Malalas 18.90 1–17 = 87–8 (Thurn)
1 (87)
5 (91)
καὶ καταγαγεῖν τὴν γυναῖκα ἐκ τοῦ οἴκου αὐτῆς καὶ εἰσαγαγεῖν εἰς τὴν
ται ἡ θάλασσα καὶ πάντας λαμβά νει. καὶ πάντων λιτανευόντων καὶ κρα-
μαθόντων παρὰ τοῦ συναχθέντος ὄχλου τὰ λεγόμενα ὑπὸ τῆς γυναικός,
ἐλθόντες ἀπήγγειλαν Ναρσῇ τὰ γενόμενα ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ, καὶ ὅτι ἤκου-
15 (6)
ται ἡ θάλασσα καὶ κατακλύζει πάντας. καὶ ἀκούσαντες οἱ ὄχλοι τῶν
λεγομένων παρ’ αὐτῆς ἀνεχώρουν πτοούμενοι.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Ἰνδικτιῶνος εʹ: Die fünfte Indidiktion fällt in die Zeitspanne zwischen September 541 und August 542. Die von Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 286 (vgl. Mango/Scott 1997, 326 Anm. 1; Thurn 2000, 406 App.; Thurn/Meier 2009, 505 Anm. 558) mit der in der Chronographia geschilderten (und sonst nicht überlieferten) Begebenheit in Verbindung gebrachte Flutkatastrophe bei Theophanes (224,29–33), Georgios Monachos (628,13–17) und Kedrenos (657,15–19; über eine erdbebenbedingte Flutwelle in justinianischer Zeit berichtet auch Leo Gramm. 128,11–13) wird von Theophanes (224,29) auf 544/45 und von Kedrenos auf 543/44 datiert (657,15: 17. Regierungsjahr Justinians). Daraus resultiert Unsicherheit über die chronologische Einordnung der Stellen: Vgl. Capelle 1924, 347 und Hermann 1962, 1110f. mit Datierung des Theophanes/Kedrenos-Ereignisses auf 543; Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 329 unter Zusammenführung aller Passagen (544/45); Meier 2004a, 663 (541/42 [?]). Zumindest eines der im vorliegenden Abschnitt berichteten Ereignisse hat einen sicheren terminus ante quem, nämlich der Ausbruch der Pest in Ägypten, der vor März 542 anzusetzen ist (XVIII 90, 9f. ). Wenn, wie die Chronographia berichtet, die hier thematisierten Weissagungen tatsächlich mit frisch eingetroffenen Nachrichten von der Seuche in Ägypten zusammengebracht wurden, kann man demzufolge davon ausgehen, dass die hier geschilderten Ereignisse chronologisch im Herbst/Winter 541/42 anzusiedeln sind.
1/3 συνέβη γενέσθαι τοιοῦτον πρᾶγμα: „Ereignete sich ein derartiger Vorfall“ (Thurn/Meier 2009, 504). Der Bericht über die wahrsagende Frau fängt nicht mit einer der sonst verbreiteten Kurzzusammenfassungen an (vgl. etwa XVIII 87: „wurde Großantiocheia [...] eingenommen“; XVIII 88: „wurde Belisar nach Rom entsandt“; XVIII 89: „wurde Johannes [...] seines Amtes entkleidet“, Übs. Thurn/Meier 2009, 502f.), sondern mit einem sehr allgemeinen Einleitungssatz: Scheinbar ließ sich das Geschehen angesichts seines ungewöhnlichen Charakters nicht auf ein einfaches Schlagwort reduzieren.
2/2 πλησίον τῆς λεγομένης Χρυσῆς πόρτας: Das Goldene Tor (Χρυσαὶ Πύλαι bzw. Χρυσεία Πύλη/Πόρτα: vgl. Müller-Wiener 1977, 297) liegt am südlichen Ende der theodosianischen Landmauer (XVIII 124, 2 ) und bildete den Endpunkt der Via Egnatia, der Hauptverbindung zwischen der Stadt und dem Balkan. An topographisch exponierter Stelle gelegen, fungierte der dreigliedrige Bau als Haupttor Konstantinopels und diente gleichzeitig als Kulisse für feierliche Einzüge der Kaiser. Zum Tor allgemein Schneider 1943, 39–62; Müller-Wiener 1977, 297–300; Asutay-Effenberger 2007, 54–61 (Datierung). In XIV 13 wird der Namen auf die Vergoldung der Torflügel zurückgeführt, die noch unter Theodosios erfolgt sei (dazu XIV 13, 10f. ). Allgemein zu πόρτα: V 6, 7 .
