345 u. 485 wieder her.
In den Fragmenta Tusculana wird die Phoenice Libanensis nicht erwähnt: Dort ist nur von der Phoenice Maritima die Rede, und auch nicht in der ersten allgemeinen Auflistung der betroffenen Gebiete (welche nur Arabia, Palästina, Mesopotamien und Antiochia umfasst), sondern erst in Bezug auf die zerstörten Städte: Frag. Tusc. 4, p. 28, 1–2 Mai καὶ ἔπεσαν ἐν τῇ τὲ χώρᾳ τῆς Φοινίκης τῆς παράλου πόλεις πολλαί; Theoph. 227, 23 de Boor und Cedr. 409.5, 24 Tartaglia haben bloß Φοινίκη. Dieser Befund überrascht, denn es bleibt zu erklären, woher die O-Version der Malalas-Chronik (wenn nicht aus Fragmenta Tusculana = "Ur-Malalas") die Präzisierung 'Libanensis' hat. Als Lösung des Problems könnte man vorschlagen, es sei der Urheber der O-Version gewesen, der, um den katastrophischen und kosmischen Charakter dieses Erdbebens zu unterstreichen, noch eine ihm bekannte und den in der Vorlage bereits genannten Gebieten nahestehende Provinz einfügte. Dass Λιβανησίας ein später eingedrungener Zusatz ist, könnte sich daran offenbaren, dass die gleich danach aufgelisteten erdbebenbetroffenen Zentren (Tyros, Sidon, Berytos, Tripolis, Byblos und Botrys) allesamt Küstenstädte der Phoenicia Maritima sind: Die Provinz Phoenice Libanensis fehlte also im "Ur-Malalas" zu Recht, weil sie, da kein Küstengebiet, von diesem Erdbeben mit Tsunami womöglich nicht in nennenswertem Umfang betroffenen war. Alternativ könnte man vermuten, dass die Fragmenta Tusculana__ das in ihrer Malalas-Vorlage sehr wohl vorhandene Wort Λιβανησίας ausließen (und dabei eine Neuformulierung der geographischen Angaben vornahmen?). Für einen solchen Umgang mit dem Ausgangstext (= "Ur-Malalas") ist jedoch kein einleuchtender Grund zu erkennen. Es ist im Fall von Λιβανησίας nicht ausgeschlossen, dass die deutlich spätere O-Version dem Ur-Malalas näher steht als die früheren Fragmenta Tusculana__.
In den Fragmenta Tusculana wird die Phoenice Libanensis nicht erwähnt: Dort ist nur von der Phoenice Maritima die Rede, und auch nicht in der ersten allgemeinen Auflistung der betroffenen Gebiete (welche nur Arabia, Palästina, Mesopotamien und Antiochia umfasst), sondern erst in Bezug auf die zerstörten Städte: Frag. Tusc. 4, p. 28, 1–2 Mai καὶ ἔπεσαν ἐν τῇ τὲ χώρᾳ τῆς Φοινίκης τῆς παράλου πόλεις πολλαί; Theoph. 227, 23 de Boor und Cedr. 409.5, 24 Tartaglia haben bloß Φοινίκη. Dieser Befund überrascht, denn es bleibt zu erklären, woher die O-Version der Malalas-Chronik (wenn nicht aus Fragmenta Tusculana = "Ur-Malalas") die Präzisierung 'Libanensis' hat. Als Lösung des Problems könnte man vorschlagen, es sei der Urheber der O-Version gewesen, der, um den katastrophischen und kosmischen Charakter dieses Erdbebens zu unterstreichen, noch eine ihm bekannte und den in der Vorlage bereits genannten Gebieten nahestehende Provinz einfügte. Dass Λιβανησίας ein später eingedrungener Zusatz ist, könnte sich daran offenbaren, dass die gleich danach aufgelisteten erdbebenbetroffenen Zentren (Tyros, Sidon, Berytos, Tripolis, Byblos und Botrys) allesamt Küstenstädte der Phoenicia Maritima sind: Die Provinz Phoenice Libanensis fehlte also im "Ur-Malalas" zu Recht, weil sie, da kein Küstengebiet, von diesem Erdbeben mit Tsunami womöglich nicht in nennenswertem Umfang betroffenen war. Alternativ könnte man vermuten, dass die Fragmenta Tusculana__ das in ihrer Malalas-Vorlage sehr wohl vorhandene Wort Λιβανησίας ausließen (und dabei eine Neuformulierung der geographischen Angaben vornahmen?). Für einen solchen Umgang mit dem Ausgangstext (= "Ur-Malalas") ist jedoch kein einleuchtender Grund zu erkennen. Es ist im Fall von Λιβανησίας nicht ausgeschlossen, dass die deutlich spätere O-Version dem Ur-Malalas näher steht als die früheren Fragmenta Tusculana__.
