Malalas 18.110 1–3 = 70–72 (Thurn)
1 (70)
σάριον Ῥώμην πάλιν παρελήφθη ὑπὸ τῶν Γότθων.
Kapitel-Kommentar
Mal. 18.110
Der gesamte Abschnitt weist die gleiche Struktur wie Kapitel XVIII 88 auf, mit dem er thematisch verbunden ist (vgl. bereits Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 285 zu XVIII 88 mit Querverweis auf die hiesige Passage):
Diese Parallele könnte ein chronologisch fehlerhafter Verweis auf Narses’ erste, kurzzeitige Entsendung 538 vorliegen; vielmehr lädt sie aber dazu ein, eine intratextuelle Beziehung zwischen XVIII 88 und 110 zu sehen, wobei nicht nur XVIII 110 mit den Worten μετὰ τὸ παραλαβεῖν Βελισσάριον Ῥώμην auf 88 rückweist, aber auch XVIII 88 mit den Worten Καὶ μετ’ ὀλίγον καιρὸν ὁ αὐτὸς βασιλεὺς ἔπεμψε Ναρσῆν τὸν κουβικουλάριον μετὰ πολλῆς βοηθείας ἐν Ῥώμῃ κατὰ τῶν αὐτῶν Γότθων 110 vorgreift: XVIII 110, 2f.. Dadurch scheint der Verfasser dieses Teils des Textes trotz der rein annalistischen Form dieser Abschnitte die Kohärenz der Ereignisse bzw. seiner Darstellung zu verstärken.
(Olivier Gengler)
| XVIII 88,1–3 | XVIII 110,1–2 |
| Καὶ τῷ αὐτῷ χρόνῳ | Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ |
| κατεπέμφθη Βελισάριος ἐν Ῥώμῃ | κατεπέμφθη καὶ Ναρσῆς ὁ κουβικουλάριος ἐν Ῥώμῃ |
| καὶ πολεμήσας παρέλαβε τήν τε Ῥώμην καὶ Σικελίαν καὶ τὰς πέριξ πόλεις κρατουμένας ὑπὸ Οὐιττιγή, ῥηγὸς τῶν Γότθων. | ἐπὶ τὸ πολεμῆσαι τοῖς Γότθοις. |
Diese Parallele könnte ein chronologisch fehlerhafter Verweis auf Narses’ erste, kurzzeitige Entsendung 538 vorliegen; vielmehr lädt sie aber dazu ein, eine intratextuelle Beziehung zwischen XVIII 88 und 110 zu sehen, wobei nicht nur XVIII 110 mit den Worten μετὰ τὸ παραλαβεῖν Βελισσάριον Ῥώμην auf 88 rückweist, aber auch XVIII 88 mit den Worten Καὶ μετ’ ὀλίγον καιρὸν ὁ αὐτὸς βασιλεὺς ἔπεμψε Ναρσῆν τὸν κουβικουλάριον μετὰ πολλῆς βοηθείας ἐν Ῥώμῃ κατὰ τῶν αὐτῶν Γότθων 110 vorgreift: XVIII 110, 2f.. Dadurch scheint der Verfasser dieses Teils des Textes trotz der rein annalistischen Form dieser Abschnitte die Kohärenz der Ereignisse bzw. seiner Darstellung zu verstärken.
(Olivier Gengler)
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἐν αὐτῷ δὲ τῷ χρόνῳ: Zu den Zeitformeln ἐν αὐτῷ (δὲ) τῷ χρόνῳ, XVIII 40, 1. Diese vage Angabe bezieht sich augenscheinlich auf die in XVIII 106 zuletzt genannte dreizehnte Indiktion (549/50). Theophanes (228, 16–17 de Boor) legt das Ereignis hingegen in den April 551, was der vierzehnten Indiktion und gleichzeitig dem von Prokop angegebenen, sicher richtigen Datum (Frühjahr 551: Procop. BG IV 21,4–6) entspricht. Stein 1949, 800 mit Anm. 5, nimmt an, dass Theophanes in diesem Fall „l'original malalien“ überliefert, lässt dabei allerdings die Fragmenta Tusuculana (Thurn 2000, 412, +29) unberücksichtigt, die die dreizehnte Indiktion explizit bestätigen. Es ist daher davon auszugehen, dass eine entsprechende Angabe, wenn sie nicht schon im Urtext der Chronographia stand, so doch jedenfalls bereits sehr früh in die Tradition Eingang gefunden hat. Mango/Scott 1997, 332, Anm. 1 vermuten, Theophanes habe die Fehler in der chronologischen Abfolge in der Chronographia (XVIII 111, 1) bemerkt und in seiner eigenen Schrift eine Korrektur vorgenommen. (Jonas Borsch mit Laura Carrara)
1/6 κατεπέμφθη καὶ: „wurde auch ... ausgeschickt“: Die Verwendung der Konjunktion καί bezieht sich hier auf die folgende Erwähnung von Belisar, der den Krieg gegen die Goten bisher angeführt hatte (XVIII 110, 2f.), bzw. auf Belisars Entsendung in XVIII 88,1 (XVIII 110). Es handelt sich genau genommen um die zweite Mission des Narses, der bereits 538 kurzzeitig nach Italien geschickt worden war (zu dieser Expedition, dem Konflikt mit dem damaligen Oberbefehlshaber Belisar und Narses’ Rückberufung Fauber 1990, 45–51; Brodka 2018, 69–107, s. auch XVIII 66, 12). (Jonas Borsch mit Olivier Gengler)
2/1 ἐν Ῥώμῃ: Ortsbestimmungen mit ἐν + Dativ dort, wo man klassisch Richtungsangaben mit εἰς + Akkusativ erwartet hätte, d.h. nach geläufigen Verben der Bewegung (‚gehen (nach)‘, ‚schicken/geschickt werden (nach)‘ usw., an dieser Stelle κατεπέμφθη), finden sich sehr oft in der O-Version der Chronographia, XVIII 43, 2f.. Beide Parallelstellen – Fragm. Tusc. IV, p. 26 und Theoph. 227, 18 de Boor – haben die (regelkonforme) Lesart εἰς Ῥώμην, die man – falls man überhaupt nach einer Rekonstruktion des Textes des Urtextes streben sollte – dafür in Erwägung ziehen könnte.