Das Adverb πλησίον in Verbindung mit topographischen Fixpunkten (Gebäuden) kommt in der Chronographia mit Blick auf Antiochia üblicherweise zur Bezeichnung von Stadtvierteln vor, wie Caire (im Druck) jüngst gezeigt hat. Es steht zu vermuten, dass diese Verwendung sich auch auf den hiesigen Fall übertragen lässt. Meier 2004a, 323 weist darauf hin, dass zwei von Theophanes überlieferte Erdbeben (Theoph. 222,25–30 de Boor und Theoph. 229,5–14 de Boor), von denen sich eines mit eng verwandtem Text auch in der Chronographia findet (XVIII 118), auf besonders starke Schäden in der Gegend nahe dem Goldenen Tor verweisen. Damit scheint sich die Ansprache des Goldenen Tores als „Marker“ eines Stadtviertels zu bestätigen. Nach Meier muss der Umstand, dass gerade jenes Viertel, in dem sich der Vorfall um die Wahrsagerin abgespielt hatte, kurze Zeit später besonders schwer von einem Erdbeben getroffen wurde, von den Zeitgenossen (zusammen mit einer weiteren wundersamen Koinzidenz, vgl. XVIII 90, 4 ) als Ausweis eines einheitlichen „Geschehniszusammenhanges“ gedeutet worden sein. (Jonas Borsch mit Florian Battistella)
Das Adverb πλησίον in Verbindung mit topographischen Fixpunkten (Gebäuden) kommt in der Chronographia mit Blick auf Antiochia üblicherweise zur Bezeichnung von Stadtvierteln vor, wie Caire (im Druck) jüngst gezeigt hat. Es steht zu vermuten, dass diese Verwendung sich auch auf den hiesigen Fall übertragen lässt. Meier 2004a, 323 weist darauf hin, dass zwei von Theophanes überlieferte Erdbeben (Theoph. 222,25–30 de Boor und Theoph. 229,5–14 de Boor), von denen sich eines mit eng verwandtem Text auch in der Chronographia findet (XVIII 118), auf besonders starke Schäden in der Gegend nahe dem Goldenen Tor verweisen. Damit scheint sich die Ansprache des Goldenen Tores als „Marker“ eines Stadtviertels zu bestätigen. Nach Meier muss der Umstand, dass gerade jenes Viertel, in dem sich der Vorfall um die Wahrsagerin abgespielt hatte, kurze Zeit später besonders schwer von einem Erdbeben getroffen wurde, von den Zeitgenossen (zusammen mit einer weiteren wundersamen Koinzidenz, vgl. XVIII 90, 4 ) als Ausweis eines einheitlichen „Geschehniszusammenhanges“ gedeutet worden sein. (Jonas Borsch mit Florian Battistella)
2f./7 χρηματισθεῖσα ἐν μιᾷ νυκτὶ ἐφλυάρησε πολλά: „wurde in einer Nacht vom Wahrsagegeist erfüllt und sprudelte vieles heraus“ (Thurn/Meier 2009, 504): Der Glaube an divinatorische und andere hellseherische Praktiken war im spätantiken und frühmittelalterlichen Christentum trotz teils scharfer theologischer Kritik weiterhin präsent. Gerade das Empfangen von Zukunftsvorhersagen und anderen Weissagungen im Schlaf sowie damit verbundene Praktiken wie die Inkubation blieben verbreitet: Vgl. RAC 3 (1957), 1235–1251, s.v. divinatio (P. Courcelle), insbes. 1242–1245. Auch in der Chronographia sind Orakel und Hellseherei ein präsentes Thema; geäußerte Vorhersagen treten dabei regelmäßig auch tatsächlich ein (zu den theosophischen Orakeln mit Diskussion der relevanten Stellen Schulz 2017a; für eine zweite „hellseherische“ Figur der justinianischen Zeit vgl. die Geschichte von Andreas und seinem Hund: XVIII 51 ).
Die Handschrift O (f. 312) überliefert die Lesart κρεμασθεῖσα, welche „un texte tout a fait absurde“ ergibt (Festugière 1979, 237). Die sehr plausible Konjektur gelang schon Chilmead 1691, II, 223 Anm. 6, der χρηματισθεῖσα vorschlug. χρηματισθεῖσα ist Partizip Aorist Passiv von χρηματίζω, ein vieldeutiges Verb, das auch ‚orakeln‘ (LSJ s.v. I 4) und im Passiv ‚von Orakeln erfüllt sein‘ (LSJ. s.v. I 4 Pass.) bedeuten kann. χρηματίζω ist tatsächlich ein geläufiges Wort in der Chronographia, insbesondere im Kontext von Orakeln und Prophezeiungen (siehe die Belege bei Thurn 2000, 495, geordnet nach Kategorien). Chilmeads Konjektur überzeugt also sowohl für diese Stelle als auch für Z. 15, wo ein ähnliches Überlieferunsproblem vorliegt (s. unten). (Jonas Borsch)
Die Handschrift O (f. 312) überliefert die Lesart κρεμασθεῖσα, welche „un texte tout a fait absurde“ ergibt (Festugière 1979, 237). Die sehr plausible Konjektur gelang schon Chilmead 1691, II, 223 Anm. 6, der χρηματισθεῖσα vorschlug. χρηματισθεῖσα ist Partizip Aorist Passiv von χρηματίζω, ein vieldeutiges Verb, das auch ‚orakeln‘ (LSJ s.v. I 4) und im Passiv ‚von Orakeln erfüllt sein‘ (LSJ. s.v. I 4 Pass.) bedeuten kann. χρηματίζω ist tatsächlich ein geläufiges Wort in der Chronographia, insbesondere im Kontext von Orakeln und Prophezeiungen (siehe die Belege bei Thurn 2000, 495, geordnet nach Kategorien). Chilmeads Konjektur überzeugt also sowohl für diese Stelle als auch für Z. 15, wo ein ähnliches Überlieferunsproblem vorliegt (s. unten). (Jonas Borsch)
2f./8 ἐν μιᾷ νυκτὶ: Nach Wolf 1911, 50 liegt hier ein Beispiel für die Verwendung des Zahlwortes εἷς, μία, ἕν ‚eins‘ in der Bedeutung ‚ein beliebiger‘ (= τις) vor, wie z.B. auch in XV 10 μία χήρα ... ὀνόματι Ἰουβεναλία „eine Witwe ... namens Iuvenalia“; XVIII 46 ἕνα ρῆγα αὐτῶν „einen ihrer Anführer“. Mit dieser Interpretation des Zahlwortes (explizit zu finden auch bei Chilmead 1691, II, 223 nocte quadam) läge die Betonung auf der Unvorhersehbarkeit der übernatürlichen Inspiration, die in jeder beliebigen Nacht die Menschen überwältigen kann. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass an dieser Stelle das Zahlwort εἵς, μία, ἕν seine ursprüngliche Bedeutung bewahrt hat und eher die Tatsache zum Ausdruck bringt, dass die alte Frau in einer einzigen Nacht von Wahrsagerei erfüllt wurde. In diesem Fall würde die Emphase auf der Gegenüberstellung zwischen der kurzen Dauer des Vorfalls (μία νύξ, eine einzige Nacht) und der großen Zahl der in dieser Zeit verkündeten Prophezeihungen (πολλά) liegen.