4/2 καὶ ἐν αὐτῷ τῷ φόβῳ ἔπαθον αἱ πόλεις: Deutlich wird hier eine Unterscheidung gemacht zwischen den zuvor aufgeführten Ländereien, die in einer nicht näher definierten Weise von dem Erdbeben erreicht wurden (σεισμός ... ἐγένετο, s.o.), und denjenigen Städten, die "litten" (ἔπαθον), also offenbar von Zerstörungen betroffen waren. (Jonas Borsch)
4/11 Τύρος: Phönizische Gründung auf einer der Küste unmittelbar vorgelagerten Insel etwa 40 km südlich von Sidon. Erst von Alexander durch einen Damm mit dem Festland verbunden (Arr. An. II 18,3-6). Die bis heute kontinuierlich weiterbesiedelte Stadt liegt seitdem auf einer stark exponierten Landzunge. In römischer Zeit hatte Tyros den Status einer Metropolis inne (vgl. Millar 1993, 118) und prosperierte wirtschaftlich wie kulturell. 198 n. Chr. wurde es zur Hauptstadt der Provinz Syria Phoenice. Zur Stadtentwicklung vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis zum Ende des neubabylonischen Reiches Katzenstein 1973; für einen Abriss der gesamten Stadtgeschichte Jidéjian 1969. (Jonas Borsch)
4f./10 τουτέστι Τύρος, Σιδών, Βηρυτός, Τρίπολις, Βύβλος, Βότρυς: In knapper Form führt Malalas hier eine Liste von betroffenen Städten auf, die allesamt in der Provinz Phoenice (Maritima) und in Meeresnähe liegen. Namentlich wird in dem gesamten Abschnitt außer diesen Orten nur Antiocheia aufgeführt, was aber möglicherweise mit dessen besonderer Rolle in der Chronik zu tun hat (XVIII 112, 2ff. ). Die Städte werden von Süden nach Norden fortschreitend aufgelistet; nur Tripolis, das vor den weiter südlich gelegenen Orten Byblos und Botrys erscheint, bildet die Ausnahme. Die außerchronikalische Parallelüberlieferung bezieht sich teils auf dieselben Orte: Antonin. Piac. itin. 88, 1,3–6 beschreibt Zerstörungen in Tripolis, Byblos und Beirut sowie in dem kleineren, zwischen Tripolis und Byblos gelegenen Ort Trieris (1,4; vgl. RE VII 1 (1939), s.v. Trieres 2, 119f.); Ps.-Dion. 119–121 Witakowski bezieht sich auf Beirut; darüber hinaus heißt es hier, viele andere Städte in Galileia, Arabien, Palästina und Samaria seien zusammengestürzt. Die vita Symeons des Jüngeren berichtet, "Städte und Ländereien der Küste" seien eingestürzt (ἔπεσαν πόλεις καὶ χῶραι τῆς παράλου).
