Malalas 18.136 1–7 = 24–30 (Thurn)

Inhalt

Kapitel XVIII 136 berichtet zunächst von Maßnahmen gegen Heiden, die im Schandzug durch Konstantinopel geführt und deren Bücher und Kunstwerke vernichtet werden. Es folgen kurze Hinweise auf den Eingang eines Synodalschreibens des Papstes sowie auf Parteienkämpfe in Kyzikos (Mysien), bei denen Menschen zu Tode gekommen und Gebäude zerstört worden seien.

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (24)
Μηνὶ ἰουνίῳ, ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ, συσχεθέντες Ἕλληνες περιεβωμί-
 
σθησαν καὶ τὰ βιβλία αὐτῶν κατεκαύθη ἐν τῷ Κυνηγίῳ καὶ εἰκόνες τῶν
 
μυσερῶν θεῶν αὐτῶν καὶ ἀγάλματα.
 
Καὶ τῷ αὐτῷ μηνὶ ἠνέχθησαν τὰ συνοδικὰ τοῦ πάπα Ῥώμης.
5 (28)
Καὶ τῷ αὐτῷ μηνὶ συνήφθη δημοτικὴ μάχη ἐν Κυζίκῳ, ὥστε πολλοὺς
 
πεσεῖν ἐξ ἀμφοτέρων τῶν μερῶν. ἐν αὐτῇ δὲ τῇ μάχῃ καί τινα τῶν ἐκεῖσε
 
κατεστράφη.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ ἰουνίῳ, ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ: Malalas bietet hier eine relative Datierung, die ohne rechten Bezugspunkt bleibt, da eine frühere Erwähnung jener "selben Indiktion", auf die sich der Text bezieht, in der uns erhaltenen Malalas-Version offenkundig verloren gegangen ist – sei es durch Verlust eines Sinnabschnittes infolge der Kürzungen in O oder (wahrscheinlicher) aufgrund der mindestens einseitigen lacuna, die der Codex einige Abschnitte früher aufweist (IX 16, 1). Hier ist allerdings eine vergleichsweise sichere Rekonstruktion möglich (vgl. Stein 1949, 799f.): Die letzte durch O überlieferte Indiktion ist die siebte (XVIII 129; hierauf wurde der Rückverweis in der früheren Forschung zum Teil bezogen, was aber auf Unkenntnis/Missachtung der lacuna zurückgeht); im nächsten Kapitel folgt der August der zehnten Indiktion (XVIII 137). Ein bei Malalas in Kap. XVIII 134 berichtetes Ereignis erscheint bei Theophanes (237,1–4) als letztes Ereignis des Jahres 561/62, was mit der zehnten Indiktion (September 561 – August 562) korrespondiert. Sowohl O als auch Theophanes haben für dieses Ereignis als Monatsangabe den Mai. Malal. XVIII 135 fällt nach O in "eben diesen Monat", bei Theophanes fehlt ein entsprechender Eintrag. Damit ist wohl davon auszugehen, dass in der lacuna ein Hinweis auf die zehnte Indiktion verloren gegangen ist und somit alle in den 49 Zeilen von XVIII 134 bis inklusive 137 geschilderten Begebenheiten in die Monate Mai bis August 562 fallen. Das legt den hiesigen Fall auf den Juni 562 fest. Die Datierung in Michael Syrus kann mit diesem Datum ebenfalls übereingebracht werden: Stein 1949, 374, Anm. 2. (Jonas Borsch)
1/6 συσχεθέντες: Erster Aorist von συνέχω. Nach Merz 1911, 29-30, zeigt Malalas normalerweise eine Vorliebe für den zweiten passiven Aorist, aber seine Weltchronik dokumentiert gelegentlich auch neue erste passive aoristische Formen, die aus der κοινή in die Prosa eingetreten sind. Die Verwendung von συνέχω im Sinne von "inhaftieren" ist nachklassisch und in Papyri sowie im Neuen Testament dokumentiert (siehe z.B. Lk. 22.63, καὶ οἱ ἄνδρες οἱ συνέχοντες αὐτὸν ἐνέπαιζον αὐτῷ δέροντες). (Lea Niccolai)
1/7 Ἕλληνες: Der Begriff Ἕλληνες bezeichnet bei Malalas die Anhänger des alten polytheistischen Glaubens: XVIII 42, 1. (Lea Niccolai)
1f./6 συσχεθέντες Ἕλληνες περιεβωμίσθησαν: Das Vorgehen gegen die Heiden (die hier eindeutig gemeint sind: XVIII 136, 1; vgl. jedoch zur Unschärfe des Begriffes XVIII 42, 1) bildet die chronologisch späteste unter den drei aus den literarischen Quellen bekannten Heidenverfolgungen unter Justinian. Die erste dieser Verfolgungen, die an den Beginn der Regierungszeit Justinians gehört (528/529 n. Chr.: Malal. XVIII 42), steht v.a. mit der Abberunfung von Heiden aus hochrangigen Reichsämtern in Verbindung, weswegen hinter ihnen weniger eine religiöse als vielmehr personelle Motivation vermutet worden ist. Die zweite von 545/46 (Joh. v. Eph. apud Ps.