Malalas 18.134 1–3 = 93–95 (Thurn)

Inhalt

Kapitel XVIII 134 berichtet über die Demission des Zemarchos, eines für die cura eines der zentralen Paläste der Hauptstadt zuständigen Beamten. In der Parallelüberlieferung ist zu erfahren, dass zwei Angehörige der verstorbenen Kaiserin den Mann der üblen Nachrede gegenüber dem Kaiser bezichtigt hatten. Zemarchos wird hier durch einen sonst unbekannten Mann namens Theodoros ersetzt, scheint aber bald wieder begnadigt worden zu sein, da ein Zemarchos wenige Jahre später in der Position des Stadtpräfekten belegt ist. (Jonas Borsch)

Philologisch-Historischer Kommentar
Parallelüberlieferung
Literatur

1 (93)
Μηνὶ μαΐῳ ἀπεζώσθη Ζήμαρχος ἀπὸ ἐπάρχων καὶ κουράτωρ
 
τοῦ δεσποτικοῦ οἴκου τῶν Πλακιδίας· καὶ γέγονεν ἀντ’ αὐτοῦ Θεόδωρος
 
ἐπίκλην Νικομηδεύς.
Philologisch-Historischer Kommentar
1/1 Μηνὶ μαΐῳ: Da unmittelbar vorangehend in O eine lacuna steht, ist aus dem Text nicht zu entnehmen, auf welches Jahr sich die Mai-Angabe bezieht. Hier lässt sich jedoch Theoph. 237,1–4 de Boor ergänzen, der das Ereignis mit nahezu identischem Wortlaut in das Jahr 561/62 legt und auf den 3. Mai datiert. Stein 1949, 799 geht davon aus, dass dieses Datum korrekt ist und dem "Malalas primitif", d.h. dem 'Ur-Malalas', entstammt (gegen Bury 1923 II, 368, der die lacuna übersehen hat und entsprechend der in O zuletzt genannten Indiktikon auf 559 datiert). Diese plausible Ergänzung wird von PLRE IIIB (Zemarchos), 1416 übernommen; vgl. auch Thurn/Meier 2009, 524 Anm. 743 (neutral Jeffreys/Jeffreys/Scott 1986, 300: dort steht die Jahresangabe 562 erst neben Kap. XVIII 137). Es ist auf dieser Basis davon auszugehen, dass auch die nachfolgenden Malalas-Abschnitte 135 und 136 in die zehnte Indiktion gehören: XVIII 136, 1. (Jonas Borsch)
1/3 ἀπεζώσθη: Zum Verb ἀποζώννυμι 'aus einem Amt entlassen werden' in der Malalas-Chronik XVIII 87, 3. (Laura Carrara)
1/5 ὁ ἀπὸ ἐπάρχων: Für ἀπό im Sinne von Latein ex bei Ämtern (d.h. 'ehemalig') in der Malalas-Chronik XVIII 34, 8, XVIII 43, 1f.. (Laura Carrara)
1f./9 κουράτωρ τοῦ δεσποτικοῦ οἴκου τῶν Πλακιδίας: Das Wort κουράτωρ stellt einen Latinismus dar (_curator_). Dazu allgemein: XVIII 23, 10. Es handelt sich hier um die Position eines curator sacri palatii (Festugière 1978, 238, vgl. RE IV (1901), s.v. Cura, 1770f. [E. Kornemann]) oder curator domus divinae (PLRE IIIB, 1483f.), in jedem Fall um einen für die Verwaltung eines kaiserliches Anwesens verantwortlichen Beamten, wie die Bezeichnung des entsprechenden Baus mit δεσποτικός bestätigt: XVIII 134, 2. Konkret war Zemarchos entweder für das Palatium Placidianum oder für die domus Placidiae Augustae zuständig, zwei nahe beieinander gelegene Gebäude in der Regio I (Palastareal), die wahrscheinlich nach der bekannten Galla Placidia, der Tochter Theodosius' I., benannt sind. Ein οἶκος τῆς Πλακιδίας beherbergte ab dem 6. Jahrhundert mehrfach päpstliche Gesandte oder Päpste, so z.B. 546 Papst Vigilius; er ist vermutlich mit einem dieser beiden Gebäude zu identifizieren. Zu den theodosianischen Palästen allgemein Janin 1964, 135f. Bei Grabungen der 1920er Jahre kamen südwestlich des so genannten İncili Köşk ("Perlenkiosk") Überreste einer Anlage zutage, die möglicherweise von einem der beiden Bauten stammen: Müller-Wiener 1977, 42f. mit Abb. 17.

Ein weiterer curator wohl desselben Baus wird in einem Gedicht des Agathias erwähnt: Anth. Graec. XVI 41; vgl. PLRE IIIB (Thomas 20), 1320. Für das Jahr 610 ist außerdem überliefert, dass ein gewisser Photios das Amt eines κουράτωρ τῶν Πλακιδίας bekleidete: Chron. Pasch. I 700 Dindorf; vgl. PLRE IIIB (Photius 6), 1040; vgl. allgemein Cameron/Cameron 1966, 9. (Jonas Borsch)
2/2 δεσποτικοῦ: Das Adjektiv δεσποτικός hat die Grundbedeutung 'den Herrn betreffend' und kann sich auf unterschiedliche Herrscherfiguren beziehen: auf den δεσπότης als Gegenpol zum Sklaven (Aristot. Pol. 1255b 23 ἐπιστήμη δ’ ἂν εἴη καὶ δεσποτικὴ καὶ δουλική); auf den δεσπότης eines privaten Haushaltes (Ps.-Plat. Amat. 138c9 μία τέχνη ἐστὶν βασιλική, τυραννική, πολιτική, δεσποτική); auf den δεσπότης eines Großreiches (Xenoph. Cyr. 65 ἐν ταῖς δεσποτικαῖς συμφοραῖς, "in den herrschaftlichen Unglücken"); ferner auf den christlichen Gott (e.g. Clem. Alex. Paed. 2, 8, 62, 3, 1 πάθος ἐμφαίνει δεσποτικὸν μυστικῶς: das Leiden des Herrn Jesus Christus); ab der fortgeschrittenen Kaiserzeit dann auch auf den römischen Kaiser (e.g. in P.Lond. 2, 234, 1, aus dem IV. Jh.: δεσποτικαὶ κτήσεις und δεσποτικός νοτάριος).