(Jonas Borsch)
(Jonas Borsch)
5/1 Σιδών: Traditionsreiche phönizische Gründung, unmittelbar an der Mittelmeerküste des heutigen Libanon gelegen. Es wird diskutiert, ob ein Teil der Stadt ursprünglich auf Inseln angesiedelt war (DNP 11 [2001], 521). Nach wechselhaften Zeiten unter ptolemäischer und seleukidischer Herrschaft und längerer Unabhängigkeit im 1. Jahrhundert v. Chr. verlor Sidon in römischer Zeit an Bedeutung. Unter Elagabal erhielt die Stadt Koloniestatus. Vgl. zur Geschichte Jidéjian 1969. (Jonas Borsch)
5/2 Βηρυτός: Phönizische Gründung an der Küste der mittleren Levante. Bis in hellenistische Zeit im Vergleich zu phönizischen Kolonien wie Tyros, Sidon und Byblos von eher geringer Bedeutung; seit dem 2./1. Jh. v. Chr. entfaltete die Stadt zunehmende Handelsaktivitäten (u.a. mit Delos: Jidéjian 1973, 34–39) und entwickelte sich sukzessive zu einer der zentralen Handelsmetropolen in der Levante. 14 v. Chr. erhielt Beirut Koloniestatus; Herodes der Große und seine Nachfolger nutzten die Stadt als administratives Zentrum. Die berühmte Rechtsschule von Beirut ist ab dem 3. Jh. n. Chr. belegt (vgl. Jidéjian 1973, 59–70); im 4. Jahrhundert war Beirut Bischofssitz und wichtigste Stadt in der Levante; auch wirtschaftlich scheint ihr weiterhin große Bedeutung zugekommen zu sein: Vgl. Mouterde 1964, 188f. In mehreren der Berichte zum Erdbeben von 551 n. Chr. steht Beirut im Zentrum des Interesses. Detaillierte Einblicke in Verlauf und Folgen des Ereignisses bietet insbesondere Agathias (II 15). Er hebt die Konsequenzen des Bebens für die Rechtsschule hervor, von deren Studenten viele ums Leben gekommen waren und die vorübergehend nach Sidon verlegt werden musste. Der bei Pseudo-Dionysios überlieferte Bericht konzentriert sich ebenfalls auf Beirut und schildert ausführlich die trügerische Ebbe sowie das anschließende Hereinbrechen der Flutwelle (Ps.-Dionys. 119–121 Witakowski). Eine 1927 im Stadtzentrum von Beirut ergrabene byzantinische Basilika zeigt möglicherweise Erdbebenzerstörungen, die mit diesem Ereignis in Verbindung gebracht worden sind: Jidéjian 1973, 74 und Abb. 106. (Jonas Borsch)
5/3 Τρίπολις: Ca. 65 km nördlich von Beirut an der Mittelmeerküste gelegene Stadt. Der Name Tripolis ist eine volksetymologische Umdeutung des phönizischen Namens ṭarpol, die auf eine angebliche Gründung durch drei Nachbarstädte mit anschließender Dreiteilung anspielt (vgl. Diod. XVI 41,1 und Strab. XVI 2,13; dazu DNP 12/1 (2002), 828). In hellenistischer und römischer Zeit von geringer Bedeutung. Zur Stadtgeschichte Jidéjian 1980. (Jonas Borsch)
5/4 Βύβλος: Als Βίβλος überliefert sowohl in O als auch in Frag. Tusc. 4 (p. 28, 3 Mai): Das ist ein klarer itazistischer Fehler, wie Λιβανισίας XVIII 112, 4 . Er wurde bereits von Chilmead 1691, II, 229 Anm. 2 berichtigt. Die Parallelstelle in Theophanes' Chronographia (Theoph. 227, 24 de Boor) bietet – verlässt man sich auf das Fehlen von Angaben in de Boors Apparat – richtig Βύβλος.