-Dion. 71 Witakowski) ist dagegen stärker unter religiösen Aspekten gesehen worden. Zu beiden Meier 2004a, 198–209, 298–302; vgl. auch XVIII 42, 1f. mit weiterer Literatur zur Thematik. Mit Blick auf den dritten, hiesigen Fall ist der öffentlichkeitswirksame Charakter der getätigten Maßnahmen besonders auffällig. Auf eine Individualisierung betroffener Einzelpersonen wird im erhaltenen Bericht ganz verzichtet (lediglich Mich. Syr. IX 33 erwähnt die Festnahmen anonymer heidnischer Priester in Athen, Antiochia und Baalbek), stattdessen stehen Maßnahmen von hohem symbolischen Gehalt im Vordergrund: das Verbrennen von Schriften und Götterbildern (XVIII 136, 2). Dahinter vermutet Meier 2004a, 302 eine "gezielte Kanalisierung eines aufgestauten Gewaltpotentials der unzufriedenen Bevölkerung". Maßnahmen gegen Heiden sind auch aus Antiochia und Umgebung überliefert: Liebeschuetz 2009, 465f. (Jonas Borsch)
2/4 βιβλία αὐτῶν κατεκαύθη: Die Vernichtung heidnischer Bücher unter obrigkeitlicher Leitung oder zumindest Billigung ist seit dem 4. Jh. vielfach belegt; dabei wurde häufig gezielt gegen bestimmte unerwünschte Inhalte vorgegangen (z.B. magische, christenfeindliche oder als anzüglich eingestufte Literatur: Speyer 1981, 130–141; vgl. für eine chronologische Darstellung für das 5./6. Jh. Rohmann 2016, 62–110). In diesem Fall scheint das Vorgehen allgemeinerer Natur gewesen zu sein, denn die Bücher wurden gemeinsam mit Abbildern und Statuen vernichtet, was eher auf die mit den Gegenständen verbundenen religiösen Vorstellungen verweist als auf spezifische anstößige Inhalte (Speyer 1981, 136f.). (Jonas Borsch)
2/6 κατεκαύθη: Malalas ist nicht kongruent in der Verwendung des Verbums in der 3. Person Singular mit dem Neutrum Plural, siehe dazu Festugière 1979, 230. (Lea Niccolai)
2/9 Κυνηγίῳ: Das Kynegion (von κυνηγέω – jagen) bezeichnete eine im Osten Konstantinopels in Meeresnähe gelegene Anlage, die als Schauplatz für Tierhatzen diente (bis zu deren Verbot im 5./6. Jh.) und später (weiterhin?) für öffentliche Hinrichtungen genutzt wurde: Janin 1964, 349f.; vgl. Theoph. 375 de Boor. Dass dieser Ort für die Bücher- und Statuenvernichtungen ausgewählt wurde, unterstreicht den publikumswirksamen, vielleicht auch rituellen Charakter der Maßnahme (Rohmann 2016, 108). (Jonas Borsch)
3/1 μυσερῶν: Chilmead schlug eine Korrektur in μυσαρῶν (die klassische Form, die seit Herodot vorkommt) vor, aber der Ersatz scheint überflüssig; an anderen Stellen verwendet Malalas regelmäßig das nachklassische (und biblische, siehe z.B. LXX Le. 18.23) μυσερός: vgl. II 11 (3 Mal), 13, XI 19. Μυσερός verrät in Malalas eine gewisse religiöse Nuance, in Verbindung zu den heidnischen Göttern (II 11, XVIII 136) oder zu nicht-christlichen Dogmata (XI 19), und stammte vielleicht aus der Sprache der Prediger. Interessanterweise wird in Beziehung zu Malalas auch die Form μυσαρός dokumentiert, allerdings durch eine alternative Quelle: In XVII 9 ergänzt Thurn 2000 vor dem Ausdruck Ἑλληνικοῦ δόγματος aus dem Chronicon Paschale den Zusatz μυσαροῦ τινος καί; hier könnte μυσαροῦ allerdings eine Normalisierung der nachklassischen Form μυσερός darstellen. (Lea Niccolai)
4/7 συνοδικὰ: Einziger Beleg von συνοδικόν in Malalas. Der Plural ist kurz für συνοδικὰ γράμματα ('Synodical letter': Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 300; das 'Synodalschreiben': Thurn/Meier 2009, 526). (Lea Niccolai)
4/7 συνοδικὰ: Der Begriff 'Synodikon' (hier im Plural für συνοδικὰ γράμματα: XVIII 136, 4) kann das Schreiben der Teilnehmer einer Synode an kirchliche Autoritäten bezeichnen, das die Beschlüsse des Treffens zusammenfasst: Vgl. ODB 3 (1991), 1994, s.v. Synodikon (A. Kazhdan). Im hiesigen Zusammenhang muss der Begriff eine leicht abweichende Bedeutung haben: Vgl. ebd. unter Bezugnahme auf diese Malalas-Stelle sowie Theoph. 460,23–27 de Boor: "The term designated particularly the patriarchal epistles sent to the pope of Rome, esp. after the patriarch's installation". Es scheint sich in diesem Fall allerdings um ein Schreiben anlässlich des Amtsantrittes des Mitte 561 installierten neuen Papstes (XVIII 136, 4) zu handeln, da es dem Wortlaut nach eindeutig von ihm selbst versandt worden war. Demzufolge ist anzunehmen, dass es Auskünfte über seinen dogmatischen Standpunkt enthielt. (Jonas Borsch)