3/2 ἐφλυάρησε: Das Verb φλυαρέω ist charakteristisch für bestimmte Textgattungen der klassischen Literatur des 5.-4. Jh. v. Chr., in erster Linie für die Kömodie (vgl. die zahlreichen Belege u.a. aus Aristophanes und Menander in LSJ s.v. φλυαρέω). Die bevorzugte Verwendung dieses Verbes in Dialogen deutet darauf hin, dass es ursprünglich nicht dem höheren Stil, sondern der Gebrauchssprache und der Konversation angehörte (Björck 1950, 40, 45). Semantisch bezeichnet φλυαρέω nicht einfach allgemein das ‚Vielreden‘, sondern hat einen dezidiert negativen Unterton und bedeutet ‚reden ohne Sinn und Zweck‘, ‚schwätzen‘, ‚dummes Zeug reden‘, vgl. z.B. Hdt. VII 103, 5 τῶν σὺ ἐών ἅπειρος πολλὰ φλυηρέεις (dieselbe Kombination πολλὰ φλυαρεῖν wie in vorliegender Passage), „Du hast von diesen Dingen keine Erfahrung und redest viel Unsinn“. Setzt man voraus, dass dem Verfasser dieser Passage diese Konnotationen des Verbes bewusst waren, dann ist diese terminologische Wahl in doppelter Hinsicht interessant: Auf der stilistischen Ebene hat er mit φλυαρέω ein Verb ausgesucht, das auf die Leser wie ein auffälliger Attizismus gewirkt haben muss. Auf der Ebene der Semantik disqualifiziert das Verb vordergründig die Prophezeiungen der alten Frau, da diese als leeres Geschwätz eingeführt werden. Das hat Folgen für die Interpretation der Passage: Wenn die Vorhersagen der alten Frau ein φλυαρεῖν in o.g. Sinn sind, dann können die Reaktionen der Bevölkerung nicht anders als Ausdrücke übertriebenen, unbegründeten Aberglaubens sein.
3ff./4 ὥστε ... Διομήδους: Die starken Reaktionen der Bevölkerung (Massenauflauf, Bittprozessionen, Überführung der wahrsagenden Frau in eine Kirche) verdeutlichen einerseits die anhaltende Präsenz von Glaubenselementen, wie sie im intellektuellen theologischen Milieu als pagan kritisiert und teils sogar verfolgt wurden (XVIII 90, 2f. ; Kritik und Verfolgungen: RAC 3 (1957), s.v. Divinatio, 1249f.); andererseits zeugen sie ganz allgemein von der stark aufgeladenen religiösen Atmosphäre (Meier 2004a, 321–323; XVIII 90, 1 ). Bittprozessionen sind in der Chronographia eine der typischen Reaktionen auf Naturkatastrophen (XVIII 55, 1f. ). Dieser Fall ragt insofern heraus, als es sich lediglich um eine entsprechende Vorhersage handelt, die dann mit Katastrophennachrichten aus anderen Teilen des Reiches verbunden wird (Z. 6–10). Man wurde hier offenbar bereits präventiv tätig, ähnlich wie im Falle eines wahrscheinlich schadlos verlaufenen Erdbebens in Konstantinopel 533/34 n. Chr. (XVIII 77, 3 ). Zum Verb λιτανεύω, das in Z.7 erneut erscheint: XVIII 27, 6 . Vgl. zu ὥστε συνδραμεῖν τὰ πλήθη Κωνσταντινουπόλεως dieselbe syntaktische Konstruktion ὥστε + Konsekutivsatz auch XVIII 77 ὥστε πᾶσαν τὴν πόλιν συναχθῆναι ἐν τῷ λεγομένῳ φόρῳ, die auch Beschreibung der Massenreaktion der konstantinopolitanischen Bevölkerung auf eine übernatürliche bzw. als übernatürlich bewertete Begebenheit ist (Erdbeben).
4/6 τὸν ἅγιον Διομήδην εἰς Ἱερουσαλὴμ: Die Kirche lässt sich mit der dem Heiligen Diomedes geweihten, aus einem Kloster mit zugehöriger Kirche bestehenden Einrichtung unweit der Porta Aurea identifizieren, die auch unter dem Namen Ἱερουσαλὴμ/Νέα Ἱερουσαλὴμ bekannt war: Janin 1953, 100–102. Der Name Ἱερουσαλὴμ wurde gleichzeitig offenbar auch für das Viertel benutzt, in dem sich die Kirche befand, was die Verwendung von εἰς („in Jerusalem“) an dieser Stelle erklärt: Vgl. Mango/Scott 1997, 351 Anm. 3.
Meier 2004a, 323 beobachtet, dass der Gedenktag des Diomedes, der 16. August, mit dem Tag zusammenfällt, an dem im Jahr 542 ein Erdbeben die Stadt traf (Janin 1953, 102; vgl. Typicon I 372–374): Er geht davon aus, dass das Eintreten einer Katastrophe gerade am Tag jenes Heiligen, in dessen Kirche die Wahrsagerin bestaunt worden war, von der Bevölkerung als Hinweis auf überirdische Zusammenhänge gedeutet werden musste.
Meier 2004a, 323 beobachtet, dass der Gedenktag des Diomedes, der 16. August, mit dem Tag zusammenfällt, an dem im Jahr 542 ein Erdbeben die Stadt traf (Janin 1953, 102; vgl. Typicon I 372–374): Er geht davon aus, dass das Eintreten einer Katastrophe gerade am Tag jenes Heiligen, in dessen Kirche die Wahrsagerin bestaunt worden war, von der Bevölkerung als Hinweis auf überirdische Zusammenhänge gedeutet werden musste.
4/8 Διομήδην: Akkusativ des Eigennamens Διομήδης, welcher klassisch-homerisch Διομήδεα lautet. An dieser Stelle und in Z. 12 (aber nicht in Z. 6, wo der Genitiv Διομήδους vorkommt) beeinflußt die α-Deklination die Kasusbildung. Die Genitivform Διομήδου in Z. 6 ist klassisch-homerischer Genitiv von Διομήδης, gebildet unter dem Einfluss der α-Deklination; die Form kommt in XVIII 16 Διομήδου σιλεντιαρίου vor (s. Wolf 1911, 21). (Laura Carrara)
6/5 ἔλεγε γάρ κτλ.: Nachdem der Fokus der Erzählung über mehrere Zeilen auf die Aktionen und Reaktionen der Bevölkerung gerichtet gewesen ist, tritt plötzlich die Prophetin wieder in den Vordergrund: Sie ist das Subjekt von ἔλεγε. Dieser ἔλεγε-Satz wirkt wie ein ‚Anhang‘ zum in Z. 3 mit ἐφλυάρησε bereits Gesagten und drückt den genaueren Inhalt der ominösen Prophezeihungen aus. Diese Reprise führt zu einer partiellen Wiederholung der Beschreibung des Verhaltens der Menschenmenge: Es wird erneut gesagt, dass die Menschen eine Bittprozession abhielten (Z. 7 πάντων λιτανευόντων, vgl. bereits Z. 4 λιτανεύοντα). Dieser sprunghafte Duktus der Narration überrascht in der Chronographia erstmal nicht. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der in der O-Version gleich darauf folgende Text (Z. 8–9 ἠκούετο γάρ ὅτι καὶ πόλεις πολλαὶ κατεπόθησαν) Produkt einer Kürzung bzw. Bearbeitung ist (XVIII 90, 8 ), ist es allerdings nicht auszuschließen, dass auch die Gedankenfolge bzw. der Wortlaut dieser Zeilen (Z. 6–7) nicht mehr dem Urtext entspricht.