5/4 Βύβλος: Küstenort ca. 30 km nördlich von Beirut, auch Gubla; heutiges Ǧubail. Als Zedernholzhafen bereits im 3. Jt. v. Chr. belegt. In phönizischer Zeit ein wichtiges Zentrum; für die hellenistische und römische Zeit ist die Überlieferung hingegen eher spärlich. Vgl. DNP 2 (1997), 864f. (Jonas Borsch)
5/5 Βότρυς: Küstenort zwischen Byblos und Tripolis, auch Batrun; heute El-Batrūn. Als Batruna ab der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. belegt. Abseits der antiken Küstenstraße gelegen, verfügte die Stadt im Gegensatz zu ihren Nachbarn über keine bedeutende Hafenanlage (wie auch Malalas weiter unten hervorhebt). In Strab. XVI 2,18 als Stützpunkt libanesischer Bergbewohner ausgewiesen. Vgl. DNP, s.v. Botrys; DCPP (1992), s.v. Batroun, 67. (Jonas Borsch)
5f./10 κατελήφθησαν δὲ ἐν αὐταῖς καὶ πλήθη ἀνθρώπων: Todesopfer werden bei Malalas in den Erdbebenbeschreibungen eher selten erwähnt. Die bekanntesten Ausnahmen bilden die großen Katastrophen in Antiocheia in den Jahren 526 und 528 n. Chr., für die auch (unterschiedlich glaubwürdige) Zahlen genannt werden (250.000 im Jahr 526: XVII 16; knapp 5000 im Jahr 528: XVIII 27). Im hiesigen Fall finden sich Hinweise auf Opferzahlen in der Parallelüberlieferung: Nach Antonin. Piac. itin. 88, 1,6 habe es in Beirut 30 (XXX: Lesart der Handschrift) bzw. 30.000 Tote (nach der verbreiteten Konjektur XXX milia von Geyer) gegeben: Für Ambraseys 2009, 200 ist die letztgenannte Zahl "a grossly exaggerated figure". (Jonas Borsch)
7f./1 ἀπεσπάσθη ἀπὸ τοῦ παρακειμένου τῇ θαλάσσῃ ὄρους τοῦ ἐπίκλην Λιθοπροσώπου μέρος καὶ κατηνέχθη εἰς τὴν θάλασσαν: Das Ein- oder Abstürzen von Bergen ist in der antiken Literatur über Erdbeben ein wiederkehrendes Thema: Vgl. die Beschreibungen eines oder mehrerer Beben in Sparta im 6./5. Jahrhundert v. Chr. in Cic. div. I 112; Strab. VIII 5,7; Plin. nat. II 191; Plut. Cimon 16,4 (Herabstürzen einer Bergspitze im Taygetos-Gebirge), eines Bebens in mythischer Zeit im Sipylos-Gebirge (Lydien; Strab. XII 8,18) sowie des so genannten "Zwölftstädtebebens" von 17 n. Chr. bei Tacitus (ann. II 47 mit Bezug auf das westliche Kleinasien: sedisse immensos montes, visa in arduo quae plana fuerint); vgl. auch Cass. Dio LXVIII 25,6 zu einem drohenden Bergsturz während des Bebens von 115 n. Chr. in Antiocheia sowie eine Anspielung in der Vita Hilarii des Hieronymus: Hier. Hil. 29,6. (Jonas Borsch)
7f./10 Λιθοπροσώπου: Kap zwischen Botrys und Tripolis, wörtlich "Steingesicht". Frühere Autoren nennen diesen Berg θεοῦ Πρόσωπον ("Gesicht Gottes"; vgl. Polyb. V 68,8; Ptolem. V 15,4; Strab. XVI 2 18); Arabisch Ras eš-Šaqa. Da die Bezeichnung als Λιθοπρόσωπον nur bei Malalas und (wahrscheinlich) auf ihn zurückgehenden Texten zu finden ist, kann man sich fragen, ob hier nicht womöglich eine Namensverwechslung oder -verkürzung vorliegt. (Jonas Borsch)
9/3 ὁρμεῖν: Die Handschrift O bietet die Lesart ὁρμῆν, der dritte itazistische Fehler in Folge (nach Λιβανισίας und Βίβλος) in diesem Kapitel. Das Frag. Tusc. 4 (p. 28, 9 Mai) liest ὁρμεῖν ('ankern'), was sicherlich die richtige und ursprüngliche Lesart ist. Bereits deBoor 1883, 227 konjizierte in seinem Apparat zu Theoph. 227, 27 ὁρμεῖν statt der von den Theophanes-Handschriften angebotenen Lesarten ὁρμᾷν bzw. ὁρᾷν.