Die Malalas-Chronik kennt für dieses Adjektiv nur den letztgenannten Anwendungsbereich und setzt es mit 'kaiserlich' gleich, vgl. Thurn 2000, 485 imperialis (im Index ad res Byzantinas spectantium), allerdings unter Auslassung des hiesigen Belegs und allein mit Zitat der einzigen noch relevanten Malalas-Stelle, XVIII 23 ἐν τῷ δεσποτικῷ κουβουκλείῳ (Bezugsperson ist dort nicht der Kaiser, sondern die Kaiserin Theodora). Somit ist δεσποτικός bei Malalas auf Gebäude beschänkt; sein Adjektiv für 'kaiserlich' mit breiterem Anwendungsbereich ist βασιλικός.
(Laura Carrara)
2/4 τῶν Πλακιδίας: Die Kombination τῶν + Eigenname im Genitiv zur Angabe des Namengebers/Besitzers eines Anwesens begegnet nicht selten in Buch XVIII der Malalas-Chronik, so dreimal im nachfolgenden Kapitel, Malal. XVIII 135 τῆς οἰκίας τῆς λεγομένης τῶν Ἀππίωνος, τὴν οἰκίαν τὴν λεγομένην τῶν Ἀνδρέου und τὴν οἰκίαν τὴν λεγομένην τῶν βαρσυμίου; vgl. ferner XVIII 105, 2 zu Malal. XVIII 105 τῇ οἰκίᾳ τῇ λεγομένῃ τὰ Πάρδου auf O, aber ἡ οἰκία ἡ λεγομένεη *τῶν Πάρδου* in der Parallelstelle Theoph. 226, 16–17 de Boor sowie XVIII 111, 3 zu Malal. XVIII 111 τοῖς ἐπίκλην τῶν Ὁρμίσδου.

Das ist die einzige Stelle in der Malalas-Chronik, in der der Namengeber des Anwesens eine weibliche Person ist.
(Laura Carrara)
2/8 ἀντ’ αὐτοῦ: Zur Präposition ἀντί in der Malalas-Chronik, bevorzugt eingesetzt bei Ämterwechseln, XVIII 126, 2. (Laura Carrara)
2/10 Θεόδωρος ὁ ἐπίκλην Νικομηδεύς: Theodoros "der Nikomedier" scheint abseits der Erwähnung bei Malalas und in der entsprechenden Theophanes-Stelle nicht bekannt zu sein: PLRE IIIB (Theodorus 25), 1253. Der Beiname, mit dem er versehen wird, fällt unter die in der Chronographie häufig vorkommenden geographischen Nomenklaturen (dazu XVIII 101, 1). (Jonas Borsch)
3/2 ἐπίκλην: Zur doppelten Auslegung bzw. Verwendung dieses Adverbs in der Malalas-Chronik, 'namens' (bei Beinamen) bzw. 'genannt' (bei Spitznamen), XVIII 101, 1. (Laura Carrara)
Parallelüberlieferung
Theoph. 237, 1–4 de Boor
Literatur
Bury (1923): Bury, John B.: History of the Later Roman Empire, London, 1923.
Chilmead (1691): Chilmead, Edmund: Johannis Antiocheni cognomento Malalae Historia Chronica … nunc primum edita cum Interpret. & Notis Edm. Chilmeadi …, Oxonii, 1691.
Evans (1996): Evans, J. A. S.: The Age of Justinian, London/New York, 1996.
Festugière (1978): Festugière, André-Jean: Notabilia dans Malalas. I, Revue de Philologie, 1978, 221–241.
James (1990): James, Alan: The language of Malalas, 1: General survey, Jeffreys, Elisabeth/Croke, Brian/Scott, Roger, Studies in John Malalas, 6, Sydney 1990, 217–224.
Janin (1964): Janin, Raymond: Constantinople byzantine: développement urbain et répertoire topographique, Paris, 1964.
Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986): Jeffreys, Elizabeth/Jeffreys, Michael/Scott, Roger: The Chronicle of John Malalas. A Translation, Melbourne, 1986.
Körting (1879): Körting, Gustav: De vocibus latinis quae apud J. Malalam chronographum Byzantinum inveniuntur, Münster, 1879.
Meier (2004a): Meier, Mischa: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen, 2004.
Müller-Wiener (1977): Müller-Wiener, Wolfgang: Bildlexikon zur Topographie Istanbuls. Byzantion, Konstantinupolis, Istanbul bis zum Beginn des 17. Jahrhundert, Tübingen, 1977.
Stein (1949): Stein, Ernest: Histoire du Bas-Empire, Tome II. De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), Paris/Bruxelles/Amsterdam, 1949.
Thurn (2000): Thurn, Johannes: Ioannis Malalae Chronographia, Berolini et Novi Eboraci, 2000.
Thurn/Meier (2009): Thurn, Johannes/Meier, Mischa: Johannes Malalas Weltchronik., Stuttgart, 2009.