6/8 μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀνέρχεται ἡ θάλασσα καὶ πάντας λαμβάνει: Die von der Wahrsagerin vorhergesagte Flutwelle hat natürlich biblische (namentlich alttestamentliche) Konnotationen: Vgl. Gen 6,17; 7,4 (Ankündigung der Sintflut, die auf sieben Tage im Voraus angekündigt wird; im hiesigen Spruch der Seherin sind es drei).
7/11 κραζόντων: In der Chronographia kommen das Präsens κράζω und das daraus abgeleitete Imperfekt ἔκραζον häufiger vor als der Aorist ἔκραξα (Liste aller Belege bei Thurn 2000, 488). In der klassischen Gräzität sind die Verhältnisse genau umgekehrt, da κράζω dort seltener (und vielleicht sekundär entstanden?) als die Aorist und Perfektformen ist, siehe LSJ s.v. κράζω und Merz 1911, 22 mit Stellenangaben.
8/5 ἠκούετο γάρ, ὅτι καὶ πόλεις πολλαὶ κατεπόθησαν: Stimmt man der These zu, wonach die in der Handschrift O überlieferte Fassung der Chronographia eine Reduktion des Originals ist (insbesondere was den letzten Teil von Buch XVIII angeht), dann könnte vorliegender knapper Satz ein gutes Beispiel für die Ergebnisse eines solchen Kürzungsprozesses sein: Nur die zentrale Begebenheit (Überschwemmungen in Städten) wird mitgeteilt, weitere Details wie die Namen und die geographische Lage der betroffenen Städte sind weggelassen. Der Urtext könnte bei Theoph. 224, 29–33 de Boor stehen, wo von verheerenden Überschwemmungen in anderen Regionen des Oströmischen Reiches (nicht in Konstantinopel) unter Justinian ausführlich(er) die Rede ist:
Τούτῳ τῷ ἔτει ἐπανέστη ἡ θάλασσα τῇ Θρᾴκῃ ἐπὶ μίλια δʹ καὶ ἐκάλυψεν αὐτὴν ἐπὶ τὰ μέρη Ὀδύσσου καὶ Διονυσοπόλεως καὶ τὸ Ἀφροδίσιον· καὶ πολλοὶ ἐπνίγησαν ἐν τοῖς ὕδασιν. καὶ πάλιν τῷ τοῦ θεοῦ προστάγματι ἀπεκατέστη ἡ αὐτὴ θάλασσα εἰς τοὺς ἰδίους τόπους
„In diesem Jahr brach das Meer in Trakien über eine Strecke von vier Meilen herein und überflutete die Region im Bereich Odyssos, Dionysopolis und Aphrodision. Und viele ertranken in den Gewässern. Und auf Befehl Gottes zog sich dieses Meer wieder auf seine eigentlichen Grenzen zurück“ (Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 505 Anm. 558, leicht modifiziert).
Möglich ist es auch, dass die zitierte Theophanes-Stelle im Urtext der Chronographia auf den (dort ebenfalls bereits vorhandenen) ἠκούετο-Satz folgte, der somit als eine Art ‚zusammenfassende Einleitung‘ des Berichts über die vielen Überschwemmungen diente, siehe für diese Rekonstruktion Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 286. Der Passiv-Aorist von καταπίνω gehört in der Tat zum Wortschatz der Chronographia im Kontext einer Überschwemmung (s. unten). Von einer Zugehörigkeit der zitierten Theophanes-Passage zum Urtext der Chronographia gehen auch Mango/Scott 1997, 326 Anm. 1 aus, wobei aus ihren Ausführungen nicht klar hervorgeht, an welcher Stelle des Textes der Chronographia ihrer Meinung nach der Theophanes-Zusatz zu verorten sei. Einerseits behaupten sie, dass die fragliche Theophanes-Stelle unmittelbar auf den Satz mit der Prophezeiung der alten Frau über die bevorstehende Überschwemmung folgte (d.h. Z. 6f. des Thurn-Kapitels), andererseits geben sie als Stellenagabe dazu „Malal. 481.12“, verweisen also auf Dindorf 1831, 481, Z. 12 (= XVIII 119), was mit dem späteren, einem anderen Thema gewidmeten θνῆσις-Satz korrespondiert. Vielleicht rechnen Mango und Scott mit der Möglichkeit, dass im Urtext die heutige Theophanes-Passage 224, 29–33 de Boor an der Stelle des ἠκούετο-Satzes stand (der dann nur Folge einer späteren Epitormierung wäre, s.o.) Abgesehen von diesen Details, wird die Grundannahme, dass Theoph. 224, 29–33 de Boor den Urtext der Chronographia auf der einen oder anderen Weise als Vorlage hatte, in der Forschung allgemein akzeptiert (siehe auch Meier 2004a, 322 und 663 Anm. 63]); allein Rochow 1983, 469 betrachtet das als „unsicher“.