9f./1 ὡς δύνασθαι ὁρμεῖν ἐν τῷ λιμένι τοῦ ἀποσπασθέντος ὄρους πλοῖα παμμεγέθη· οὐκ εἶχε γὰρ ἡ αὐτὴ πόλις τὸ πάλαι λιμένα: Malalas hebt hier eine positive Seite des sonst so katastrophalen Geschehens hervor. Dass Botrys bislang keinen (bedeutenden) Hafen besessen hatte, lässt sich wohl bestätigen (XVIII 112, 5 ). Ps.-Dion. 119 Witakowski bietet (unter anderem Datum) eine ausführlichere Version dieser Begebenheit, die inhaltlich im Wesentlichen dieselben Elemente bietet, jedoch die Wunderhaftigkeit des Geschehens sowie den göttlichen Einfluss unterstreicht. Direkte Überschneidungen bestehen beim Hinweis auf die Größe von Hafen und Schiffen sowie mit Blick auf den Namen des Berges (der möglicherweise auf Malalas zurückgeht: XVIII 112, 7f. ). (Jonas Borsch)
10ff./11 ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς ἀπέστειλε χρήματα ἐν πάσαις ταῖς ἐπαρχίαις καὶ ἀνήγειρε φανερὰ τῶν αὐτῶν πόλεων: Die Erwähnung kaiserlicher Hilfsmaßnahmen ist in diesem Teil der Chronik auffällig: Während in den Katastrophendarstellungen der kaiserzeitlichen Bücher X bis XVII sowie der Abschnitte bis inklusive Buch XVIII 40 fast durchgehend kaiserliche Maßnahmen geschildert werden, fehlen sie in den Abschnitten ab XVIII 55 – mit Ausnahme von Hinweisen auf Bittprozessionen – in ähnlicher Konsequenz (XVIII 93, 2 ). Der Abschnitt unterscheidet sich von den Erdbebendarstellungen des zweiten Teiles von Buch XVIII also nicht nur in seiner eher ungewöhnlichen Länge, sondern auch inhaltlich. Auffällig ist zudem, dass Malalas die Wiederherstellung nur auf Teile der betroffenen Städte bezieht (φανερὰ τῶν αὐτῶν πόλεων; XVIII 112, 11 ). Wenn diese Formulierung nicht Resultat des der Baroccianus-Handschrift vorausgegangenen Kürzungsprozesses sein sollte – eine durchaus bedenkenswerte Möglichkeit –, könnte sie als weiterer Hinweis auf die außerordentlichen Zerstörungen gewertet werden, die das Beben (mitsamt seiner Sekundärwirkungen) verursacht hatte. (Jonas Borsch)
11/9 φανερὰ τῶν αὐτῶν πόλεων: Für das Adjektiv φανερός in der Bedeutung 'gewiss', meistens quantitativ zu verstehen als 'viel' bzw. im Plural 'viele', in der Malalas-Chronik siehe die Stellensammlung von Thurn 2000, 521 im "Index verborum memorabilium"; ferner Festugière 1978, 234 und James 1990, 222. Das ist kein klassischer, sondern ein späterer Usus: Belege für andere spätantiken Autoren bei GLRBP s.v. φανερός 2.
An dieser Stelle muss der Ausdruck φανερὰ τῶν αὐτῶν πόλεων 'gewisse *Teile* jener Städte' heißen (so Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 291 "parts of these cities") eher als 'viele unter jenen Städten' (so Thurn/Meier 2009, 510 "eine stattliche Zahl dieser Städte"): Die überlieferte Lesart φανερά (O f. 314) ist Neutrum Plural und bezieht sich auf all das, was innerlhalb der Städte niedergerissen und vom Kaiser wiederaufgebaut wurde; um einen direkten Bezug auf die Städte selbst herzustellen, müsste man φανερά in φανεράς ändern. Das wäre eine leichte, dennoch unnötige Korrektur: Auch die Parallelstelle aus Theophanes' Chronographia hat an der fraglichen Stelle ein Neutrum, was darauf schließen lässt, das bereits er in seiner Malalas-Vorlage eine entsprechende Form vorfand: vgl. Theoph. 228, 2 de Boor τὰ πεπτωκότα τῶν αὐτῶν πόλεων (zu Theophanes' Abhängigkeit von Malalas für dieses Kapitel siehe Rochow 1983, 470 unter AM 6043 (550/551) ). Das Fragmentum Tusculanum 4 bietet hingegen diesbezüglich keine Aufklärung, da das Bruckstück bereits vor der Erwähnung der Reaktion des Kaisers abbricht.
An dieser Stelle muss der Ausdruck φανερὰ τῶν αὐτῶν πόλεων 'gewisse *Teile* jener Städte' heißen (so Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 291 "parts of these cities") eher als 'viele unter jenen Städten' (so Thurn/Meier 2009, 510 "eine stattliche Zahl dieser Städte"): Die überlieferte Lesart φανερά (O f. 314) ist Neutrum Plural und bezieht sich auf all das, was innerlhalb der Städte niedergerissen und vom Kaiser wiederaufgebaut wurde; um einen direkten Bezug auf die Städte selbst herzustellen, müsste man φανερά in φανεράς ändern. Das wäre eine leichte, dennoch unnötige Korrektur: Auch die Parallelstelle aus Theophanes' Chronographia hat an der fraglichen Stelle ein Neutrum, was darauf schließen lässt, das bereits er in seiner Malalas-Vorlage eine entsprechende Form vorfand: vgl. Theoph. 228, 2 de Boor τὰ πεπτωκότα τῶν αὐτῶν πόλεων (zu Theophanes' Abhängigkeit von Malalas für dieses Kapitel siehe Rochow 1983, 470 unter AM 6043 (550/551) ). Das Fragmentum Tusculanum 4 bietet hingegen diesbezüglich keine Aufklärung, da das Bruckstück bereits vor der Erwähnung der Reaktion des Kaisers abbricht.