Die Stadt Rom steht hier, wie schon zuvor (XVIII 88, 1ff.), offenbar stellvertretend für ganz Italien. Das wechselhafte Schicksal der Stadt stand gerade in der in diesem Abschnitt skizzierten Kriegsphase besonders im Vordergrund: XVIII 110, 2f.. Narses war zunächst nicht direkt nach Italien aufgebrochen, sondern hielt sich im Illyricum auf; erst im Juni 552 traf er in Ravenna ein: Vgl. zusammenfassend Wolfram 1990b, 357f.; Brodka 2018, 129–139.
(Jonas Borsch, Laura Carrara)
Die Stadt Rom steht hier, wie schon zuvor (XVIII 88, 1ff.), offenbar stellvertretend für ganz Italien. Das wechselhafte Schicksal der Stadt stand gerade in der in diesem Abschnitt skizzierten Kriegsphase besonders im Vordergrund: XVIII 110, 2f.. Narses war zunächst nicht direkt nach Italien aufgebrochen, sondern hielt sich im Illyricum auf; erst im Juni 552 traf er in Ravenna ein: Vgl. zusammenfassend Wolfram 1990b, 357f.; Brodka 2018, 129–139.
(Jonas Borsch, Laura Carrara)
2/3 ἐπὶ τὸ πολεμῆσαι τοῖς Γότθοις: Zur Konstruktion ἐπὶ + substantivierter Infinitiv im Akk., X 49, 6. Der Auftrag des Narses wird von Theophanes (227,18 de Boor) in ähnlicher Formulierung bestätigt: ὀφείλων πολεμῆσαι τοῖς Γότθοις („with instructions to make war on the Goths“, Mango/Scott 1997, 332). Seine Entsendung fällt in die Phase nach der Eroberung Roms durch Totila Anfang 550. Justinian hatte zunächst seinen mit der Enkelin Theoderichs d. Großen Matasunta verheirateten Neffen Germanus (XVIII 87, 2f.) für die Aufgabe vorgesehen; dieser war jedoch noch während der Feldzugsvorbereitungen verstorben. Narses war demnach erst Justinians zweite Wahl, was aus hiesiger Darstellung aber nicht hervorgeht. Die Berufung des Narses thematisiert auch Procop. BG IV 21,6, der sich darüber wundert, dass der Eunuch den alleinigen Oberbefehl erhielt; vgl. zur „mehr als reservierten“ Haltung Prokops gegenüber Narses Veh 1970, 1094 ad loc. Ähnliche Vorbehalte klingen hier nicht an. Narses tritt vielmehr gerade in den Italien-Abschnitten in der Chronographia stark in den Vordergrund und wird als erfolgreicher Verhandler und Feldherr charakterisiert (vgl. Puech 2006, 225; XVIII 66, 12). (Jonas Borsch)
2/11 παραλαβεῖν: Die Handschrift O (f. 314) überliefert an dieser Stelle nicht παραλαβεῖν, sondern das Simplex λαβεῖν. Eine Korrektur supra lineam suggeriert das Kompositum περιλαβεῖν (mittels eines Abkürzungszeichens für die Präposition); Dindorf 1831, 485 setzte dies in den Text. Bereits Chilmead 1691, II, 228 Anm. 4 hatte allerdings gesehen, dass die hier semantisch passende Form nicht περιλαβεῖν, sondern ein anderes Kompositum von λαμβάνω mit π-Anlaut ist: παραλαβεῖν; für παραλαμβάνω als ‚eine Stadt (o.ä.) erobern, einnehmen‘ vgl. z.B. Hdt. 3, 7, 1 Πέρσαι ... τάχιστα παρέλαβον Αἵγυπτον; Thuc 1, 19, 1 Ἀθηναῖοι δὲ ναῦς τε τῶν πόλεων ... παραλαβόντες und LSJ I 3 s.v. παραλαμβάνω. παραλαβεῖν wird bestätigt durch die Parallelüberlieferung in Fragm. Tusc. IV, p. 26 Mai und in Theoph. 227, 19 de Boor; es kommt auch im Text von O als Hauptverb (παρελήφθη) des Satzes vor und im mit dieser Stelle intertextuel verbundenen Abschnitt XVIII 88 (XVIII 110). (Laura Carrara mit Olivier Gengler)