Auch inhaltlich erscheint eine entsprechende Ergänzung an dieser Stelle als eine naheliegende Lösung, da irgendwelche Hochwasser, bei denen Städte überflutet wurden (was sowohl in hiesiger Passage als auch in der Theophanes-Tradition berichtet wird), der Katastrophenliste bei Meier 2004a zufolge (hier: 661–666) zwischen 529/30 und 549/50 abseits dieser Ereignisse nicht überliefert sind. Dass Theophanes das Hochwasser in Thrakien in einem Eintrag für das Jahr 544/45 platziert, muss für diese Annahme kein Hinderungsgrund sein: Dieser Umstand könnte beispielsweise schlicht darauf zurückzuführen sein, dass Theophanes das Lemma (das in der vorliegenden Form alleine diese Information enthält) mit Inhalt füllen wollte. Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 329f. führen die Chronographia zusammen mit der Theophanes-Tradition in ihrem Erdbebenkatalog als Belege für ein einziges Ereignis (sie rekonstruieren einen Tsunami, d.h. die Sekundärwirkung eines Erdbebens; zur Diskussion XVIII 93, 2 ). Vgl. für diese Einordnung auch Meier 2004a, 322; 663 Anm. 63 mit kurzer Erwähnung der Überlieferungsproblematik. Ohne Erwähnung der Chronographia (trotz Kenntnis des Guidoboni-Kataloges) Ambraseys 2009, 197f.
Die Einführung dieses Einschubs mit ἠκούετο verweist auf in Konstantinopel grassierende Gerüchte; sie bestätigen den Inhalt der im vorangehenden Satz berichteten Weissagung (s. unten).
Τούτῳ τῷ ἔτει ἐπανέστη ἡ θάλασσα τῇ Θρᾴκῃ ἐπὶ μίλια δʹ καὶ ἐκάλυψεν αὐτὴν ἐπὶ τὰ μέρη Ὀδύσσου καὶ Διονυσοπόλεως καὶ τὸ Ἀφροδίσιον· καὶ πολλοὶ ἐπνίγησαν ἐν τοῖς ὕδασιν. καὶ πάλιν τῷ τοῦ θεοῦ προστάγματι ἀπεκατέστη ἡ αὐτὴ θάλασσα εἰς τοὺς ἰδίους τόπους
„In diesem Jahr brach das Meer in Trakien über eine Strecke von vier Meilen herein und überflutete die Region im Bereich Odyssos, Dionysopolis und Aphrodision. Und viele ertranken in den Gewässern. Und auf Befehl Gottes zog sich dieses Meer wieder auf seine eigentlichen Grenzen zurück“ (Übersetzung von Thurn/Meier 2009, 505 Anm. 558, leicht modifiziert).
Möglich ist es auch, dass die zitierte Theophanes-Stelle im Urtext der Chronographia auf den (dort ebenfalls bereits vorhandenen) ἠκούετο-Satz folgte, der somit als eine Art ‚zusammenfassende Einleitung‘ des Berichts über die vielen Überschwemmungen diente, siehe für diese Rekonstruktion Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 286. Der Passiv-Aorist von καταπίνω gehört in der Tat zum Wortschatz der Chronographia im Kontext einer Überschwemmung (s. unten). Von einer Zugehörigkeit der zitierten Theophanes-Passage zum Urtext der Chronographia gehen auch Mango/Scott 1997, 326 Anm. 1 aus, wobei aus ihren Ausführungen nicht klar hervorgeht, an welcher Stelle des Textes der Chronographia ihrer Meinung nach der Theophanes-Zusatz zu verorten sei. Einerseits behaupten sie, dass die fragliche Theophanes-Stelle unmittelbar auf den Satz mit der Prophezeiung der alten Frau über die bevorstehende Überschwemmung folgte (d.h. Z. 6f. des Thurn-Kapitels), andererseits geben sie als Stellenagabe dazu „Malal. 481.12“, verweisen also auf Dindorf 1831, 481, Z. 12 (= XVIII 119), was mit dem späteren, einem anderen Thema gewidmeten θνῆσις-Satz korrespondiert. Vielleicht rechnen Mango und Scott mit der Möglichkeit, dass im Urtext die heutige Theophanes-Passage 224, 29–33 de Boor an der Stelle des ἠκούετο-Satzes stand (der dann nur Folge einer späteren Epitormierung wäre, s.o.) Abgesehen von diesen Details, wird die Grundannahme, dass Theoph. 224, 29–33 de Boor den Urtext der Chronographia auf der einen oder anderen Weise als Vorlage hatte, in der Forschung allgemein akzeptiert (siehe auch Meier 2004a, 322 und 663 Anm. 63]); allein Rochow 1983, 469 betrachtet das als „unsicher“.
Auch inhaltlich erscheint eine entsprechende Ergänzung an dieser Stelle als eine naheliegende Lösung, da irgendwelche Hochwasser, bei denen Städte überflutet wurden (was sowohl in hiesiger Passage als auch in der Theophanes-Tradition berichtet wird), der Katastrophenliste bei Meier 2004a zufolge (hier: 661–666) zwischen 529/30 und 549/50 abseits dieser Ereignisse nicht überliefert sind. Dass Theophanes das Hochwasser in Thrakien in einem Eintrag für das Jahr 544/45 platziert, muss für diese Annahme kein Hinderungsgrund sein: Dieser Umstand könnte beispielsweise schlicht darauf zurückzuführen sein, dass Theophanes das Lemma (das in der vorliegenden Form alleine diese Information enthält) mit Inhalt füllen wollte. Guidoboni/Comastri/Traina 1994, 329f. führen die Chronographia zusammen mit der Theophanes-Tradition in ihrem Erdbebenkatalog als Belege für ein einziges Ereignis (sie rekonstruieren einen Tsunami, d.h. die Sekundärwirkung eines Erdbebens; zur Diskussion XVIII 93, 2 ). Vgl. für diese Einordnung auch Meier 2004a, 322; 663 Anm. 63 mit kurzer Erwähnung der Überlieferungsproblematik. Ohne Erwähnung der Chronographia (trotz Kenntnis des Guidoboni-Kataloges) Ambraseys 2009, 197f.
Die Einführung dieses Einschubs mit ἠκούετο verweist auf in Konstantinopel grassierende Gerüchte; sie bestätigen den Inhalt der im vorangehenden Satz berichteten Weissagung (s. unten).