12/9 ἔφυγεν θάλασσα: "zog sich das Meer zurück": Das kurzzeitige Absinken des küstennahen Wasserspiegels ist als Vorstufe von seismisch ausgelösten Flutwellen (Tsunamis) gut bekannt und auch von antiken Beobachtern beschrieben worden (so insbes. Amm. Marc. XXVI 10; vgl. auch Hdt. VIII 128–129). In straftheologischer Ausdeutung werden Ebbe und anschließende Flutwelle in Ps.-Dion. 119–121 Witakowski geschildert. (Jonas Borsch)
13/2 ἐπὶ μίλιον ἕν: ἐπί + Akk. wird benutzt in der Malalas-Chronk für das 'Sicherstrecken' nicht nur über einen zeitlichen Raum (dafür siehe die Belege bei Rüger 1895, 41 u. 52), sondern auch über einen physischen Raum tout court; vgl. Malal. XVIII 118 (die gefallene Lanze dringt in die Erde ἐπὶ πήχεις τρεῖς ein) und weitere Stellenangaben bei Rüger 1895, 41.
13/5 καὶ ἀπώλοντο πλοῖα πολλά: Der Rückzug des Wassers kann nur teilweise für den Verlust von Schiffen verantwortlich gemacht werden; moderne Vergleichsbeispiele zeigen, was auch schon Ammianus Marcellinus nahelegt, dass nämlich Schiffe in solchen Fällen bei der kurzzeitigen Ebbe zwar auf Grund laufen können, dass aber der eigentlich zerstörerische Effekt mit der Tsunami-Welle eintritt – wobei gerade Schiffe besonders starke Schäden erleiden oder auch anrichten können (Kollisionen mit Bauwerken o.ä.): Vgl. Amm. Marc. 26,10. Die Welle, die es nach der beschriebenen, außerordentlich weitreichenden Ebbe zwangsläufig gegeben haben muss (und die anderswo auch belegt ist: vgl. Ps.-Dion. 120–121 Witakowski), wird im Malalas-Text gar nicht erwähnt. Die überlieferte Darstellung offenbart insofern keine sehr präzise Vorstellung vom Ablauf einer Erdbeben-Tsunami-Katastrophe. Ob das an mangelnden Kenntnissen ihres Urhebers liegt oder auf textliche Verkürzungen zurückgeführt werden kann, ist nicht zu entscheiden. (Jonas Borsch)
14/2 ἀπεκατέστη: Starke, aktive Aoristform von ἀποκαθίστημι in der Bedeutung 'to be restored, return' (vgl. LSJ s.v. ἀποκαθίστημι II). Man beachte die Doppelung des Augments: Die richtige (klassische) Form wäre ἀποκατέστη gewesen. Merz 1911, 17 listet diese und andere Malalas-Verdoppelungen des Augments als Beweise der "Unsicherheit des Sprachgebrauches" des Chronisten auf. Formen wie ἀπεκατέστη tauchen allerdings bereits um die Jahrtausendwende z.B. bei Diodorus Siculus (in XVI 45, 9 ἀπεκατέστησαν usw.) und dann in der Septuaginta und im Novum Testamentum auf. Diese sprachliche Entwicklung geht also der Zeit der byzantinischen Chronistik mehrere Jahrhunderte voraus.
14/8 κοίτην: In der O-Version der Malalas-Chronik erscheint das Substantiv κοίτη zweimal, immer in der übertragenen Bedeutung 'Bett einer Wassermasse': vgl. neben vorliegender Stelle (welche sich auf das Meer bezieht) auch Malal. XVIII 130 (ἐν ἄλλῃ κοίτῃ, bezogen auf das neue Bett des Flusses Sangarios). Einmal kommt für 'Bett' sensu proprio in der Thurn-Ausgabe der Chronik das 'Normalwort' εὐνή vor, jedoch in einem Kapitel (Malal. V 21 ἐπὶ τῆς ἰδίας εὐνῆς), das von Thurn komplett aus den Anecdota Cramer ergänzt worden ist.
