Malalas 18.120 1–2 = 41–42 (Thurn)
διαφόροις πόλεσιν.
Kapitel-Kommentar
Mal. 18.120 - Mal. 18.124
Die folgenden Kapitel zeigen eine dichte Reihe von Katastrophen und Unglücksfällen: Sie setzen mit einem „Massensterben“ (θνῆσις ἀνθρώπων) in XVIII 120 ein – es folgen eine Hungersnot sowie ein gewaltiges Gewitter (Kap. 121), ein Feuer (Kap. 122), ein Erdbeben (Kap. 123). Den Höhepunkt und (vorläufigen) Endpunkt erreicht die Schilderung mit dem in XVIII 124 geschilderten weiteren Erdbeben.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ δεκεμβρίῳ, ἰνδικτιῶνι τῇ αὐτῇ: Die Indiktionsangabe bezieht sich – so weit in der überlieferten Version der Chronographia erkennbar – auf die in Kapitel XVIII 119 genannte vierte Indiktion (Sept. 555 – Aug. 556). Das nachfolgende Kapitel XVIII 121 wird in den Mai derselben Indiktion gelegt. Daraus ergäbe sich für die hiesige Stelle eine Datierung auf Dezember 555, für die nachfolgende auf Mai 556. Allerdings wird das in XVIII 119 geschilderte Ereignis im überlieferten Text auf Juli der vierten Indiktion (556) datiert, mithin später als das hiesige. Die chronologische Reihung ist in der erhaltenen Version von O also aufgelöst (= Juli 556 vor Dezember 555 und Mai 556). Es ist zwar nicht undenkbar, dass der hiesige Rückbezug sich statt auf XVIII 119 auf eine weitere Indiktionsangabe bezieht, die in der Überlieferung ausgefallen ist, d.h. auf einen hypothetischen nicht überlieferten Eintrag zur fünften Indiktion (556/57). Da jedoch XVIII 122 den November ebendieser fünften Indiktion (Nov. 556) als Datum hat, würde das Grundproblem der vertauschten Reihung dadurch nicht aufgehoben (= Dezember 556 vor November 556). Dass, wie in der Forschung vorgeschlagen, bei der Indiktionsangabe in XVIII 119 ein Schreibfehler vorliegt, erscheint angesichts der Überlieferung derselben Angabe in den Excerpta de Insidiis unwahrscheinlich: XVIII 119, 1. Zudem bietet auch Theophanes (228,5–25) die Ereignisse in derselben Reihenfolge für 555/56. Die Passage XVIII 119–121 kann daher als einer der klarsten Belege für eine vertauschte chronologische Reihung gelten; vgl. für ähnliche Fälle XVIII 77, 1; XVIII 100, 1; XVIII 111, 1. Mit Datierung auf Ende 555 Allen 1979, 13; Dezember 555: Meier 2004a, 327f.; allgemeiner auf 555/56 ebd., 667. Abweichend Stathakopoulos 2004, 302f., der die Datierung einer eventuell auf dasselbe Ereignis zu beziehenden Stelle bei Agapius vorzieht (PO 8, 433: 28. Regierungsjahr Justinians = 554/55). Als gesichertes Datierungselement kann letztlich nur die Dezember-Angabe angesehen werden.
Dass die Pest gerade in diesem Monat ausbrach, entspricht laut Leven 1987, 142 und Harrison 1993, 18 dem Verlauf der Lungenpest, die im Winter besonders verbreitet ist. Dass die neuerliche Krankheitswelle in den Winter fällt, ist auch für die Datierungsfrage des ersten Ausbruches der Seuche im 541/42 (XVIII 92) von Bedeutung, da sie gegen das Argument spricht, mit dem Kislinger/Stathakopoulos 1999, 88–92 (vgl. Stathakopoulos 2004, 286–288) ihre Datierung des ersten Auftretens der Seuche in Konstantinopel ins Frühjahr 542 begründen: Demnach sei in den Wintermonaten von einer langsameren Ausbreitung der Krankheit auszugehen. Dagegen detailliert Meier 2004a, 326f., Anm. 117, der neben der hiesigen Stelle auch XVIII 127 zu einer weiteren Krankheitswelle in Konstantinopel im Februar 558 ins Feld führt. (Jonas Borsch)
Dass die Pest gerade in diesem Monat ausbrach, entspricht laut Leven 1987, 142 und Harrison 1993, 18 dem Verlauf der Lungenpest, die im Winter besonders verbreitet ist. Dass die neuerliche Krankheitswelle in den Winter fällt, ist auch für die Datierungsfrage des ersten Ausbruches der Seuche im 541/42 (XVIII 92) von Bedeutung, da sie gegen das Argument spricht, mit dem Kislinger/Stathakopoulos 1999, 88–92 (vgl. Stathakopoulos 2004, 286–288) ihre Datierung des ersten Auftretens der Seuche in Konstantinopel ins Frühjahr 542 begründen: Demnach sei in den Wintermonaten von einer langsameren Ausbreitung der Krankheit auszugehen. Dagegen detailliert Meier 2004a, 326f., Anm. 117, der neben der hiesigen Stelle auch XVIII 127 zu einer weiteren Krankheitswelle in Konstantinopel im Februar 558 ins Feld führt. (Jonas Borsch)