8/11 κατεπόθησαν: Der mit κατεπόθησαν endende kurze Satz führt näher aus, warum die konstantinopolitanische Bevölkerung den Vorhersagen der alten Frau über eine bevorstehende Überschwemmung Glauben schenkte: Weil man gehört hatte, dass viele anderen Städte bereits unter Wasser standen. Damit die durch γάρ (in ἠκούετο γάρ) ausgedrückte logische und ursächliche Verbindung zwischen diesen zwei Momenten (Vorhersage und Vorefahrung) beibehalten wird, muss die im ἠκούετο-Satz erwähnte Katastrophenart identisch mit derjenigen sein, die die alte Frau prophezeit, d.h. auch eine Überschwemmung. Deshalb ist die Konjektur von Meier 2004a, 321 Anm. 89 κατεπόρθησαν ‚sie wurden vernichtet‘ (Pass. Aorist von καταπορθέω) für das überlieferte Verb κατεπόθησαν ‚sie wurden überflutet‘ (Pass. Aorist von καταπίνω) klug, aber unnötig. Darüber hinaus ist καταπίνω ein bewährtes Wort für Überschwemmungen (vgl. z.B. Plb. II 41, 7 πόλις καταποθεῖσα ὑπὸ τῆς θαλάττης und in der Chronographia noch in XVII 15, 10 κατεπόθη ὑπὸ θεομηνίας ὑδάτων ποταμιαίων Ἔδεσα). Endgültig gesichert ist κατεπόθησαν, wenn man akzeptiert, dass Theoph. 224, 29–33 de Boor, wo es eben um eine Flutwelle (und nicht um eine andere Art von Stadtzerstörung) an der thrakisch-pontische Küste geht, an dieser Stelle den Urtext der Chronographia aufbewahrt hat XVIII 90, 8 . (Laura Carrara)
9/10 θνῆσις: Die Chronographia beinhaltet fünf Belege (vier davon allein im Buch XVIII), sonst spärlich bezeugtes Substantiv wohl medizinischen Ursprungs (vgl. Ruf. fr. 69 [352, 8–10 Daremberg-Rouelle] εἰ μὲν γὰρ ὁ περιέχων ἡμᾶς ἀὴρ αἴτιος γίγνοιτο τοῦ λοιμοῦ, τῶν πτηνῶν πάντων καὶ ὀρνίθων ἐτέρων ἡ θνῆσις ἕσται πρότερον – θνῆσις τῶν πτηνῶν καὶ ὀρνίθων hat dieselbe Bedeutung wie φθορά τῶν τετραπόδων ζώων in dem folgenden, ganz parallel gebauten Satz, d.h. ‚Vernichtung‘).
Sowohl Festugière 1978, 226 als auch Thurn 2000, 486 setzen θνῆσις in der Chronoraphia explizit und direkt mit ‚Seuche, Pest‘ gleich. In erster Linie bedeutet allerdings das Substantiv θνῆσις, wie die Herleitung aus θάνατος / θνῄσκω nahelegt und wie auch in der soeben zitierten Stelle des des Artzes Rufus von Ephesos (1.-2. Jh. n. Chr.) der Fall ist, auch in der Chronographia ‚Sterben, Sterblichkeit‘.
Die Tatsache, dass in der Chroographia θνῆσις oft im Kontext von Massensterben infolge einer Pestseuche vorkommt, und dass die Pest auch bei Rufus von Ephesos der Hintergrund der Wortverwendung ist, ändert nichts an deren Grundbedeutung: Vgl. VIII 21 τὴν λοιμικὴν θνῆσιν („Sterben infolge der Pest“ richtig Thurn/Meier 2009, 214: Würde bereits θνῆσις an sich ‚Pest‘ bedeuten, wäre die Spezifizierung λοιμική überflüssig); XVIII 92 ἐπεκράτησεν γὰρ ἡ θνῆσις ἐπὶ χρόνον, ὥστε μὴ αὐταρκεῖν τοὺς θάπτοντας („Das Sterben hielt eine Zeit lang, sodass diejenigen, die begruben, nicht ausreichten“; der Hinweis auf die Bestatter macht klar, dass θνῆσις die Sterberate, nicht ihre Ursache, tatsächlich eine Pestepidemie, meint); XVIII 120 θνῆσις ἀνθρώπων („Sterben von Menschen“ ohne Nennung der näheren Ursache; Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 295 bauen jedoch einen Hinweis auf die Pest in ihre Übersetzung ein: „people died of the plague“); XVIII 127 θνῆσις ἀπὸ βουβώνων („Massensterben durch die Beulenpest“ richtig Thurn/Meier 2009, 520). An vorliegender Stelle trägt es die gleiche Bedeutung wie in XVIII 92 und 120: θνῆσις bezeichnet ein ‚Massensterben‘, Hintergrund und Ursache dessen eine Pestepidemie ist.
Sowohl Festugière 1978, 226 als auch Thurn 2000, 486 setzen θνῆσις in der Chronoraphia explizit und direkt mit ‚Seuche, Pest‘ gleich. In erster Linie bedeutet allerdings das Substantiv θνῆσις, wie die Herleitung aus θάνατος / θνῄσκω nahelegt und wie auch in der soeben zitierten Stelle des des Artzes Rufus von Ephesos (1.-2. Jh. n. Chr.) der Fall ist, auch in der Chronographia ‚Sterben, Sterblichkeit‘.
Die Tatsache, dass in der Chroographia θνῆσις oft im Kontext von Massensterben infolge einer Pestseuche vorkommt, und dass die Pest auch bei Rufus von Ephesos der Hintergrund der Wortverwendung ist, ändert nichts an deren Grundbedeutung: Vgl. VIII 21 τὴν λοιμικὴν θνῆσιν („Sterben infolge der Pest“ richtig Thurn/Meier 2009, 214: Würde bereits θνῆσις an sich ‚Pest‘ bedeuten, wäre die Spezifizierung λοιμική überflüssig); XVIII 92 ἐπεκράτησεν γὰρ ἡ θνῆσις ἐπὶ χρόνον, ὥστε μὴ αὐταρκεῖν τοὺς θάπτοντας („Das Sterben hielt eine Zeit lang, sodass diejenigen, die begruben, nicht ausreichten“; der Hinweis auf die Bestatter macht klar, dass θνῆσις die Sterberate, nicht ihre Ursache, tatsächlich eine Pestepidemie, meint); XVIII 120 θνῆσις ἀνθρώπων („Sterben von Menschen“ ohne Nennung der näheren Ursache; Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 295 bauen jedoch einen Hinweis auf die Pest in ihre Übersetzung ein: „people died of the plague“); XVIII 127 θνῆσις ἀπὸ βουβώνων („Massensterben durch die Beulenpest“ richtig Thurn/Meier 2009, 520). An vorliegender Stelle trägt es die gleiche Bedeutung wie in XVIII 92 und 120: θνῆσις bezeichnet ein ‚Massensterben‘, Hintergrund und Ursache dessen eine Pestepidemie ist.