Ob der Terminus κοίτη bereits in der ursprünglichen Version der Malalas-Chronik (a) überhaupt und (b) in dieser übertragenen Bedeutung vorkam, lässt sich nicht sagen: Das vierte Fragmentum Tusculanum, das eine Parallelversion (in der communis opinio die Originalversion) zu dieser Episode bewahrt, bricht nach der Erwähnung des neuen Hafens von Botrys ab (vgl. Fragm. Tusc. 4, p. 28, 10 Mai); das Kap. VIII 130 ist von Thurn aus Theoph. 234, 15–18 de Boor ergänzt worden. Bereits Prokop benutzte jedenfalls κοίτη – neben mehreren Okkurrenzen als 'Bett', v.a. als 'Ehebett' o.ä. – auch für 'Flussbett': vgl. Procop. Aed. V 5, 13 τόν τε ποταμὸν αὖθις ἐς τὴν πρόσθεν ὁδὸν ἐπανήγαγεν, ἣν κοίτην καλοῦσι und V 5, 19 πρῶτα μὲν ἑτέραν πρὸ τῆς πόλεως διεσκευάσατο τῷ ποταμῷ κοίτην; siehe ferner unter GLRBP s.v. κοίτη. Der Wortlaut der erstgenannten Prokop-Stelle (ὁδὸν ... ἣν κοίτην καλοῦσι) erweckt den Eindruck, mit κοίτη für 'Flussbett' läge eine semantische Neuentwicklung des Wortes vor; diese war freilich schon in der metaphorischen Verwendung von κοίτη für die 'Bette' von (wilden) Tieren (i.e. Neste, Baue usw.: vgl. die Belege unter LSJ s.v. κοίτη 2) im klassischen Griechisch angelegt.
Ob der Terminus κοίτη bereits in der ursprünglichen Version der Malalas-Chronik (a) überhaupt und (b) in dieser übertragenen Bedeutung vorkam, lässt sich nicht sagen: Das vierte Fragmentum Tusculanum, das eine Parallelversion (in der communis opinio die Originalversion) zu dieser Episode bewahrt, bricht nach der Erwähnung des neuen Hafens von Botrys ab (vgl. Fragm. Tusc. 4, p. 28, 10 Mai); das Kap. VIII 130 ist von Thurn aus Theoph. 234, 15–18 de Boor ergänzt worden. Bereits Prokop benutzte jedenfalls κοίτη – neben mehreren Okkurrenzen als 'Bett', v.a. als 'Ehebett' o.ä. – auch für 'Flussbett': vgl. Procop. Aed. V 5, 13 τόν τε ποταμὸν αὖθις ἐς τὴν πρόσθεν ὁδὸν ἐπανήγαγεν, ἣν κοίτην καλοῦσι und V 5, 19 πρῶτα μὲν ἑτέραν πρὸ τῆς πόλεως διεσκευάσατο τῷ ποταμῷ κοίτην; siehe ferner unter GLRBP s.v. κοίτη. Der Wortlaut der erstgenannten Prokop-Stelle (ὁδὸν ... ἣν κοίτην καλοῦσι) erweckt den Eindruck, mit κοίτη für 'Flussbett' läge eine semantische Neuentwicklung des Wortes vor; diese war freilich schon in der metaphorischen Verwendung von κοίτη für die 'Bette' von (wilden) Tieren (i.e. Neste, Baue usw.: vgl. die Belege unter LSJ s.v. κοίτη 2) im klassischen Griechisch angelegt.
Parallelüberlieferung
Griechisch: Fragmentum Tusculanum 4, pp. 27, 8–28, 10 Mai; Theoph. 227, 21–228, 4 de Boor; Georg. Mon. 641, 19–642, 7 de Boor; Cedr. 409.5, 23–30 Tartaglia; Leo Gramm. 128, 11–13 Bekker; Vita Sym. Iun. 105 van den Ven; Roman. Mel. Hymn. 51 Maas/Trypanis (?).
Syrisch: Ioann. Eph. 241,17-27 van Douwen/Land; Chronik von Zuqnīn = Ps. Dion. 115; 118–119; 119–121; 125 Witakowski; Mich. Syr. 9,29 (S. 354 Moosa)
Lateinisch: Itin. Ant. Plac. 1,3–4; 1,6 (88 Milani); 2,1 (90 Milani)
Literatur
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