4/9 πάπα: Zum – insgesamt viermal belegten – Genitiv auf -α πάπα in der Malalas-Chronik XVIII 98, 2. Allgemein zu Wortbedeutung und -verwendung: XIV 15, 7. (Lea Niccolai mit Florian Battistella)
4/9 πάπα Ῥώμης: Die Datierung des Abschnittes auf Juni 562 (XVIII 136, 1) impliziert, dass es sich bei dem namentlich ungenannt bleibenden Papst um Johannes III. handelt, der sein Amt im Juli 561 angetreten hatte und es bis zu seinem Tod im Jahr 574 bekleidete. Auf die kaiserliche Vollmacht aus Konstantinopel, die seit der Eroberung Italiens durch Justinian für seine Weihe erforderlich war, musste Johannes vier Monate warten: BBK 3 (1992), 197f., s.v. Johannes III. (W. Schulz). (Jonas Borsch)
5/6 δημοτικὴ μάχη: Diesen "Kampf" in Kyzikos spezifizieren Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 300 als "faction fight", denken also an von den Zirkusfaktionen angezettelte Unruhen, wie sie für Metropolen wie Konstantinopel, Antiochia oder Alexandria regelmäßig von Malalas überliefert werden (X 20; XIV 34; XV 15; XVI 2; XVI 4, 6, 15; XVII 8; XVIII 71, 99, 105, 121, 135). Ähnlich Thurn/Meier 2009, 526: "Parteienschlacht". Malalas bezeugt an anderer Stelle, dass sich Unruhen unter den Zirkusparteien selbstverständlich auf alle Städte des Reiches ausdehnen konnten: Vgl. XVII 12: Ἐν δὲ τοῖς αὐτοῖς χρόνοις τὸ Βένετον μέρος ἐν πάσαις ταῖς πόλεσιν ἠτάκτει ("Zu eben dieser Zeit aber gab die Blaue Partei in allen Städten keine Ruhe", Übers. Thurn/Meier). Für Kyzikos vermutet Stein 1949, 778, dass dort jene Kämpfe fortgeführt wurden, die wenig früher in Konstantinopel ihren Ausgang genommen hatten (XVIII 135). Ein Zusammenhang wird an dieser Stelle zwar nicht explizit hergestellt, was aber durchaus dem allgemeinen Stil der Chronographie entspricht. (Jonas Borsch)
5/6 δημοτικὴ: Zur Verwendung von δημοτικός im Sinne von δημόσιος, 'dem Volk zugehörig, das Volk betreffend' besonders im Zusammenhang mit Unruhen vgl. XVIII 52, 5. (Lea Niccolai)
5/9 Κυζίκῳ: Kyzikos in Mysia an der Südküste der Propontis, XVIII 43, 3. (Jonas Borsch)
5/10 ὥστε: Die Konstruktion dieses Konsekutivsatzes zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit Malalas' Verwendung von ὥστε + Infinitiv zur Einleitung der Folgen von Naturkatastrophen (XVIII 124, 2). (Lea Niccolai)
6f./12 τινα τῶν ἐκεῖσε κατεστράφη: Brachylogischer und vielleicht aus der gesprochenen Sprache stammender Ausdruck, der aus dem Kontext verständlich ist: vgl. Thurn/Meier 2009, 526 "(bei dieser Schlacht nun) wurden auch manche der dortigen Gebäude zerstört"; für einen ähnlichen Fall XVIII 92, 5. (Lea Niccolai)
Parallelüberlieferung
Syrisch: Mich. Syr. IX 33 (271)
Literatur
Festugière (1979): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. II, RPh, 1979, 227–237.
Janin (1964): Janin, Raymond: Constantinople byzantine: développement urbain et répertoire topographique, Paris, 1964.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Liebeschuetz (2009): Liebeschuetz, J.H.W.G.: The View from Antioch: From Libanios via John Chrysostom to John Malalas and Beyond, Cristianesimo nella Storia, 2009, 441–470.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Merz (1911): Merz, Ludwig: Zur Flexion des Verbums bei Malalas, Pirmasens, 1911.
Rohmann (2016): Rohmann, D.: Christianity, Book-Burning and Censorship in Late Antiquity, Berlin, 2016.
Speyer (1981): Speyer, W.: Büchervernichtung und Zensur des Geistes bei Heiden, Juden und Christen, Stuttgart, 1981.
Stein (1949): Stein, Ernest: Histoire du Bas-Empire, Tome II. De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), Paris/Bruxelles/Amsterdam, 1949.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.