9f./2 τότε δὲ καὶ ἐν Αἰγύπτῳ καὶ ἐν Ἀλεξανδρείᾳ θνῆσις ἀνθρώπων γέγονεν: Bei der hier geschilderten Seuche handelt es sich um die Anfänge der berühmten so genannten Justinianischen Pest, die anlässlich ihrer weiteren Ausbreitung nochmals in XVIII 92 thematisiert wird. Dass die Krankheit in Ägypten erstmals aufgetreten war, bestätigt unter anderem Procop. BP II 22,6; vgl. zu diesem ersten Ausbruch mit weiteren Quellen Stathakopoulos 2004, 278–280; Meier 2004a, 326 Anm. 113; 663 Anm. 62. Dieses Ereignis lässt sich zumindest ungefähr datieren: Für die Ausbreitung der Pest nach Konstantinopel kann aufgrund eines Ediktes, das die Seuche bereits voraussetzt, der 1. März 542 als terminus ante quem angesetzt werden (damit ist die Datierung von Procop. BP II 22,9 auf Frühjahr desselben Jahres leicht zu korrigieren, vgl. Meier 2004a, 326). Die Seuche in Ägypten muss, wie die hiesige Stelle bezeugt, zumindest um so viel früher angesetzt werden, dass zunächst die Nachricht über den dortigen Ausbruch eintraf, bevor die Krankheit in Konstantinopel selbst in signifikanter Art und Weise zu bemerken war (vgl. zur Datierung auf Mitte 541 Stathakopoulos 2004, 278f. unter Modifikation von Stein 1949, 841: Oktober 541).
10/7 Ναρσῆν τὸν κουβικουλάριον: Mit Narses, dem seit ca. 537/38 amtierenden praepositus sacri cubiculi (Haushofmeister/„Grand Chamberlain“: Boak/Dunlap 1924, 284–299), schickte der Kaiser einen hochrangigen, in Konstantinopel durch sein geschicktes Vorgehen bei der Niederschlagung des Nika-Aufstandes (XVIII 71) als ebenso krisenfest wie skrupellos profilierten Mann an den Ort des Geschehens. Zu seiner Person: XVIII 66, 12 .
11/1 δρομώνων: Bezeichnung von Militäreinheiten; üblicherweise auf Schiffe angewandt: ODB 1 (1991), 662, s.v. Dromon (E. McGeer/A. Cutler). Die wörtliche Bedeutung der Bezeichnung (δρομών = ‚Läufer‘) und der Kontext lassen aber die Annahme zu, dass an der hiesigen Stelle Fußeinheiten, vielleicht auch nur unbewaffnete Bedienstete des Narses, gemeint sind.
11/3 ἄλλους τινὰς: Verfolgt man die oben in XVIII 90, 8 vorgestellte These (in der O-Fassung der Chronographia habe vorliegendes Kapitel Kürzungen erfahren) weiter, so könnte man vermuten, dass auch die hier vorliegende vage Ausdrucksweise „einige weitere (Leute)“ ein Produkt dieses Epitomierungsprozesses sei.
Ein ähnliches Phänomen könnte, in einem ähnlichen Kontext, auch in XVIII 89 vorliegen. Man könnte nämlich denken, dass dort (und zwar nach πέμψας in Z. 5) die abgekürzte Handschrift O die Namen der Gesandten des Kaisers weggelassen habe, während die Parallelüberlieferung (_EI_ 173, 6–9 de Boor) sie (und ihre jeweiligen militärischen und gesellschaftlichen Stellungen) aus dem Urtext der Chronographia übernahm. Andererseits ist die absolute (d.h. ohne Akkusativobjekt) Verwendung eines Partizips wie πέμψας nicht unüblich in der Chronographia (XVIII 89, 5 ); sie reicht an sich genommen nicht aus, um Textausfälle bzw. -auslassungen zu vermuten.
Ein ähnliches Phänomen könnte, in einem ähnlichen Kontext, auch in XVIII 89 vorliegen. Man könnte nämlich denken, dass dort (und zwar nach πέμψας in Z. 5) die abgekürzte Handschrift O die Namen der Gesandten des Kaisers weggelassen habe, während die Parallelüberlieferung (_EI_ 173, 6–9 de Boor) sie (und ihre jeweiligen militärischen und gesellschaftlichen Stellungen) aus dem Urtext der Chronographia übernahm. Andererseits ist die absolute (d.h. ohne Akkusativobjekt) Verwendung eines Partizips wie πέμψας nicht unüblich in der Chronographia (XVIII 89, 5 ); sie reicht an sich genommen nicht aus, um Textausfälle bzw. -auslassungen zu vermuten.
11f./9 ἀπελθόντων τῶν παίδων Ναρσοῦ: Hier wird ein bemerkenswertes Vorgehen geschildert: Anstatt sich persönlich ein Bild von der Lage zu machen, schickt Narses seine Diener (παῖδες) aus, deren Erkundungsgang und Rückkehr dann etwas umständlich geschildert werden. Diese Maßnahme deutet darauf hin, dass der cubicularius es vermeiden wollte, in der aufgewühlten Situation durch sein Auftreten für weiteren Aufruhr zu sorgen.