2f./8 ὅτι μετὰ τὸ παραλαβεῖν Βελισσάριον Ῥώμην πάλιν παρελήφθη ὑπὸ τῶν Γότθων: Zur Konstruktion μετὰ τὸ παραλαβεῖν Βελισσάριον Ῥώμην: XII 45, 1. Es handelt sich hier um einen stark verkürzten Rückblick auf die vorangegangenen Kriegshandlungen. Die Kriege in Italien wurden bis hierhin zwei Mal erwähnt: In XVIII 88 wird in aller Kürze Belisars erster Feldzug von 535 bis 540 zusammengefasst; XVIII 97 verweist in einem Satz auf die Eroberung Roms durch die Goten im Herbst 546. Die hiesige Skizze muss sich demnach auf die nun folgende Kriegsphase beziehen: Belisar hatte Rom nach dem Rückzug von Totilas (XVIII 116, 3) Goten aus der schwer zu verteidigenden Stadt bereits im Frühjahr 547 wieder einnehmen können. Nach wechselhaften Kämpfen und disziplinarischen Problemen in der Truppe wurde er jedoch 548/49 abberufen; der Posten des Oberbefehlshabers blieb in der Folge zunächst vakant. 550 gelang es Totila schließlich erneut, Rom zu erobern (vgl. zu dieser Kriegsphase und den Reaktionen in Konstantinopel Procop. BG III 22–30, 35–38; dazu Stein 1949, 584–597; Wolfram 1990b, 355–357; Leppin 2011a, 270f.). Hiesiger Satz entspricht diesem Verlauf durchaus und passt als Rückblick auch zeitlich ins Bild. Angesichts des Kontextes kann er sich gut auf die Eroberung Roms 550 beziehen, die somit nicht, wie Leppin 2011a, 270 meint, aus dem Bericht ausgeblendet würde. Die Passage ist auch durchaus nicht „confused“, wie Mango/Scott 1997, 332 Anm. 2 unter Bezug auf den nahezu wortgleichen Text bei Theophanes urteilen: Sie stellt vielmehr eine starke Komprimierung des Sachverhaltes dar, die für die Darstellung der justinianischen Italienfeldzüge in der Chronographia charakteristisch ist. Das wechselhafte Kriegsgeschehen in Italien, die Rolle Belisars oder die Chronologie treten in den drei relevanten Passagen (XVIII 88, 97, 110) in den Hintergrund. Im Zentrum stehen generelle Auskünfte darüber, dass zwei unterschiedliche Feldherren (Belisar und Narses) in Italien gekämpft hatten, dass der erste zunächst Erfolge gefeiert hatte, es dann zu Rückschlägen gekommen war, und schließlich unter Führung des zweiten Feldherrn der Sieg errungen worden war. (Jonas Borsch)
Parallelüberlieferung
Fragm. Tusc. S. 26 Mai; Theoph. 227, 17–20 de Boor, Cedr. 659, 4–6 Bekker = 409.5 20–23 Tartaglia
Literatur
Brodka (2018): Brodka, Dariusz: Narses – Politik, Krieg und Historiographie im 6. Jahrhundert n. Chr., Berlin, 2018.
Chilmead (1691): Chilmead, Edmund: Johannis Antiocheni cognomento Malalae Historia Chronica … nunc primum edita cum Interpret. & Notis Edm. Chilmeadi …, Oxonii, 1691.
Dindorf (1831): Dindorf, Ludwig: Iohannis Malalae Chronographiae ex recensione L. Dindorfii, Bonn, 1831.
Fauber (1990): Fauber, Lawrence: Narses: the Hammer of the Goths, Gloucester, 1990.
Helms (1971): Helms, Peter: Syntaktische Untersuchungen zu Ioannes Malalas und Georgios Sphrantzes, Helikon, 1971, 309–388.
James (1990): James, Alan: The language of Malalas, 1: General survey, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 217–224.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Leppin (2011a): Leppin, Hartmut: Justinian. Das christliche Experiment, Stuttgart, 2011.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Puech (2006): Puech, Vincent: Malalas et la prosopographie du VIe siècle. Un éclairage sur le régime de Justinien, Recherches sur la chronique de Jean Malalas, 2006, 213–226.
Rüger (1895): Rüger, Anton: Studien zu Malalas. Präpositionen und Adverbien. Das 18. Buch. Die konstantinischen Excerpte. Die tuskulanischen Fragmente, Bad Kissingen, 1895.
Stein (1949): Stein, Ernest: Histoire du Bas-Empire, Tome II. De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), Paris/Bruxelles/Amsterdam, 1949.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Weierholt (1963): Weierholt, Kristen: Studien im Sprachgebrauch des Malalas, Oslo, 1963.
Wolfram (1990b): Wolfram, Herwig: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München, 1990.