1/6 ἐγένετο θνῆσις ἀνθρώπων: Es handelt sich um einen weiteren Ausbruch der so genannten ‚Justinianischen Pest‘: siehe dazu bereits XVIII 90, 9f., XVIII 92, 2 mit Literatur. Bemerkenswert ist die womöglich auf die Chronographia zurückgehende Ergänzung bei Theoph. 230,16–17, wonach insbesondere Kinder verstorben seien (zur Verbreitung dieser Notiz in der Parallelüberlieferung XVIII 120, 2). Laut Meier 2004a, 328 Anm. 122 „[resultiert] die besonders hohe Kindersterblichkeit vor allem aus dem Umstand, dass die nach 542 geborenen Kinder nicht durch Erkrankungen im Zuge dieser Epidemie immunisiert waren wie viele der älteren Personen“. Vgl. dazu Leven 1987, 149, der die demoralisierende Wirkung der hohen Kindersterblichkeitsrate auf die Zeitgenossen hervorhebt; ähnlich Meier 2005, 93. Auch wenn die Chronographia das Wort θνῆσις nahezu immer im Kontext von Massensterben infolge einer Pestseuche benutzt, ist θνῆσις (ἀνθρώπων) in erster Linie als „Sterben (von Menschen)“ ohne Angabe der bzw. Andeutungen hinsichtlich der Todesursache zu übersetzen (anders übersetzen die hiesige Stelle Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 295: „people died of the plague“); für eine Diskussion der θνῆσις-Belege, XVIII 90, 9. (Jonas Borsch, Laura Carrara)
1f./9 ἐν διαφόροις πόλεσιν: Abseits der Meldung über den Ausbruch der Seuche in Alexandria (die bezeichnenderweise in einen Bericht über Ereignisse in Konstantinopel fällt: XVIII 90) ist dies die einzige Nachricht in der Chronographia über das Wüten der Pest (auch) außerhalb der Hauptstadt. Die Identifizierung der „verschiedenen Städte“ bleibt unklar; dass damit Rom und Umgebung gemeint sind, die bei Agapius (PO 8, 433, XVIII 120, 1) im Kontext mit einer Seuche angesprochen werden, ist unwahrscheinlich, da diese Stadt anderswo, wenn relevant (etwa in Berichten etwa über die Feldzüge in Italien gegen die Goten), übermäßig häufig explizit genannt wird (XVIII 88, 1ff.; XVIII 110, 2), weshalb nicht klar wäre, warum der Namen gerade hier unerwähnt bleiben sollte. Zum Adjektiv διάφοροι: I 3, 16. (Jonas Borsch)
2/2 πόλεσιν: Bis πόλεσιν stimmt der Text von Theophanes’ Chronik für diese Episode mit der O-Version der Chronographia nahezu vollständig überein. Nach πόλεσιν fügt Theophanes noch μάλιστα δὲ τῶν παίδων hinzu (abhänhig von θνῆσις: „ein Massensterben von Menschen ... insbesondere von Kindern“), was in O fehlt. Die Präzisierung, dass die Krankheit in erster Linie die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft dahinraffte, hat Theophanes auch für die wenige Jahre später (in 557/8) eintretende Welle derselben Pestepidemie in Konstantinopel (Theoph. 232, 13-16 de Boor; vgl. auch Cedr. 676, 10–11 Bekker καὶ μάλιστα τοῖς παιδίοις; die παῖδες sind ausgelassen in dem – sonst dem Kedrenos-Text sehr ähnlichen – Bericht von Georg. Mon. 642, 22–643, 3 de Boor); wiederum schweigt darüber die entsprechende O-Stelle der Chronographia, XVIII 127; siehe dazu Mango/Scott 1997, 338 Anm. 5 u. 340 Anm. 15; Rochow 1983, 470 u. 471. (Laura Carrara)
Parallelüberlieferung
Griechisch: Theoph. 230, 15–17 de Boor.
Der Hinweis auf „Cedr. 676, 10–11“ (Ausgabe Bekker) im Apparat zu diesem Kapitel bei Thurn 2000, 418 ist fehl am Platz, da diese Kedrenos-Stelle sich auf eine spätere Pest-Welle bezieht (vgl. XVIII 127; Theoph. 232, 13–16 de Boor).
Arabisch: Allen 1979, 13, Anm. 58 weist auf eine Notiz bei Agapius (PO 8, 433) zu einem Pestausbruch in Rom und den umgebenden Ländern mit Datierung in das 28. Regierungsjahr Justinians (April 554 – März 555) hin; der Zusammenhang mit der Nachricht in der Chronographia ist unsicher.
Literatur
Allen (1979): Allen, P.: The "Justinianic" Plague, Byzantion, 1979, 5–20.
Festugière (1978): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. I, Revue de Philologie, 1978, 221–241.
Harrison (1993): Harrison, D.: Plague, Settlement and Structural Change at the Dawn of the Middle Ages, Scandia, 1993, 15–48.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Kislinger/Stathakopoulos (1999): Kislinger, E.; Stathakopoulos, D.: Pest und Perserkriege bei Prokop. Chronologische Überlegungen zum Geschehen 540–545, Byzantion, 1999, 76–98.
Leven (1987): Leven, Karl-Heinz: Die "Justinianische" Pest, Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung, 1987, 137–161.
Mango/Scott (1997): Mango, Cyril and Scott, Roger: The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, Oxford, 1997.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Rochow (1983): Rochow, Ilse: Malalas bei Theophanes, Klio, 1983, 459–474.
Stathakopoulos (2004): Stathakopoulos, D. Ch.: Famine and Pestilence in the Late Roman and Early Byzantine Empire, Aldershot/Burlington, 2004.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.