12/1 παίδων: Ein weiteres Wort (nach ἐφλυάρησε in Z. 3), welches vielleicht den Lesern der Chronographia wie ein gesuchter Attizismus vorkam. παῖς in der Bedeutung ‚Sklave, Diener‘ (und nicht ‚Kind‘) ist insbesondere in der (attischen) Sprache der Bühne verbreitet, vgl. z.B. Aesch. Choeph. 653 παῖ παῖ, Aristoph. Ach. 395 παῖ παῖ und Nub. 132 παῖ, παιδίον und Chantraine 1990, 848 („notamment en attique“). Für den Plural παῖδες in der Bedeutung ‚Leute, Gefolge' (und nicht ‚Kinder‘) führt LSJ s.v. παῖς III [Demosth.] 33, 8 ὤνὴν ποιοῦμαι τῆς νεὼς καὶ τῶν παίδων (παῖδες bezogen also auf die Bemannung eines Schiffes) an. In ähnlichen Kontexten findet sich in der Chronographia in der Bedeutung ‚mit seinem (militärischen) Geleit‘ der Ausdruck μετὰ τῶν ἀνθρώπων (XVIII 46, 6 ). παῖδες als ‚Anhänger‘ kommt auch noch in XIV 40 εἶχαν γὰρ πλῆθος Γότθων καὶ κόμητας καὶ ἄλλους παῖδας vor („other followers“ übersetzten Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 205; „weitere Söhne“ hingegen Thurn/Meier 2009, 383 mit Blick auf die wenige Zeilen davor genannten leiblichen Söhne des Aspars, Ardaburios und Patrikios).
12/3 κατ’: Die Präposition κατά ist hier einleuchtende Konjektur von Dindorf 1831, 481 für die überlieferte Lesart μετ' der Handschrift O (f. 312), siehe LSJ s.v. κατά B IV 1 ‚in accordance with‘ und vgl. den ähnlichen und in der Chronographia fast formelhaften Ausdruck κατὰ κέλευσιν (+ Gen.) ‚gemäß dem Befehl (von)‘, XVIII 89, 6 .
14/10 ὅτι: Zweite Ebene der Subordination in diesem Satzgefüge (ἀπήγγειλαν Ναρσῇ τὰ γενόμενα ... καὶ ὅτι ἤκουσαν ... ὅτι ἀνέρχεται ἡ θάλασσα καὶ κατακλύζει) – keine allzu geläufige Erscheinung in der Chronographia. Zur Partikel ὅτι als Einleitung der Oratio obliqua in der Chronographia siehe Helms 1971, 377.
15/2 ἀπὸ: ἀπό für die auf O (f. 312) überlieferte Präposition ὑπό ist eine weitere (nach κατά für μετά in Z. 12 XVIII 90, 12 ) gute und notwendige Konjektur von Dindorf 1831, 481.
Anders als ὑπό, zählt ἀπό (zusammen z.B. mit παρά) zu den Präpositionen, die in Prosa vom Verb ἀκούω zur Bezeichnung der Quelle bzw. der Herkunft einer Information abhängen, siehe LSJ s.v. ἀκούω I c und z.B. Thuc. I 125, 1 Οἱ δὲ Λακεδαιμόνιοι, ἐπειδὴ ἀφ’ ἁπάντων ἤκουσαν γνώμην κτλ. Die Verwechslung zwischen ὑπό und ἀπό könnte unter dem Einfluss des wenige Zeilen zuvor vorkommenden (Z. 13), fast identischen Ausdrucks ὑπὸ τῆς γυναικός entstanden sein.
Anders als ὑπό, zählt ἀπό (zusammen z.B. mit παρά) zu den Präpositionen, die in Prosa vom Verb ἀκούω zur Bezeichnung der Quelle bzw. der Herkunft einer Information abhängen, siehe LSJ s.v. ἀκούω I c und z.B. Thuc. I 125, 1 Οἱ δὲ Λακεδαιμόνιοι, ἐπειδὴ ἀφ’ ἁπάντων ἤκουσαν γνώμην κτλ. Die Verwechslung zwischen ὑπό und ἀπό könnte unter dem Einfluss des wenige Zeilen zuvor vorkommenden (Z. 13), fast identischen Ausdrucks ὑπὸ τῆς γυναικός entstanden sein.
15f./7 ὅτι μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀνέρχεται ἡ θάλασσα καὶ κατακλύζει πάντας: Das Geschehen wird hier – gerade im Vergleich zu den häufig sehr kurzen Darstellungen im letzten Teil von Buch XVIII – ungewöhnlich detailliert geschildert. Die fast wörtliche Wiederholung des in Z. 6f. bereits zitierten Spruches ist dabei besonders auffällig. Es könnte in dieser Passage eine Art kleine „Erzählung in der Erzählung“ vorliegen, die vielleicht separat kursierte. Für das mögliche Aufgreifen von mündlichen Berichten in der Chronographia vgl. Borsch/Radtki-Jansen 2017.
16f./8 ἀκούσαντες οἱ ὄχλοι τῶν λεγομένων παρ’ αὐτῆς ἀνεχώρουν πτοούμενοι: Offenbar war vor der Kirche noch mehr Volk zusammengekommen. Narses, der wegen des Volksaufruhrs ausgeschickt worden war, brauchte jedoch nicht mehr einzugreifen, da die Menschenmenge sich alleine durch die Kunde von dem Spruch der Frau von selbst zerstreute. Das passt zwar nicht zum Rest der Erzählung – vormals waren die Leute wegen des Spruches ja noch in die Kirche geströmt – dennoch bricht der Abschnitt hier ab: Der Abzug der Menge alleine aufgrund des furchterregenden Spruches bildet offensichtlich die Pointe des Berichts. Hier sehen wir abermals am Ende eines Abschnittes die Furcht (anderswo φόβος: XVII 4, 2 ) als starkes Handlungsmovens.
17/5 πτοούμενοι: In seinem Index verborum memorabilium führt Thurn 2000, 520 einen einzigen Beleg für das Verb πτοέομαι (übersetzt als ‚terreo‘) an: XVIII 14 πτοηθέντες Ῥωμαίους (auffälliges Passiv mit Akkusativobjekt, XVIII 14, 18 ). Zu diesem Beleg ist vorliegende Stelle hinzuzufügen, darüber hinaus auch XIII 23 u. 25 (beide Male πτοηθεὶς).
Parallelüberlieferung
Theoph. 224, 29–33 de Boor; Georg. Mon. 628, 14–17 de Boor; Cedr. 657.4 Tartaglia; Leo Gramm. 128,11–13 Bekker (?).
Literatur
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